In der vorigen Ausgabe der CRISIS PREVENTION lasen Sie Teil I der Darlegungen und Fragestellungen zur Pandemie sowie zu stattgefundenen oder möglichen Großschadenslagen mit Blick auf Blackout-Szenarien. Dieser zweite Teil befasst sich mit offenen Fragestellungen, Vergleichen und Optimierungsvorschlägen für ein angepasstes Krisenmanagement bei einer Blackout-Gefahrenlage.
Es stellt sich die Frage, wie sähe die Lage aus, wenn eine ganze Region von Deutschland oder mehrere Bundesländer von so einem „Blackout“ betroffen wären? Welche Strommengen müssten über Notstromaggregate geleistet werden und wie hoch wäre die Abnahmerate bei den Verbrauchern, insbesondere beim stufenweisen Hochfahren der Netze?
Bis heute existieren keine Erkenntnisse, wie viele Notstromersatzaggregate (NEA) als Geräte mit welcher Größe und Leistung überhaupt in einem solchen Schadensfall benötigt würden. Untersuchungen einzelner Gefahrenabwehrpläne von Gebietskörperschaften (Landkreise, kreisfreie Städte) zeigen, dass selbst der Strombedarf für wichtige Stadt-/Ortsteile mit Wohn- und Arbeitsstätten sowie Einrichtungen, wie Krankenhäuser und Altenpflegeheime den Ordnungsbehörden, i. d. R. nicht hinreichend bekannt sind.
Um eine funktionierende Notstromversorgung aufzubauen, ist es daher zwingend erforderlich, schon lange vor der Lage ein entsprechendes schlüssiges Konzept zu erarbeiten, um für die Krisenlage gewappnet zu sein. Vorhandene Notstromkonzepte bedürfen einer konsequenten Überprüfung und Umsetzung in der Praxis, Aggregate einer regelmäßigen Überprüfung und Wartung, um die Einsatzbereitschaft im Notfall zu gewährleisten.
Solange davon auszugehen ist, dass schlüssige Konzepte für die Resilienz während eines Blackouts in Deutschland nicht über den Status von Pilotuntersuchungen und Forschungswerken hinausgehend vorliegen, wäre es für alle Krisen- und Verwaltungsstäbe von Gebietskörperschaften absolut notwendig, bereits im Vorfeld sinnvolle Strategien zu erarbeiten, die helfen, eine solche Krise abzufedern. Diese wichtigen Untersuchungen sind bisher immer noch sehr rudimentär in einzelnen Pilotuntersuchungen zu finden.
An der Universität Witten/Herdecke (in NRW in Deutschland) wurde dazu im Jahr 2020 eine vertiefende Seminararbeit von Studierenden unter Leitung von Dr. Hans-Walter Borries und Dipl.-Ing. Peter Winkel, beide Lehrbeauftragte an der Universität, zum Thema „KRITIS – der Schutz kritischer Infrastrukturen eines Katastrophenfalls aus der Perspektive „Rathaus“ durchgeführt. Exemplarisch zeigen die folgenden Tabellen die Notwendigkeit zur Vorplanung der Kapazitäten von NEA sowie zum Umfang der bereitzuhaltenden Mengen an Treibstoffen und an Lebensmittel für die Mitglieder eines Krisen-/Notfallstabes.
Von den Bedrohungen und Gefahren, die ein solches Ereignis für die Sicherheit der Gesellschaft mit sich bringen dürfte, muss hier ausdrücklich auch auf die Gefahren für den medizinischen und vor allem für den Pflegebereich hingewiesen werden. Zwar verfügen wie zuvor schon beschrieben aufgrund von gesetzlichen Vorgaben Krankenhäuser über eine entsprechende Ausstattung mit Notstromversorgungsaggregaten, die einen Grundlastbetrieb ausgewählter Bereiche von bis zu zwei Tagen gewährleisten sollen. Schwerer dürfte die Tatsache wiegen, dass neben den Alten- und Pflegeheimen, speziell für die Dialyse- sowie Beatmungspatienten und auch Apotheken (zum Kühlen wichtiger Medikamente) keine solchen gesetzlichen Mindestvorgaben (Notstromaggregate, Treibstoffmengen, Anschlüsse für externe Stromversorger) vorgeschrieben sind.
Auch müssen alle Verwaltungsgebäude im Sinne von Rathäusern, Kreishäusern und Feuerwachen mit einer autarken und leistungsstarken Strom- und Wasserversorgung ausgestattet werden.
Es ist daher zu fordern, so rasch wie möglich von allen mit Sicherheitsfragen beschäftigten Stellen ein länderübergreifendes, schlüssiges Gesamtkonzept zur Bewältigung der neuen Gefahrenlage eines Blackouts und dessen Auswirkungen auf die KRITIS-Einrichtungen zu erarbeiten. Krisen-/Verwaltungs- oder Katastrophenschutzstäbe von Behörden und Unternehmen sollten sich hierzu untereinander abstimmen und einen offenen Dialog führen.
Der mögliche Fall eines „Blackouts“, der uns heute manchmal als Illusion der Apokalypse erscheint, die niemand herbeireden möchte, die aber schneller als gewollt eintreten kann, sollte aus den Erfahrungen des Umgangs mit dem Eintreten der Corona-Pandemie in Relation gesetzt werden.
Versagt, wie im Falle der Corona-Pandemie, ein Präventionskonzept oder findet es im Vorfeld der Krise keine ausreichende Beachtung, so nehmen die Auswirkungen in der Krisenlage schnell den Charakter einer „Katastrophe“ ein. Mit heute (in Deutschland im August 2021) über 91.000 an oder mit dem Corona-Virus verstorbenen Bundesbürgern und einem hohen volkswirtschaftlichen Milliardenschaden, der erst in den nächsten Jahren in seiner Gesamtheit sichtbar werden wird, ist eine „Katastrophe“ schnell beschrieben. Käme es aber zu einem Blackout, dann träte die Katastrophe binnen weniger Stunden bzw. binnen zwei Tage ein.
Vorsichtige Schätzungen, z. B. aus dem Forschungsvorhaben von Tanknotstrom gehen allein von 600 Millionen Euro Schadensausfallkosten pro Stunde zur Mittagszeit aus, bei mehreren Tagen Dauer eines Blackouts dürften die Volkswirtschaft in ein Milliardenloch ungeahnten Ausmaßes fallen, abgesehen davon, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr versorgt werden könnten und Randgruppen wie Kranke und ältere Mitmenschen diesen Katastrophenfall nur schwerlich überleben dürften. Dies wäre sicherlich von der Kürze der Zeit, die das Schadensausmaß zur Wirkung führt, der gravierende Unterschied zu einer Pandemielage sein, wie sie derzeit seit über einem Jahr in Deutschland anhält. Der Blackout würde binnen weniger Tage ein Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland in das Stadium eines vorindustriellen Agrarlandes, vergleichbar mit dem Mittelalter, zurückwerfen.
Die Bilder der Flutkatastrophe aus Mitte Juli 2021 im Bereich des Flusses Ahr und die betroffenen Bereiche in NRW in den Kreisen Euskirchen, Rhein-Sieg-Kreis, Kreis Heinsberg vermitteln uns einen ersten Eindruck, was ein Ausfall der Stromversorgung, der Wasserver- und der Abwasserentsorgung für tausende von Menschen bedeutet und mit welchen Einschränkungen man seit Wochen leben muss.
Was gilt es daher zu tun, um mit einer weit vorausschauenden Präventions- und Krisenmanagementstrategie Vorsorge für den Fall der Fälle zu treffen?
Zuerst einmal sollten beide Schadenslagen, Blackout und Pandemie in ihrer Dimension der wahren Eintrittswahrscheinlichkeit und ihren Auswirkungen (Risikoanalyse) auf alle neun KRITIS-Bereiche überprüft und hinterfragt werden.
Beide Schadenslagen, Pandemie und auch Blackout-Schadenslagen sind leider vielfach für die Entscheidungsträger von Krisen-/Notfallstäben eine unbekannte Schadenslage, die man weder direkt sieht oder unmittelbar spürt und über die man keine Erfahrungen hat. Alles spielt sich im Bereich von „Vermutungen, Prognosen“ ab!
"Vorausschauendes Krisenmanagement bedeutet auch den Mut zu haben, Ereignisse, die in ein bis drei Tagen erst eintreten sollen, s. Ankündigung der Dauerregenfront mit Starkregen der Flutkatastrophe Juli 2021, ernstzunehmen und Krisen-/Verwaltungsstäbe vorsorglich "einzuberufen und rasch hochzufahren" um arbeits- und zeitintensive Evakuierungs- und Versorgungsmaßnahmen frühzeitig zu planen".
Man muss Experten vollständig glauben, erkennt in sich Widersprüche und auch die Zurücknahme von früheren Statements kann zu einer nachhaltigen Verunsicherung führen. Dies gilt es immer abzuwägen und zu bewerten. Daran schließen sich Präventionskonzepte an, die sowohl Vorsorgemaßnahmen als auch die Beschaffung von ausreichend Versorgungsgütern, ein entsprechendes Logistikkonzept zum Einlagern und Verteilen dieser Güter an die betroffenen Bevölkerungsteile vorsehen. Zugleich müssen Strategien für ein strategisches Krisenmanagement erarbeitet werden, für den Fall, dass die Präventionsmaßnahmen nicht zu 100 % das Schadensereignis abwehren und das, wie im Falle der Corona-Lage, der Schadensfall eintritt und länger anhält.
Die Erkenntnisse aus der laufenden Pandemie müssen analysiert und auf den Fall Blackout-Prävention und Intervention übertragen werden. Parallel zu diesen Maßnahmen sollten alle mit der Krisenbewältigung betroffenen Einrichtungen und Institutionen (speziell alle BOS-Organisationen) für den Ernstfall „gehärtet“ werden. Dies meint, dass hier die Vorsorgemaßnahmen in Form von NEA für Stromerzeugung mit ausreichendenden Vorräten an Treibstoffmenge, ausreichend Wasser für die Trinkwasser und Abwasserentsorgung bereitzuhalten sind.
Neben der Seite der Vorsorge einer materiellen Ausstattung gilt es, das Führungs- und Funktionspersonal hinsichtlich der Schadensfälle und einer strategischen sowie operativ-taktischen Bewältigung zu trainieren. Dies geht nur durch spezielle Ausbildungsvorhaben möglichst in deren Liegenschaftskonzepten („Inhouse“-Schulungen vor Ort) und der Kernaufgabe dem „Üben“ solcher Schadenslagen als wichtiger Bestandteil von immer wiederkehrenden Katastrophenschutzübungen. Zu prüfen wäre, ob der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) hier eine sinnhafte Anwendung finden kann, um Entscheidungsfindung und Entscheidungsprozesse transparenter und zielgerichteter auf die „richtige“ Ideallösung hin zu führen und Handlungsalternativen besser prüfen zu können.
Im Allgemeinen gilt, dass die Mitglieder von Krisen-/Verwaltungsstäben sowie von Einsatzleitungen sich in Ausbildungen und Übungen mit realistischen Lagemeldungen der Thematik „langanhaltender Stromausfall als möglicher Blackout und seine Auswirkungen auf die Kritische Infrastruktur“ beschäftigen sollten. Aufgrund der langanhaltenden Pandemielage werden in Sachen „Seuchen/Pandemien“ wichtige Erfahrungen gemacht werden und bei einer Postvention die richtigen Rückschlüsse zum Umgang mit Entscheidungen zur Krisenbewältigung hoffentlich gefunden werden.
Im Sinn eines Spruches „wer den Erfolg nicht plant, plant den Misserfolg“ wäre es ratsam, lieber heute als morgen das Szenario „Blackout“ anzugehen, denn übermorgen könnte es bereits zu spät sein. Hieraus lassen sich vier Kardinalforderungen und Anforderungen an ein gutes und angepasstes Krisenmanagement definieren:
- Analyse der vorhandenen Alarmierungs- und Notfallpläne von Blackout-Vorsorgemaßnahmen
- Aufzeigen und Bewerten der bisher eingeleiteten Maßnahmen in Verwaltungen und Unternehmen mit deren Krisen-/Notfallstäben anhand von Fakten (getätigte Maßnahmen des Krisenmanagements, Ziele und erreichte Zwischenschritte im Verhältnis zum Einsatz der Mittel (u. a. Personal) und den Kosten)
- Bewertung der Effektivität der getroffenen Entscheidungen und der eingeleiteten Maßnahmen zum Krisen-/Notfallmanagement.
- Beurteilung, ob bestehende Blackout-Vorsorgepläne entsprechend angewandt wurden
- Vorschläge zur Besetzung der bestehenden Krisen-/Notfallteams (Struktur des Krisen- und Notfallstabes)
- Überprüfung der Zielvorgaben für den Business-Continuity-Plan und dem Grad dessen Umsetzung in der Praxis
- Prüfung der Entscheidungsgrundlagen und auf welcher Grundlage Entscheidungen auch im Verhältnis zur Kompetenz getroffen wurden
- Reaktion auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Entwicklungen und Rückmeldungen von nächsthöheren Organisationen
- Prüfung der durchgeführten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die Rückmeldung von Bürgerinnen/Bürgern und Kunden
- Überlegungen zum effektiven Einsatz von Stabs- und Führungssystemen (Technikeinsatz) und ob sich dadurch kurzfristig auch sichere Entscheidungen ableiten lassen (erste Überlegungen zum Einsatz von „KI“)
- Folgerungen für ein zukünftiges optimiertes Krisen- und Notfallmanagement
- Abwägung der bestehenden und sich wandelnden Risiken weiterer Gefahrenlagen (und deren Veränderungen)
- Aufzeigen von konkreten Handlungsoptionen mit Schwerpunkt auf neuen Chancen, die sich aus der derzeitigen Krise für Verwaltungen und Unternehmen ergeben
Unter Anwendung der o.g. vier Punkte und dem spezifischen Ableiten von gemeinsamen Vorstellungen zu vorhandenen und neuen strategischen Überlegungen können Verwaltungen/Behörden sowie Unternehmen besser für die Zukunft aufgestellt werden und werden somit in die Lage versetzt, gestärkt auf Krisenlagen reagieren zu können.
Wir brauchen für die Bewältigung zukünftiger Schadenslagen mit regionalem und überregionalem Ausmaß zielgerichtete und mutige Entscheidungen unserer Führungskräfte. Der Bevölkerungsschutz steht heute an einem Wendepunkt zu einem mehr an Kompetenzen auch für Landeseinrichtungen unterhalb der Bundesebene des BBK. Zugleich sollte die Katastrophenschutzpolitik aller Handelnden eine höhere Priorität einnehmen, um Schaden für alle abzuwenden und besser auf den möglichen Ernstfall vorbereitet zu sein.
Literaturnachweise beim Verfasser.
Crisis Prevention 3/2021
Dr. rer. nat. Diplom Geograph Hans-Walter Borries
Stellv. Vorstandsvorsitzender Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastrukturen BSKI e. V. (seit 2018)
Direktor vom Institut für Wirtschafts- und Sicherheitsstudien FIRMITAS an der Universität Witten
Am Schlehdorn 5-7
50189 Elsdorf-Heppendorf
E-Mail: hwb@firmitas.de