Polizeiliches Handeln und Denken im Einsatz

Warum wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der Polizei eine Herausforderung ist und warum es sich trotzdem lohnt – Das Beispiel Rheinland-Pfalz

Liane Hauff

PantherMedia / Andriy Popov

Das Handeln und Denken von Behördenmitarbeitern wird durch den gesetzlichen Auftrag ihrer Behörde geprägt.

Behörden haben einen gesetzlichen Auftrag. Die Polizei des Landes Rheinland-Pfalz hat laut ihrem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren1. Sie wendet Gefahren ab und beugt Straftaten vor. 

Daraus ergibt sich eine Zukunftsorientierung; es muss immer daran gedacht werden, was als Nächstes passieren könnte. Zuständig ist die Polizei auch dann, wenn andere Behörden eine Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig abwehren können2. Kurz: Die Polizei ist gerade dann zuständig, wenn sich alle anderen überfordert fühlen.

Der Polizei kommt aber auch eine Funktion in Ermittlungsverfahren zu. Das Gesetz zur Strafprozessordnung verpflichtet sie, Straftaten zu erforschen und alle unaufschiebbaren Vorkehrungen zu treffen, um die Verdunkelung von Straftaten zu verhindern3. Auch hier findet sich der Präventionsgedanke. Deutlich wird neben dem Handlungsauftrag, unter welchem Druck die Mitarbeiter der Polizei zu handeln haben: Sie können nicht nicht handeln. Es gibt keine alternative Zuständigkeit! Und: Sie müssen ihre Maßnahmen rechtzeitig treffen. Eine lebensgefährliche Situation muss schnellstmöglich abgewendet werden. Bei Veranstaltungen ist die Gelegenheit, gesicherte Informationen zu sammeln, durch den Zeitraum des Veranstaltungsdatums begrenzt. Die Polizei arbeitet dementsprechend zumeist unter hohem Zeitdruck.

Hinzu kommt, dass sich vor Ort in der Realität – man stelle sich jede beliebige Notfallsituation vor, bei der man 110 wählen würde – beide Aufträge miteinander vermengen. Da die beiden Aufträge auf verschiedenen Normen beruhen – POG und StPO – ist für jede Maßnahme der rechtliche Rahmen zu prüfen. Das macht die Arbeit der Polizei, die ohnehin das Potenzial der Überforderung in sich trägt, zusätzlich komplex.

Letztendlich müssen die Beamten der Polizei in der Lage sein, so zu handeln, dass sie durch schnelle und rechtssichere Eingriffe Rechtsgüter schützen. Sie müssen sich in der Einsatzsituation für und gegen bestimmte Maßnahmen entscheiden. Solcherart souverän agierende Polizeibeamte haben einen Bedarf an konkreten und zugleich aktuellen Handlungsanweisungen. Tatsächlich gibt es eine Fülle an sogenannten Anleitungen, Handlungsanweisungen, Leitfäden, Richtlinien, Rundschreiben und Vorschriften. Sie halten situationsspezifisch fest, was wann wie zu tun ist und ähneln damit Drehbüchern oder Ablaufschemata. So bereitet man sich in einem Beruf, der damit beworben wird, dass „jeder Tag anders“ sei4, auf Einsatzsituationen vor.

Diese Materialien bedürfen der ständigen Anpassung und Vermittlung. Für Letztere gibt es die Institution der Fortbildung. Sie findet als Allgemeine Fachliche Fortbildung statt, die regelmäßig von jedem Beamten zu besuchen ist, sowie den Schulungsbedarf für diejenigen deckt, die eine in dem breiten Tätigkeitsspektrum der Polizei eine neue Funktion übernehmen. Für die Überarbeitung oder Neuerstellung solcher Materialien werden Arbeitsgemeinschaften gegründet. Sie erbringen – konform zu den Handlungszwängen der Polizei – abschließende Ergebnisse typischerweise innerhalb von Monaten.

Wem vertraut die Polizei?

Die Behörde Polizei steht in der Öffentlichkeit. Sie wird daran gemessen, inwieweit sie Schutz liefert und daran, ob sie ihrem gesetzlichen Auftrag entspricht. Sie wird in diesem Zusammenhang in der medialen Darstellung weitaus öfter kritisiert als ihre Leistungen geschätzt oder ihre Arbeitsbedingungen gewürdigt werden. In der Regel geschieht die Darstellung sehr allgemein als „Die Polizei“ dieses oder jenes Ortes. Meine Erfahrung ist, dass Polizeibeamte sich von Nicht-Polizeibeamten (aber auch unter Kollegen!) schnell angegriffen fühlen, wenn es darum geht, ob die Polizei richtig handelt oder gehandelt hat. 

Es scheint an der Tagesordnung zu sein, dass die Polizeibeamten sich bei einer Allgemeinen Verkehrskontrolle – bis hin zur Nennung eines Paragraphen – dafür rechtfertigen müssen, dass sie Führerschein und Fahrzeugpapiere verlangen. Ich sehe in den häufigen Vorwürfen an die Polizei einen Erklärungsansatz für die von mir beobachtete Empfindlichkeit der Beamten. Misstrauen gegenüber der Polizei wird durch Verinnerlichung zum Misstrauen gegenüber Kritik.

Vertrauen scheint erst dann wieder zu wachsen, wenn die Polizei selbst bereits aus ihren Fehlern und Erfahrungen lernen konnte. Diese Chance gibt sie sich durch Einsatznachbereitungen. Wurde die polizeiliche Taktik eines Einsatzes einmal reflektiert, habe ich durchaus freimütig von Situationen erzählt bekommen, die man als kritisch bewertet und aus denen man seine Lehren gezogen hatte.

Der gesetzliche Auftrag erfordert auch Geheimhaltung. Bei der Polizei gibt es ein Geheimhaltungswesen mit verschiedenen Stufen. Schon die in der niedrigsten Stufe eingestuften Materialien haben zur Richtlinie, dass niemand davon erfahren darf, es sei denn es ist notwendig. So schützt die Polizei ihre Handlungsfähigkeit. Ich habe aber erfahren, dass man sich Vertrauen verdienen kann. Geheimes bleibt natürlich geheim. Notwendigkeit ist jedoch immer noch eine Auslegungssache.

Mündlicher Austausch

Der Polizist spricht. Er redet mit den Bürgern, er muss mündlich Meldung bei der Zentrale machen, er spricht sich ab mit Kollegen seiner Dienstgruppe, telefoniert mit anderen Abteilungen und muss Informationen an andere Behörden weitergeben. In allen Situationen, in denen ein Polizist tätig wird, ist Informationsaustausch essenziell. Diese Beobachtung scheint nicht zu der eben beschriebenen Zurückhaltung zu passen. 

Hier sehe ich einen Erklärungsansatz in dem Anspruch der Polizeibeamten an sich selbst. Sie scheinen den gesetzlichen Auftrag der Polizei stark verinnerlicht zu haben. Ich beobachte, dass sehr viele Polizeibeamte bemüht sind, alles richtig zu tun. Aufgrund ihres Auftrags, als Dienstleister für Notfälle in den schwierigsten Situationen sofort und richtig zu handeln, ergeben sich aber gleichzeitig strukturell sehr viele Gelegenheiten, etwas falsch zu machen. Mein Eindruck ist, dass viele Beamte ihren Auftrag von Herzen ernst nehmen, die Höhe des Anspruchs aber Druck ausübt. 

Hier entsteht das Bedürfnis, sich auszutauschen. Institutionalisiert findet dieser Austausch in vielen Besprechungsrunden und auf mehreren Kanälen parallel statt. Zudem sind im Alltagsgeschäft Vorträge üblich, bei denen über Einsatzerfahrungen berichtet wird. Auf diese Weise befindet sich die Polizei in einem ständigen Lernprozess. Selbst im Bereich Fußball kann man nicht auslernen, oder hätten Sie einen Zusammenhang zwischen dem Einsatzaufwand der Polizei und der Entfernung von Gast- und Heimverein vermutet?5

Die Rolle von Interdisziplinarität

Seit September 2017 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen seines Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ das Projekt OPMoPS6. Dieses Akronym steht für "Organized Pedestrian Movement in Public Space". In dem Projekt erarbeitet ein interdisziplinäres Konsortium aus Hochschulen, darunter auch die Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz, und einem Unternehmen, einen Demonstrator einer digitalen Entscheidungshilfe zur Entscheidungsunterstützung für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben bei Versammlungs- und Veranstaltungslagen. Ich, Liane Hauff, Diplom-Soziologin mit Schwerpunkt Kriminologie, bin wissenschaftliche Mitarbeiterin in OPMoPS.

Das Handeln und Denken von Behördenmitarbeitern wird durch den gesetzlichen Auftrag ihrer Behörde geprägt. Im interdisziplinären Forschungsvorhaben mit der Polizei Rheinland-Pfalz habe ich das als Herausforderung erfahren. Wissenschaftliche Abläufe müssen erläutert werden, zum Beispiel, warum die Erstellung eines Fragebogens „so lange dauert“. Auch die Organisation der Polizei ist nicht selbsterklärend. Es reicht nicht aus, mitzuteilen, für welche Worte die Abkürzung „BFE“ steht, wenn die Rolle dieser Einheit unklar ist. Die Annäherung zwischen Polizei und nicht-polizeilichen Partnern musste aktiv gestaltet werden. 

Dabei hat sich die Arbeit mit gemeinsamen Szenarien, die Eckdaten einer polizeilichen Einsatzlage enthalten, bewährt. Forschungsgegenstand sind Veranstaltungen wie Demonstrationszüge und Paraden. Die Szenarien enthalten wenig mehr Details als eine Pressenotiz. Sie boten aber für alle Forschungspartner die Möglichkeit, mit ihrer Expertise anzuknüpfen. Auf solche Angebote der Partner folgte Feedback und Anregung durch die im Projekt beteiligten Polizeibeamten, was wiederum Anregung und Steuerung für die Arbeit der Partner ergab. So entstanden neue Forschungsvorhaben und Entwicklungsimpulse.

Resümee

Aus der Prägung der Polizei(-beamten) durch ihren gesetzlichen Auftrag ergibt sich ein enormes Interesse an Möglichkeiten zur Erleichterung oder Optimierung ihrer Arbeit. Das gilt gegenwärtig insbesondere für digitale Unterstützung. Mit großer Offenheit lauscht man Ideen und Neuigkeiten. Interessierte Rückfragen sind garantiert. Zugleich ergibt sich aus der Verinnerlichung des gesetzlichen Auftrags, dass der Fokus bei Risiken liegt. Die Polizei orientiert sich an Gefahren.

Bei der Polizei trifft ein hoher Bedarf an nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten gesicherten und neuen Erkenntnissen auf geringe Forschungskompetenzen. Wenn Wissenschaft und Polizei aufeinandertreffen, begegnen sich verschiedene institutionelle Hintergründe, die eigene Vorstellungen von angemessener Dauer, wertvollem Wissen und effizienter Zusammenarbeit mit sich bringen. Eine Risikoorientierung trifft auf eine Orientierung an Erkenntnis. Wochen und Monate stehen Monaten und Jahren gegenüber. 

Wissen bedeutet auf der einen Seite etwas, was umgesetzt werden kann, auf der anderen Seite ist jeder Wissenszuwachs in sich selbst wertvoll und zugleich nur ein winziger Schritt im großen Ganzen. Die einen sprechen miteinander und schreiben danach Berichte, die anderen kommunizieren schriftlich über Artikel in Fachzeitschriften. Interdisziplinarität kann hier als Reiz funktionieren: Interdisziplinäre Kontakte regen innerhalb der Polizei Forschungswünsche an, die nicht-polizeiliche Partner für anwenderorientierte Forschung aufnehmen. Das fordert und fördert Polizei und Wissenschaft gleichermaßen. Solange bei solcher Zusammenarbeit der vertrauensvolle Austausch gepflegt wird, kann es nur Gewinner geben.


1 § 1 S 1 POG

2 § 1 S 8 POG

3 § 163 StPO

4 Internetpräsenzen der Polizei Baden-Württemberg und der Polizei Hamburg zur Nachwuchsrekrutierung

5 Eine entsprechende Masterarbeit stammt aus dem Jahr 2013 und ist nicht frei zugänglich.

6 Mehr Informationen unter: https://www.sifo.de/files/Projektumriss_OPMOPS.pdf

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