Bevölkerungswarnung – zusammenfassender ­Überblick anhand des Warnprismas

Markus Ruckdeschel, Peter Maisel

Bayerisches Rotes Kreuz, Kreisverband Bayreuth

Die Arbeitsgruppe Emergency-Warning-Functionality (kurz EWF) beschäftigt sich seit 2012 mit den Möglichkeiten der Nutzung des Digitalradiostandards DAB+ zur zielgerichteten Warnung der Bevölkerung bei Großschadensereignissen und Katastrophen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, nachfolgend einen kurzen systematisierenden Überblick über den heutigen Stand der Bevölkerungswarnung anhand des sogenannten Warnprismas geben und auf die Vorteile des DAB+ Warnsystems einzugehen. Zur Arbeitsgruppe im engeren Sinne gehören Bayern Digitalradio, Fraunhofer IIS, TMT Business Solutions, NOXON und das Bayerische Rote Kreuz vertreten durch den BRK Kreisverband Bayreuth.

Die Warnung der Bevölkerung bei schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit obliegt nach den landesrechtlichen Vorgaben in der Regel den Katastrophenschutz- und Sicherheitsbehörden auf der Ebene der Gebietskörperschaften (Landkreise, kreisfreie Städte). Bei großflächigen und überörtlichen Gefahrenlagen liegt die Zuständigkeit bei den Bezirksregierungen und Länderinnenministerien. Dem Föderalismus und den Entwicklungen seit Ende des kalten Krieges geschuldet, ergibt sich somit ein sehr heterogenes Gefüge mit unterschiedlichen organisatorischen und technischen Ausprägungen vor Ort.

Ältere mechanische Doppelton-Sirene, ca. 1930er Jahre.
Ältere mechanische Doppelton-Sirene, ca. 1930er Jahre.
Quelle: Sirene Siemens FM SI 40.jpg, © MdE at Wikimedia Commons

Mit dem jüngst durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) den Bundesländern zur Verfügung gestellten Modularen-Warn-Systems (MoWaS) bietet sich die Chance, frühzeitig über eine zentrale Plattform und mehrere Warnmultiplikatoren zahlreiche unterschiedliche Warnmittel und Kanäle anzusteuern. Neben den per Satellit angebundenen MoWaS-Vollstationen, die i.d. R. bei den Bundesländern zentral in den Lagezentren bzw. bei ausgewählten Leitstellen verortet sind, besteht nun auch die Möglichkeit über eine webbasierte Anbindung einen Zugang für Kreisverwaltungsbehörden und weitere Leitstellen der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr zu realisieren.

 Das EU-kofinanzierte Bund-Länder-Projekt sichert einen zeitgemäßen und sicheren Informationsfluss für rund 250 weitere Warnstellen in der Bundesrepublik. Es beinhaltet die kostenfreie Möglichkeit zur Nutzung der NINA Warn-App des BBK für die weit verbreiteten Smart-Device Betriebssysteme Android und Apple iOS.

Mit der zunehmenden Technologisierung und digitalen Vernetzung unserer Bevölkerung wächst die Abhängigkeit von einem funktionierenden Stromnetz und wiederum davon abhängiger öffentlicher Telekommunikationsnetze. Um die moderne, mobile und zunehmend nomadisch lebende Bevölkerung in allen Altersschichten sicher zu erreichen, sind neben den etablierten Methoden wie z. B. den verbliebenen ortsfesten Sirenen, UKW-Radio und Lautsprecherfahrzeugen zunehmend neue technische und organisatorische Ansätze gefragt. Durch diese hohe Dynamik und Veränderungsrate der Mediennutzung der Bevölkerung sowie gesellschaftlicher und demographischer Veränderungen ist als Hypothese festzuhalten, dass im Zuge der konventionellen Bevölkerungswarnung in den seltensten Fällen rund um die Uhr in allen Regionen Deutschlands alle relevanten Bevölkerungsanteile sicher erreicht werden können. Neben den unterschiedlichen Altersgruppen trägt auch die zunehmende Migrationsbewegung und der Globalisierungstrend hierzu bei (z. B. Sprachbarrieren).

Mancherorts gibt sie noch: die Ortsrufanlage für Durchsagen im Notfall. Moderne elektronische Sirene. Die Warn-App NINA des BBK ist ein Beispiel für Nutzung des Internets/Social...

Sucht man mit den einschlägigen Internetsuchmaschinen nach dem Begriff „Social Media Prisma“, wird einem anhand einer seit 2008 jährlich neu erstellten, sehr anschaulichen Illustration schnell deutlich, wie sich das Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten in der heutigen digitalen Gesellschaft Jahr für Jahr deutlich verändert hat. Mehr als 200 moderne – durch die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und vor allem die „digital na­tives“ intensiv genutzten – Plattformen sind dort in 25 Kategorien von Internetanwendungen gelistet.

Die heute zum Zwecke der Bevölkerungswarnung eingesetzten Warnmittel halten nur schwerlich mit diesen aufgrund der hohen Dynamik und der fehlenden Nachhaltigkeit oft jährlichen wechselnden Trends der modernen Mediennutzung stand.

Die Autoren dieses Beitrages haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht, die heute verfügbaren Warnmittel in ähnlicher Art und Weise zu systematisieren und zu kategorisieren. Technologische Aspekte und die technische Verschaltung der Warnmittel bleiben hierbei weitestgehend außen vor. Auf diesem Weg entstand das WARNPRISMA.

Vierstufiger Aufbau des WARNPRISMAS (von innen)

  • Bevölkerungsanteile/Adressaten
  • Adressatenmerkmale
  • Warnformen
  • Kategorien für Warnmittel

Im Mittelpunkt des WARNPRISMAS stehen hierbei die unterschiedlichen Bevölkerungsanteile (z. B. Nationalitäten, Sprachen und Altersschichten) als mögliche Adressaten einer behördlichen Bevölkerungswarnung.

Diese wiederum verfügen über differenzierte Ausprägungen von Adressatenmerkmalen (z. B. Alter, Aufenthaltsort, Mobilität, körperliche und soziale Einschränkungen und oft alters- oder berufsabhängige Medienkompetenz).

Die Adressaten mit ihren spezifischen Merkmalen werden durch unterschiedliche Warnformen erreicht. Diese Warnformen lassen sich hinsichtlich der angesprochenen Sinne (z. B. sehen und hören), deren Warnintensität (z. B. Wecken), dem Informationsstufe (Erstinformation, Detailinformation), der Art der Verbreitung (Zeitversatz, vs. Realtime) und der hierbei genutzten Kommunikationsstrukturen (zentrale und dezentrale Alarmierung) und ihrer Art nach (Wort- und Bildsprache, Daten) beschreiben.

WARNPRISMA
WARNPRISMA.
Quelle: Darstellung der Autoren, Carina Reuschel, TMT

Am Rande des Prismas angelangt, finden sich die Kategorien für Warnmittel. Innerhalb jeder Kategorie finden sich zahlreiche Ausprägungen der einzelnen Warnmittel:

Digital Signage (digitale Beschilderung, digitale interaktive Medieninhalte)

  • Unzählige Ausprägungen, differenziert je nach Einsatzbereich und Installationsort (ÖPNV Verkehrsknotenpunkte, Handel, Tourismus, Kliniken usw.) sowie Betreiberschaft (öffentlich vs. privat-wirtschaftlich)

Smart Devices

  • Smartphones, Smartwatches, Tablets, Smart TV, Datenbrillen und digitale Assistenten wie Apple`s SIRI, Amazon`s Alexa und Google`s Now für mobile (z. B. in-car) und stationäre Anwendung etc.

Internet of things, (kurz IOT)

  • Wearables, Rauchmelder, Haushaltsgeräte, Smart-Home Elemente etc.

Apps 

Unabhängig von Betriebssystemen, Zielgruppe und primären Verwendungszweck (Bevölkerung vs. Einsatz- und Hilfskräfte)

  • NINA
  • KATWARN
  • BiWAPP etc.

Social Media und Web

  • Facebook, Twitter, Instagramm, Snap-Chat, ...
  • Messenger wie Telegramm, WhatsApp, Facetime, ...
  • Webseiten und Newsfeeds

Lautsprecher

  • Stationär, mobil, quasistationär z. B. bei Veranstaltungen

Sirenen

  • Stationär
  • Mobil

UKW-Radio

  • Netzbetrieb (stationär) oder Batteriebetrieb (mobiler Einsatz z. B. PKW, Freizeit im Schwimmbad),
  • Im privaten, beruflichen und öffentlichen Umfeld (z. B. Hintergrundbeschallung in Einkaufszentren)

DAB+

  • Wie UKW-Radio
  • Zusätzliche Vorteile: Die Emergency Warning Functionality (EWF) ist der technologische Standard für textuale Zusatzinformationen (journaline-­Dienst, mehrsprachig) und Fernwirkbarkeit (Wake on stand-by bzw. per remote provozierter Senderwechsel auf den Warnkanal) im DAB+ Digitalradio.
Der analoge UKW-Hörfunk wird auf lange Sicht noch der wichtigste... Ohne Smartphone läuft nichts mehr. So lange Strom fließt, ist es als...

Fazit

Das WARNPRISMA gibt einen systematisierten Überblick über das notwendige Portfolio an Warnmitteln, Warnformen und Adressaten, welches durch ein abgestimmtes und umfassendes Zusammenspiel eine möglichst weitreichende Bevölkerungswarnung erreichen kann. Bei der Vielzahl der Warnmittel ist die uneingeschränkte Forderung aufrecht zu erhalten, dass alle Warnmittel zentral durch MoWaS über konzentrierende Multiplikationssysteme angesprochen werden.

Diese müssen im Sinne einer granularen Benutzerhierarchie mit darauf fußenden Rechte- und Rollenkonzepten die inhaltliche und regionale Übernahme bereits ausgesendeter Warnungen z. B. von Nachbarbereichen und das Zusammenspiel mit der polizeilichen Gefahrenabwehr und übergeordneten Behörden ermöglichen.

Nur so lässt sich eine möglichst einfache Bedienung, die Vermeidung unnötiger Subsysteme und die unabdingbare Kongruenz von Warnmeldungen sicherstellen. Es gilt für alle Beteiligten unnötige Doppeleingaben, Aussendungen und Rücknahmen der Warnmeldungen in verschiedenen Systemen zu vermeiden.

Nachgelagerte Warnungen und weitere fachliche Verständigungsprozesse für spezielle Zielgruppen sind bei der regionalen Warnkonzeption gesondert zu berücksichtigen und zwischen den Beteiligten abzustimmen (z. B. Krankenhäuser, Festivals und Veranstaltungen, kritische Infrastrukturen).

Regional ausgesandte Warnungen werden spätestens durch die Verbreitung in den sozialen Medien und im Internet zu globalen Warnungen. Diese führen wiederum zu Rückfragen z. B. besorgter Angehöriger aus dem Ausland oder überregionaler Medien. Hierfür sind bereits bei der Warnung im Sinne einer Mehrstufigkeit behördliche Informationsquellen wie Bürgertelefone, Pressestellen oder vorbereitete „Darksites“ zu benennen. Nur so lässt sich ein verheerender Bumerang-Effekt eine vollständige Blockade der warnenden, örtlich zuständigen Behörden vermeiden.

Aufgrund der rasanten Entwicklungen sind auch zukünftig ständig neu aufkommende Medien und digitale Kommunikationswege zu erwarten. Diese müssen, sofern sie als Warnmittel zum Zwecke der Bevölkerungswarnung geeignet sind, ausnahmslos per Schnittstelle an die modulare Warnplattform MoWaS des Bundes angeschlossen werden.

Generell sind Medien und Technologien bei der Bevölkerungswarnung zu bevorzugen, die

  • einen relevanten, vorzugsweise hohen Durchsetzungs- und Nutzungsgrad in der Bevölkerung haben,
  • die bei passiver Nutzung aktiviert und in den Sinnesfokus gerückt werden können,
  • stromunabhängig sind und
  • von dezentralen Kommunikationsinfrastrukturen unabhängig funktionieren.

Unter dem nachfolgenden QR-Code findet sich eine Videoberichterstattung zum EWF-Testbetrieb in Bayern, welcher von der Arbeitsgruppe EWF und der Inte­grierten Leitstelle Bayreuth/Kulmbach (BRK) unter Beteiligung des Bayerischen Staatsministerium des Innern anlässlich einer Katastrophenschutz-Vollübung im Landkreis Bayreuth durchgeführt wurde.


Link zur Erstellung des QR Code: https://youtu.be/V8LSSpGk9Ks

Weitere Informationen:

https://www.ewf.digital

http://www.bbk.bund.de

http://warnung.bund.de

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