Aktuelle Herausforderungen für das Krisenmanagement im Bildungswesen

Prof. Dr. Harald Karutz

Prof. Dr. Harald Karutz

Einleitung

Dass in Krisensituationen schwierige Entscheidungen zu treffen sind, Schutzgüter gegeneinander abgewogen werden müssen und man es nicht jedem recht machen kann, ist keine neue Erkenntnis. Es gehört auch zu den Merkmalen von Notfall- und Krisensituationen, dass sie emotional aufgeladen sind und es oftmals keine einfachen Lösungen gibt. Im Bildungswesen sind die für das Krisenmanagement Verantwortlichen derzeit allerdings mit einer äußerst schwierigen Gemengelage konfrontiert. Wie der Alltag in Kindertagesstätten und Schulen unter den besonderen Bedingungen einer Pandemie zukünftig gestaltet werden soll, ist sehr umstritten. Im Beitrag wird der Versuch unternommen, die Komplexität der Lage zu veranschaulichen und einen Lösungsansatz aufzuzeigen.

Komplexität der Thematik

Zunächst einmal hat sich die fachliche Diskussion zu pandemieassoziierten Themen schon im Allgemeinen sehr stark ausdifferenziert. Inzwischen wird nicht mehr über ein Virus gesprochen, sondern über unterschiedliche Varianten und ihre Auswirkungen. Im Hinblick auf Tests für den Virusnachweis werden unzählige Testverfahren, unterschiedliche Testsensitivitäten und Laborkapazitäten in den Blick genommen. Es gibt nicht nur „Schutzmasken“, sondern Alltagsmasken, medizinische Masken und FFP-2-Masken, noch dazu in unterschiedlichen Größen, mit unterschiedlichen Prüfsiegeln und den jeweiligen Vor- und Nachteilen. Bei relevanten Begrifflichkeiten muss sehr genau auf ihre konkrete Bedeutung geachtet werden: „Symptomlosigkeit“ einer COVID-Infektion ist z. B. nicht mit „Folgenlosigkeit“ gleichzusetzen.

Speziell im Bildungswesen kommen weitere Faktoren hinzu, die das Krisenmanagement verkomplizieren: So ist das Bildungswesen in unterschiedlichste Bereiche, Einrichtungen, Angebote, Trägerschaften und Finanzierungsformen zergliedert. Vor allem die Schulverwaltungsstruktur weist kaum nachvollziehbare Hierarchieebenen und behördliche Zuständigkeiten auf. Die Funktionen, die das Bildungswesen erfüllt, gehen bei einer näheren Betrachtung außerdem weit über die bloße Betreuung von Kindern und Jugendlichen sowie die Erteilung von Unterricht hinaus. Die regelmäßige Verpflegung von Schülerinnen und Schülern sowie die Familienunterstützung und -begleitung durch Schulseelsorge, Schulsozialarbeit und Schulpsychologie sollen hier nur exemplarisch angeführt werden. Nicht zuletzt haben Kindertagesstätten und Schulen in Deutschland den Auftrag, für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu sorgen.

Pädagogisch begründete Überlegungen zum Krisenmanagement stehen oftmals jedoch im Gegensatz zu hygienisch begründeten Schutzmaßnahmen, und es muss beachtet werden, dass die Situation im Bildungswesen sich in erheblicher Weise auf andere Handlungsfelder auswirkt. So ergeben sich vielfältige Abhängigkeiten, beispielsweise von der Energieversorgung, der IT-Sicherheit sowie dem Öffentlichen Personennahverkehr – und Kaskadeneffekte: Müssen Eltern selbst die Betreuung ihrer Kinder übernehmen, weil Schulen geschlossen sind, stehen sie ggf. nicht mehr an ihren Arbeitsplätzen zur Verfügung. Schon aus diesem Grund ist eine interdisziplinäre, sektorenübergreifende Betrachtungsweise des Krisengeschehens im Bildungswesen erforderlich. Nicht zuletzt muss konstatiert werden, dass kaum ein anderes Handlungsfeld in einer solchen Weise politischen Interessen und Einflussnahmen ausgesetzt ist wie das Bildungswesen: Kindertagesstätten und Schulen bilden gewissermaßen die Gesamtgesellschaft ab; so dass auch gesellschaftliche Konfliktlinien und Sollbruchstellen dort besonders konzentriert erkennbar werden.

Bei der Frage, wie der künftige Schulalltag gestaltet werden soll, zeichnen sich in dieser Gemengelage derzeit zwei größere „Lager“ ab: Die eine „Seite“ plädiert für eine möglichst rasche Rückkehr zu einem regulären Schulalltag ohne pandemiebedingte Einschränkungen. Die andere „Seite“ setzt sich dafür ein, gerade in Schulen besondere Schutzmaßnahmen fortzuführen, zumal viele Kinder bislang nicht geimpft sind.

Die für das Krisenmanagement verantwortlichen Akteure sind dabei erheblichem Stress und großen Handlungsdruck ausgesetzt, denn der Betrieb von Bildungseinrichtungen kann verständlicherweise nicht ausgesetzt werden, um Entscheidungen ganz in Ruhe auszudiskutieren. So ergibt sich die Notwendigkeit von Abstimmungsverfahren im laufenden Prozess; zur „reflection in action“, was zweifellos nicht einfach ist.

Zahlreiche Betroffene

Von der Situation im Bildungswesen sind – von den Mitarbeitenden in der Schuladministration auf den diversen Ebenen einmal abgesehen – Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern betroffen, wobei jede einzelne Gruppe mehrere Interessensvertretungen hat, die keineswegs mit gleicher Stimme sprechen. Daher muss genau differenziert werden, wer mit welcher Berechtigung für wen spricht oder zu sprechen beansprucht und wer eigentlich welche Interessen verfolgt. Tatsächlich gibt es weder „die“ Lehrkräfte“, noch „die“ Schülerinnen und Schüler; noch „die“ Eltern. Selbst Ergebnisse von Umfragen unter einzelnen Gruppen helfen kaum weiter: Sie ergeben allesamt kein klares Bild, erst recht kein klares Votum, sondern zeigen nur immer wieder auf, dass die Bedarfe, Bedürfnisse und Einschätzungen offenbar sehr stark variieren.

Unterschiedliche Handlungsmotive, mentale Modelle und Prioritätensetzungen

Bei einer näheren Betrachtung könnte es hilfreich sein, Handlungsmotive, mentale Modelle und die daraus abgeleiteten Prioritätensetzungen anzuschauen – auch dabei ergibt sich jedoch eine große Varianz.

Ein wesentliches Motiv besteht zweifellos darin, „Kinder zu schützen“. Allerdings verbergen sich dahinter höchst unterschiedliche Überlegungen, etwa der Schutz vor einer COVID-Infektion, vor Verzichts- und Verlusterfahrungen in Kindheit und Jugend, vor zusätzlichen (psychischen) Belastungen, vor Bildungsdefiziten sowie vor Ängsten und Verunsicherungen – um nur einige Aspekte zu nennen.

 Einige Vertretungen von Lehrkräften fokussieren prioritär auf den berechtigten und verständlichen Eigenschutz. Wieder andere Akteure haben mit ihrem Engagement den Schutz besonders vulnerabler Menschen im Sinn, beispielsweise von gesundheitlich vorbelasteten Familienangehörigen. Und manche setzen sich für einen möglichst zuverlässigen Schulbetrieb ein, damit v. a. ihre eigene Berufstätigkeit nicht beeinträchtigt wird.

 Gelegentlich mögen auch noch weitere Handlungsmotive eine Rolle spielen, etwa der Gedanke, für bestimmte Dinge gerade nicht verantwortlich sein zu wollen – oder sich im bildungspolitischen Geschehen Macht und Einfluss zu sichern oder sogar auszubauen. Die Auseinandersetzungen zum Krisenmanagement im Bildungswesen findet insofern auf mehreren Ebenen statt, und dass nicht zuletzt immer auch diverse weitere „human factors“ im Spiel sind, versteht sich von selbst.

Besonders problematisch ist, wie unterschiedlich die vorgenommenen Lageeinschätzungen und Risikobewertungen sind. Auf der einen Seite wird die Gesundheitsgefährdung durch das Virus als eher harmlos betrachtet, auf der anderen Seite wird vor keineswegs sicher auszuschließenden Spätfolgen gewarnt. Ohnehin ist der Faktor Zeit von Bedeutung: Manche argumentieren eher im Bezug auf die aktuelle Situation (z. B. einen als belastend beschriebenen Schulalltag), andere argumentieren eher im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen (z. B. die Befürchtung möglicher Long-COVID-Folgen).

Unterschiedlich sind also die Handlungsmotive, die mentalen Modelle und Grundüberzeugungen, die daraus abgeleiteten Prioritätensetzungen bzw. Handlungsziele sowie die Art und Weise, wie bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Am Beispiel der diskutierten Teststrategien in Kindertagesstätten und Schulen ist diese Komplexität besonders anschaulich darstellbar:

  • Tests werden einerseits als wichtig und hilfreich betrachtet. Andererseits werden sie als unwichtig (wenig aussagekräftig) und eher schädlich (belastend, u. U. stigmatisierend) eingeschätzt.
  • Einige sehen in Tests eine Erhöhung der Sicherheit (und des Sicherheitsgefühls), andere sehen gerade in den Tests eine wesentliche Ursache für die Verunsicherung von Schülerinnen und Schülern.
  • Einige sehen die Testdurchführung als einen Beitrag zur Stärkung der Selbstwirksamkeit, andere sehen genau darin eine Verstärkung des Gefühls, fremdbestimmt und „ausgeliefert“ zu sein.
  • Gefordert wird gleichermaßen, Tests beizubehalten, die bisherige Testfrequenz noch zu erhöhen und allgemeine Tests abzuschaffen.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Wissenstand bei den einzelnen Akteuren im Bildungswesen unterschiedlich ist; auch dies erschwert das Krisenmanagement: Manches stößt nur deshalb auf Unverständnis und Ablehnung, weil schlichtweg Kenntnisse fehlen. Und manches wird gefordert, obwohl es in sich widersprüchlich scheint. Der Ruf nach einer flächendeckenden Ausstattung von Klassenräumen mit Luftfilteranlagen wird oftmals beispielsweise mit einem Verweis auf die Umsetzung der S3-Leitlinie für einen sicheren Schulalltag verbunden. Fakt ist jedoch, dass die S3-Leitlinie eine flächendeckende Ausstattung von Klassenräumen mit Luftfilteranlagen gerade nicht pauschal vorsieht, sondern dazu sehr differenzierte, durchaus kritische Hinweise enthält.

Emotionale Aufladung

Nahezu jedes Geschehen im Schulkontext ist emotional aufgeladen, vermutlich schon allein deshalb, weil es eben um Kinder geht, jeder Mensch in Deutschland eine eigene Schulgeschichte hat und man sich „Schule“ auch als Erwachsener kaum entziehen kann. Dies gilt insbesondere in der aktuellen Situation. Der Schulalltag wird von vielen Menschen frustrierend erlebt, weil es wenig Einflussmöglichkeiten gibt (und seitens der Kultusministerien auch wenig Partizipationsmöglichkeiten geschaffen worden sind). Auch daraus resultieren Ohnmachtsgefühle, Frust und Aggressionen, die derzeit in wüsten Beschimpfungen von Kultusministerinnen und Kultusministern, aber auch in polemischen Zuspitzungen und Zynismus erkennbar werden.

Daneben ist die Diskussion über das Krisenmanagement und die künftige Gestaltung des Schulalltags offenbar von vielen Ängsten beeinflusst. Einerseits wird hervorgehoben, dass Ängste ihre Berechtigung haben und zur Vorsicht mahnen. Andererseits werden Ängste als „irrational“ und unbegründet abgetan, und es wird kritisiert, dass z. B. Ängste erst von Erwachsenen auf Kinder und Jugendliche übertragen werden. Ängste sollten, so wird es etwa vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte angemahnt, nicht Grundlage wichtiger Entscheidungen sein. Demgegenüber raten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dazu, gerade die nun einmal vorhandenen Ängste ernst zu nehmen und bei der weiteren Ausrichtung des Krisenmanagements zu berücksichtigen.

Aus all dem Genannten ergeben also sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem, was „richtig“ ist und was hinsichtlich der künftigen Gestaltung des Schulalltags erwartet wird. Wenngleich Partizipation sicherlich wichtig ist und bislang stark vernachlässigt wurde, muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass Krisenmanagement im Bildungsbereich kein „Wünsch-Dir-Was“-Konzert sein kann. Entscheidungen sollten vielmehr mit wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen begründet werden. Aber auch dies stellt sich schwierig dar.

Wissenschaft

Zwar kann man feststellen, dass wissenschaftliche Expertise im Krisenmanagement des Bildungswesens generell zu wenig genutzt worden ist. Schon seit Beginn der Coronavirus-Pandemie liegen z. B. zahlreiche Positionspapiere von Expertengruppen und Fachgesellschaften vor, die allesamt kaum berücksichtigt worden sind. Eine ganze Reihe von Entscheidungen sind nicht etwa fraglich oder diskutabel, sondern klar und eindeutig erkennbar falsch gewesen – beispielsweise die im Herbst 2021 angeordnete Zurücknahme der Verpflichtung zum Tragen von Schutzmasken an den Schulen in Nordrhein-Westfalen. Auch dass – ebenfalls in Nordrhein-Westfalen – vorübergehend POC-Schnelltests eingesetzt worden sind, um die (genaueren!) PCR-Pooltestungen von Schulklassen aufzulösen, hat definitiv keinen Sinn ergeben.

Zugleich muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass es zu vielen Fragestellungen schlichtweg noch keine Studien gibt, verfügbare Untersuchungen zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt haben oder Ergebnisse auch unter Wissenschaftlern äußerst unterschiedlich interpretiert worden sind. Dies bezieht sich etwa auf Einschätzungen zur Bedrohlichkeit von COVID-Infektionen, zur Schwere und Häufigkeit etwaiger Spätfolgen bei Kindern sowie zur Bedeutung von Bildungseinrichtungen für die Virusübertragung und -verbreitung. Unter anderem wird auch in Frage gestellt, ob und inwiefern Studien aus anderen Ländern überhaupt auf Kinder und Jugendliche in Deutschland übertragbar sind.

Konfliktlinien verlaufen dabei zum Teil innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin, zum Teil aber auch zwischen verschiedenen Disziplinen: Den Erklärungen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie stimmen z. B. keineswegs alle Pädiater zu. Darüber hinaus sind einige Virologinnen und Virologen sowie Expertinnen und Experten aus dem psychosozialen Handlungsfeld zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen des aktuellen Pandemiegeschehens gelangt.

Politik und Medien

Seitens politischer Akteure wurde auf die unübersichtliche und zweifellos auch unbefriedigende Studienlage oftmals so reagiert, dass eben nur diejenigen Aspekte aufgegriffen worden sind, die der eigenen politischen Agenda dienlich schienen und sich ohne allzu großen Aufwand haben realisieren lassen. Hier kann von einer gewissen „Rosinenpickerei“ gesprochen werden. So fällt z. B. auf, dass viele Maßnahmen, die im schulischen Krisenmanagement mit erheblichen Kosten und/oder organisatorischen und rechtlichen Hürden verbunden gewesen wären (Verkleinerung von Lerngruppen, Nutzung von Ausweichräumlichkeiten, Einbindung von Lehramtsstudierenden u.v.a.m.), weitgehend unbeachtet geblieben sind. Einfache „Lüftungskonzepte“ haben demgegenüber eine weite Verbreitung gefunden.

Dass bei allen Entscheidungen in Kultusministerien – gerade in Wahlkampfzeiten – immer auch politische Überlegungen eine Rolle spielen, kann man grundsätzlich kaum verübeln – aber es muss eben doch darauf hingewiesen werden, wenn in diesem Zusammenhang problematische Entscheidungen getroffen worden sind. Vorrangig arbeitnehmerfreundliche Maßnahmen zugunsten der prioritären Sicherstellung einer „wirtschaftsdienlichen Pandemiebetreuung“ werden von mehreren Expertinnen und Experten z. B. deutlich kritisiert. 

Kritisieren muss man auch, wie es der Expertenrat der Bundesregierung jüngst getan hat, dass Entscheidungen zum Krisenmanagement nicht ausreichend begründet und verständlich gemacht worden sind. Insbesondere im Bildungswesen ist keine klare Strategie erkennbar. Stattdessen klaffen Worte und Fakten auseinander, oder es werden irritierende und in sich widersprüchliche Signale gesendet:

  • Schulen wurden als „sichere Orte“, sogar als „Bremsscheiben der Pandemie“ bezeichnet, während unter Schülerinnen und Schülern Inzidenzen im mittleren oder hohen vierstelligen Bereich verzeichnet worden sind.
  • Eine „Durchseuchung“ (wobei allein der Begriff schon schwierig ist) soll es in Schulen keinesfalls geben, faktisch findet sie aber statt bzw. hat sie zeitweise bereits stattgefunden.
  • Einerseits wird von manchen Politikern explizit auf die anhaltende Bedrohlichkeit des Virus und der Pandemielage hingewiesen – andererseits wird verharmlost und beschwichtigt.
  • Schulen werden z., B. auch ohne Luftfilteranlagen als „sicher“ bezeichnet. Woanders stehen aber Luftfilter, um – natürlich – für Sicherheit zu sorgen! Zweifellos kann angeführt werden, dass das Virus für Kinder relativ harmlos ist. Aber erstens sind auch erwachsene Lehrkräfte in der Schule, zweitens haben Kinder nun einmal erwachsene Familienangehörige, und drittens ist genau diese Harmlosigkeit ja wiederum umstritten.

Ethische Dilemmata

Auch ethische Dilemmata zeichnen sich im Bildungswesen ab und müssen im dortigen Krisenmanagement berücksichtigt werden. Maßnahmen, die einerseits für Schutz sorgen, sind andererseits auch belastend. Mit und durch bestimmte Schutzmaßnahmen treten bestimmte Belastungen auf, ohne sie ist dies aber ebenfalls der Fall. Einzelne müssen für den Schutz anderer Einschränkungen in Kauf nehmen. Was hier dauerhaft zugemutet und wie lange welche Solidarität vorausgesetzt oder sogar eingefordert werden kann, scheint unklar. Zudem sind unterschiedliche Argumente gleichermaßen relevant, können aber nicht gleichzeitig umgesetzt werden, weil die Konsequenzen gegensätzlich sind und einander konterkarieren. Hier müssen schwierige Güterabwägungen vorgenommen werden.

Fazit

Die Krisenlage im Bildungswesen ist tatsächlich hoch komplex. Umso wichtiger ist es jetzt, sich gemeinsam mit allen Beteiligten um die Entwicklung einer nachhaltig wirksamen, Evidenz basierten sowie bedarfs- und bedürfnisgerechten Krisenbewältigungsstrategie für Kindertagesstätten und Schulen zu bemühen. Dringend werden in diesem Handlungsfeld weitere (Evaluations-) Studien benötigt, und es muss eine intensive, von gegenseitigem Respekt geprägte Fachdiskussion geführt werden. Kultusministerien sollten dabei mit partizipativem Führungsstil moderieren, um eine möglichst breit getragene Konsensfindung zu ermöglichen. Gerade dies ist in den vergangenen Monaten offensichtlich versäumt worden und führt zurück zur eingangs beschriebenen Gemengelage: Dass eine so stark diversifizierte und konfliktbeladene Situation überhaupt entstanden ist, hat nämlich keineswegs nur mit der Pandemie an sich zu tun, sondern ist auch eine Folge von problematischem Krisenmanagement auf den höheren und höchsten Schulverwaltungsebenen und einer doch deutlich optimierungsbedürftigen Krisenkommunikation.


Autor

Dipl.-Pädagoge Dr. phil. Harald Karutz, Jahrgang 1975, ist Professor für Psychosoziales Krisenmanagement an der MSH Medical School Hamburg. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren insbesondere mit der Bewältigung von Unglücken, Krisen und Katastrophen speziell in Bildungseinrichtungen und hat im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe u. a. das Ressortforschungsprojekt „Kind und Katastrophe“ verantwortet.


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