Wie können Kommunen und KRITIS die Zeitenwende nutzen, um mit modernem Zufahrtsschutz gleichzeitig Sicherheit, Krisen-Prävention und Ressourcenschonung zu betreiben.
In Zeiten knapper Kassen, in der sich Krisen zu multiplizieren scheinen, sind Sicherheit und Prävention auf vielen Prioritätenlisten von Kommunen und KRITIS-Betreibern scheinbar weit nach unten gerutscht. Leider zu Unrecht! Denn mit den Krisen steigen auch die Chancen für Innovation, Wirtschaftlichkeit und Anpassung. Chancen, die nicht ungenutzt bleiben sollten, um krisengestärkt in die Zukunft zu gehen.
Bei der Frage danach, was der ehemalige Handyriese „Nokia“ und eine Vielzahl geplagter Kommunen gemeinsamen haben, drängt sich schnell die Vermutung auf, dass alle von Krisen getroffen wurden und ihre Chancen zur Anpassung nicht nutzten. Die dramatischen Folgen dieser Versäumnisse sind zumindest bei Nokia weitläufig bekannt und bei den betroffenen Kommunen oft an ihren entvölkerten Innenstädten und bedrückenden Schuldenständen sichtbar.
Doch kann man einen Handy-Hersteller einfach mit den komplexen Aufgaben und Pflichten von Kommunen vergleichen? In bestimmten Grenzen wahrscheinlich schon. Denn was für den Konzern aus Finnland die Leistungsfähigkeit und Marktakzeptanz seiner Handys war, ist für Kommunen die Attraktivität und Anziehungskraft ihrer jeweiligen Standorte; für Bürger, Gewerbe, Tourismus und Industrie. Dabei ist Sicherheit unbestritten einer der wichtigsten Standortvorteile überhaupt. Ganz besonders dann, wenn extremistische Anschläge oder andere Geschehnisse plötzlich die völlige Unsicherheit eines Standorts offenbaren und angedachte Investitionen in andere, vermeintlich sicherere Kommunen umgeleitet werden.
Zufahrtsschutz nicht mit Verkehrsberuhigung verwechseln
Als plakatives Beispiel für diese These bietet sich aktuell das Thema „Zufahrtsschutz“ an. Also der physische Schutz von Menschen davor, nicht durch Fahrzeuge zerschmettert oder überrollt zu werden (Überfahrtat), was jährlich tausendfach sowohl absichtlich als auch unabsichtlich geschieht. Damit unterscheidet sich das Thema „Zufahrtsschutz“ signifikant von „Verkehrsführungsmaßnahmen“, was leider oft missverstanden wird. Denn während Zufahrtsschutz beides erreichen kann, bieten Verkehrsmanagementmaßnahmen keinen Schutz vor Überfahrtaten!
Die jüngste, vorsätzliche Überfahrtat in Deutschland fand am 08. Juni 2022 in Berlin statt. In den USA sogar erst am 07. Mai 2023 in Brownsville / Texas.
Als Europa vor wenigen Jahren durch die verheerenden Fahrzeugangriffe von Nizza, Berlin, Heidelberg und Trier medial erschüttert wurde, ging die Attraktivität von sehr vielen Innenstädten und Veranstaltungsorten schlagartig in den Keller, weil diese keinen Schutz vor solchen Überfahrtaten zu bieten hatten. Und auch jene Städte, welche ihr Publikum durch das spontane Aufstellen gefährlicher „Betonklötze“ zu beruhigen versuchten, fanden sich ebenso plötzlich sogar in einer doppelten Bredouille. Denn als im April 2017 in den Medien der Nachweis über die Nutzlosigkeit und das Gefahrenpotenzial unwirksamer Betonklötze geführt wurde, sahen sich die Verantwortlichen zusätzlich dem Vorwurf des Aktionismus und der nicht zweckdienlichen Mittelverwendung ausgesetzt. Manch andere Städte erlebten ebenso teure Überraschungen, als sich das kostspielige Vergraben von Pollern, ohne vorherige, sachkundige Konzeption, als Millionengrab entpuppte.
Prävention tut also in mehrerlei Hinsicht Not! Wagen wir daher einen Ausflug in die Praxis, um einen hilfreichen Überblick zu erhalten, warum aus „gut gemeint“ leider so oft „schlecht gemacht“ wird.
Selbstüberschätzung lässt Projekte scheitern
Eine der häufigsten Ursachen für das unnötige Scheitern von Projekten und Maßnahmen ist der aus der Unfallforschung bekannte „Dunning-Kruger-Effekt“, sprich, ein gefährliches Missverhältnis aus hoher Selbsteinschätzung zu minimaler Kompetenz. Dieses tödliche Phänomen der Selbstüberschätzung, ist aus dem Straßenverkehr als eine der größten Unfallursachen bekannt. Inkompetenz und Selbstüberschätzung führen daher nicht nur zu Verkehrsunfällen, sondern auch zum teuren Scheitern von fälschlich als profan eingeschätzten Aufgaben.
Ein Beispiel: Während sich heutzutage kaum jemand anmaßt, ohne Erfahrung und Expertise Brücken über vielbefahrene Straßen zu bauen, sehen wir unterdessen leider sehr viele Zufahrtsschutzmaßnahmen auf öffentlichen Flächen, die trotz völliger Unkenntnis oder auf Basis von lebensgefährlichem Halbwissen entstanden. Mit der Folge, dass diese nun nicht nur kaum schützen, sondern die Menschen dort auch noch zusätzlich gefährden. Dabei fällt die Tatsache, dass diese gefährlichen Maßnahmen zudem noch um ein Mehrfaches kostspieliger wurden als nötig, oft kaum noch ins Gewicht. Zumindest bis der Aufprall-(Un)Fall eintritt oder der zuständige Rechnungshof nach dem Nachweis der Eignung, Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahme fragt.
Ratgeber ersetzen weder Routine noch fundierte Ausbildung
Zwar sind in den letzten Jahren eine Vielzahl an Ratgebern, Schulungen und Artikeln von mehr oder weniger kompetenten Urhebern erschienen, am Grundproblem, nämlich der fehlenden Erfahrung, Kompetenz, Produktkenntnis und Ausbildung im Zufahrtsschutz, ändern diese aber nichts. Eher führen sie zum Gegenteil, da diese Ratgeber die Selbstüberschätzung des Dunning-Kruger-Effekts zusätzlich fördern, anstatt die benötigte Kompetenz zu vermitteln und den Lernerfolg zu überprüfen.
Ebenso wenig hilfreich ist leider auch die Einbindung der aus Mangel an eigener Kompetenz gerne oft konsultierten Hersteller von Fahrzeugsicherheitsbarrieren. Die Erfahrung zeigt auch hier deutlich, dass bei durch Hersteller beeinflussten Projekten das gewünschte Ziel kaum zeitlich, noch budgettreu erreicht wurde. Das ist auch kein Wunder, denn aktuelle Marktforschungen zeigen, dass von den untersuchten Herstellern, ihrer eigenen Beteuerungen zum Trotz, nur weniger als 10% tatsächlich in der Lage sind, ein „normales“ Zufahrtsschutzprojekt aus ihrem eigenen Portfolio heraus lückenlos abzuwickeln. Für Entscheidungsträger ist es daher elementar, sich rechtzeitig kompetente Unterstützung zu sichern und diese bereits in die Vorplanungen eines Zufahrtsschutzprojektes mit einzubeziehen, um die gewünschte Qualität zu günstigsten Kosten zu erhalten. Aber auch hier ist gesunde Skepsis angebracht, um im rasant wachsenden Angebot an „Zufahrtsschutz-Beratern“ diejenigen, die über einschlägige Fach- und Sachkunde verfügen von solchen zu unterscheiden, deren Leistungsspektrum eher aus selbstüberzeugter Rhetorik besteht. Fachlich kompetente Zufahrtsschutzexperten verfügen über eine international anerkannte Ausbildung im Zufahrtsschutz, sind herstellerneutral und haben mindestens fünf Jahre praktische Erfahrung in der Konzeption, Planung und Umsetzung mobiler und stationärer Schutzmaßnahmen! Sie zeichnen sich durch hohe Kompetenz in Fahrzeug- und Energiedynamik, integrierter Sicherheit, CPTED, und BOS-Anforderungen aus. Ferner besitzen sie Routine in der Umsetzung einschlägiger Normen, technischer Mechanik und physikalischer Gesetzmäßigkeiten. Umfangreiches Markt- und Produktwissen sowie Tiefbauerfahrung sind ebenso unverzichtbar, um Zufahrtsschutzprojekte Zeit- und Budgetgerecht abzuwickeln.
Synergie aus Kompetenz und Kooperation
Wie gekonnter Zufahrtsschutz aber Kommunen und KRITIS-Betreibern helfen kann, die Sicherheit von Örtlichkeiten zu verbessern und dabei gleichzeitig noch die Kosten für weitere Zukunftsaufgaben einzusparen, soll durch das folgende Beispiel anschaulich werden.
Im vorliegenden Fall hatte eine deutsche Großstadt den Wunsch, einen prominenten Bereich der Innenstadt gegen Fahrzeugangriffe zu schützen. Dabei wurde bereits im frühen Stadium der Projektvorbereitung sichtbar, dass die Stadtverwaltung perspektivisch auch plante, die Aufenthaltsqualität der Schutzzone zu erhöhen und das historische Stadtbild architektonisch ansprechend zu gestalten. Ziel war es, das Stadtquartier auch weiterhin für anspruchsvolle Anwohner, Gewerbe und Gastronomie attraktiver und lebenswerter zu machen, solvente Besucher anzuziehen und somit das Image und die Attraktivität der gesamten Stadt zu verbessern. In der frühen Projektphase wurde ebenso deutlich, dass die Stadt sich mittelfristig auch mit den Zukunftsthemen Verkehrswende, Klimawandel, Schutz vor Extremwetter-Ereignissen, der virtuellen Flächenentsiegelung, der Stadtbildpflege, Feinstaubreduktion, Stadtkühlung und Beschattung und auch der Förderung von urbaner Resilienz und Schwammeigenschaften zu befassen hatte.
Gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen
Da die Zufahrtsschutzmaßnahmen sowieso nennenswerte Bauarbeiten mit sich bringen würden, lag es nahe, all diese Themen nicht einzeln umzusetzen, sondern die Zukunfts-Aufgaben gemeinsam anzugehen. Dadurch konnten kostspielige Redundanzen vermieden und das knappe Budget der Stadt optimal eingesetzt werden, sodass durch den konsequenten Einsatz von multinutzbaren Sperrmitteln gleich mehrere Schutz- und Zukunfts-Aufgaben zum Preis von einer abgearbeitet wurden. Der Zufahrtsschutzexperte war hier ein integrierter Teil der Projektgruppe und konnte im intensiven Austausch mit den verschiedenen Projektteilnehmern Lösungen und Alternativen anhand aktueller Anwendungsbeispiele aufzeigen.
Denn weitsichtige und vernetzte Projektvorbereitung unterstützt sowohl die Kommunen als auch die Betreiber geeigneter KRITIS in ihrem Streben danach, Sicherheit, Krisenvorsorge und Zukunftsvorsorge wirtschaftlich miteinander zu verknüpfen und alle Synergien kostensparend auszunutzen.
Dieser Weg hat sich im „Mutterland“ des Zufahrtsschutzes, Großbritannien, unterdessen schon derart etabliert hat, dass man dort bereits ein Gesetzesvorhaben initiiert hat, um die positiven Wechselwirkungen aus Sicherheit und Zukunftsvorsorge mittels einfacher Standards und Prozesse nutzbar zu machen.
Durch die „Protect Duty“, dem sogenannten „Martyn’s Law“ sollen die zukünftig entstehenden Synergien aus Sicherheit und Prävention so ergänzend in die „normalen“ Leistungsphasen der baulichen Gestaltung von öffentlichen Räumen eingebettet werden, dass sich die Kosten dafür in überschaubarem Rahmen halten oder gesamtheitlich sogar vollends untergehen. Eine Investition in die Zukunft, die sich über die Zeit mehr als nur rentiert.
Fazit mit Zuversicht
Die Zeitwende bietet uns Chancen und Möglichkeiten, Standortvorteile durch Innovation, Prävention und Sicherheit bei gleichzeitiger Ressourcenschonung zu schaffen.
Mit Weitblick und unter rechtzeitiger Einbindung von neutralen und erfahrenen Kompetenzträgern gelingt es, Aufgaben der Zeitenwende und der Zukunftsvorsorge so clever miteinander zu verknüpfen, dass daraus weitreichende Synergien entstehen, an die man bisher kaum gedacht hat.
Crisis Prevention 2/2023
Christian Schneider
Gastdozent für Zufahrtsschutz an der
Verwaltungsakademie Stuttgart
International ausgebildeter und anerkannter
HVM-Sachverständiger bei UNO, EU, ISO, DIN, VfS.
E-Mail: C.Schneider@inibsp.de