TU Berlin: Wie sich städtische Kontrollzentralen im Zuge der digitalen Transformation räumlich verändern

Berlin will Smart City werden. Dafür müssen die kommunalen Infrastrukturen wie Energie, Gebäude, Verkehr, Wasser und Abwasser, Müll, Polizei, Feuerwehr sowie Telekommunikation digital vernetzt werden. Aber wie läuft diese digitale Vernetzung konkret ab?

 „… indem die Kontrollzentralen der verschiedenen Infrastruktursektoren, die bislang an unterschiedlichen Orten sind, zunächst an einem Ort zusammengeführt werden. Die Mitarbeiter arbeiten jedoch weiter so wie bisher, nur, dass sie jetzt in einem großen Raum nebeneinandersitzen“, sagt David Joshua Schröder.

Für ihn und seine beiden Kollegen Prof. Dr. Hubert Knoblauch und Arne Janz ein überraschender Befund. Als sie mit ihren Forschungen zu Kontrollzentralen und deren Rolle bei der digitalen Transformation der Städte hin zu Smart Citys begannen, hatten sie anderes erwartet. Sie gingen zunächst davon aus, dass die Bemühungen um eine „smarte“ Vernetzung der Kontrollzentralen zu deren Verkleinerung führen oder zumindest eine Einsparung von Arbeitsplätzen mit sich bringt. Das Gegenteil ist der Fall.

Räume, die andere Räume überwachen

Kontroll- oder Einsatzzentralen, Lagezentren, Leitstellen oder Schaltwarten sind Räume, die andere Räume überwachen und steuern. Diese anderen Räume können das Straßen- und U-Bahnnetz, die Kanalisation, die Energieversorgung oder die Verteilung von sich im Einsatz befindlichen Feuerwehren in einer Stadt sein. Ausgestattet mit modernster Medientechnik sind diese Kontrollzentren die Orte der digitalen Transformation der Städte, um sie „smart“ zu machen, das heißt, sie klimaneutral, ressourceneffizient und lebenswert zu gestalten. David Joshua Schröder und seine Kollegen, die am Sonderforschungsbereich Re-Figuration von Räumen forschen, wollten wissen, wie sich diese Kontrollzentralen, die es ja schon vor dem digitalen Zeitalter gab, man denke nur an die Stellwerke der Eisenbahn und die Schaltwarten von Umspannwerken, mit Beginn der Digitalisierung in den 1990er-Jahren in ihrer inneren Architektur gewandelt haben.

 „Diese räumliche Veränderung interessierte uns, weil sie bislang kaum untersucht wurde“, sagt David Joshua Schröder.

Im Fokus der Forschung: Berlins Leitstellen

In Berlin schauten sich die Soziologen die Verkehrsregelungszentrale der Polizei, die Leitstelle der Berliner U-Bahn, die Einsatzleitzentrale der Polizei, das Kompetenzzentrum Kritische Infrastruktur GmbH (KKI), eine Art Dienstleister für Kontrollzentralen, sowie die Leitstelle der Messe Berlin an und verglichen sie mit Kontrollzentren weltweit – so in Rio de Janeiro (Brasilien), Songdo (Südkorea), Santander (Spanien), Glasgow (UK) und Tel Aviv (Israel).

Die oben beschriebene räumliche Zusammenlegung von bislang örtlich getrennt arbeitenden Infrastruktursektoren – in Berlin zum Beispiel sollen Polizei und Feuerwehr in einer kooperativen Leitstelle zusammengezogen werden – ist nicht etwa eine Berliner Besonderheit. Dieser Weg wird weltweit beschritten – ob in Rio, Songdo oder Glasgow. Die einzelnen Kontrollzentren werden in sogenannten Smart-City-Operation-Centres zusammengeführt. Das ist ein wesentliches Merkmal der räumlichen Veränderung der Kontrollzentralen. 

„Und überrascht, erwartet man doch, dass die Vernetzung der Infrastruktur digital, also durch die algorithmische Verschaltung erfolgt, und eine lokale Zusammenlegung in der analogen Welt eigentlich obsolet sein sollte“, sagt Schröder. 

Aber die Räume verschwinden eben nicht, vielmehr entstehen neue Typen von Kontrollräumen. Und es scheint, als ob der Mensch dieses gemeinschaftliche Zusammenkommen an einem Ort braucht, Schröder nennt es repräsentative Räumlichkeit, um sich eine Vorstellung von den Möglichkeiten der digitalen Vernetzung zu machen, die Vernetzung schon mal vorab räumlich ‚vor zu bauen‘ und sie so in Gang zu bringen.

Routine- und Krisenraum sollen verschmelzen

Auffällig aber ist, dass die räumliche Zusammenführung vorerst keine Auswirkung auf die Arbeit der Mitarbeiter hat. Sie sitzen zwar nebeneinander, arbeiten aber im Routinefall weiterhin so, als wären sie räumlich getrennt. 

„In Glasgow etwa, wo mehrere ehemals getrennte Kontrollzentralen zu einer zusammengeführt wurden, schlugen die Mitarbeitenden ironischerweise sogar vor, zwischen den einzelnen Bereichen Trennwände einzuziehen, damit man sich untereinander weniger störe. Ihr Ansinnen wurde damit beschieden, dass das nicht ginge, da die Idee sei, miteinander zu reden“, erzählt Schröder. Der eigentliche Hintergrund für das Nebeneinander, so der Soziologe, sei, dass in Krisensituationen eine bessere Kommunikation angestrebt werde. „Neben der räumlichen Zusammenführung und damit physischen Nähe wird die Face-to-Face-Kommunikation als sehr wichtig erachtet, um der digitalen Vernetzung einen Schub zu geben“, so David Joshua Schröder. 

Wie wichtig sie ist, zeigt sich auch darin, dass solche neueren, integrierten Kontrollzentralen die bisherige scharfe Trennung zwischen einem Routineraum und einem Krisenraum aufzulösen suchen. Der Krisenraum, in dem im Falle von Störungen, Krisen oder Katastrophen die entsprechenden Personen an einem schlichten runden Tisch zusammenkommen, ist in neueren Kontrollzentralen nicht mehr so strikt vom Routineraum getrennt.

Die Botschaft des Visuellen: alles unter Kontrolle

Auch dem Visuellen wird in dem Prozess der digitalen Vernetzung städtischer Infrastruktur eine große Bedeutung beigemessen. 

„Kaum eine ‚smarte‘ Kontrollzentrale ohne überdimensionierte Großbildleinwände. Weltweit scheint es unter den Smart City Operation Centres einen regelrechten Wettkampf um die größte Leinwand zu geben“, erzählt Schröder. „Mit Dashboards, die Daten visualisieren, und Layern, die die verschiedenen Infrastruktursektoren – Straßen, Gebäude, Kanalisation uns so weiter – des gesteuerten und kontrollierten städtischen Außenraums abbilden, wird auf den Großbildleinwänden das Bild eines harmonisch und reibungslos funktionierenden städtischen Organismus suggeriert, wo alles stets unter Kontrolle und das Versprechen der Smart Citys, eine effiziente, ökologisch nachhaltige und bessere Lebensweise zu schaffen, eingelöst ist“, sagt Schröder.

Diese Leinwände dienten der „visuellen Inszenierung von eben diesen Versprechen“. Und sie sollen dies auch nach außen repräsentieren. Denn es sind diese Großbildleinwände, die das öffentliche Bild von den Kontrollzentren prägen. Die Botschaft: Alles läuft, alles sicher, alles unter Kontrolle.

Viel Licht, viel Lampen und Werbeslogans wie „Dein Job auf der Enterprise“

Für die Arbeit selbst sind sie nicht (immer) zwingend, zumindest stellte Schröder das in Berlin fest. In der Verkehrsregelungszentrale war die riesige Leinwand, auf der die Ampeln der Stadt abgebildet sind, defekt. Auf seine Frage, was das für die Arbeit bedeute, erhielt er die Antwort: „Die defekte Leinwand tangiert unsere Arbeit nicht.“ Die Antwort unterstreicht den Showcharakter dieser Großbildleinwände. Auch werde gerade in neueren Kontrollzentralen mit viel Licht und vielen Lampen hantiert, um Kommandobrücken-artige Szenerien zu schaffen, die an „Star-Trek“ erinnern sollen. „Mit diesen visuellen Tricks wird versucht, die Arbeit in den Zentren attraktiv zu machen und Mitarbeiter zu gewinnen. Geworben wird mit Slogans wie ‚Dein Job auf der Enterprise‘. All das soll wenigstens ein wenig dafür entschädigen, dass die Arbeit in Routinezeiten extrem eintönig, in Krisensituationen extrem stressig sein kann, weshalb die Kontrollzentren nicht selten unter Fachkräftemangel leiden.“

Allein arbeiten mit der Option zum Austausch

Mit der Digitalisierung geht zudem eine Ent-Interaktivierung der Arbeit einher. Sie schlägt sich unmittelbar in der Gestaltung der Arbeitsplätze in den neuen Kontrollzentralen nieder. Waren vor der Digitalisierung in der Einsatzzentrale der Polizei in Berlin etwa drei Personen an der Bearbeitung eines Notrufs beteiligt – Rufannahme, Schreiben des Protokolls, Entsenden des Einsatzwagens – erledigen das heute dank besserer Computersysteme zwei Personen. 

In Zukunft wird geplant, dies alles nur noch von einer Person machen zu lassen. Die Menschen in den Kontrollzentren arbeiten immer mehr für sich allein, haben aber gleichzeitig die Möglichkeit, sich auszutauschen. Das findet seinen Ausdruck in zwar nebeneinanderliegenden Einzelarbeitsplätzen, die Bildschirme jedes einzelnen Mitarbeiters sind aber in einem angedeuteten Halbrund aufgestellt, sodass man vom Nebenmann in gewisser Weise abgeschottet ist.

Status quo in der Hauptstadt

Die räumliche Zusammenlegung von ehemals örtlich getrennten Kontrollzentren unter Beibehaltung eines Nebeneinanderarbeitens trotz der hergestellten physischen Nähe, die dazu wiederum im Kontrast stehende visuelle Inszenierung einer scheinbar bereits umfassend digital vernetzten städtischen Infrastruktur mit Dashboards und Layern auf Großbildleinwänden und eine Ent-Interaktivierung der Routinearbeit sind wesentliche Merkmale des räumlichen Wandels der Kontrollzentralen und kennzeichnen den jetzigen Stand der digitalen Transformation zumindest in Berlin.

In welche Richtung die Entwicklung möglicherweise gehen wird, zeigt eine der smartesten Verkehrsregelungszentralen der Welt im südkoreanischen Seoul: Ein öffentlicher Bus, der ein falsch parkendes Auto passiert, ist dort theoretisch bereits in der Lage das „Knöllchen“ direkt auf das Handy des Falschparkers zu schicken.

Die Forschungen von Prof. Dr. Hubert Knoblauch, Arne Janz und David Joshua Schröder fanden im Teilprojekt „Zentren der Koordination: Die Polykontexturalisierung von Macht in Kontrollräumen“ des Sonderforschungsbereichs (Sfb) „Re-Figuration von Räumen“ statt. Die Sprecherschaft des Sfb liegt bei Prof. Dr. Martina Löw, Leiterin des Fachgebietes Planungs- und Architektursoziologie, und Prof. Dr. Hubert Knoblauch, Leiter des Fachgebietes Allgemeine Soziologie.


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