Für Einsätze mit dem Risiko der Freisetzung von chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen (CBRN) Substanzen besitzt die Bundeswehr verschiedene Individualschutzausstattungen, damit den Soldatinnen und Soldaten in den unterschiedlichsten Missionsszenarien ein angepasster Schutz zur Verfügung gestellt werden kann.
Im Folgenden werden einige wichtige Artikel der Individualschutzausstattungen erläutert und ihre Verwendungsmöglichkeiten aufgezeigt sowie einige im Rahmen von Forschungs- und Technologie- (F&T-) Projekten laufende Weiterentwicklungen vorgestellt, die im Rahmen der fachtechnischen Zuständigkeit beim Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien – ABC 1 -Schutz (WIS) bearbeitet werden. Das WIS ist eine Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums der Verteidigung mit der Aufgabe, die Bundeswehr mit Forschungsprojekten, Prüfungen und Beratungen im Bereich des CBRN- und Brandschutzes zu unterstützen.
In jedem Fall setzt sich eine Individualschutzausstattung der Bundeswehr aus unterschiedlichen Einzelartikeln zusammen, die miteinander kompatibel sein müssen, damit sie als schützendes Gesamtsystem ihre Schutzwirkung entfalten können. Bei einer Gefährdung durch ein CBRN-Kampfmittel muss durch die Schutzausstattung eine permanente Überdeckung des gesamten Körpers auch bei extremen Bewegungen sichergestellt sein. Nach dem Verlassen eines kontaminierten Gebietes erfolgt eine Dekontamination von Personen und Ausrüstung, um eine Verschleppung von Schadstoffen in die kontaminationsfreien Bereiche zu verhindern: Erst danach kann die Individualschutzausstattung sicher abgelegt werden.
Grob eingeteilt besteht die Individualschutzausstattung aus einem Hand- und einem Fußschutz, einem Schutzanzug und einer Atemschutzausstattung. Die beiden letzteren Gruppen werden im Folgenden detaillierter betrachtet.
Atemschutzausstattung
Der Schutz des Atemtraktes ist von zentraler Bedeutung, denn es muss zu allererst verhindert werden, dass CBRN-Substanzen über diesen Weg in den Körper gelangen. Zum Schutz wird in der Regel eine Atemschutzmaske verwendet. Die Standardatemschutzmaske der Bundeswehr trägt die Kurzbezeichnung M2000. M2000 besitzt analog zu vielen anderen militärischen Schutzmasken zweigeteilte Sichtscheiben. Ein Grund dafür ist die höhere Robustheit gegenüber den im zivilen Bereich oft verwendeten Panoramamasken.
Die M2000 bietet die Möglichkeit, separate Scheiben mit zusätzlichen Schutzfunktionen auf die eigentlichen Sichtscheiben aufzustecken, um so bei Bedarf zum Beispiel einen Blendschutz zu ergänzen. Für Brillenträger gibt es eine Maskenbrille, die so in die Schutzmaske eingesetzt wird, dass sie die Dichtigkeit nicht beeinträchtigt. Die M2000 weist einige weitere Besonderheiten auf: So verfügt sie über ein eingebautes Nahrungsmittelventil, das eine kontaminationsfreie Flüssigkeitszufuhr auch bei angelegtem Atemschutz ermöglicht.
Das zugehörige Atemschutzfilter, das speziell für den Schutz vor CBRN-Gefahrstoffen ausgelegt ist, wird mittels eines Bajonettverschlusses angeschlossen. Das Anschlussstück des Atemschutzfilters ist exzentrisch angeordnet, so dass es möglich ist, das Filter über diesen Bajonettanschluss in verschiedenen Positionen zu fixieren. Damit wird erreicht, dass zum Beispiel beim Gebrauch einer Waffe das Atemschutzfilter sowohl für Links- als auch für Rechtshänder nicht einschränkend wirkt.
Da das CBRN-Filter der M2000 für den CBRN-Schutz optimiert ist, gibt es Gefahrensituationen, in denen ein anderes Atemschutzfilter erforderlich sein kann. Viele Atemschutzfilter werden mit einem Standardgewinde angeschlossen, daher besitzt die M2000 zusätzlich zum Bajonettanschluss ebenfalls dieses Rd40-Rundgewinde für die Kompatibilität mit anderen Filtertypen. Die M2000 ist in drei Größen verfügbar. In jedem Falle erfolgt bei der Ausgabe eine individuelle Dichtigkeitsprüfung der Schutzmaske, um sicherzustellen, dass ein ausreichend hoher Schutzfaktor erreicht wird.
Dieser ergibt sich aus dem Verhältnis der Ergebnisse einer Partikelmessung der Umgebungsluft zu einer Partikelmessung der gefilterten Luft in der Maske. Bei 100.000 Partikel pro Messvolumen in der Umgebungsluft und 100 Partikeln in der Schutzmaske würde sich zum Beispiel ein Schutzfaktor von 103 ergeben. Wenn in einer Gefahrensituation Filteratemschutz nicht ausreichend ist, kann die M2000 auch in Kombination mit einer Atemluftflasche für eine außenluftunabhängige Atemluftversorgung verwendet werden.
Für spezialisierte Nutzergruppen gibt es in der Bundeswehr weitere Atemschutzausstattungen.
Schutzanzüge
Bei den Schutzanzügen werden in der Bundeswehr im Wesentlichen zwei Wirkprinzipien unterschieden: Bei den impermeablen – also luftundurchlässigen – Schutzanzügen stellen die verwendeten Materialien eine Barriere dar, so dass der Hautkontakt mit den Schadstoffen verhindert wird.
Die Barrierewirkung hält biologische Agenzien vom Körper ab, ist aber bei chemischen Schadstoffen zeitlich abhängig von den Schutzanzugmaterialien, deren Schichtdicke und den Permeationseigenschaften der jeweiligen Chemikalien und damit substanzabhängig zeitlich begrenzt. Die gesundheitsschädliche energiereiche Strahlung radiologischer und nuklearer Stoffe durchdringt je nach Strahlungsart sowohl permeable als auch impermeable Schutzanzüge ungehindert.
Die Barrierewirkung luftundurchlässiger Schutzmaterialien verhindert allerdings auch den Abtransport von Körperwärme und –feuchtigkeit, was je nach Umgebungsklima eine erhebliche Belastung für die Person im Anzug bedeutet. Abb. 1 zeigt links die Sonderbekleidung Zodiac als Beispiel für einen impermeablen Schutzanzug, der unter anderem bei Dekontaminationsarbeiten verwendet wird. Zusammen mit den Schutzhandschuhen und –stiefeln sowie der Schutzmaske bildet der Schutzanzug einen gasdichten Verbund.
Für besondere Anwendungsfälle sind in der Bundeswehr weitere impermeable Schutzanzüge vorhanden.
Rechts zeigt Abb. 1 als Beispiel für einen permeablen – also luftdurchlässigen – Schutzanzug die leichte ABC-Schutzbekleidung. Aufgrund der Luftdurchlässigkeit des Anzugmaterials erzeugt beispielsweise Wind eine gewisse Ventilation im Anzug, so dass abhängig von den Umgebungsbedingungen im Anzug gestaute Körperwärme abgegeben und Schweiß verdampft werden kann. Die schützende Wirkung wird durch das zweilagige Anzugmaterial erzielt, dass aus einem öl- und wasserabweisenden Oberstoff in Kombination mit einer Aktivkohlefilterlage besteht.
Die Aktivkohle nimmt hautgefährdende Schadstoffe aus der Umgebungsluft auf. Luftdurchlässige Schutzmaterialien halten allerdings Partikel nur teilweise zurückhalten, so dass im Falle einer Gefährdung durch Aerosole zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Aufgrund der Luftdurchlässigkeit hat dieser Schutzanzug einen deutlich höheren Tragekomfort als der zuvor beschriebene impermeable Schutzanzug, weshalb Schutzanzüge mit Aktivkohlefiltern wesentlich länger getragen werden können.
Um einen Schutz für den gesamten Körper zu erreichen, wird auch dieser Schutzanzug mit Schutzhandschuhen sowie einer Schutzmaske getragen, für den Fußschutz werden hier Überschuhe verwendet, die auch die Kampfstiefel vor Kontamination schützen, denn der Schutzanzug soll bei Bedarf auch über der Einsatzbekleidung angelegt werden. Die leichte ABC-Schutzbekleidung erhalten alle Soldatinnen und Soldaten, die sich in einem Auslandseinsatz mit einer möglichen CBRN-Gefährdung befinden.
Für andere Einsatzszenarien sind in der Bundeswehr weitere permeable Schutzanzüge vorhanden.
Forschungs- und Technologiearbeiten
Auch und gerade weil eingeführte Schutzausstattungen von der Bundeswehr in der Regel lange Zeit genutzt werden, laufen im Hintergrund Forschungs- und Technologiearbeiten, um schutztechnische Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Zur Beantwortung unterschiedlichster Fragestellungen werden aktuelle Entwicklungen aufgegriffen und zum Beispiel die Nutzbarkeit neuer Werkstoffe und Technologien für verbesserte Schutzeigenschaften betrachtet.
So beschäftigen sich drei aktuelle F&T-Projekte beispielsweise mit Aspekten, die wichtig sind für die Weiterentwicklung der zuvor beschriebenen Atemschutzausstattungen und Schutzanzüge. Die im Folgenden beschriebenen Arbeiten erfolgen mit verschiedenen externen Partnern.
Metal-Organic Frameworks
Für eine Weiterentwicklung der Atemschutzfilter wird die Verwendbarkeit von sogenannten Metal-Organic Frameworks (MOF) als alternative oder die bisher genutzte Aktivkohle ergänzende Adsorptionsmaterialien betrachtet. Es gibt eine Vielzahl von MOF, die sich je nach ihrer chemischen Zusammensetzung unterscheiden, sie sind mikroporös und weisen oftmals eine deutlich größere innere Oberfläche als herkömmliche Aktivkohle auf.
Das bedeutet, dass sie typenabhängig eine sehr hohe Aufnahmekapazität für bestimmte Schadstoffe haben. In einem F&T-Projekt wird zum Beispiel untersucht, durch welche geeigneten Kombinationen von Aktivkohle, unterschiedlichen MOF-Typen und weiteren Katalysatoren sich das Einsatzspektrum von Atemschutzfiltern erweitern lässt. Als Ergebnisse könnten neben einer verbesserten Schutzwirkung des Filters auch eine logistische Vereinfachung erreicht werden, da sich die Anzahl der notwendigen Filtertypen verringern ließe. Diese Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen.
Impermeable Schutzanzüge
Mit den impermeablen Schutzanzügen beschäftigen sich gleich mehrere F&T-Projekte, in denen die Verbesserung der Schutzeigenschaften, des Tragekomforts und der Ergonomie thematisiert werden. In einem bereits abgeschlossenen Projekt wurde ein neuartiges Schutzkonzept entwickelt, bei dem es zum einen um ein Anzugmaterial mit einer breitbandigen Schutzwirkung ging, gleichzeitig aber auch um flexiblere Einsatzmöglichkeiten.
Um die höhere Flexibilität zu erreichen, wurde ein neuartiges Schutzanzugkonzept in Kombination mit sogenannten Hybridatemschutzsystemen für den Atemschutz erarbeitet. Bei diesen kann eine Atemschutzmaske gleichzeitig an einen Filteratemschutz und an einen außenluftunabhängigen Luftvorrat angeschlossen werden, zwischen beiden kann dann im Einsatz bedarfsorientiert umgeschaltet werden.
Wenn ein außenluftunabhängiger Atemschutz nicht erforderlich ist, kann auch nur Filteratemschutz verwendet werden. Beim Filteratemschutz gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird ein Atemschutzfilter direkt an die Maske angeschlossen oder aber über ein akku- bzw. batteriebetriebenes Atemschutzgebläse. Wird ein solches verwendet, muss der Filteratemwiderstand nicht mit Lungenkraft überwunden werden, wodurch die Person im Anzug entlastet wird.
Das Konzept der kontaminationsgeschützten Integration einer Hybridatemschutzausstattung mit flexiblen Anwendungsmöglichkeiten in einen gasdichten Schutzanzug wurde patentiert. Das zweite wesentliche Ergebnis des Projekts ist eine Verbesserung der Materialieneigenschaften im Vergleich zum eingeführten Referenzmaterial. Das neue Material hat eine höhere Schutzleistung gegenüber einem vergrößerten Chemikalienspektrum, trotzdem konnte eine Gewichtsreduzierung bei gleichzeitig verbesserten textiltechnologischen Eigenschaften wie beispielsweise der Zug-, Durchstich- und Weiterreißfestigkeit erreicht werden.
In einem zweiten Fall konnte gezeigt werden, dass auch der im ABC-Schutz bewährte Butylkautschuk noch Optimierungspotenzial besitzt. Seine Permeationseigenschaften lassen sich deutlich verbessern, wenn der Kautschukmischung spezielle Nanopartikel beigefügt werden. So ließen sich zum Beispiel im Vergleich zu verfügbaren Schutzhandschuhe dünnere mit vergleichbaren oder besseren Schutzeigenschaften fertigen, was Vorteile bei der Taktilität bringt.
Permeable Schutzanzüge
In einem ebenfalls abgeschlossenen F&T-Projekt konnten Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie durch die Kombination von sehr feinen Faservliesen mit den bislang bei permeablen Schutzanzügen verwendeten Aktivkohlefiltern eine deutliche Verbesserung der Aerosolschutzeigenschaften der Materialien bei gleichzeitiger Beibehaltung der Luftdurchlässigkeit erreicht werden kann. Um überhaupt eine Aerosolabscheideleistung der Aktivkohlematerialien bewerten zu können, wurden verfügbare Prüfmethoden ausgewertet.
Daraus entstand ein Prüfstand, mit dem mittlerweile die Aerosolschutzeigenschaften permeabler Materialien reproduzierbar bei unterschiedlichen Anströmungsgeschwindigkeiten gemessen werden können. Wenn nun eine neue Generation an luftdurchlässigen Schutzanzügen in die Bundeswehr eingeführt werden soll, sind damit alle Grundlagen geschafften, um die technologischen Forderungen an die Materialien so zu beschreiben und überprüfen zu können, das fachkundige Firmen diese fertigen können. In einem noch laufenden Projekt entsteht ein Systemprüfstand, mit dem künftig auch die Aerosolschutzeigenschaften vollständiger Individualschutzausstattungen am WIS reproduzierbar bewertet werden sollen.
[ 1 ] ABC – atomar, biologisch, chemisch
Crisis Prevention 2/2019
Karola Hagner
Wehrwissenschaftliches Institut für
Schutztechnologien – ABC-Schutz (WIS)
Humboldtstr. 100
29633 Munster
www.baainbw.de