Zahlreiche Studien und Berichte zeigen, dass soziale Medien in Gefahrenlagen eingesetzt werden – und dass trotz möglicher Herausforderungen für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) nutzbringende Anwendungsfälle identifiziert werden können. Auch wenn unstrittig ist, dass die Verbreitung von Fehlinformationen und sogenannte „Unfallgaffer“ nicht gefördert werden sollten, besteht die Möglichkeit, die verfügbaren Daten aus sozialen Medien geeignet zu nutzen. Empirische Studien hinsichtlich der Einstellungen von BOS zu sozialen Medien sind derzeit noch nicht weit verbreitet.
Dieser Artikel fasst die Ergebnisse einer Umfragestudie mit 761 BOS-Mitarbeitern in 32 europäischen Ländern im Rahmen des EU-Projekts „EmerGent“ zusammen. Die Ziele der Umfrage waren die Untersuchung der Meinungen von BOS zu sozialen Medien für den privaten und organisatorischen Gebrauch sowie Hauptfaktoren, die die aktuelle und wahrscheinliche zukünftige Nutzung von sozialen Medien in ihren Organisationen beeinflussen.
Soziale Medien umfassen Internet-Anwendungen, die es ihren Nutzern ermöglichen, sich untereinander auszutauschen, mediale Inhalte zu erstellen und zu teilen. In Deutschland sind die prominentesten Beispiele Facebook, Twitter, YouTube, Instagram oder auch Google+, welche im alltäglichen Gebrauch und daher selbstverständlich auch in Katastrophenlagen verwendet werden.
Vor, während und nach dem Einsatz
Die Ergebnisse der hier präsentierten Studie zeigen, dass europäische BOS soziale Medien für verschiedene Zwecke in verschiedenen Phasen einer Schadenslage verwenden:
- Im Vorfeld, um Frühwarnungen, präventive Informationen und Empfehlungen seitens der BOS zu veröffentlichen;
- Während eines Einsatzes, um Tipps, Sicherheitshinweise, Statusaktualisierungen und Warnungen zu verbreiten. Darüber hinaus können soziale Medien für die interne Kommunikation und zum Teilen von Erfahrungen verwendet werden;
- Im Nachgang, um mit multimedialen Inhalten angereicherte Berichte zu teilen oder „Aufräum“-Aktivitäten der Bevölkerung über soziale Medien zu koordinieren.
Insgesamt ist jedoch die ungleiche Erreichbarkeit von Bürgern problematisch, da sozial schwächere Bevölkerungsschichten sowie ältere Generationen möglicherweise keinen oder nur begrenzten Zugang zu sozialen Medien haben.
Senden statt Empfangen
BOS-Mitarbeiter berichten, dass ihre Organisationen derzeit soziale Medien am häufigsten dazu nutzen, um Informationen zur Vermeidung von Unfällen und Notfällen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Jedoch bestätigen nur 15 % der Befragten, dies bereits häufig getan zu haben. Weniger als die Hälfte der Befragten gab an, dass soziale Medien zumindest gelegentlich genutzt würden, um Nachrichten aus der Öffentlichkeit zu erhalten, und nur 5 % gaben an, dass dies häufig in ihren Organisationen geschehe.
Voraussetzungen für die Nutzung
Genannte Hauptfaktoren für die Nutzung sozialer Medien durch BOS sind Personalqualifikationen und eine offene Organisationskultur.
Um eine Nutzung sicherzustellen, sind in den Augen von BOS geschultes Personal, entsprechende Fachkenntnisse und ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeiten erforderlich.
Auf der technischen Seite sind eine verfügbare und zuverlässige Internet-Infrastruktur sowie Software, die einen Benutzer im Umgang mit mehreren sozialen Netzwerken unterstützt, erforderlich. Eine positive Einstellung und gelungene Beispiele beeinflussen laut Umfrage die Nutzung sozialer Medien positiv. Darüber hinaus müssen BOS mit sich ändernden Trends und Kommunikationsgewohnheiten in den sozialen Medien Schritt halten.
Nutzungshürden ergeben sich aus rechtlichen Bedenken wie Datenschutz, internen Compliance-Fragen oder Misstrauen sowie aus der wahrgenommenen Komplexität von Informationsräumen in sozialen Medien.
Wachstum erwartet
Die Mehrheit erwartet, dass ihre Organisationen in Zukunft vermehrt soziale Medien nutzen, insbesondere um Informationen mit der Öffentlichkeit darüber auszutauschen, wie Unfälle vermieden werden können und wie man sich in Notfällen verhält. Allerdings gaben Mitarbeiter von BOS, die soziale Medien bereits „oft“ in ihren Organisationen verwenden, auffallend häufiger als andere Befragte an, dass sie von ihren Organisationen erwarten, dass diese die Nutzung sozialer Medien verstärken. Dies bedeutet, dass zwar einige BOS ihre Social-Media-Nutzung in den kommenden Jahren wahrscheinlich erhöhen werden, andere dies jedoch möglicherweise nicht oder nur in kleinen Schritten tun werden.
Hintergrund: Methodik der Studie
Unsere Studie wurde unter dem Titel „Emergency Services’ Attitudes towards Social Media: A Quantitative and Qualitative Survey across Europe” im International Journal on Human-Computer Studies (IJHCS) veröffentlicht.
Im Zeitraum zwischen September bis Dezember 2014 wurde ein Link zu einer Online-Umfrage an BOS-Netzwerke und verschiedene andere nationale und internationale BOS-relevante Mailing-Listen geschickt. Dazu gehören zum Beispiel der Deutsche Feuerwehr Verband (DFV), die Föderation der Feuerwehrverbände der Europäischen Union, das Emergency Services Staff Network (ESSN) und das soziale Netzwerk der slowenischen Feuerwehrleute 112.
Dies bedeutet, dass die Stichprobe von BOS-Mitarbeitern, die an dieser Umfrage teilgenommen haben, nicht vollständig repräsentativ ist, da sie wahrscheinlich zugunsten von Mitarbeitern verzerrt ist, die von den Projektmitarbeitern leichter zum Teilnehmen angeregt werden konnten.
Merkmale der Teilnehmer der Umfrage
Rückmeldungen zur Umfrage wurden von BOS-Mitarbeitern aus 27 Ländern erhalten, wobei die größte Anzahl aus Deutschland (223), Slowenien (130), Polen (109) und Dänemark (65) kamen. Die große Mehrheit war männlich (92 %), wobei auch 54 weibliche BOS-Mitarbeiter (8 %) an der Umfrage teilgenommen haben.
Der größte Anteil der Teilnehmer war zwischen 30 und 39 Jahre alt (29 %) und die kleinste Gruppe war die der unter 20-jährigen (6 %), obwohl die Teilnehmer im Allgemeinen recht gleichmäßig über die Altersgruppen verteilt waren – die Anteile von Rückmeldungen, die von jeweils Teilnehmern im Alter von 20 - 29, 40 - 49 und 50 oder älter erhalten wurden, waren ähnlich hoch (jeweils ca. 20 %).
Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer war hauptamtlich (39 %), ehrenamtlich bei einer Feuerwehr (23 %) oder beim (deutschen) Technischen Hilfswerk (23 %). Die verbleibenden 16 Prozent der Befragten beinhalten eine relativ kleine Anzahl von Mitarbeitern von Leitstellen medizinischer Notfalleinrichtungen, der Polizei und anderer relevanter Organisationen. Der größte Anteil der Befragten bezeichnete sich selbst als „Mitglied der Mannschaft“ (32 %), während 25 % Leiter bzw. Betreuer der jeweiligen Organisation waren.
Dies lässt darauf schließen, dass die Umfrage einen guten Durchschnitt ranghoher und führender, als auch rangniedriger Mitarbeiter erreicht hat.
Crisis Prevention 1/2018
Prof. Dr. Christian Reuter
TU Darmstadt, Informatik
Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit (PEASEC)
Mornewegstr. 32
64293 Darmstadt
reuter@peasec.tu-darmstadt.de,
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