Das VOST (Virtual Operations Support Team) des THW – Eine digitale Einheit zur Lageunterstützung
Jan Müller-Tischer
Es gibt keine Krise und keine Katastrophe, die nicht ausführlich in den Sozialen Medien thematisiert wird. Soziale Medien bilden die digitale Plattform, um sich über Ereignisse mit Familie sowie Freundinnen und Freunden – aber in zunehmendem Maße auch mit Regierungsorganen sowie Hilfsorganisationen – auszutauschen und Informationen zu verbreiten. Das ergibt eine große Informationsfülle.
Die digitale Lageunterstützung ist deshalb ein wichtiges neues Feld im Zivil- und Katastrophenschutz, das an Bedeutung zunimmt. Denn die digitale Lageerkundung, Massendatenauswertung und die Kommunikation auf sozialen Netzwerken stellt Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) vor große Aufgaben. Mit dem „Virtual Operations Support Team“ (VOST) unterstützt das Technische Hilfswerk (THW) die Einsatzstäbe seiner Partner im Bevölkerungsschutz durch die Analyse sozialer Medien, die gezielte Informationsaufbereitung und eine digitale Lagekartierung. Es wird mit Methoden der „Big Data“-Auswertung gearbeitet, um relevante Information aus Sozialen Medien zu extrahieren und unterstützend in das Lagebild einzubringen.
Die Bandbreite der VOST-Einsätze reicht dabei von der digitalen Unterstützung anlässlich der Hochwasserkatastrophe 2021 bis hin zu Lageunterstützung bei lokalen Großschadenslagen. Hier unterstützt das VOST, indem es Soziale Medien zur Lageerkundung auswertet und digitale Lagekarten anfertigt. Die Besonderheit des VOST ist die hybride Arbeit. Es werden zwar Einsatzkräfte des VOST in die jeweiligen Stäbe entsandt. Die Helferinnen und Helfer des VOST sind aber bei ihrer Arbeit über das gesamte Bundesgebiet verteilt und vernetzen sich im Einsatz digital.
Möglichkeiten der VOST
VOST bieten die Möglichkeit, Lagen mit einem hohen Kommunikationsaufkommen in den Sozialen Medien schnell zu bewältigen. Sie ergänzen dabei die Fähigkeiten der Öffentlichkeitsarbeit in den Stäben, da sie das arbeitsintensive Monitoring und die wichtige Bewertung der Informationen übernehmen. Wünschenswert wäre eine weitere Verbreitung dieser Einsatzoption, um auch bei sehr großen Lagen eine gute Krisenkommunikation möglich zu machen.
Aufgabe und Entwicklung des VOST THW
Die Idee: In den Sozialen Medien gibt es viele lagerelevante Informationen für Einsatzkräfte. In den meisten Einsatzlagen sind diese den handelnden Akteurinnen und Akteuren jedoch nicht verfügbar. Das VOST hilft dabei, diese wertvollen Zusatzinformationen in Lageberichten und Lagekarten zusammenzufassen und den Einsatzleitungen und Stäben zur Verfügung zu stellen.
Im Jahr 2017 hat das THW damit begonnen, diesen Mehrwert einer virtuellen Einheit für den deutschen Bevölkerungsschutz in einem Pilotbetrieb zu testen. Das erste VOST Deutschlands wurde gegründet. Es setzt sich aus ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern des THW zusammen. Das Team besteht mittlerweile aus fast 50 Personen. Im Einsatzfall analysieren die digitalen Helferinnen und Helfer die großen Datenmengen. Das THW VOST wird bei Großschadenslagen und Katastrophen zur Unterstützung der THW-eigenen Lagekoordination eingesetzt. Außerdem wurde das THW VOST bereits von Feuerwehren sowie den Krisen- und Einsatzstäben von Ländern, Kreisen und Kommunen angefordert.
Vielfach gab es bereits vor dem Jahr 2017 in unterschiedlichen Bevölkerungsschutz-Organisationen VOST-ähnliche Strukturen. Nach 2017 wurde die Idee der digitalen Lageerkundung aber mehr und mehr im Bevölkerungsschutz aufgegriffen und neben dem THW VOST formierten sich weitere regionale VOST-Einheiten auf Ebene der Bundesländer und Landkreise. Das Innenministerium Baden-Württemberg richtete das VOSTbw ein, auch in anderen Bundesländern gibt es vergleichbare Bestrebungen. Das VOSThh wurde von der Feuerwehr Hamburg und das VOSTmh von der Feuerwehr Mülheim an der Ruhr gegründet. Außerdem bildete sich ein Team Medien im Landkreis Bad Kreuznach, das in seiner Struktur den anderen VOST sehr ähnlich ist.
Im Juli 2022, nach fünf Jahren des operativen Pilotbetriebs, wurde das VOST offiziell in das Einsatzspektrum des THW aufgenommen.
Zu den typischen Aufgaben eines VOST zählen:
• Monitoring, Verifikation und Analyse von Lageinformationen, Filterung, Einschätzung und Weiterleitung an den Krisenstab („Digitale Lageerkundung“);
• Digitales Kartographieren und räumliche Analysen;
• Generierung nützlicher Informationen für Bevölkerung und Krisenstab;
• Unterstützung bei der Verifikation von Informationen, Erkennen und Bekämpfen von Falschmeldungen;
• Übernahme von speziellen, durch den Krisenstab zugewiesenen Aufgaben.
Wichtig zu erwähnen ist, dass das VOST des THW keine aktive Krisenkommunikation vornimmt, sondern ausschließlich Informationen sammelt, verarbeitet und dem jeweiligen Krisenstab zur Verfügung stellt
Wie läuft ein VOST-Einsatz ab?
Die Einheit kann im Rahmen der Amtshilfe von anderen Organisationen – wie etwa Feuerwehren oder Polizeien – angefordert werden. Die Einsätze können dabei entweder geplant sein (etwa bei größeren Veranstaltungen) oder ad-hoc stattfinden, zum Beispiel bei größeren Unglücksfällen.
Wird das VOST kurzfristig angefordert, werden die Helferinnen und Helfer alarmiert. Sie melden sofort zurück, ob sie aktuell einsatzbereit sind und tragen ihre Verfügbarkeit online in eine Übersicht ein. So ist eine Personalplanung, auch in mehreren Schichten, möglich. Dabei ist es auch wertvoll, wenn Einsatzkräfte etwa noch gebunden aber dafür in einigen Stunden verfügbar sind – denn die analytische Arbeit während einer Katastrophenlage vor dem Computer kann trotz der dislozierten Arbeitsweise sehr belastend sein. Eine Ablösung ist oft schon nach wenigen Stunden notwendig.
Da keine Anfahrtswege der Helferinnen und Helfer zur Unterkunft und danach an den Einsatzort anfallen, ist das VOST erfahrungsgemäß auf diese Weise bereits nach wenigen Minuten einsatzbereit. Bei geplanten Einsätzen erfolgen Koordination und Schichtplanung bereits im Vorfeld.
Je nach Lage und Anforderung teilt der/die Leiter/in des VOST nun die Helferinnen und Helfer der Einheit für die verschiedenen Aufgaben ein. Alle Einsatzkräfte arbeiten dabei vom eigenen Schreibtisch aus und vernetzen sich digital - dazu schalten sie sich durchgehend in einer Videokonferenz zusammen und kommunizieren zusätzlich über weitere digitale Werkzeuge. Bei hoch-priorisierten Lageinformationen aus Sozialen Medien können sich die Einsatzkräfte sofort untereinander und mit der Einsatzleitung austauschen. In besonders eiligen Fällen wird der/die „Technische Berater/in VOST“, der/die das VOST im Krisenstab vertritt, zusätzlich direkt kontaktiert, um die neue Lageinformation ohne Zeitverlust in die Entscheidungsprozesse des Stabes zu integrieren. In regelmäßigen Abständen werden innerhalb des VOST außerdem Videokonferenzen zur Abstimmung des Lagebildes abgehalten. Dieses kann dann durch den/die „Technische/n Berater/in VOST“ in der nächsten Lagebesprechung des Stabes vorgetragen werden.
Zu Beginn eines Einsatzes werten die Helferinnen und Helfer des VOST diverse Soziale Medien auf einsatzrelevante Informationen aus. Sind etwa viele jüngere Menschen betroffen, wird der Schwerpunkt auf anderen Medien liegen als bei einer Lage, die ältere Bevölkerungsteile betrifft. Je nach Anzahl der relevanten Informationen aus den jeweiligen Medien wird dann festgelegt, wie viele Einsatzkräfte für das jeweilige Monitoring notwendig sind. Da sich diese Einschätzung der Kommunikationslage schnell ändern kann, wird sie vom Team gemeinsam regelmäßig neu bewertet.
Im Anschluss werden alle wichtigen Informationen von den speziell geschulten Einsatzkräften auf ihre Relevanz hin bewertet. Wichtig ist dabei eine gründliche Verifikation der Posts, damit keine Falschmeldungen das Lagebild verfälschen. Erkannte Falschinformationen wiederum werden gemeldet, um eine schnelle Richtigstellung durch die Einsatzleitung oder den Stab zu ermöglichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit des VOST ist die Aufbereitung der Lageinformationen in Form einer digitalen Lagekarte. Diese kann bei Bedarf in den Stab eingespielt werden kann.
Einsatzbeispiel Bombenräumung Göttingen
In der Stadt Göttingen, insbesondere nah des Bahnhofes und auf dem Schützenplatz wurden in der Vergangenheit immer wieder Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Dies ist das Ergebnis einer gezielten Suche durch Auswertung von Luftbildern und Sondierungen. Gerade in Göttingen wird dieses Thema besonders sensibel behandelt, da es im Juni 2010 beim Versuch einer Entschärfung zu einer Explosion kam, durch die drei Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes ums Leben kamen. In der Regel handelt es sich bei den gefundenen Weltkriegsbomben um 500 kg-Fliegerbomben, die mit einem Säurezünder versehen sind. Dies führt häufig dazu, dass diese Bomben nicht entschärft werden können, sondern am Fundort gesprengt werden müssen. Die Arbeiten an den Bomben und deren Sprengung erfordert einen Evakuierungsradius von mindestens 1.000 Metern. Daraus ergibt sich, dass bei einer derartigen Aktion etwa 10.000 bis 13.000 Anwohnerinnen und Anwohner betroffen sind. Der Göttinger Bahnhof muss geräumt werden und der Bahnverkehr wird eingestellt.
Seit Oktober 2019 greift die Stadt Göttingen, in deren Verantwortungsbereich die Bombenräumungen fallen, auf die Fähigkeiten des THW VOST zurück, Soziale Medien hinsichtlich einsatzrelevanter Informationen auszuwerten, diese aufzubereiten und zur Entscheidungsunterstützung der Technischen Einsatzleitung (TEL) visualisiert und verifiziert zur Verfügung zu stellen.
Bis Ende 2022 gab es drei derartige Einsätze für das VOST. Jeweils nach Anforderung der TEL Göttingen über den offiziellen Dienstweg erfolgte zeitnah der Einsatzauftrag durch das Referat Inlandseinsatz des THW. Entsprechend der Anforderung wurden Auftrag und die Anbindung mit dem Anforderer konkretisiert und umgesetzt. Während in den ersten Einsätzen die Anbindung direkt beim Sachgebiet 5 (Presse- und Medienarbeit) erfolgte, etablierte sich beim Einsatz im Juli 2022 eine neue Form der Anbindung, beim Einsatzabschnitt „PUMA“ (Presse und Medien Arbeitsgruppe). Dieser Einsatzabschnitt „PUMA“ war direkt dem S5 der TEL angegliedert und setzte sich zusammen aus der Pressestelle der Stadt Göttingen, der Pressestelle der Polizei Göttingen und dem VOST.
Das Monitoring und die Analyse Sozialer Medien erfolgte jeweils zeitlich parallel mit der Besetzung der TEL, mit variabler und lageangepasster Stärke von bis zu 15 virtuellen Einsatzkräften, die disloziert vom eigentlichen Einsatzgeschehen ihre digitalen Analysefähigkeiten in die Lagebewältigung ehrenamtlich einbrachten. Vor Ort waren zwei „Technische Berater VOST“, die physisch die Schnittstelle zwischen VOST und TEL sicherstellten. Inhaltlich wurden alle relevanten Sozialen Medien analysiert. Dabei handelt es ich um die „klassischen“ Plattformen wie Twitter, Facebook, Instagram und Snapchat, aber auch lokal relevante Plattformen, wie Jodel und TikTok.
Zielrichtung des Monitorings war das Identifizieren und Verifizieren von lagerelevanten Informationen in verschiedenen Themenbereichen: Informationsbedarfe, gesichtete Personen im gesperrten Bereich, die Stimmung in der Bevölkerung und nach Sprengung der Bomben auch Berichte über Schäden oder Videoaufnahmen der Sprengung. Weitere Themen waren Hilfeersuchen, wie zum Beispiel Fragen nach dem Umgang mit exotischen Haustieren oder Fragen nach Details zu den Grenzen der Evakuierungszonen.
Durch das Monitoren Sozialer Medien werden zusätzliche Informationen generiert, die zum einen dazu dienen, das Lagebild zu optimieren, und zum anderen der Gefahrenabwehrbehörde, in diesem Fall der Stadt Göttingen, ermöglichen durch eine zielgerichtete Kommunikation die Bevölkerung zu informieren, Informationsdefizite zu reduzieren und Akzeptanz für die Maßnahmen zu erreichen.
Digitales Ehrenamt der Zukunft
Ein wichtiger Aspekt der Arbeit von VOST ist die digitale Arbeitsweise – vornehmlich vom heimischen Rechner aus. Damit wurde eine neue Zielgruppe an Helferinnen und Helfern für das THW und andere Organisationen eröffnet. Bisher waren Einsätze im Bevölkerungsschutz beschränkt auf körperliche Einsatzfähigkeit vor Ort. Digitale Lageerkundung bietet jedoch die Chance auch Personen mit ganz anderen persönlichen Fähigkeiten, Kompetenzen und Interessen oder körperlichen Einschränkungen in den ehrenamtlichen Bevölkerungsschutz einzubeziehen.
Die fast 50 Helferinnen und Helfer des VOST treffen sich regelmäßig zu digitalen Dienstabenden, auf denen neben Ausbildungsinhalten und Einsatzvorbereitung ein intensiver Austausch stattfindet. Dies führte zum Beispiel zu Beginn der Corona-Pandemie dazu, dass am Modus der Dienstabende nichts verändert werde musste. Diese neue Art der Dienstabende ermöglicht es, Menschen mit ähnlichen Interessen ohne Anreise zu verbinden und zu einem Team zusammenwachsen zu lassen. Natürlich sind gelegentliche persönliche Treffen wie das Workshop-Wochenende des VOST weiterhin extrem wichtig, um die ehrenamtliche Motivation aufrecht zu erhalten. Aber das hauptsächliche Engagement kann von Zuhause aus erfolgen. Diese neue Art von Ehrenamt kann als Muster für andere Einheiten dienen, da hier auch Menschen eingebunden werden können, die – etwa aufgrund körperlicher Einschränkungen – vor Ort nicht eingesetzt werden können.
Crisis Prevention 4/22
Jan Müller-Tischer
Virtual Operations Support Team
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk
E-Mail: vost-medien@thw.de