Mantrailer West – Rettungshunde

Aus dem Einsatzgeschehen einer Personenspürhundestaffel

Gernot Sieger

Gernot Sieger, Jürgen Scheuß

Wir bilden eine Personenspürhundestaffel, die seit rund zweieinhalb Jahren besteht. Anders als andere Mantrailer sehen wir uns nicht als Einzelkämpfer, sondern arbeiten im Verbund. Dies gibt uns ganz andere taktische Möglichkeiten. Wir können mehrere Sichtungspunkte gleichzeitig abarbeiten, haben geübte Helfer, welche die Hunde kennen. Neben unserem wöchentlichen Staffeltraining besuchen unsere Hundeführer Workshops im Bereich Mantrailing, um sich fortzubilden. Weitere Ausbildungen sind u. a. in den Bereichen Erste Hilfe, Erste Hilfe am Hund, Taktik für Mantrailer und Flächensuchhunde, BOS Funk, GPS, etc. Auch haben wir mehrere Hundeführer, welche eine Grundausbildung in psychosozialer Notfallversorgung haben. Wir halten eine möglichst gute und fundierte Ausbildung, auch in diesen Bereichen für unabdingbar und trainieren regelmäßig gemeinsam mit Flächensuchhunden, damit unsere Hunde es gewohnt sind, parallel zu arbeiten.

Aktuell hat die Einsatzstaffel von Mantrailer West sechs einsatzgeprüfte Teams. Ein weiteres Team, Gastmitglied der Rettungshundestaffel Euregio Aachen, ist ebenfalls einsatzgeprüft. Hinzu kommen noch weitere 6 Teams, mit unterschiedlichen Ausbildungsständen, welche derzeit auf die Einsatzfähigkeit hinarbeiten. 

Gerade habe ich mir einen Kaffee gemacht, als um 11 Uhr 32 mein Handy klingelt. Es meldet sich eine Polizeidienststelle aus dem Bergischen Land. Dort wird seit dem Vorabend, ca. 20 Uhr, eine demente 79-jährige Dame vermisst, die in einem Demenzheim lebt. Ich notiere mir sämtliche Daten und sage dem Beamten, dass ich mich mit meinem Hund auf den Weg mache. Zunächst sende ich eine Alarmierung an meine Staffel, da wir im Normalfall nicht alleine arbeiten. Dann schaue ich mir jedoch noch auf der Karte das Gebiet an, um welches es geht. Bergisch Gladbach liegt eingebettet in große Waldflächen, mitten im Bergischen Land. Da ich befürchte, dass die Dame in Richtung Wald gelaufen sein könnte und ich in diesem Fall keine Zeit verlieren möchte, kontaktiere ich nochmals den Polizeibeamten. Ich bitte ihn, sofort Flächensuchhunde zu alarmieren, da diese in Waldgebieten schneller und oft effektiver arbeiten. Der Beamte sagt mir zu, dass er die Rettungshundestaffel der Johanniter Unfallhilfe Oberberg aus Wiehl alarmiert.

Hunderasse spielt keine Rolle für die Spezialfähigkeiten von Mantrailern.
Bei den Spezialfähigkeiten von Mantrailern spielen Größe und Rasse keine Rolle. Jürgen Scheuß mit seiner Ratero Hündin Lara.
Quelle: Gernot Sieger, Jürgen Scheuß

Bei der Anfahrt kläre ich bereits einiges mit den Kollegen ab, als Treffpunkt wird das Heim ausgemacht, in welches die Dame am Vortag eingezogen war. Dort angekommen, erwarten uns bereits mehrere Kriminalbeamte sowie zwei Polizistinnen in Uniform. Wir erhalten noch eine kurze Einweisung, unter anderem über zwei Stellen, wo die Dame nach ihrem Verschwinden gesehen worden war. Da diese zeitlich nicht sicher eingrenzbar sind, entscheiden wir uns mit unserem Einsatzleiter Mantrailer, Carsten Windau, dass wir an beiden Stellen jeweils einen Hund ansetzen. Mit dem Einsatzleiter Rettungshunde von der JUH Oberberg spreche ich telefonisch ab, dass wir uns am zweiten Sichtungspunkt treffen.

Anschließend gehe ich mit einem Beamten auf das Zimmer der Dame, um Geruchsträger zu sichern. Mantrailer sind Hunde, die menschliche Spuren aufgrund des Individualgeruchs verfolgen, d. h., ich benötige einen Referenzgeruch. Da fast alle Sachen der Vermissten frisch gewaschen sind, gestaltet sich die Suche nach geeignetem Geruch als schwierig. Ich entscheide mich dafür zwei Duplikate der Innenseite einer Jacke zu nehmen, außerdem nehme ich die Einlegesohlen aus zwei Schuhen. Somit habe ich vier recht sichere Geruchsträger. 

In einer kurzen Besprechung entscheiden wir, dass mein Kollege Jürgen Scheuß mit seiner nur 4,5 kg schweren Ratero Hündin Lara am Sichtungspunkt im Schlosspark anfängt. Er wird dabei von den beiden Beamtinnen in Uniform abge­sichert. Ich fahre mit meinem tschechoslowakischen Wolfshund Lando zum etwa 2,5 km entfernten anderen Sichtungspunkt und werde ihn dort ansetzen. Mein Startpunkt befindet sich bereits nah am Stadtrand. Dort angekommen, bespreche ich mich kurz mit Björn Schinkowski, dem Einsatzleiter der JUH. Er wird mich, neben Veronika Schorrenberg als Flankerin, zusammen mit den Kriminalbeamten begleiten. Gegen 13 Uhr 30 beginnt meine Suche.

Ich setze Lando an, als Geruchsprobe bekommt er eine Einlegesohle. Er arbeitet kurz einen kleinen Platz ab, dann zieht er zielstrebig die Straße hoch, entscheidet sich für eine Richtung und marschiert. Recht zügig landen wir an einer Hauptverkehrsstraße, auf welcher die Autos mit hoher Geschwindigkeit fahren. Sofort reagieren die Polizisten und sperren die Straße in beiden Richtungen weitläufig, so dass ich völlig entspannt weiterarbeiten kann. ­Lando überquert die Straße, versucht gegenüber in ein Wald/Wiesengebiet zu kommen, jedoch ist der Weg durch einen hohen Zaun versperrt.

Er beginnt das Gebiet, welches eine Fläche von ca. 500 mal 600 Meter hat, zu umrunden, tendiert aber immer wieder in das Gebiet hinein. Wenn die Dame sich dort befindet und schon länger darin ist, hat sich ein riesiger Geruchspool gebildet, der es dem Personenspürhund sehr schwer macht, eine vermisste Person zu finden. Während wir um das Gebiet laufen und Lando einen Eingang sucht, kommt ein Funkspruch, dass Jürgen Scheuß mit Lara an unserem Startpunkt angekommen ist. Somit ist unser Startpunkt gesichert. Als wir auf der gegenüberliegenden Seite der Stelle sind, wo wir auf das Waldgebiet getroffen sind, bricht Lando die Suche ab.

Spürhund Lando auf Spurensuche
Hochkonzentriert – Lando bei der Nasenarbeit.
Quelle: Gernot Sieger, Jürgen Scheuß

Jetzt schlägt die Stunde der Flächensuchhunde. Diese sind da­rauf trainiert, frei laufend frischeste menschliche Witterung zu suchen und jeden Menschen, den sie in hilfloser Lage finden, durch Verbellen anzuzeigen. Sie durchsuchen ein 30.000 Qua­dratmetergelände in 20 Minuten hundertprozentig sicher. Aufgrund der geografischen Lage hat Björn Schinkowski Flächensuchhunde der Rettungshundestaffeln der JUH Bonn-Rhein-Sieg, des DRK Rhein-Sieg, Kall und Köln, sowie des BRH Rhein-Sieg angefordert. Diese kommen nun aus den Warteräumen zur Einsatzstelle. Außenstehende Personen haben das Gefühl, dass jetzt hier das blanke Chaos ausbricht, aber das hat alles seine Ordnung. Die Fahrzeuge werden auf einer großen Wiese geparkt, auf welcher bereits ein Zelt für die Kräfte steht, die gerade nicht im Einsatz sind.

Hunde werden aus den Autos geholt, man geht eine kurze ­„Pipirunde“, dann machen sich Hund, Hundeführer und Helfer auf den Weg zum Einsatzleitwagen der JUH Oberberg. Hier verteilt Jan ­Janitza in stoischer Ruhe die Suchgebiete, gibt Informationen zur Vermissten weiter und erteilt letzte In­struktionen. Gegen 15 Uhr 30 sind die ersten Teams in den Suchgebieten. Es ist ein riesiges Waldgebiet, welches abgesucht werden muss. Für mich persönlich beginnt jetzt die schlimmste Zeit. Ich sitze untätig im Betreuungszelt, einen Kaffee in der Hand, und muss warten. Dann beginne ich natürlich nachzudenken. Ist Lando richtig gelaufen, ist die Vermisste wirklich in dem Gebiet, oder laufen die ganzen Teams da jetzt umsonst durch, hätte ich mehr tun können? Diese Warterei macht kirre.

Zwischendurch gehe ich immer mal wieder zum Einsatzleitwagen, schaue auf die Karte, sehe, wie Suchgebiet für Suchgebiet freigegeben wird, da die Vermisste nicht darin gefunden wurde. Mit jeder dieser Meldungen steigt meine Nervosität. Ich lenke mich ab, indem ich mich mit den Kriminalbeamten unterhalte, meine Staffelkollegen durchsuchen derweil mit anderen Kräften einen Bauernhof im Suchgebiet. Die Polizisten schwärmen begeistert von der Arbeit meines Hundes, aber das nimmt mir nicht meine Nervosität. Inzwischen ist auch der leitende Kriminalbeamte eingetroffen, befragt mich zu meiner Einschätzung. Natürlich versuche ich in dem Gespräch Sicherheit auszustrahlen, ich vertraue meinem Hund.

Mantrailer können auch in großen Menschenmengen gezielt einer Spur folgen.
Selbst in großen Menschenmengen lassen sich Mantrailer kaum von der Fülle der Spuren verleiten.
Quelle: Gernot Sieger, Jürgen Scheu

Um 17 Uhr 48 kommt der Funkspruch: „Hilflose Person im Suchgebiet gefunden!“ Erneutes Bangen, denn der Zustand der Person wurde nicht durchgegeben. Eine Minute später kommt der Funkspruch: „Person lebt, ist stark unterkühlt, benötigt dringend medizinische Hilfe!“ Jubel brandet auf, die Hilfskräfte schreien sich die Anspannung aus den Seelen, man fällt sich in die Arme, lacht, albert herum…. Die Konzentration ist weg, nur die Jungens und Mädels in der Einsatzleitung rotieren weiter. Die Feuerwehr muss ran, da die Vermisste in einem Bachbett unter einem steilen Hang gefunden wurde, nun natürlich dort geborgen und medizinisch versorgt werden muss. Ich erfahre, dass ein Hundeführer vom DRK Rhein-Sieg mit seiner 9-jährigen Labradorhündin die Dame gefunden hat. 

Gegen 18 Uhr 30 befindet sich die Vermisste im Rettungswagen auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie wird überleben. Ihre Körpertemperatur lag bei ca. 30 Grad, eine Stunde später wäre sie vermutlich tot gewesen. Wir trinken noch einen Kaffee, essen eine Kleinigkeit, bedanken uns bei allen, die geholfen haben, genießen die ausgelassene Stimmung, ehe wir uns gegen 19 Uhr auf den Heimweg machen. Ich fahre noch einen Schlenker über den Supermarkt, kaufe 500 Gramm Rinderfilet, denn die hat sich mein Lando redlich verdient. Ein Einsatz, der einmal mehr gezeigt hat, wie wichtig das Zusammenspiel von allen Kräften ist und welche Rolle Mantrailer im Ernstfall spielen können.

Leider wird die Arbeit der Mantrailer oft noch sehr stiefmütterlich behandelt, die Teams werden meist viel zu spät gerufen. Wir hoffen, dass wir das mit diesem Artikel zumindest ein wenig ändern können. 

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