Vertrauen ist der Anfang von allem… Jahr für Jahr beginnen Berufsanfänger in den Polizeien des Bundes und der Bundesländer hoffnungsvoll ihre Ausbildung, die Zahl der Bewerbungen erreicht Rekordwerte (vgl. Neue Osnabrücker Zeitung vom 03.04.2018, www.noz.de). Dennoch schreibt der Kommentator an dieser Stelle: „Warum Polizist nur ein bisschen ein Traumberuf ist“. Sicherlich hat jedes Berufsbild mindestens zwei Seiten und bringt jeweils Vorteile und Nachteile mit sich, die sich oft erst mit zunehmender Berufserfahrung deutlicher abzeichnen. Als Führungslehredozent im Nebenamt an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW (FHöV NRW) bin ich immer wieder positiv beeindruckt, welchen Vertrauensvorschuss die jungen Menschen der Organisation und ihren Führungskräften einräumen.
Es grenzt für sie fast an Hochverrat, wenn ich mit ihnen Sachverhalte bearbeite, die Vorgesetzte mit Führungsmängeln zeigen. Ich werde alles tun, um dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.
Vertrauen ist wichtig
Wie wichtig dieses entgegengebrachte Vertrauen für Führungskräfte ist, findet sich in der einschlägigen Literatur vielfältig beschrieben. Nur beispielhaft und in Auszügen hier ein paar wenige zusammengefasste Aussagen nach Professor Jürgen Weibler, ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalführung und Organisation, an der Fernuniversität in Hagen. Der Wirtschaftswissenschaftler und Psychologe war Gründungssenator der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol). Professor Weibler schreibt für „Leadership Insiders“ (www.leadership-insiders.de Führung und Vertrauen – Führungswissen für die erfolgreiche Mitarbeiterführung, 19. 06.2017) unter anderem:
„Vertrauen ist ein Basiskonzept für eine erfolgreiche Interaktion und damit einer erfolgreichen Führungsbeziehung.“
„Vertrauen rechtfertigt, ein strategisches Top-Thema zu sein.“
Neben Charakteristika, die der Vertrauenswürdigkeit des Führenden zugeschrieben werden, wie Integrität, Gutwilligkeit und offener, transparenter Kommunikation spielt auch schon seine aufgabenbezogene Führungsfähigkeit (Weibler, u. a.: „ansprechende Zieldefinition, Demonstration von Fachwissen, Schaffung unterstützender Strukturen, Definition verbindlicher Normen“) eine fördernde Rolle.
Es folgen die Faktoren, die seiner Beschreibung nach nicht in gleichem Ausmaß unmittelbar wirken, aber dennoch beachtet werden müssen: z. B. die wahrgenommene Reputation des Führenden und die wahrgenommene Reputation der Organisation, “…Systemvertrauen, bedingt u. a. durch die Organisationsgeschichte, Regelungen in der Organisation, Umgang mit Krisen und Mitarbeitenden…“ (im Weiteren hier Schwerpunkt). Professor Weibler ist mir auch deshalb sicherlich so nahe, weil er gemeinsam mit LPD Gerd Thielmann, Vizepräsident der DHPol, in einem gemeinsamen Werk die Polizeiliche Führungslehre konzeptionell weiterentwickelt und strukturiert. Für Interessierte: Sie beschreiben ein neues Leitmodell der transformationalen Kooperation (Polizeiliche Führungslehre, Begründung-Gestaltung-Perspektive, VDP Verlag, 1. Auflage 2014).
Mikrokosmos: Bewältigung von Terrorlagen
Eine Terrorlage an sich gleicht in ihrer Komplexität unzweifelhaft einem Mikrokosmos. Es ist eher strittig, ob die Bezeichnung „Mikro-“ angesichts der riesigen Herausforderungen an unsere Sicherheitsarchitektur noch angemessen ist. Ich reflektiere nur kurz auf den Vortrag des Leiters des Verfassungsschutzes NRW, Burkhard Freier, zum Lagebild Terror NRW, anlässlich der 1. Essener Sicherheitskonferenz und den dort genannten Herausforderungen sowie auf die Erkenntnisse aus der Gemeinsamen Terrorismusabwehr Exercise, GETEX 2017, zu kurzfristigen, kritischen Bedarfen und erforderlichen spezifischen Fähigkeiten, zusammengefasst von Oberstleutnant i. G. Christian Grünen, Kommando SKB (beide in Crisis Prevention 3/2018).
Spezialeinheiten und Wachdienstkräfte
Während meiner Zeit bei den Spezialeinheiten der Polizei NRW konnte ich eine faktische Rückbesinnung der Spezialisten von der fast ausschließlichen Bekämpfung der Delikte der Schwerstkriminalität zurück zu den Wurzeln der Entstehung von Spezialeinheiten und Spezialkräften, zurück zur Terrorismusbekämpfung erleben. Hier finden sich beachtenswerte Jubiläen, begonnen mit der Geburtstagsfeier der GSG 9, die aufgrund der Erfahrungen bei der Geiselnahme in München als Antiterror- und Geiselbefreiungseinheit im September 1972 gegründet wurde. Die Landespolizeien folgten ausnahmslos.
Die Spezialeinheiten sind für die Bewältigung von Terrorlagen besonders ausgewählt, ausgebildet und ausgerüstet.
Mehr und mehr verfestigt sich jedoch auch die Erkenntnis, dass die erste Phase des polizeilichen Einschreitens in einer komplexen Terrorlage dem regulären Wachdienst der Polizei gehört. Der Wachdienst, im Einsatzraum 24/7 präsent, muss mindestens die Zeit sinnvoll füllen, bis die alarmierten Spezialeinheiten vor Ort agieren können. Trotz der Anstrengungen und Planentscheidungen, die unternommen bzw. getroffen wurden, um diese Zeit möglichst kurz zu halten, wird immer ein Zeitfenster bleiben.
Die Innenministerien des Bundes und der Länder tragen dieser Erkenntnis durch besondere Ausrüstung des Wachdienstes mit schweren Überziehschutzwesten, ballistischen Helmen, bis hin zu Mitteldistanzwaffen in föderalistischer Unterschiedlichkeit und je nach fiskalischen Möglichkeiten Rechnung.
Aus- und Fortbildungskonzepte werden erweitert. Beispielhaft sei hier das AMOK/TE-Konzept der Polizei NRW genannt.
Dass diese Maßnahmen ernstgemeint sind und den Kern des Erforderlichen treffen, zeigen mir u. a. Äußerungen von diensterfahrenen Bezirksdienstbeamten, die sich kurz vor Erreichen des Pensionsalters an Ausbildungsinhalte erinnern, die ihnen als junge Berufsanfänger in den Hochzeiten der zwei Generationen des RAF-Terrorismus (etwa 1970 - 1981) begegnet sind.
Konkrete Herausforderungen
Nun bin ich wieder bei den heutigen Berufsanfängern, die sich immer noch hoffnungsvoll auch mit diesem hässlichen Mikrokosmos auseinandersetzen müssen. Wenn es so ist, dass wir in Deutschland nicht mehr über das „ob“ eines Terroranschlags nachdenken müssen, weil der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin 2016 oder die zumindest zweifelhaft islamistisch motivierte Geiselnahme in einer Kölner Apotheke am 15.10.2018 eine deutliche Sprache sprechen, dann steht nur das „wann“ des nächsten Ereignisses im Fokus.
Im Wachdienst der Polizeien befinden sich natürlich nicht nur Berufsanfänger, sondern eine Vielzahl von erfahrenen Einsatz- und Führungskräften, denen aber zumindest aus den Einstellungsjahrgängen von 1985 – etwa 2001 ein Terrorbezug mit nationaler Auswirkung fehlen dürfte. Neben dem täglichen Ringen um Respekt für ihre Arbeit ist das eine weitere Herausforderung. Doch können neue Ausrüstung, Konzepte in der Aus- und Fortbildung dem Vertrauensvorschuss der Polizistinnen und Polizisten gerecht werden. Werden wir aber dem führungsethischen Anspruch an das Systemvertrauen und den Umgang mit Krisen und Mitarbeitenden gerecht?
Vertrauen verlangt Antworten
Vertrauen als Basiskonzept setzt voraus, dass die Organisation und die in ihr beschäftigten Führungskräfte (den Autor eingeschlossen) Antworten auf m. E. derzeit noch offene Fragen haben. Dieses Vertrauen setzt voraus, dass Gesellschaft, Medien, Justiz und Politik in ihrer Bewertung zumindest ähnliche Antworten liefern.
Jeder prüfe sich selbst, wenn sich Führung zu einer abschließenden Bewertung allgemeinpolizeilicher Lagen äußert. Spielt möglicherweise zunächst auch eine mediale Bewertung der Einsatzmaßnahmen eine Rolle? Wie lang ist die Halbwertzeit einer übergeordneten Bewertung? Was, wenn ein Verwaltungsgericht Monate später zu einer anderen Auffassung kommt?
Das sind die Rahmenbedingungen jeder verantwortlichen Entscheidung im Einsatz. Sei es, dass wir eine Maßnahme treffen oder auf eine Maßnahme verzichten. Hierfür treten keine Versicherungen ein.
Eine Übertragung auf die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr oder grundsätzliches Verwaltungshandeln ist ohne Abzug möglich. Wir tragen alle Konsequenzen unseres Handelns oder Nichthandelns. Wir unterliegen alle einer Bewertung durch Andere.
Im Mikrokosmos der Bewältigung von Terrorlagen sind die teilweise nicht abzusehenden Folgen unseres Handelns oder Nichthandelns allerdings von großem Ausmaß. Möglicherweise entstehen Folgen für eine große Anzahl von Menschen. Wir unterliegen dabei auch immer einer Bewertung durch uns selbst. Ob wir aber entschlossen handeln können, liegt an dem Ausmaß unseres Vertrauens in das System, die Organisation und unsere Führung.
Welche Fragen haben unmittelbar Einfluss auf mein Vertrauen?
Die nun folgenden Problemstellungen erheben keinen Anspruch auf eine abschließende Aufzählung. Es ist mir auch nicht möglich, aus der Reihenfolge der Nennung eine Gewichtung abzuleiten. Ich bin in gleicher Weise auf der Suche nach Antworten, bin aber überzeugt, dass eine möglichst breite Diskussion in Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, in der Fortbildung von Führungskräften, in der Führungswissenschaft, aber auch in Justiz, Politik und Gesellschaft zwingend erforderlich ist:
- Führungskräfte, die polizeiliche Großlagen geführt haben, erreichen die Pensionsaltersgrenze. Mit ihnen verlässt eine große Kompetenz die Organisationen. Ein wirklicher Wissenstransfer an nachgeordnete Führungskräfte (Nachfolger?) hat in den seltensten Fällen stattgefunden, da sie brisante Lagen bis zuletzt selbst geführt haben. Ihnen traut man die Bewältigung komplexer Lagen zu. Andere konnten dieses Vertrauen nicht erwerben.
- Einem Streben nach breiter, genereller Befähigung stehen Fachkarrieren mit starker Spezialisierung entgegen. Eine Entscheidung für Spezialisierung kann eine Entscheidung gegen Karrieremöglichkeiten sein. Rotation vs. Führungskontinuität werden unterschiedlich verhandelt. „Demonstration von Fachwissen“ als Vertrauenstreiber (Weibler) fällt dem Spezialisten leichter als dem Generalisten.
- Gerichte entscheiden über Einzelfälle im Rahmen gesetzlicher, allgemeingültiger Regelungen. Daran müssen wir weiter festhalten. Gerichte werden zu entscheiden haben, ob es z. B. zur Bewältigung einer Terrorlage durch spezialgesetzliche Ermächtigungen erlaubt ist, einen erkannten Terroristen final zu bekämpfen, auch wenn damit die Terrorlage nur zum Teil beendet wird (Stichwort: Intervention). Und wie wird die Bewertung des Gerichtes aussehen, wenn die Entscheidung zur Intervention die verbleibenden Terroristen zu einer Vergeltung anstachelt? Wie ist eine finale Bekämpfung eines Terroristen zu bewerten, wenn er gerade nicht aktiv Leben gefährdet, sondern seine Gräueltaten für das Internet filmt? Was ist, wenn wir den Falschen treffen? Diese Entscheidungen werden über Handeln oder Nichthandeln mit entscheiden. Können wir Antworten erhalten, bevor wir Präzedenzfälle schaffen?
- Welche Rolle spielt die mediale Berichterstattung? Wie schnell sind Bewertungen in den sozialen Medien verbreitet? Wer kann sie beeinflussen oder gar zurücknehmen? Was bleibt von meinem Handeln oder Nichthandeln für immer im weltweiten Netz? Habe ich eine Stimme? Wer erhebt für mich seine Stimme? Wir erinnern uns an die Geiselnahme von Gladbeck. Vor 30 Jahren verfolgte die Nation live in den Medien die Irrfahrt zweier Geiselnehmer. Der journalistische Skandal wirft Fragen auf, die heute aktueller sind denn je.
- Wie gehen wir mit eigenen Verwundungen um? Kann unsere Organisation ertragen, dass Kolleginnen und Kollegen als versehrte Veteranen nach Terrorlagen aus dem Dienst ausscheiden? Erträgt unsere Gesellschaft traumatisierte ehemalige Polizistinnen und Polizisten? Eine Ahnung liefert der Umgang mit dieser Thematik in der Bundeswehr. Thomas de Maizière (CDU) 2013: Zur Armee im Einsatz gehöre es, „…dass es in Deutschland seit einigen Jahren wieder Veteranen gibt, Veteranen der Bundeswehr. Ich bekenne mich heute zu diesem Begriff.“ (Quelle: www.bild.de vom 18.08.2018) Die Bundeswehr ließ 10.200 Medaillen (kleines Metall-Ehrenkreuz mit Bundesadler) produzieren, um ehemalige Soldaten zu ehren. Nach der Berichterstattung wurde bislang aber niemand geehrt. Die Orden sind angeblich noch alle im BMVg. Warum? Was macht das mit meinem Vertrauen?
Wir sollten gemeinsam um Antworten ringen. Da wo sie bereits vorhanden sind, mir aber noch nicht begegneten, freue ich mich auf Informationen, die ich gern weitergeben will. Da wo Antworten nicht gegeben werden, möchte ich dringend appellieren, die Suche danach aufzunehmen, bevor sich die Fragen danach von selbst stellen und Gesichter und Namen tragen. Einen großen Anteil in der Formulierung der drängendsten Fragen können sicherlich z. B. Polizeiseelsorgerinnen und Polizeiseelsorger sowie Psychologen und Soziologen mit ihrer Fachexpertise leisten.
Antworten geben müssen aber diejenigen, denen die Menschen in unseren Organisationen vertrauen und von denen sie zurecht Antworten erwarten (mich eingeschlossen).
Ein Ausblick
Nun aber noch die hoffnungsvolle Prognose, dass der Mikrokosmos Terrorlage von unseren Kolleginnen und Kollegen möglichst professionell und auf jeden Fall verantwortungsbewusst bewältigt wird: Wir werden handeln, weil
- wir auch den Paradigmenwechsel von Stillstand und Absperrung hin zu aktiver Einwirkung auf Täter in einer Amoklage vollzogen haben.
- wir als Teil einer Gefahrengemeinschaft in den Wachdienstgruppen einander vertrauen können und das in uns gesetzte Vertrauen unserer Kollegen nicht enttäuschen wollen.
- wir wissen, dass die Menschen um uns herum uns beobachten und darauf vertrauen, dass wir helfen werden, weil es in genau diesem Moment niemand anderes tun kann.
Darauf vertraue ich.
(Der Autor stellt mit diesem Artikel seine höchstpersönliche Meinung dar.)
Crisis Prevention 4/2018
Thomas Fürst, Polizeioberrat
Landespolizei NRW, Polizeipräsidium Dortmund
Leiter der Führungsstelle einer Polizeiinspektion