Neue Wege in die Lehre im Katastrophenschutz

Interview mit dem Leiter der BABZ Thomas Mitschke

Petra Reuter

In der jüngeren Vergangenheit wandelte sich die renommierte Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) zur Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ). Welche Schwerpunkte der Kopf der Akademie, Thomas Mitschke, setzt, welche Entwicklungen er sich wünscht und welche Rolle die Pandemie und die Hochwasserkatastrophe direkt vor der Haustür auf die Entwicklungen spielten, berichtete der ­Leiter der Bundesakademie im Interview mit Heike Lange und Petra Reuter von der ­Crisis ­Prevention.

Crisis Prevention: Herr Mitschke, würden Sie sich uns als Person privat und beruflich vorstellen?

Thomas Mitschke: Ich bin Aachener, dort 1959 geboren, ver­heiratet und habe mittlerweile meine neue Heimat im Kreis Ahrweiler gefunden. Privat liebe ich insbesondere die Musik, spiele seit vielen Jahren Schlagzeug, treibe aber auch Wassersport. Nach dem Studium des Lehramtes mit den Fachrichtungen Germanistik und Sport war es in den 90er Jahren leider nicht möglich, den Lehrberuf zu ergreifen. In der Zeit nach dem Referendariat habe ich zunächst Deutsch als Fremdsprache vor allem für Aussiedler unterrichtet und bin eher durch einen Zufall auf eine Stellenausschreibung der damaligen Katastrophenschutzschule des Bundes (KSB) aufmerksam geworden. Dort suchte man explizit Pädagogen mit Erfahrung im Bevölkerungsschutz. Da ich in Aachen lange im Ehrenamt beim Malteser Hilfsdienst im Betreuungsdienst tätig war und darüber hinaus 25 Jahre im Rettungsdienst, passte die Ausschreibung sehr gut auf mich. Bei den Maltesern bin ich auch jetzt noch Mitglied. Ich habe dann 1990 an der KSB als Fachbereichsleiter einen Bereich übernommen, der sich im Wesentlichen mit der Ausbildung von Mitgliedern Technischer Einsatzleitungen beschäftigte. Nach einer dreijährigen Tätigkeit als Referatsleiter bei der BA THW habe ich 2002 das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) aufgebaut und 2011 die Leitung der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) übernommen.

CP: Wie sind Sie hier angetreten in der damaligen AKNZ und welche sind momentan ihre Schwerpunkte in der Arbeit?

TM: Bei meiner Übernahme der Leitung der AKNZ in den 90er Jahren war mir der herausragende fachliche Stellenwert der Akademie bekannt und bewusst. Als begeisterter Pädagoge und ­Lehrer wurde mir jedoch klar, dass die AKNZ durchaus eine Auseinandersetzung mit zeitgemäßen didaktischen Modellen bedurfte. Für eine Bildungseinrichtung ist es neben der fachlich-inhaltlichen Kompetenz der Lehrkräfte selbstverständlich wichtig, dass die Vermittlungskompetenz in didaktischer und methodischer Hinsicht gerade in Umgang mit erfahrenen Führungskräften ständig fortentwickelt wird. Es war und ist mir ein besonderes Anliegen, der Bevölkerungsschutzpädagogik in einem umfassenden erziehungswissenschaftlichen Sinn einen deutlicheren, zentraleren Stellenwert zu geben. Dabei kam mir der Paradigmenwechsel dieser Zeit an den Bildungseinrichtungen des Bevölkerungsschutzes entgegen, der sich auf das handlungs- und kompetenzorientierte didaktische Modell fokussiert. Pointiert könnte man sagen: weg von der frontalen Wissensvermittlung, hin zu selbstgesteuerten Lernprozessen, um an konkreten Handlungen orientiert Kompetenzerwerb zu ermöglichen. Ein weiteres strategisches Ziel meinerseits ist eine verbindliche Qualifizierung von Lernbegleitenden in der schulischen Ausbildung im Bevölkerungsschutz z.B. über die Etablierung eines Studiengangs für Bevölkerungsschutz­pädagogik.

CP: Waren die letzten anderthalb Jahre der Pandemie und der Unwetterkatastrophe eher Bremse oder Beschleunigung für diese Prozesse?

TM: Sowohl als auch. Die Pandemie hat uns in unserer Kernaufgabe der Aus- und Fortbildung durch Präsenzveranstaltungen erheblich ausgebremst. Man hatte insgesamt deutlich unterschätzt, dass Bildungseinrichtungen kritische Infrastrukturen sind. Anderseits waren wir im positiven Sinne gezwungen, digitale Lern­formate aufzubauen und zu nutzen. COVID-19 hat somit die Digitalisierung des Lernens erheblich beschleunigt. So konnten wir z.B. durch erhebliche finanzielle Konjunkturmittel in die Digitalisierung investieren, das hat einen nachhaltigen Effekt auf die Aus- und Fortbildung weit über die Pandemie hinaus. Jetzt können wir den Teilnehmenden viele Wege möglichst auch „on demand“ eröffnen, also da, wo und wann es im Moment passt. Dabei haben wir auch erlebt, dass wir deutlich mehr Teilnehmende erreichen als ausschließlich über Präsenzveranstaltungen. Letztlich wird es nun die Herausforderungen sein analoge und digitale Lernformate sehr zielgruppenspezifisch im Sinne einer Ermöglichungsdidaktik zu nutzen und zu kombinieren.

Die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal hat uns sehr unvermittelt und sehr unmittelbar betroffen und betroffen gemacht. Wir haben alleine im Kollegium über 30 Mitarbeitende, die schwerst betroffen sind von der Katastrophe. Ich selber habe dem Kreis Ahrweiler sofort vollumfängliche Unterstützung angeboten, die aufgrund der immensen Schäden dankbar in Anspruch genommen wurde, zumal die Liegenschaft der Akademie nicht unmittelbar betroffen war. Wir haben uns in den folgenden Wochen voll und ganz auf die Unterstützung für den Kreis und das Land konzentriert. Hauptaufgabe war es, den Stäben des Kreises und des Landes auf der schadensortnahen Liegenschaft optimale Arbeitsbedingungen rund um die Uhr zu schaffen. Hierzu haben wir eine eigene besondere Aufbauorganisation mit einem Stab eingerichtet, um u.a. die Versorgung und Unterbringung der bis zu 800 Einsatzkräfte zu organisieren und vor allem die Einrichtung der notwendigen Infrastrukturen für die unterschiedlichen ­Führungs- und Befehlsstellen sicherzustellen. Darüber hinaus haben wir bis zu 70 hilfesuchende, schwerst betroffene Bürgerinnen und Bürger an der BABZ betreut und versorgt.

CP: Ist der Austausch beim Kaffee zwischendurch digital möglich oder funktioniert das nur in Präsenz?

TM: Der Anteil von Präsenz ist nach wie vor enorm wichtig, gerade im Bereich der Stabsausbildung oder Kompetenzentwicklung. Bezüglich der notwendigen analogen Interaktion haben digitale Lernformate zwangsläufig ihre Grenzen. Um für Krisen Köpfe kennenzulernen, ist die unmittelbare Begegnung und der persönliche Austausch bei einem Kaffee sehr wichtig.

CP: Haben die Pandemie oder die Hochwasserkatastrophe die Notwendigkeit von Bildung und Weiterbildung im Katastrophenschutz Ihrer Meinung nach noch einmal verdeutlicht?

TM: Viele fragen sich jetzt: Wären wir gut vorbereitet gewesen? Das macht sehr deutlich, wie wichtig Ausbildung und Qualifizierung sind. Wenn Menschen Krisenmanagementaufgaben wahrnehmen müssen, dann müssen sie dafür auch entsprechend verbindlich qualifiziert werden. Ich möchte schon kritisch anmerken, dass die Bedeutung vor allem verbindlicher und standardisierter Aus- und Fortbildung der Führungskräfte und Verantwortlichen aller Ebenen im Risiko- und Krisenmanagement noch nicht in ausreichendem Maß erkannt und umgesetzt ist. Diesem Ziel einer verbindlichen Qualifizierung von Krisenmanagerinnen und Krisenmanagern werden wir uns verstärkt im Rahmen der Neuausrichtung des BBK widmen, erfreulicherweise an zwei Standorten, in Bad Neuenahr-Ahrweiler und am neuen Standort auf dem Dänholm in Stralsund.

CP: Ist im Hinblick auf mögliche quantitative Probleme denkbar, dass man zukünftig mehr hybride Veranstaltungen anbietet?

TM: Hybride Formate sind methodisch durchaus eine besondere Herausforderung. Man muss deutlich anders planen als für nur präsente oder nur digitale Veranstaltungen. Wir haben uns schon vor dieser Pandemie in einer Projektgruppe sehr intensiv mit dem Thema des digitalen Lernens beschäftigt und werden dies in der Aus- und Fortbildung an der BABZ unter den Eindrücken der Erfahrungen mit digitalen Lernformaten nachhaltig verstetigen.

CP: Möchten Sie die Zielgruppe und Schwerpunkte erweitern und anders lagern oder bleibt es so, wie es bisher war?

TM: Es bleibt ganz deutlich nicht so, wie es bisher war, das ist ein wesentlicher Grund für die Umwidmung der AKNZ zur BABZ. Wir werden die Akademie sowohl quantitativ als auch qualitativ weiterentwickeln. Die AKNZ selbst hat bisher hervorragende Bildungsarbeit geleistet. Jetzt geht es darum das Lernangebot bezüglich neuer Zielgruppen und relevanter Inhalte qualitativ fortzuentwickeln und über den zweiten Standort schlichtweg mehr Teilnehmenden die Möglichkeit der Aus- und Fortbildung an der BABZ zu geben. Wir möchten unter anderem Formate für politisch-strategische Entscheider auf den einzelnen Ebenen anbieten, aber auch den Bürgern als sich spontan mittlerweile sehr erfolgreich selbst organisierenden Akteuren im Bevölkerungsschutz, dies mit Bezug auf die sehr positiven Erfahrungen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal, die Möglichkeit geben, in den Austausch mit den Bevölkerungsschützern zu treten.

Zusätzlich gibt es gerade heute die Herausforderung, sich mit hybriden Bedrohungen im Kontext der Konzeption zur Zivilen Verteidigung auseinanderzusetzen und diese Szenarien verstärkt in die Ausbildung einfließen zu lassen. Deutschland ist gerade aufgrund seiner geographischen Lage und politischen Stellung sehr unmittelbar von solchen denkbaren Szenarien betroffen. Es gilt also, gerade Entscheider und Verantwortliche bei Bund und Ländern auf die denkbar größten und komplexesten Lagen bestmöglich vorzubereiten.

CP: Sie haben eine Chronik auf Ihren Internetseiten. Was soll da stehen für 2021?

TM: Ich würde dieses Jahr als Zeitwende und Meilenstein in der Entwicklung der Akademie sehen, im Hinblick auf die beschriebenen Chancen und Wirkmöglichkeiten, die sich aus der Umwidmung und dem zweiten Standort ergeben. Bildung ist die beste Katastrophen- und Krisenvorsorge. Die BABZ wird, wie die bisherige AKNZ, hier eine sehr zentrale Stellung im Bildungswesen des Bevölkerungsschutz und der Zivilen Verteidigung einnehmen. Die Voraussetzungen hierzu sind so gut wie lange nicht mehr, allein aufgrund der derzeitigen politischen Sensibilisierung für den Bevölkerungsschutz angesichts der aktuellen Krisen, die wir sehr unmittelbar erleben und die die handelnden Akteure zum Schutz der Bevölkerung optimal bewältigen müssen. Insofern ist 2021 für uns ein sehr entscheidendes Jahr gewesen.

CP: Vielen Dank für das Gespräch.


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