Das Jahr 2016 brachte das Reaktorunglück vom 26. April 1986 in Tschernobyl medial wieder kurz in das gesellschaftliche Bewusstsein. Neben der Reminiszenz an das zurückliegende katastrophale Ereignis war im Dezember 2016 ein damit einhergehender Meilenstein verbunden - die Sicherung des alten Sarkophages von Reaktor Nr. 4 mit dem durch viele Geberstaaten finanzierten New Safe Confinement – dem neuen zweiten Sarkophag. Damit wird die Problemstellung des Ereignisses sehr deutlich - dass technische Sicherungsmaßnahmen ein relativ schnelles Verfallsdatum besitzen können.
Auch 30 Jahre später befindet sich der Standort fortwährend in einer Phase der Krisenbewältigung, was durch das Charakteristikum und Alleinstellungsmerkmal nuklearer Katastrophen nicht verwundert. In diesem Artikel soll versucht werden, das Thema Feuerwehreinsatz und Brandschutz während und nach der Katastrophe zu beleuchten, was in Anbetracht fortwährender Geheimhaltung wichtiger Fakten zur Ursache, den Ausmaß der Zerstörungen, den Schwachpunkten im Sicherheitssystem und der tatsächlichen Strahlenbelastung eine Herausforderung darstellt. Mittlerweile sind aber viele Publikationen mit dieser Thematik gefüllt, die es auch zu differenzieren gilt. Eine Recherche durch den Autor vor Ort im September 2016 ergänzt inhaltlich diesen Beitrag.
Der Standort heute
Betrachtet man die Gegebenheiten in der Sperrzone unter den gewonnenen Eindrücken vor Ort, wird deutlich, dass ineffiziente Verwaltungsstrukturen, die wirtschaftliche Situation in der Ukraine und der mangelnde politische Wille die gegenwärtige Situation bestimmen. Auch lassen die Regierungskrise in 2014 und der andauernde Ukraine-Russland-Konflikt die Reaktorkatastrophe in den Hintergrund treten.
Dem gegenüber ist anzumerken, dass ein derartiges Ereignis mit deutlich überregionalen Auswirkungen ohne internationale Anstrengungen nicht zu bewältigen ist. Das mit ca. 2,1 Mrd. Euro über einen durch die European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) aufgesetzten Chernobyl Shelter Fund (CSF) finanzierte Projekt „New Safe Confinement – NSC“ steht beispielhaft für internationales Krisenmanagement.
Ein elementares Eigeninteresse der Geberstaaten zur Risikovorsorge ist hierbei nicht zu leugnen, denn die Auswirkungen des radioaktiven Fallouts von 1986 auf Westeuropa sind noch gut in Erinnerung. Für den Einschluss des maroden Sarkophages, aus dem weiterhin Radioaktivität austritt und der bereits zwischen 2004 und 2008 statisch gesichert werden musste, war es sprichwörtlich fünf vor zwölf. So waren im September 2016 noch in 200 m Luftlinie zum alten Sarkophag mit mobiler Messtechnik 12µS/h nachweisbar, umgerechnet das Hundertfache des Grenzwertes nach Strahlenschutzverordnung von 1mS/a.
Die ursprünglich in Radien von 10 km und 30 km eingeteilte Sperrzone wurde nachträglich auf Basis der Strahlenbelastung räumlich angepasst. Das Passieren bedarf einer behördlichen Genehmigung. Eine wirksame Perimetersicherung des gesamten Geländes im eigentlichen Sinne existiert nicht. Ein Kontrollregime ist für das Verlassen der Sperrzone über zwei gestaffelte Kontrollpunkte mittels Ganzkörperscanner eingerichtet. Es ist davon auszugehen, dass kurz nach 1991 Plünderungen in der Sperrzone erfolgten. So wurden aus abgestellten Fahrzeugen Einbauten und aus vielen Wohnungen das Mobiliar entfernt. Radioaktiv belastete Gegenstände dürften sich also für viele Menschen unwissentlich im Umlauf befinden.
Der Feuerwehreinsatz 1986
Die Vorgänge kurz nach der Explosion von Reaktor 4 werden in /U1/ fachlich sehr akribisch und unter kritischer Berücksichtigung vorfügbarer Literaturquellen beschrieben. Darauf stützen sich die hier in Kurzform dargestellten Ausführungen. Für weitergehende Informationen sei an dieser Stelle diese Literaturquelle mit gutem Gewissen empfohlen.
Die in Tschernobyl installierten Reaktoren von Typ RBMK haben jeweils bis zu 1 GW Leistung, sind graphit-moderiert und besitzen auch aufgrund der Reaktorgröße kein Sicherheits-Containment. Im Gegensatz zu wasser-moderierten Reaktoren, in denen bei Kühlmittelverlust die Reaktorleistung abnimmt, geschieht das beim betreffenden Reaktortyp nicht.
Im Gegenteil nimmt dann der kritische Zustand zu, da Wasser lediglich zur Dampferzeugung und Kühlung zugeführt wird. Aufgrund konstruktiver Schwächen ist dieser Reaktor auch bei geringer Leistung instabiler in den Reaktionsabläufen. Das wichtigste Ziel der Brandbekämpfung war die Eindämmung der Brandherde und deren Übergreifen auf den benachbarten Reaktor 3. Die Kühlung des freiliegenden Reaktorkerns wurde im Wesentlichen durch die Betreibermannschaft über das Havariespeisewassersystem realisiert. Die Abläufe bei der Feuerwehr sind hier in Kurzform dargestellt:
- 26. April 1986, 01:23 Uhr: zwei kurz aufeinander folgende Explosionen, bei denen die über 1.000t schwere Deckenplatte des Reaktors in die Luft geschleudert und das Reaktorgebäude samt der Trockensteigleitungen zur Löschmittelzufuhr zerstört wurde
- Nach vier Minuten Ersteinsatz durch die Feuerwehr des KKW mit 28 Mann ohne Kenntnis der hohen Strahlenbelastung, zudem war das Ausmaß der Zerstörung aufgrund starker Rauchentwicklung nicht sichtbar. Zeitgleich wurden weitere Kräfte aus den Städten Pripjat und Tschernobyl angefordert, die 5 bis 15 Minuten später eintrafen.
- Über 30 Brandherde um den Reaktorblock waren über das angrenzende Maschinenhaus mit Höhenunterschieden von 12m bis 70m unter permanenten Absturzgefahren zu lokalisieren und zu bekämpfen.
- Zu diesem Zeitpunkt behauptete die Betriebsleitung des KKW noch, der Reaktor sei in Takt – eine Falschinformation an Moskau, obwohl die Dosimeter der Werksangehörigen voll ausschlugen und der Leiter des Zivilschutzes des Werkes warnte, dieser jedoch ignoriert wurde.
- Mittels stationärer Wendestrahlrohre wurden zunächst erfolgreich tragende Konstruktionsteile von außen geschützt.
- Nachrückende Kräfte aus dem Kiewer Gebiet richteten trotz vorliegender Falschinformationen aufgrund der festgestellten Situation auf Eigeninitiative einen Strahlenschutzüberwachungsdienst ein.
- Einsatzkräfte wurden nun mit Strahlenmessgeräten und Schutzausrüstung ausgestattet und nur kleine Gruppen zu je fünf Mann für max. zehn Minuten eingesetzt und mit gepanzerten Fahrzeugen zur Einsatzstelle transportiert.
- Insgesamt waren beim Ersteinsatz fünf TLF, ein LF und eine DL zum Einsatz gekommen, die jeweils abwechselnd von den nachrückenden Kräften benutzt wurden.
- Gegen 06:35 Uhr, also bereits nach ca. 5h, waren alle Brände außerhalb des Reaktorbereiches gelöscht.
- Innerhalb von drei Wochen waren 31 Einsatzkräfte verstorben.
Eine persönliche Schutzausrüstung gegenüber hoher Gammastrahlenbelastung existierte damals nicht und wird es so wohl auch nicht geben. Die notdürftig improvisierte Verwendung von Bleischürzen beim Beräumen der Graphitstücke von den umliegenden Gebäudedächern war der einzig verfügbare Schutz. Nicht zuletzt konnten aufgrund des umsichtigen Handelns der Feuerwehr-Einsatzleitung weitere akute Strahlenopfer vermieden werden.
Ein weiterer wichtiger Einsatz war am 6. Mai zum Abpumpen der durch den Einsatz überfluteten Räume, um eine Knallgasexplosion unvorstellbaren Ausmaßes zu vermeiden, wenn ein Durchbrechen der Kernschmelze dorthin stattgefunden hätte. Vom 22. zum 23. Mai musste zudem noch ein intensiver Kabelbrand gelöscht werden.
In alle weiteren Maßnahmen waren die Feuerwehren nur noch indirekt eingebunden. Dazu zählt z. B. die Bereitstellung von Wasser zum Betonieren einer Betonplatte unter dem Reaktor für den Schutz des Grundwassers gegen radioaktive Kontamination, für die Bergleute aus dem U-Bahn-Bau extra einen Tunnel gruben.
Brandschutz in der Sperrzone
Waldbrandgefahren innerhalb der Sperrzone sind allgegenwärtig, da der Wald ca. 60% der Sperrzone (262.000 ha) einnimmt. Er bildet eine natürliche Senke gegenüber radioaktiver Belastung und minimiert deren Ausbreitung ins Grundwasser durch Akkumulation radioaktiver Partikel. Das schränkt andererseits forstwirtschaftliche Brandschutzmaßnahmen wie die Beseitigung von Totholz oder das Anlegen und die Bewirtschaftung von Brandschutzstreifen ein, da bei diesen Arbeiten Partikel mobilisiert werden und deren Emission über den Luftpfad besteht.
Das in der Sperrzone etablierte Brandschutzsystem umfasst die Lokalisierung von Waldbränden mittels Triangulation über Beobachtungstürme und Informationsweitergabe per Funk. Der Nachteil dabei ist, dass ein Lauffeuer bei großer Sommerhitze visuell erst ab einer Flächengröße von ca. 2 000 m2 zu lokalisieren ist.
Nach /U2/ wurden allein im Zeitraum von 1992 bis 2011 mehr als 1 000 Waldbrände in der Sperrzone dokumentiert. Ein am Boden beginnendes Lauffeuer kann besonders bei Nadelgehölzen auf die Baumwipfel überspringen (Wipfelfeuer), was zu einer schnellen Brandausbreitung führt. Die Freisetzung radioaktiver Partikel aus Nadeln und Rinden der weitläufigen Kiefernbestände sind die Hauptgefahr. Strontium-90, Plutonium und Americium-241 sind im Brandfall sehr mobil durch aufsteigende atmosphärische Migration und nachfolgende Ausbreitung.
Feuerwehrleute berichteten über mangelnde Überwachung und Ausrüstung. Bei der Brandbekämpfung werden nach Zeugenaussagen neben normalen Hitzebelastungen auch Beschwerden körperlich wahrgenommen, die sich wörtlich als „Kribbeln im ganzen Körper wie durch Stecknadeln“ manifestieren. Anschließende medizinische Untersuchungen sind nicht Standard.
Mit internationaler Unterstützung werden seit 2011 die Probleme der im Vergleich zu deutschen Standards oft unzureichenden Ausrüstung und Verbesserung der Frühwarnsysteme angegangen. Ein Konsortium ukrainischer und internationaler Wissenschaftler hat dazu ein Programm in Höhe von 13,5 Mio US $ eingefordert, um potenziell katastrophale Waldbrände zu verhindern.
Ein Plan für grundlegende Sofortmaßnahmen wurde von Wissenschaftlern der Nationalen Universität für Lebens- und Umweltwissenschaften der Ukraine, der Yale University und dem UN Global Fire Monitoring Center (GFMC) genehmigt. Damit wird neben der Politikberatung auch Wissenschafts- und Technologietransfer bereitstellt.
Fazit
In Anbetracht der gewaltigen Anstrengungen und hohen Opferzahlen zur Bewältigung der Katastrophe bleibt die Frage nach der Sinnhaftigkeit nuklearer Energieerzeugung. Ein anderer Wirtschaftszweig, dem man in diesem Zusammenhang wahrlich nicht Realitätsverweigerung unterstellen kann, ist die Versicherungswirtschaft mit ihren Finanzmathematikern. Ihr Verständnis von Katastrophenvorsorge symbolisiert nach /U3/ die eindrucksvolle Zahl von 72 Mrd. EUR.
Das ist die errechnete Höhe einer Haftpflichtpolice pro Jahr für ein Atomkraftwerk, die theoretisch zur Deckung aller Risiken aufzubringen wäre. Da Kernkraftanlagen von einer Haftpflichtversicherung befreit sind, obliegt die Deckung dieses Wagnisses dem Steuerzahler. Das Risiko als Damoklesschwert ist eine semantische Risikoklasse. Nukleare Katastrophen zählen dazu und könnten nicht treffender beschrieben werden. Der Atomausstieg ist daher nur eine erste logische Konsequenz.
/U1/ Reaktorunfälle und die Handlungen der Feuerwehr: Plädoyer für den Atomausstieg. Ein Analysebericht zu Leipzig, Windscale, Tschernobyl und Fukushima / Reinhard Steffler: Machtwortverlag, 2016
/U2/ Patrick Evans: The Guardian: Forest fires around Chernobyl could release radiation, scientists warn (26 April 2011), URL: https://www.theguardian.com/environment/2011/apr/26/chernobylradioactivefiresglobaldanger (Stand: 04.01.2017).
/U3/ Die Menschheit schafft sich ab: Die Erde im Griff des Anthropozän / Harald Lesch & Klaus Kamphausen: Verlag KOMPLETT MEDIA GmbH, 2017. S. 311
Crisis Prevention 1/2017
Mario Dethloff
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Consultant für diverse Großprojekte im Bereich Rückbau und Altlastensanierung