Ohne die Institution Leitstelle sind qualifizierte Hilfeleistungen des Rettungsdienstes und der Feuerwehr undenkbar. Hier laufen die Notrufe des Bürgers auf, hier werden die Rettungsmittel koordiniert, Nachalarmierungen ausgelöst und alle Einsätze aktiv unterstützt. Darüber hinaus ist die Leitstelle ständiger Ansprechpartner sowohl für den Bürger als auch alle Einsatzkräfte, da sie 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr besetzt ist. Nachfolgend sollen die Tätigkeit in der Leitstelle und speziell der Kernprozess „Notrufabfrage“ kritisch beleuchtet und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
Tätigkeitsprofil
Die Arbeit in der Leitstelle erfolgt unter Zeit– und Entscheidungsdruck, verbunden mit einer hohen Dichte einlaufender Informationen. Aus dem Tätigkeitsprofil eines Leitstellenmitarbeiters, bei Beachtung der Tatsache, dass das „Telefonieren“ mit etwa 75 % (Untersuchung der BAST 1992) den höchsten Anteil einnimmt, lassen sich Schlüsselqualifikationen definieren, auf deren Basis Qualifikationsschwerpunkte festgelegt werden können. Zu den Schlüsselqualifikationen gehören insbesondere die Bereiche Kommunikation und Stressbewältigung, Fachkompetenz und die Fähigkeit, mehrere zeitkritische Tätigkeiten nahezu gleichzeitig abwickeln zu können.
Eine die Notrufabfrage wesentlich beeinflussende Komponente ist der Faktor „Stress“. Durch die innerhalb des Notrufdialoges unstrukturiert einlaufenden Informationen, durch Emotionen des Anrufers, durch die eigene Verfassung zum Zeitpunkt des Notrufes, durch die Art des Notfallbildes und in Abhängigkeit von der Qualifikation des Disponenten, werden Stressreaktionen ausgelöst. Diese können so stark sein, dass der Disponent in kürzester Zeit seine Belastungsgrenze auf der Stresstreppe erreicht hat und jede zielgerichtete Kommunikation erschwert wird. Nach außen sichtbar wird dies z. B. durch ein erhöhtes Aggressionspotential, ungerichtete Aktionen (Schrotschusssyndrom), nicht der Situation angepasste Entscheidungen bis hin zur Flucht aus der belastenden Situation. Der durch den Notruf möglicherweise ausgelöste Stress wird über ein der Tätigkeit nicht angepasstes ergonomisches Umfeld oder ein schlechtes Betriebsklima in der Leitstelle noch verstärkt. Da hilft dann auch kein positives Denken mehr!
Notrufdialog
„Was machen die schon den ganzen Tag in der Leitstelle, telefonieren kann doch jeder! Aber einmal das richtige Rettungsmittel zu schicken – scheint wohl recht schwierig zu sein“ Ein Satz den jeder Disponent, so oder in etwas abgewandelter Form, mehrmals am Tag zu hören bekommt. „Das hätte der Anrufer ja auch sagen können!“, eine Entschuldigung, die viele Disponenten dem tagtäglich entgegensetzen. Das Klima zwischen „denen die arbeiten“ und „denen, die da nur rumsitzen“ ist wieder einmal angespannt. Wer hat die Schuld? Der Anrufer, der Disponent? Vielleicht hilft die Betrachtung eines Notrufdialoges zu erkennen, wie schwierig die Tätigkeit in der Leitstelle ist. Der Notrufdialog unterscheidet sich deutlich von dem eines „normalen“ Telefonates und hat daher mit dem umgangssprachlichen „telefonieren“ recht wenig zu tun hat. Bei Gesprächen am Telefon finden wir darüber hinaus grundsätzlich eine Kommunikationsform, bei der das wichtige Element der visuellen Ebene fehlt. Gerade die Körpersprache beinhaltet viele Informationen über den Gesprächspartner, die wir teilweise bewusst, zu einem großen Anteil aber unbewusst aufnehmen.
Da uns „Sehen“ als Informationsquelle nicht zur Verfügung steht, hat der Disponent nur die Sprache, um an Informationen zu kommen, bzw. um Informationen zu geben. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Forderung, dass jeder Disponent mit dem „Handwerkzeug Sprache“ exzellent umgehen muss, will er wirklich professionell und qualifiziert telefonieren. Die Wirtschaft hat dies längst erkannt. In den verschiedenen Call-Centern der Firmen findet sich nur für diese Tätigkeit speziell trainiertes Personal. Im Notrufdialog kommt neben den für die Telefonie typischen kommunikativen Einschränkungen noch die besondere Situation des Anrufers erschwerend hinzu.
Dem Anrufer fehlen jegliche Vorerfahrungen mit der zumeist plötzlich auftretenden Notfallsituation. Die Situation ist einmalig, er kann nicht auf bewährte Verhaltensweisen zurückgreifen. Angst und Unsicherheit erschweren die Kommunikation, er projiziert in den Notruf eine hohe Erwartungshaltung auf sofortige Hilfe. Auch die Situation des Anrufers ist gekennzeichnet durch einen hohen Stresspegel, die Belastungsgrenze dürfte in den meisten Fällen erreicht, oft überschritten worden sein. Die Situation des Anrufers unterscheidet sich deutlich von der des Disponenten. Eine Tatsache, derer sich viele Disponenten nicht mehr bewusst sind. Im Laufe jahrelanger Tätigkeit und bei der Menge der täglich zu disponierenden Notrufe fehlt die Sensibilität für die Einmaligkeit des Notfallereignisses, wie es sich für den Anrufer darstellt.
Positiv wirkt sich im Dialog aus, dass der Disponent meist keinen emotionalen Bezug zum Geschehen hat, sich in vertrauter Umgebung befindet und über Fachkenntnisse verfügt. Die Informationsverarbeitung negativ beeinflussende Faktoren sind die Menge der gleichzeitigen Anrufe, Übernahme des Anrufer Stresses und letztendlich eine dauerhafte Rettungsmittelmangelverwaltung. Dazu kommt, dass die hohe Informationsdichte im Notrufdialog, die zumeist ungeordnet auftrifft, so kanalisiert und verarbeitet werden muss, dass der Disponent zu einer richtigen Entscheidung kommt. Für diese Entscheidung hat er ausschließlich verbale Informationen und als wichtiges Kriterium sein Gefühl zur Verfügung. Stellt man das Problem „Informationsverarbeitung“ in den Vordergrund, ergibt sich hieraus eine Qualitätsbeschreibung des Notrufdialoges, die wiederum zur Qualitätskontrolle, und damit auch zur Qualifikationskontrolle des Disponenten, eingesetzt werden kann.
Dialogstruktur
Vorstehend geschilderte Probleme verlangen vom Disponenten eine klare Strukturierung des Notrufdialoges. Mit der Dauer des Notrufdialoges nimmt die Qualität der Informationen nicht unbedingt zu. Soll eine eindeutige Struktur im Notrufdialog verankert werden, bedingt dies zunächst die Übernahme der Gesprächsführung durch den Disponenten.
Geeignet hierzu ist immer eine Frage, die sich sinnvollerweise auf die Grundinformation, zumindest bestehend aus Einsatzort und Einsatztyp, bezieht. Dafür spricht auch, dass es sich hier um Angaben handelt, die dem Anrufer bekannt und vertraut sind. Schwierige feuerwehrtechnische und medizinische Situationen und Zusammenhänge sind durch den Anrufer unter Stress nicht einfach zu erklären und gehören daher nicht an den Anfang der Notrufabfrage. Wurden die Grundinformationen abgefragt, ist der Disponent zumindest bedingt handlungsfähig, auch wenn das Gespräch an dieser Stelle unterbrochen werden sollte. Um aber eine „richtige Entscheidung“ treffen zu können, bedarf es der Abfrage weiterer Informationen zum „Patientenstatus“ oder zur „Lage vor Ort“. Auf der medizinischen Seite sollten dies mindestens die Vitalparameter, ergänzend Fragen zur Anamnese und zum Patientenumfeld sein.
Die feuerwehrtechnische Notfallabfrage muss selbstverständlich noch um einige Fragestellungen erweitert, bzw. verändert werden. Wichtig ist zu erwähnen, dass es sich nicht um ein Schema handelt, von dem nicht abzuweichen ist. Die Fachkompetenz des Disponenten ist notwendig, um Fragen zu stellen, die nicht in einer Struktur abgebildet, nicht schematisch erfasst werden können.
Kommunikation gehorcht zwar gewissen Regeln, letztendlich ist aber jeder Notrufdialog einmalig. Sind dem Disponenten alle wichtigen Informationen zur Entscheidungsfindung bekannt, könnte er den Dialog beenden und die notwendigen Alarmierungen durchführen. Und genau an dieser Stelle gibt es eine weitere Optimierungsmöglichkeit.
Erste-Hilfe-Hinweise
Der Disponent ist der erste Ansprechpartner für den Betroffenen, bzw. für die das Geschehen meldende Person. Bisher nutzen wir diese Tatsache in der Form, dass wir ständig neue Untersuchungen anstoßen, ob es möglich ist, per Telefon Patienten zu reanimieren. Immer wieder wird es zu Recht bestätigt, Voraussetzungen werden festgeschrieben – die Umsetzung erfolgt aber nur halbherzig. Vielleicht wäre es sinnvoller, als Einstieg auf einer niedrigeren Ebene per Telefon unterstützend tätig zu werden, z. B. im Bereich der „Erste-Hilfe-Hinweise“.
Diese umfassen einfache, und in den „Erste-Hilfe-Leitfäden“ der Organisationen verankerte, Hinweise an den Anrufer, wie er dem Notfallpatienten bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes effizient helfen kann. Die Hinweise müssen fachlich korrekt vorher formuliert und festgeschrieben werden. Anschließend können sie im Rahmen von Telefontrainings trainiert und dann in die Praxis umgesetzt werden. Es ist vor allem wichtig, die Hinweise direktiv zu formulieren, um jeglicher Diskussion mit dem Anrufer innerhalb des zeitlich begrenzten Notrufdialoges aus dem Wege zu gehen. Die Gabe einfacher Hinweise zur Ersten Hilfe schließt die Reanimation per Telefon nicht aus, bietet aber einen Einstieg in die aktive Anruferunterstützung durch den Disponenten.
Telefonreanimation
Erschreckende Zahlen zum Thema „Plötzlicher Herztod“: 75 000-mal im Jahr reanimieren Rettungsdienste in Deutschland nach einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand, lediglich rund 8 % verlassen die Klinik in einem lebenswerten Zustand. Um noch mehr Menschen das Überleben mit möglichst wenigen Einschränkungen zu ermöglichen, müssen alle Glieder der Rettungskette nahtlos ineinandergreifen. Ergibt die medizinische Notrufabfrage, dass der Patient nicht bei Bewusstsein ist und nicht atmet, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Herz-Kreislauf-Stillstand vor. In diesem Fall beginnt der Leitstellendisponent sofort mit der telefonischen Anleitung zur Herz-Lungen-Wiederbelebung.
Es ist völlig ausreichend, wenn der Laie dazu gebracht werden kann, den Brustkorb 100-mal in der Minute zu komprimieren. Nachweislich hat die Beatmung keinen signifikanten Einfluss auf das Überleben, wohl aber die Zeitspannen, die bis zur ersten Kompression vergeht. Die sollte nämlich möglichst unter 3 Minuten ab Eintritt des Geschehens liegen. Die Durchführung von Telefonreanimationen gehört nach der Publikation und Umsetzung der Leitlinien des European Resuscitation Council (ERC) zu den festen Aufgaben der Leitstellen. Die Überlebensrate kann allein durch die standardisierte Durchführung der Telefonreanimation um über 40 % verbessert werden! Dies weisen die Zahlen des deutschen Reanimationsregisters sehr eindrücklich nach.
Qualitätskontrolle
Um den Notrufdialog ständig optimieren zu können, ist eine regelmäßige Qualitätskontrolle der Notrufdialoge in der Leitstelle unumgänglich. Um etwas kontrollieren zu können, muss zunächst das zu Kontrollierende vereinbart werden. Bezogen auf die Notrufabfrage bedeutet es, dass die abzufragenden Inhalte, die Dialogstruktur und auch die aktiven Handlungen, wie die Gabe von Erste-Hilfe-Hinweisen, vorher gemeinsam mit dem Disponenten vereinbart werden müssen. Ansonsten ist die Gefahr sehr groß, dass auf sehr subjektive Art „Fehler“ der Mitarbeiter gesucht werden. Die Qualitätskontrolle, insbesondere die Auswertung der aufgezeichneten Notrufe unter Beachtung aller rechtlichen Vorgaben, darf nur den Ansatz verfolgen, den Kommunikationsprozess des Einzelnen mit dem Anrufer zu optimieren. Konsequenzen für den Mitarbeiter sollen Qualifikationsmaßnahmen, keine Abmahnungen, sein.
Angst ist hier ein schlechter Berater, Vertrauen in die Leitung der Leitstelle jedoch die Basis für jede Qualitätsoptimierung. Aus einer systematisch durchgeführten Qualitätskontrolle lassen sich Schwerpunkte für die Qualifikation von Disponenten in Integrierten Leitstellen ableiten, die dann im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen umgesetzt werden können. Das Ausbildungsziel im Bereich der Disponentenausbildung, zumindest im kommunikativen Bereich, muss es sein, dem Disponenten die Fähigkeit zu vermitteln, Sprache gezielt einzusetzen. Nicht zur Manipulation des Anrufers, wohl aber um die einlaufenden Informationen zu strukturieren und aus dem passiven Verfahren der Notrufannahme ein aktives Verfahren der Anruferunterstützung zu machen. Hier sind alle an der Leitstelle Beteiligten aufgerufen, diesen Weg auch tatkräftig zu unterstützen. So erreichen wir neben einer gewissen Chancengleicheit für den Notfallpatienten auch eine höhere Zufriedenheit der Disponenten, die nicht nur mehr reagieren dürfen, sondern kompetent agieren können.
Alle Grafiken: Achim Hackstein
Crisis Prevention 3/2019
Achim Hackstein
Leiter des kommunalen Teils der
Kooperativen Regionalleitstelle Nord in Harrislee
Vorsitzender des Fachverbandes Leitstellen e. V.
Am Oxer 40
24955 Harrislee
Tel.: 0461 999 30 530
E-Mail: achim.hackstein@leitstelle-nord.de