Ein Jahr nach Beginn der Covid-19-Pandemie kann für die Polizei NRW eine bislang insgesamt glückliche Bilanz gezogen werden: Die Infektionszahlen bei Polizeibeschäftigten sind überschaubar geblieben. Dadurch ist es auch gelungen, die Polizei einsatzfähig zu halten. Das ist nicht zuletzt ein wichtiges Signal der Verlässlichkeit an die Bürgerinnen und Bürger, gerade angesichts der Verunsicherung durch die pandemiebedingten Einschränkungen des Alltagslebens.
Dass katastrophale Szenarien bislang ausgeblieben sind, ist dabei alles andere als selbstverständlich, denn anders als in vielen anderen Berufen sind der Einhaltung von Hygienekonzepten im polizeilichen Alltag immer wieder Grenzen gesetzt. Insbesondere im Zusammenhang mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs können ohne Gefährdung des Einsatzerfolgs häufig weder Mindestabstände eingehalten werden, noch kann entsprechende Schutzausrüstung immer sicher eingesetzt werden. Situationen mit nur unzureichend kontrollierbarem Kontakt zu möglicherweise infizierten Personen oder infektiösen Proben oder Umgebungen können dabei über das gesamte Spektrum des polizeilichen Außendienstes auftreten. Vor diesem Hintergrund bietet die aktuell gute bisherige Bilanz kaum Anlass zur Euphorie. Im Gegenteil: Die Situation muss laufend bewertet und die Maßnahmen müssen entsprechend angepasst werden.
Die Polizei in NRW konnte zu Beginn der Pandemie zum Teil auf fertige Konzepte zurückgreifen, die bereits 2015 zur Umsetzung des nationalen Pandemieplans festgelegt worden waren. Die durch das Ausmaß der Covid-19-Pandemie bedingte anfängliche Knappheit von wichtiger Schutzausstattung und Desinfektionsmittel konnte so relativ zügig beseitigt werden. Zur Sicherung der Einsatzfähigkeit der Polizei wurde der Dienstbetrieb im Wachdienst so umgestellt, dass sich einzelne Schichten möglichst wenig begegnen. Gleichzeitig wurden ab März 2020 die Beamten im Rahmen eines reduzierten Dienstbetriebs so eingesetzt, dass immer eine Reserve zur Verfügung stand, um gegebenenfalls für krankheitsbedingt ausfallende Gruppen unverzüglich Ersatz zur Verfügung zu stellen. Für die Beschäftigten bedeutete das in vielen Fällen über mehrere Monate bis zum Sommer die Umstellung auf ein 12-Stunden Schichtmodell.
Die verstärkte Nutzung von Homeoffice war ein weiterer Baustein zur Kontaktreduzierung im Umgang mit der Pandemie. Die vergangenen 12 Monate haben hier deutlich gezeigt, dass auch bei der Polizei mit ihren hohen Sicherheitsanforderungen mobiles Arbeiten von zu Hause aus in viel größerem Umfang möglich ist, als vor der Pandemie üblich. Hier weist die aktuelle Entwicklung einen Weg deutlich über die Bewältigung der Krise hinaus, zeigt aber auch, dass ein entsprechender Bewusstseinswandel Zeit braucht. So stand zum Jahreswechsel 2021 trotz des erneuten Lockdowns landesweit noch entsprechende Ausstattung im vierstelligen Bereich zur Verfügung, die von den Kreispolizeibehörden nicht abgerufen worden war. Es fehlt also nicht an der Ausstattung, sondern an der Bereitschaft, mobile Arbeitsplätze in größerem Umfang zuzulassen. Insgesamt zeigt die landesweit sehr unterschiedliche Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten, dass es beim Thema Homeoffice entscheidend auf die Bereitschaft der Polizeiführung vor Ort ankommt, sich mit dem Thema konstruktiv auseinanderzusetzen.
Die Covid-19-Pandemie wirft auch grundsätzliche dienstrechtliche Fragen auf, die aktuell bereits Gegenstand laufender Gerichtsverfahren sind. Dazu gehört insbesondere die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Covid-19-Infektion als Dienst- oder Arbeitsunfall zu bewerten ist und damit entsprechende versorgungsrechtliche Konsequenzen für die Betroffenen auslöst. Dabei spricht einiges dafür, dass zumindest die eingangs beschriebenen Einsatzsituationen nicht mit dem Verweis darauf abgetan werden können, dass es sich bei einer Covid-19-Infektion um die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos handelt, dass Polizeibeschäftigte nicht anders trifft als andere Mitbürger auch.
Praktische Probleme bereitet in diesem Zusammenhang aber auch der hinreichende Nachweis der Kausalität eines Kontakts zu einer Infektionsquelle. Ohne besondere Kontaktdokumentation dürfte Zurückführung einer Infektion auf einen dienstlichen Kontakt regelmäßig schwerfallen. Hierzu wären kurzfristig verfügbare Tests für entsprechend gefährdete Beschäftigte erforderlich. Für die Polizei NRW stehen zwar grundsätzlich neben PCR-Tests auch Schnelltests in größerem Umfang zur Verfügung, klare Regelungen für den Einsatz fehlen aber bislang. So kann im Einzelfall nicht sichergestellt werden, dass Beschäftigte nach entsprechenden Kontakten auf Testmöglichkeiten hingewiesen werden und damit nicht nur für sich selbst größere Klarheit erhalten, sondern auch das Risiko der weiteren Ansteckung deutlich geringer gehalten werden kann. Erste Studien, wie unter anderem die von der Universität Düsseldorf im November 2020 durchgeführte Antikörperstudie von insgesamt 3.000 Beschäftigten von Rettungsdienst und Feuerwehr der Stadt Düsseldorf weisen auf eine beachtliche Dunkelziffer an nicht erkannten Infektionen hin, die zudem über dem Durchschnitt der Bevölkerung liegt. Die Ergebnisse dürften auf die Einsatzkräfte der Polizei übertragbar sein. Durch eine umfangreichere Testung von Beschäftigten mit entsprechender Exposition ließe sich dann das Infektionsrisiko für Kontaktpersonen deutlich reduzieren.
Mit Blick auf anstehende Impfungen sind noch wichtige Vorarbeiten zu leisten. Damit Impfungen zügig vorgenommen werden können, sobald mehr Impfstoff zur Verfügung steht, fehlt noch ein klares Konzept. Einerseits ist klar, dass Polizisten, die bei der Ausübung ihrer Tätigkeit einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, sich nach der Covid-19-Impfverordnung mit hoher Priorität impfen lassen können. Einsatzeinheiten sind der Gruppe zwei zugeordnet und werden vor allen anderen Polizisten geimpft. Sie sind damit gleichzeitig mit Personen zwischen 75 und 79 Jahren, Bewohnern und Beschäftigten von Gemeinschaftsunterkünften wie Obdachlosenheimen und Frauenhäusern an der Reihe. Andererseits fehlen klare Regelungen, wo und wie Polizisten gegebenenfalls an ihre Impfung kommen. Für ein Impfkonzept müssen auch kreative Lösungen entwickelt werden. Hierzu gehört zum Beispiel die tagesaktuelle Freigabe von Impfdosen, die zu verfallen drohen an Polizisten und andere Berufsgruppen.
In der Phase des zweiten Lockdowns hat das Innenministerium NRW bislang auf die erneute Einrichtung eines reduzierten Dienstbetriebs verzichtet. Das ist zwar einerseits durch das im Vergleich zum ersten Lockdown im vergangenen Jahr deutlich höhere Einsatzaufkommen nachvollziehbar. Andererseits setzt der Verzicht auf einen reduzierten Dienstbetrieb die Beschäftigten auch einem höheren Infektionsrisiko aus und bedeutet damit auch ein schwer einzuschätzendes Risiko für die Funktionsfähigkeit der Einsatzeinheiten der Polizei NRW. Die Erfahrung aus dem vergangen Jahr zeigt aber deutlich, wie riskant es ist, auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. Die Kombination aus dem Verzicht auf eine klare Teststrategie einerseits und einer weitgehenden Aufrechterhaltung des regulären Dienstbetriebs andererseits ist aber letztlich genau das.
Crisis Prevention 1/2021
Michael Mertens
Landesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei (GdP) NRW
Gudastraße 5-7
40625 Düsseldorf