Die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) betreiben in Deutschland ca. 500 Leitstellen zur Annahme von Notrufen (110, 112) und zur Steuerung der Einsatzkräfte. Die Leitstellen der deutschen BOS sind mit hoch komplexen IT-Systemen (Kommunikations-, Einsatzleit-, Lage-/Stabsführungssysteme unterschiedlicher Systemhersteller) für eine effiziente Einsatzsteuerung ausgestattet, welche über eine möglichst einheitliche Schnittstelle an das von den Einsatzkräften künftig genutzte Funksystem anzuschalten sind.
Die Kommunikation der deutschen BOS wird zunehmend um einsatzunterstützende Datenkommunikation aus Anwendungen wie z. B. Datenbanken, Video, Erkennungsdienst u.v.a. ergänzt. Technische Basis hierfür ist derzeit die Nutzung öffentlicher 4G/5G-Netze und der Einsatz leistungsfähiger mobiler Endgeräte mit gesicherten, dedizierten Applikationen.
Wesentliche Komponenten: Mission Critical Services
In der Mitnutzung der öffentlichen 4G/5G-Netze liegt für die BOS aber kaum eine zukunftsfähige Lösung. Um deren im Hinblick auf Sicherheit, Funktionalität, Funkabdeckung und Systemverfügbarkeit hohe Anforderungen zu erfüllen, erscheint vielmehr ein eigenes und für einsatzkritische Datenkommunikation gesichertes 4G/5G-Netz ohne Alternative. Wesentliche Komponenten eines solchen Netzes werden die Mission Critical Services (kurz: MCx) gemäß 3GPP Standard sein. 3GPP (3rd Generation Partnership Project) ist eine weltweite Kooperation von Gremien zur Standardisierung des Mobilfunks.
3GPP-Standard bietet keine Definition einer Leitstellen-Schnittstelle
Diese MCx-Services stellen u. a. die Dienste für eine gesicherte Sprach-, Daten- und Videoübertragung zwischen mobilen und stationären Endgeräten zur Verfügung. Da aber der 3GPP-Standard keine explizite Leitstellen-Schnittstelle inklusive leitstellenspezifischer Funktionen definiert, besteht akuter Handlungsbedarf für eine entsprechende Definition. Diese muss auch die besonderen funktionalen und technischen Anforderungen der deutschen BOS an eine solche Schnittstelle berücksichtigen. Zu diesen Anforderungen zählen beispielsweise die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gemäß Spezifikation des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie die Nutzbarkeit operativ taktischer Adressen (OPTA). Die einheitliche Anschaltung von Leitstellen an ein künftiges MCx-Netz liegt somit im höchsten Interesse der BOS.
Nur internationale Lösungen sinnvoll
Wie für alle modernen technischen Lösungen gilt auch für die Definition einer einheitlichen Anschaltung von Leitstellen: Nur international abgestimmte Lösungen sind wirtschaftlich, zukunftsorientiert und ermöglichen Interoperabilität. Vor diesem Hintergrund haben die TCCA (The Critical Communications Association) und der PMeV – Netzwerk Sichere Kommunikation eine Kooperation zur Definition einer Leitlinie für die Anschaltung von Leitstellen an Systeme für sicherheitskritische Dienste (MCx) in 4G/5G-Netzen vereinbart. Der PMeV bringt in diese Kooperation über seinen Arbeitskreis „AK MCx-Schnittstellen“ die technischen und funktionalen Anforderungen an eine einheitliche Leitstellen-Schnittstelle ein. So soll sichergestellt werden, dass bei künftigen Erweiterungen im 3GPP-Standard auch die Anforderungen der deutschen Bedarfsträger berücksichtigt werden. Neben TCCA und PMeV beteiligen sich an diesem Projekt mehrere internationale Leitstellenbetreiber.
Standardisierung im Interesse der Bedarfsträger
Eine einheitliche Anschaltung von Leitstellen an ein künftiges MCx-4G/5G-Netz liegt im außerordentlichen Interesse der Bedarfsträger. Es fehlt derzeit noch eine Bund/Länder-Initiative, vergleichbar mit der „AG Leitstellen“, welche die Anforderungen an eine Leitstellen-Schnittstelle für den TETRA-Standard definiert hat. Ein künftiges MCx-4G/5G-Netz für die BOS in Deutschland kann nur dann von hohem funktionalen und operativen Nutzen sein, wenn die Bedarfsträger und die Hersteller ihre Anforderungen in die Definition einer Leitstellenschnittstelle in angemessener Weise eingebracht haben.
Volker Hartwein
stellvertretender Vorsitzender des PMeV
Director Business Development Public Safety
Frequentis Deutschland GmbH