14.02.2022 •

Wie unterstützende KI die Arbeit von BOS-Leitstellen und die öffentliche Sicherheit revolutioniert

Jens Hartmann

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In den letzten Jahren haben Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in ganz Europa ihre Investitionen in IT-basierte Lösungen zum Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern erhöht. Angesichts neuer technologischer Ansätze mit Künstlicher Intelligenz ergeben sich Chancen, diese Ressourcen noch zielführender zu nutzen und die Leistungsfähigkeit von BOS-Leitstellen beim Einsatzmanagement zu steigern.

Schon heute geht die zunehmende Vernetzung der Leitstellen und die medienbruchfreie Integration mit einer steigenden Anzahl von Umsystemen und einer Datenflut einher. Täglich fallen immense Datenmengen allein in den Einsatzleitsystemen an. Nicht selten sind sowohl die IT-Infrastruktur als auch die Mitarbeiter überfordert. Ironischerweise können zu viele Informationen zu einem Hindernis werden. Hier gilt es, den hohen Rauschpegel operativer Leitstellendaten im Tagesbetrieb zu durchbrechen, um sachdienliche Erkenntnisse sehr zeitnah offenzulegen. Seien es alltägliche Vorfälle, Wiederholungsdelikte oder sich rasch entwickelnde Lagen und Großereignisse: Um das Gemeinwesen optimal zu schützen, gilt es vorhandene Informationslücken zu schließen, indem Indizien kontinuierlich ausgewertet und unbeachtete oder versteckte Hinweise ins Blickfeld gehoben werden.

Die Informationsflut in den Leitstellen kann schwerwiegende Folgen haben, da bei einem Notfall Minuten und sogar Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Es werden möglichweise kritische Details übersehen. Dispatcher und Einsatzleiter müssen bei einem Vorfall möglichst in Echtzeit über genaue, relevante und gesicherte Informationen verfügen. Unerkannte Hinweise in der Datenflut minimieren den Erfolg eingeleiteter Maßnahmen und gefährden den Einsatzerfolg oder gar Leib und Leben der Betroffenen und der Einsatz- und Rettungskräfte.

KI-Analyse in ungeahnter Geschwindigkeit vernetzt vielfältige Informationen.
KI-Analyse in ungeahnter Geschwindigkeit vernetzt
vielfältige Informationen.
Quelle: Adobe Stock

Von Daten zu Informationen

Das Leitstellenpersonal muss viele operative Daten zeitnah manuell durchforsten und sich dann auf Erfahrung und Intuition verlassen, die zur Einschätzung der jeweiligen Lage erforderlich sind. Allein auf menschlicher Intelligenz beruhende Beobachtung und Bewertung der über Anrufe, Videos und Sensoralarme eingehenden Informationen kann die Reaktion auf einen Vorfall verlangsamen. Auch geraten hierbei klassische Berichte und regelbasierte Auswertung an ihre Grenzen. Erfreulicherweise hat jedoch der technologische Fortschritt auch die Analysefähigkeiten revolutioniert, indem diese durch Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) unterstützt werden. Intelligente Systeme sind in der Lage, den Menschen mit einem erweiterten Bewusstsein und proaktiven Erkenntnissen in Echtzeit zu unterstützen, um schneller die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sogenannte unterstützende KI kann große Mengen an Informationen durchforsten und interpretieren, um versteckte Erkenntnisse mit unübertroffener Geschwindigkeit und Konsistenz zu finden und zu kennzeichnen. Das Personal von Einsatzzentralen kann diese Erkenntnisse nutzen, um Entscheidungen auf besserer Informationsbasis zu treffen. Die Echtzeitanalyse von Leitstellen-Daten kann blinde Flecken im operativen Betrieb beseitigen und verbessert das ganzheitliche Lagebild.

Unterstützende KI hilft, menschliche Fähigkeiten zu ergänzen, anstatt sie zu ersetzen. Eine kontinuierliche autonome Bewertung mittels KI-Assistenz deckt Ähnlichkeiten, Zusammenhänge und Anomalien auf, die ansonsten unerkannt bleiben würden. So gibt unterstützende KI den Disponenten in der Leitstelle entscheidungsrelevante Hilfestellungen: KI wertet ein breites Spektrum an Informationen aus – dies sind nicht nur die ins Einsatzleitsystem eingetragenen Informationen auf Basis verschiedenster Anrufe, die zum Beispiel von einem Unfallort getätigt wurden. Es gehen in die KI-Analyse auch Live-Daten und Interaktionen zwischen der Leitstelle und den Einsatzkräften vor Ort ein, zudem Erkenntnisse aus zurückliegenden Vorfällen an gleicher geographischer Position. Ein Verkehrsunfall wird so sekundenschnell verifiziert und die Koordinierung der Einsatzmittel verbessert. Gehen Notrufe mit ähnlichen, aber nicht identischen Eigenschaften aus einem Stadtviertel ein, so lassen sich Ähnlichkeiten durch unterstützende KI erkennen und das Leitstellenpersonal wird fundiert informiert.

Tatsächlich ist die übergreifende Koordination ein wichtiger Vorteil. Durch die umfassende Erschließung datenbasierter Erkenntnisse mit Hilfe von KI entsteht eine gemeinsame Informationsbasis, die eine optimierte koordinierte Reaktion ermöglicht – sowohl bei alltäglichen Vorfällen als auch bei Großlagen. So wird eine eingehende Meldung zu einer Person, die vom Bahnsteig in das Gleisbett einer U-Bahn-Station springt und fluchtartig in den Tunnel läuft, in der Regel als Einzel-Vorfall registriert. Doch der autonom in Echtzeit laufende KI-gestützte Vergleich verschiedenster Vorfallinformationen deckt weitere Hinweise auf. Ein in zeitlicher und räumlicher Nähe gemeldeter Raubüberfall könnte mit der flüchtenden Person in Zusammenhang stehen. Durch dieses überaus rasche Erkennen von Mustern und möglichen Verknüpfungen kann die Polizei schneller handeln und sich mit weiteren Einsatz- und Sicherheitskräften abstimmen.

Das Versprechen der Cloud

Die Leitstellen im deutschsprachigen Raum speichern ihre Daten im Wesentlichen auf lokalen Servern. Doch zunehmend widmen sich die IT-Verantwortlichen auch der Cloud-Thematik. Ob Public, Private oder Hybride Cloud, die IT-Sicherheit ist für diesen Ansatz oberstes Gebot. Auch eine Leitstelle aus der Cloud überzeugt mit den schlagenden Argumenten wie Verfügbarkeit, Sicherheit, Wartung im laufenden Betrieb und optimiertes Backup und Restore. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass - anders als bei Systemen und Servern vor Ort - KI- und Machine-Learning-Funktionen einfach integriert und wirkungsvoller eingesetzt werden können. Auch wenn bislang nur wenige BOS tatsächlich Cloud-Technologien einsetzen: Die gute Nachricht ist, dass sich die Cloud-Funktionen sprunghaft weiterentwickeln, insbesondere im Hinblick auf die KI-Integration.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in ganz Europa modernen Technologien zuwenden, um ihre Leistungsfähigkeiten zu stärken. Dabei sind die Quantität und die Qualität der Daten gleichermaßen für die öffentliche Sicherheit wichtig. Insbesondere die Leitstellen können aus der durchaus herausfordernden Flut an Informationen einen unschätzbar positiven Mehrwert gewinnen. Und zwar indem unterstützende Künstliche Intelligenz das Wer, Was, Wie, Wann, Wo und Warum von Vorfällen in Echtzeit analysiert sowie Muster und Zusammenhänge aufdeckt. KI als beratendes Werkzeug bietet dem Leitstellen-Mitarbeiter zusätzliche Erkenntnisse an, um fundiertere Entscheidungen treffen zu können. Dank des technologischen Fortschritts und der Digitalisierung wird sich die Leitstelle des 21. Jahrhunderts ihren Aufgaben zum Wohl des Gemeinwesens besser denn je widmen können.


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