Einsatzkritische mobile Kommunikation

Die Zukunft von 5G, hybriden Netzen und LTE

Bernhard Klinger

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Auch der professionelle Mobilfunk für einsatzkritische Anwendungen wird in Zukunft breitbandig sein. Zu klären ist allerdings, wann, wie und mit welchen Technologien. Damit einher geht die Frage nach den Leistungsmerkmalen der Zukunftstechnologien, die breitbandige Anwendungen in der einsatzkritischen Kommunikation ermöglichen sollen. Um diesen Fragestellungen nachzugehen, bedarf es zunächst einer Definition, was überhaupt „einsatzkritisch“ beziehungsweise „missionskritisch“ bedeutet.

Definition kritischer Einsätze (Missionen)

Eine Mission wird als kritisch eingestuft, wenn durch ihr Versagen ein oder mehrere Menschenleben gefährdet werden oder wenn ein Gut bedroht wird, dessen Verlust oder Beeinträchtigung erheblichen Schaden für Gesellschaft oder Wirtschaft bedeutet. Kommunikation gilt per Definition als einsatzkritisch, wenn sogar eine geringfügige Störung der Kommunikation Menschenleben gefährden würde oder erheblichen Schaden für Gesellschaft oder Wirtschaft bedeuten könnte.

Einsatzkritische mobile Kommunikation

Die Anforderungen an Netze für die einsatzkritische Kommunikation lauten folgendermaßen: garantierte Verfügbarkeit; ausreichend verfügbare Übertragungskapazität insbesondere im Einsatzfall z. B. bei Großschadenslagen; keine Blockierung des Netzes durch Dritte; Funkversorgung überall dort, wo sie benötigt wird – auch im ländlichen Raum; Ausfallsicherheit der Komponenten z. B. durch redundante Technik und autarken Stromversorgungen; gesicherte Standorte gegen Vandalismus und Naturkatastrophen; Netzsicherheit in Bezug auf die Zugangssicherung gegen Angriffe von außen, also gegen Abhören von Sprache und das Abfangen von Daten sowie vor Datenmanipulation; einsatzgerechte Kommunikationsdienste wie z. B. Gruppenruf und verdrängender Notruf, Direct Mode und der garantierte Rufaufbau in weniger als 500 ms. Gerade bei einsatzkritischen Anwendungen sind auch Schnittstellen bzw. Konnektivität zu Leitstellen, Datenbanken und Anwendungen von hoher Bedeutung.

Eignung von 5G für einsatzkritische Anwendungen

Mit dem Stichwort „Zukunftstechnologien für die mobile Kommunikation“ wird unweigerlich der 5G-Standard assoziiert. Ist 5G aber auch für einsatzkritische Anwendungen geeignet? Entwickelt wird der 5G Standard, also das Mobilfunknetz der 5. Generation, seit 2016 vom „3rd Generation Partnership Project“, kurz 3GPP genannt. Das 3GPP ist eine weltweite Kooperation von Gremien für die Standardisierung im Mobilfunk. Zwar stand bei den 3G und 4G Varianten zunächst die Steigerung der Datenübertragungsrate im Fokus, doch bereits bei den 4G Varianten hat man durch einen erstmals durchgängigen All IP Ansatz sowie einer intelligenten Datenverkehrssteuerung den Weg für 5G ­geebnet. Diese Entwicklung verdeutlicht: Ziel der 5G-Entwicklung war nicht mehr allein die Erhöhung der Datenübertragungsrate, sondern primär die anwendungsgerechte Flexibilität. Dies gilt für die Flexibilität z. B. in Bezug auf Datendurchsatz, Prioritäten, Latenzen (also den Verzögerungszeiten bzw. Reaktionszeiten), Sicherheit und bei den Frequenzen.

Laut der 3GPP steht 5G für einen Datendurchsatz von bis zu 10 Gbps pro Verbindung. Demnach soll 5G auch in der Lage sein, bis zu 1 Millionen Geräte pro Quadratkilometer zu unterstützen. Die Zuverlässigkeit von 5G wird mit bis zu 99,999 Prozent angegeben Die Latenzzeit (Reaktionszeit) soll bis zu kürzer als 1 ms liegen und Funksensoren bis zu 15 Jahre ohne Batteriewechsel auskommen. Ob und wann diese herausragenden Werte tatsächlich erreicht werden, bleibt abzuwarten.

Hohe Flexibilität durch „Network Slicing“

5G ist schneller und flexibler als 4G. Zwar ermöglicht 4G bereits die mobile Breitbanddatenübertragung, unterstützt jedoch nicht die Vielzahl der zukünftig erforderlichen Anwendungsfälle. Die hierzu erforderliche Flexibilität bietet aber 5G mit dem sogenannten „Network Slicing“. Was bedeutet dieser Begriff? Das Netz der fünften Generation ist mehr als „nur“ ein Netz; es handelt sich bei ihm vielmehr um parallel betriebene virtuelle Netze auf Basis der gleichen physikalischen Infrastruktur. Diese virtuellen Netze werden Slices (zu Deutsch: Scheiben) genannt. Die Slices zeichnen sich durch unterschiedliche Eigenschaften aus. Sie lassen sich so konstruieren bzw. parametrisieren, dass sie den spezifischen Anforderungen einer bestimmten Anwendung entsprechen.

So ermöglicht Network-Slicing für die unterschiedlichsten Anwendungsszenarien ein Netz nach Bedarf, das flexibel und effizient auf die vielseitigen Anwendungen der Zukunft reagiert: Logistik etwa benötigt einen anderen Bedarf an Datenraten, Geschwindigkeiten und Kapazitäten als zum Beispiel Mobilität oder Unterhaltungsmedien.

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Multi Edge Computing: kürzere Reaktionszeit

Darüber hinaus verfügt 5G über Multi Edge Computing (MEC). Beim MEC verlagert sich die Berechnung des Datenverkehrs und der Services von einer zentralen Cloud zur Netzwerkperipherie – und somit deutlich näher zum Nutzer. Anstatt alle Daten zur Verarbeitung in eine zentrale Cloud zu senden, werden die Daten bereits im sogenannten Netzwerk-Edge (also am Netzwerkrand) analysiert, verarbeitet und gespeichert. Die nutzernahe Erfassung und Verarbeitung der Daten verringert die Latenz (Verzögerungszeit) deutlich und ermöglicht eine Echtzeitreaktion des Systems für Anwendungen mit hoher Bandbreite.

Man stelle sich einen Server in einem zentralen Rechenzentrum, einen Server im regionalen Backbone des Netzes sowie einen weiteren Server nahe beim Sender vor: Je näher die Verarbeitung der Daten beim Nutzer erfolgt, desto schneller ist die Reaktionszeit des Systems. Denn die Übertragung der Daten auf dem Übertragungsweg dauert in der Regel länger als die Verarbeitung der Daten in einem Rechner. Im Umkehrschluss bedeutet das: je kürzer der Übertragungsweg desto schneller die Reaktionszeit des Systems.

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5G New Radio: gewaltige Veränderung in der mobilen Kommunikationstechnik

Als „Herzstück“ von 5G wird oftmals die Luftschnittstelle – auch New Radio oder kurz NR genannt – bezeichnet. Denn 5 G ist die erste Mobilfunktechnologie, die in jedem Frequenzband zwischen 450 MHz und 90 GHz betrieben werden kann – und das mit nur einer Luftschnittstelle. Das enorme Spektrum wird dabei in drei Bandfamilien aufgeteilt: in Frequenzen bis 1 GHz, den sogenannten „low bands“, den „mid bands“ zwischen 1 und 6 GHz und Frequenzen über 24 GHz, auch „high bands“ oder ­„mmWaves (milimeter Waves)“ genannt. 

Unterhalb von 6 GHz werden Bandbreiten bis zu 100 MHz und oberhalb von 6 GHz Bandbreiten bis zu 400 MHz unterstützt. Im Unterschied zu den Standards des kommerziellen Mobilfunks bis 4G muss 5G nicht nur mit lizensierten Frequenzen arbeiten, sondern kann sich auch Frequenzen mit anderen Diensten z. B. in lizenzfreien Bändern teilen. Das 5G New Radio treibt somit eine enorme Veränderung in der mobilen Kommunikationstechnik voran.

Was bedeuten diese Eigenschaften im Hinblick auf die Frage, ob 5G für einsatzkritische Anwendungen geeignet ist? Die Anforderungen an einsatzkritische Kommunikation lauten Verfügbarkeit, Sicherheit und einsatzgerechte Dienste. Aufgrund seiner Flexibilität in Bezug auf die Dienste, den Datendurchsatz sowie bei den Frequenzen ist der 5G-Standard für einsatzkritische Anwendungen durchaus geeignet. Allerdings sind die Anforderungen an die Verfügbarkeit – also an Funkversorgung, Redundanz und Sicherheit -, die gesicherten Standorte sowie den Schutz vor Abhören und Datenmanipulation technologieunabhängig.

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Bedeutung von Standardisierung und ­Regulierung für Erfolg von 5G

Die Standardisierung von Release 15, der 5G Phase 1, wurde im September 2018 abgeschlossen. Release 16, also 5G Phase 2, soll bis März 2020 standardisiert sein.

Unter der Prämisse der Produktverfügbarkeit von zwei Jahren nach Fertigstellung der Releases wären Produkte der 5G Phase 1 etwa Ende 2020 und Produkte der 5G Phase 2 circa im ersten Quartal 2022 verfügbar.

Um 5G am Technologiestandort Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es auch regulatorischer Voraussetzungen. Werden in Zukunft in Deutschland überhaupt genügend exklusive Frequenzen im breitbandigen Bereich zur Verfügung stehen? Im 700 MHz Band sind 2 x 8 MHz für Funkanwendungen der BOS und militärische Funkanwendungen bereits im Frequenznutzungsplan verankert. Im 450 MHz Bereich ist die Nutzung der Frequenzbereiche 451 - 455,74 und 461 - 465,74 ab 2021 neu festzulegen, da die bisherigen Zuteilungen Ende 2020 auslaufen. Ursprünglicher Plan der Bundesnetzagentur war es, diese frei werdenden Frequenzen bundesweit für Anwendungen kritischer Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile hat aber das Bundesinnenministerium Anspruch auf den kompletten 450 - 470 MHz Bereich für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) angemeldet.

Den Frequenzbereich 3,7 - 3,8 GHz plant die Bundesnetzagentur technologie- und dienstneutral für regionale Anwendungen zuzuteilen. Dann könnten auch regionale Netzbetreiber, kleine und mittlere Unternehmen, Kommunen sowie die Land- und Forstwirtschaft das Potenzial der kommenden Mobilfunkgeneration 5G nutzen – so die Zielsetzung der Bundesnetzagentur. Ebenfalls technologie -und dienstneutral soll das Frequenzband 24,25 GHz bis 27,5 GHz zur dedizierten Nutzung verfügbar gemacht werden. Somit liegen mit Ausnahme der Zuteilung für BOS im 700 MHz-Bereich in Deutschland noch keine konkrete Festlegungen für Frequenzen, die dedizierte Breitbandnetze für professionelle einsatzkritische Anwendungen ermöglichen, vor. Frühestens ab 2021 werden Frequenzen im 450 MHz Bereich verfügbar sein. Wann Frequenzen im 3,6 bzw. 26 GHz Bereich zur Verfügung stehen, ist offen.

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Koexistenz von Schmalbandsystemen und Breitbandnetzen

Trotz der zunehmenden Verfügbarkeit von kommerziellen Breitbandnetzen bleibt die sichere und hochverfügbare Sprachkommunikation der digitalen Funkstandards TETRA und DMR für den Professionellen Mobilfunknutzer unverzichtbar. TETRA – und DMR- Lösungen werden noch lange Zeit weiterentwickelt, gepflegt und genutzt werden. Der Weltverband TCCA (TETRA and Critical Communication Association) prognostiziert die Verfügbarkeit von TETRA über das Jahr 2030 hinaus. Da von einer langfristigen Koexistenz zwischen einsatzkritischen Schmalbandsystemen und Breitbandnetzen auszugehen ist, wird die 3GPP das Interworking zwischen Schmalband und 3GPP Breitbandsystemen mit Release 16 in den 5G Standard aufnehmen, also entsprechend standardisieren.

Die Vorteile von Breitbandanwendungen zur Erhöhung der Sicherheit und Effizienz können aber bereits jetzt genutzt werden. LTE Netze kommerzieller Netzbetreiber stehen großflächig zur Verfügung. Zahlreiche Applikationen sind vorhanden und hybride PMR taugliche Endgeräte im Markt. Was ist unter hybriden PMR tauglichen Endgeräten zu verstehen? Als hybrid bezeichnet man ein System, das zwei Technologien miteinander kombiniert. Somit können die Leistungsmerkmale beider Technologien in einem Gerät genutzt werden – beispielsweise die TETRA-Technologie für die einsatzkritischen Sprachdienste und die LTE Technologie für die High Speed-Datenübertragung. Der Vorteil von Hybrid- Lösungen liegt also in der Verbindung der einsatzkritischen Sprachkommunikation und einsatzunterstützenden Datenapplikationen zur Steigerung der Sicherheit und Effizienz der Nutzer.

Grafiken: Bernhard Klinger


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