Neun Monate sind vergangen, seit Deutschland im Rahmen der Framework Nations Concept (FNC) Initiative die größte ABC-Abwehrübung in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges durchführte. Im September 2018 formierten sich ABC-Abwehrkräfte aus vierzehn Nationen, um vier multinationale Einsatzverbände zu bilden, die sich dabei – basierend auf einer gemeinsamen Rahmenlage – länderübergreifend in Deutschland, Tschechien, Italien und in der Slowakei verschiedenen Szenarien des gesamten Fähigkeitsspektrums der ABC-Abwehr stellten. Die freilaufende Übung CORONAT MASK (siehe Bericht CRISIS PREVENTION 2/2018, Anm. d. Redaktion) diente dazu, den Nutzen des Clusters „CBRN Protection“ für die Generierung, Aufstellung und Bereithaltung von Kräftedispositiven zur Prävention, zum Schutz vor und zur Bewältigung von ABC-Ereignissen zu beweisen.
Der tschechische Leiter des Joint CBRN Defence Centre of Excellence, Colonel Vratislav Osvald, hat als verantwortlicher Direktor für den Evaluierungsprozess nach Auswertung aller Berichte seiner Beobachter dem Cluster die volle Funktionsfähigkeit (FOC) attestiert. Dem ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr ist es als Leitkommando für die Übung mit nur einem Jahr Vorbereitungszeit gelungen, die Hauptfähigkeitsträger der militärischen ABC-Abwehr in Europa in diese außergewöhnliche Übung hochspezialisierter Kräfte einzubinden.
Nur noch wenige Nationen verfügen über umfangreiche ABC-Abwehrkräfte, die wegen des komplexen Einsatzspektrums hochspezialisiert, modern und mit einer großen Systemvielfalt ausgestattet sein müssen. Folgerichtig ist es notwendig, über eine internationale Arbeits- und Lastenteilung (burden sharing) sowie eine gemeinsame Nutzung optimierter Fähigkeiten (pooling and sharing) die wenigen ABC-Abwehrverbände effizienter und effektiver einzusetzen. Genauso ist zu prüfen, inwiefern zukünftige Herausforderungen, die nicht nur isoliert das Militär betreffen, sondern die Bevölkerung insgesamt, im Verbund mit anderen zivilen und militärischen Fähigkeitsträgern bewältigt werden können (comprehensive approach). Mit der Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung müssen jetzt neue Konzepte zur Gesamtverteidigung und Organisation der ABC-Abwehr in Europa umgesetzt werden.
Bei der Übung wurde einmal mehr die Aussage der sicherheitspolitischen Leitlinie aus dem Weißbuch 2016 bestätigt, dass Deutschland als Rahmennation mehr Führungsverantwortung übernehmen muss, und dass sich dieser selbsterklärte Führungsanspruch mit der Erwartungshaltung unserer Verbündeten deckt. Das „Framework Nations Concept“ (FNC) ist Ausdruck dieses Verständnisses und zielt mittelfristig darauf ab, effizientere Kräftestrukturen, stabile Kooperationsbeziehungen zwischen den Partnernationen und eine daran gekoppelte multinationale Fähigkeitsentwicklung zu schaffen.
Für die deutsche ABC-Abwehrtruppe als ehemalige Truppengattung des Heeres und dem multinational vernetzten Fähigkeitsträger ABC-Abwehr in der Streitkräftebasis ist dies nichts Neues. In der ABC-Abwehr wird schon seit vielen Jahren eine intensive multinationale Zusammenarbeit praktiziert. 2003 hat die NATO einen neuen ABC-Abwehrverband, die sogenannte Combined Joint CBRN Defence Task Force (CJ-CBRND-TF) aufgestellt, die nicht nur im Rahmen von NATO Response Forces (NRF), sondern auch zum Schutz von Treffen der Regierungschefs und anderen High Visibility Events aktiviert und eingesetzt wurde. Deutschland hat diesen multinationalen Einsatzverband erstmals 2005 geführt, in der Folgezeit auch 2006, 2008, 2010, 2015 und letztmalig 2018.
Jetzt sind es nur noch wenige Nationen, die als Rahmennation für die CJ-CBRND-TF die Ausbildung und Übung organisieren können – im multinationalen Schulterschluss wohlgemerkt. Frankreich, Tschechien, Polen und eben Deutschland haben diese Fähigkeiten und Kapazitäten. Diese Länder wechseln sich jährlich ab, und Italien überlegt als fünftes Land, eventuell 2025 erstmals wieder den Kern und Führungsstab der Task Force nach 2007 zu stellen. So kam es wenig überraschend, dass sich im September 2016 Italien dem FNC Fähigkeitscluster „CBRN Protection“ anschloss, obwohl Italien offiziell keine FNC-Nation ist, also die gemeinsame FNC-Erklärung auf Ministerebene nicht unterzeichnet hatte. Auch dieser Umstand spricht für das große internationale Interesse am Cluster „CBRN Protection“, das mit 13 teilnehmenden Nationen zu den erfolgreichsten der insgesamt 24 FNC-Fähigkeitscluster gehört. Denn zudem verfolgen vierzehn Nationen im Status „Beobachter“ die Entwicklung und nehmen regelmäßig an den zweimal im Jahr stattfindenden Lenkausschusssitzungen teil. Was Anzahl der Teilnehmer, Strukturen und Arbeitsergebnisse angeht, so ist diese Interessengemeinschaft für viele andere Cluster beispielgebend und hat nicht ohne Grund als erstes Cluster an die Verteidigungsminister den FOC-Status gemeldet.
Wie geht es jetzt weiter? Beim ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr in Bruchsal wurde 2017 eine multinationale FNC CBRN Cluster Support Cell eingerichtet, die sich als Stabselement unter Abstützung auf Kapazitäten des Kommandos weiter um eine Verbesserung der Ausbildungslandschaft, Einbindung der ABC-Abwehrkräfte in Übungsaktivitäten von Großverbänden und Organisation eines effektiveren länderübergreifenden ABC-Melde- und Warndienstsystems durch Schaffung eines European CBRN Warning and Reporting Centres bemüht. Außerdem müssen sich Gruppen aus kleineren und größeren europäischen Staaten noch besser absprechen, wer dauerhaft welche Kräfte und Fähigkeiten bereithält und wer sich auf welche Fähigkeiten spezialisiert, damit nicht mehr alle alles haben müssen. Das klingt nach Einsparungen, Synergien und einer effizienteren Nutzung der Verteidigungsausgaben, setzt aber auch ein hohes Maß an Vertrauen voraus, sich in Zeiten einer Krise oder im Verteidigungsfall auf seine Partner verlassen zu können. Dabei ist klar: Krisenbewältigung, egal ob auf europäischem Boden oder außerhalb davon, wird nur noch im internationalen Verbund stattfinden und nicht isoliert von Bündnispartnern.
Das Cluster arbeitet also weiter an einem Ausbau von sogenannten CBRN Hubs zu Kräftepools, in der alle teilnehmenden Nationen ihre gesamten ABC-Abwehrfähigkeiten nach dem Prinzip „all-in“ anmelden können. Das Konzept wird nur noch um ausgewählte NATO-Staaten und europäische Partnernationen erweitert. Dann werden Ausbildung und Übung mit dieser Interessengemeinschaft weiter harmonisiert und längerfristig geplant, später auch mögliche gemeinsame Rüstungsprojekte thematisiert. Mit Hilfe der NATO und der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) wird die Gesamtfähigkeitslage im Bereich ABC-Abwehr erfasst und das angestrebte Ambitionsniveau so operationalisiert, dass klar wird, welche Fähigkeiten in Europa vorgehalten werden müssen, um das erwartete Aufgabenspektrum abdecken zu können.
Aus den geschaffenen Kräftepools, die über feste Ausbildungs- und Übungsverbünde nicht nur virtuell zusammengehalten werden, können später jederzeit kohärente Kräfte generiert werden, die dann entweder für NATO-Operationen, EU-Einsätze oder andere einsatzgleiche Verpflichtungen zur Verfügung stehen. Das Cluster beschränkt sich hierbei auf das „Force Sensing“ zur Vorbereitung der sehr formellen „Force Generation-Prozesse“ bei NATO und EU, koordiniert vorab und bietet den Hauptquartieren im Bündnis (SHAPE für die NATO bzw. dem EU Militärstab) zur weiteren Planung mit den Nationen abgestimmte Vorschläge zu möglichen Kräftedispositiven an. Damit wird das FNC zu einem prominenten Beispiel der pragmatischen engeren Zusammenarbeit zwischen NATO und EU, was den beiden Organisationen selbst bisher nur sehr eingeschränkt gelungen ist.
Im Oktober dieses Jahres wird die nächste Lenkausschusssitzung mit Nationen des Clusters stattfinden, und es wird die Idee eines Multinationalen ABC-Abwehrkommandos thematisiert werden, einer zentralen Einrichtung, welche die Fähigkeitsentwicklung in der ABC-Abwehr weiter harmonisieren und steuern könnte und die mit zunehmendem Beitritt von Ländern auch Führungsverantwortung für die Ausbildung und Übung von Einheiten verschiedener Nationen übernimmt, sofern dies gewollt ist. Ein solches Kommando könnte die ABC-Abwehrkräfte Europas weiter professionalisieren, die jährlich stattfindende ad-hoc Zusammenstellung der NATO Response Force CJ-CBRND-TF und andere ABC-Abwehrkräfte für NRF/VJTF sowie die EU Battle Group durch eine langfristig angelegte, feste Zuordnung ersetzen, damit erworbene Fachexpertise und Fähigkeiten nicht verloren gehen und eine permanente Weiterentwicklung möglich ist.
Zudem erfordert der Paradigmenwechsel zur Landes- und Bündnisverteidigung und die damit einhergehenden Forderungen der NATO vermehrt Maßnahmen zur Sicherstellung von Host Nation Support und den Schutz internationaler Einsatz- und Folgekräfte in Europa. Es wird erwartet, dass Deutschland und andere zentraleuropäische Länder als Transitländer Unterstützungsleistungen bereitstellen müssen. Dies wiederum erfordert eine bessere Raumkenntnis, Abstimmung mit zivilen Leistungserbringern und eine Erhöhung der staatlichen Resilienz gegen Angriffe mit ABC-Kampf- und Gefahrstoffen. Die Bundeswehr wird hierzu einen starken Beitrag leisten müssen. Dies gilt es vorzubereiten.
Mit dem Cluster ist ein erster Schritt zur vernetzten Sicherheit getan. Das CBRN-Netzwerk, die Gemeinschaft des internationalen ABC-Abwehrpersonals, besteht fort und stimmt sich ab, bindet auch zivile Fähigkeitsträger in ihre Ausbildungs- und Übungsaktivitäten ein. Wenn es nun auch gelingt, Stabs- und Führungsstrukturen weiter länderübergreifend noch stärker einzubinden, so sollte damit ein wichtiger Beitrag zur Prävention von ABC-Ereignissen und zur effizienteren Leistungserbringung in der ABC-Abwehr erbracht werden können.
Crisis Prevention 4/2019
Oberst Klaus Schiff
Kommandeur ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr
General-Dr. Speidel-Kaserne am Eichelberg
76646 Bruchsal
E-Mail: bcabwkdobwstvkdr-cds@bundeswehr.org