Die Themen Warnung und Alarmierung der Bevölkerung hatten in den vergangenen Jahrzehnten keinen hohen Stellenwert in Deutschland. Erst durch den erstmals wieder durchgeführten, bundesweiten Warntag im September 2020, bei dem die Alarmierung allerdings nicht wie geplant funktioniert hat bzw. durchgeführt werden konnte, erhielt das Thema wieder mehr Aufmerksamkeit. Im Zuge der Flutkatastrophe 2021 wurden die Themen Warnung und Alarmierung der Bevölkerung deutlich breiter und kontroverser von vielen Akteuren und Betroffenen in der Gesellschaft diskutiert. Hierdurch wurden einige Prozesse angestoßen, welche den grundlegenden Aufbau der Warnsysteme in Deutschland und insbesondere den Mix aus Warnmitteln neu aufstellen werden. Dabei ist wichtig, nicht nur auf technische Lösungen zu fokussieren, sondern gleichzeitig auch die Risikowahrnehmung und -kommunikation signifikant zu stärken.
Was sind Frühwarnsysteme?
Frühwarn- bzw. Warnsysteme haben das Ziel, Menschen vor einem potenziell schadenbringenden Naturereignis rechtzeitig zu warnen, damit schnelle, adäquate und risikominimierende Reaktionen möglich sind. So stellen sie ein elementares Werkzeug des effektives Risikomanagements dar.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Warnsysteme häufig nur bedingt monetäre Schäden verhindern können, da sie keinen direkten Einfluss auf das schadenbringende Ereignis an sich haben. Sie können jedoch Menschen dazu veranlassen, Gefahrenbereiche frühzeitig zu verlassen und mobile Werte (z.B. Autos) vorbereitend in Sicherheit zu bringen. Immobile Objekte können hingegen bestenfalls durch schadensminimierende Maßnahmen – in der Regel im Vorfeld - geschützt werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich Warn- und Frühwarnsysteme bei der Vorwarnzeit deutlich unterscheiden, welche zwischen Sekunden (z.B. Erdbeben, Tsunami) und Monaten (z.B. Dürren) liegen können.
Effektive Frühwarnsysteme basieren auf vier grundlegenden Elementen. Diese Elemente müssen aufeinander aufbauen und ineinandergreifen, um eine effektive Frühwarnkette zu gewährleisten.
Neben einem grundlegenden Verständnis der Gefahren, Exponiertheiten und Vulnerabilitäten sowie einem Monitoring der Gefahrenprozesse, welches auch Alarmierungen bereitstellen kann, sind insbesondere die Kommunikation und die Reaktionsfähigkeit der Bevölkerung entscheidend für die Effektivität eines Warn- oder Frühwarnsystems.
Auch wenn Frühwarnsysteme oftmals als vorwiegend technische Systeme verstanden werden, sind gerade die sozialen Komponenten von hoher Relevanz, wie auch die Erfahrungen mit dem indonesischen Tsunamiwarnsystem zeigen (Textbox). Kelman et al. (2018) schlagen deshalb vor, Frühwarnsysteme vorwiegend als soziale Prozesse zu verstehen. Daraus folgt, dass bei der Planung eines Frühwarnsystems die Komponenten der Kommunikation und Reaktion in den Vordergrund rücken und somit die „last mile“ zur „first mile“ wird.
Alarmierungssysteme
Derzeit werden in Deutschland verschiedene Alarmierungssysteme genutzt. Der direkteste Ansatz zur Übermittlung von Warnungen und Handlungsempfehlungen in Schadenslagen und Katastrophenereignissen sind Lautsprecherdurchsagen durch Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Hierbei können differenziert und der Situation angepasste Informationen übermittelt werden. Der Nachteil dieses Ansatzes besteht jedoch in der Bindung von Einsatzkräften und der begrenzten Reichweite der Kommunikation. Hierbei sind technische Warnmittel wie Sirenen und Warn-Apps Lautsprecherdurchsagen tendenziell überlegen.
Zur Alarmierung der Bevölkerung wurden in Deutschland traditionell Sirenensysteme verwendet. Diese wurden jedoch nach dem Ende des Kalten Krieges (zum Ausgang der 1990er Jahre), sukzessive deinstalliert und sind vielerorts nicht mehr vorhanden. Damit einhergehend wurden auch regelmäßige Sirenenübungen eingestellt, wodurch auch das Wissen über die Bedeutung der unterschiedlichen Sirenensignale in weiten Teilen der Bevölkerung verloren ging. Bei der geplanten Neubeschaffung von Sirenen, sollte darauf hingewiesen werden, dass diese idealerweise über eine Durchsagefähigkeit verfügen, um Informationen, die über Sirenensignäle hinaus gehen, vermitteln zu können.
Als zentrales Warn- und Alarmierungsmethode wurde in Deutschland in den letzten Jahren insbesondere auf Warn-Apps wie NINA1 und KATWARN2 gesetzt. Im Gegensatz zu Sirenen können über Apps differenziertere Warnungen und Handlungsempfehlungen weiteregegeben werden. Derzeit haben nur etwa 8 bis 12 Millionen Menschen in Deutschland Warn-Apps auf ihren Geräten installiert. Voraussetzungen für die Nutzung dieser Apps sind jedoch Smartphones, welche bei z.B. älteren Menschen eher weniger verbreitet sind.
Bei Betrachtung der Altersverteilung der Todesopfer während der Flutkatastrophe 2021 in Rheinland-Pfalz wird deutlich, dass die Altersgruppe 60+ besonders stark betroffen war. Eine Warnung über Apps kann diese Bevölkerungsgruppe nicht im gleichen Maße erreichen wie Jüngere mit stärkerer Nutzung von Smartphones. Eine weitere Einschränkung von Warn-Apps besteht in der Notwendigkeit eines funktionierenden Funknetzes und setzt ein eingeschaltetes bzw. ausreichend aufgeladenes Smartphone und bei längeren Lagen auch eine konstante Stromversorgung voraus.
Cell Broadcasting – „last service standing“
In Folge der Flutkatastrophe 2021 wurde durch den Bundestag die Einführung von Cell Broadcasts zur Warnung der Bevölkerung beschlossen und wird derzeit vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) umgesetzt. Cell Broadcasts sind eine etablierte Methode und finden in vielen Ländern, u.a. den Niederlanden, Rumänien und den USA bereits seit Jahren Anwendung. Beim Cell Broadcasting werden Nachrichten von maximal 1.395 Zeichen an alle Mobiltelefone, also auch einfache Handies ohne smarte Funktionen (Dumb-Phones), gesendet, die an definierten Sendemasten angemeldet sind. So kann sichergestellt werden, dass alle Mobiltelefone in einem Gefahrenbereich Benachrichtigungen erhalten können.
Datenschutzrechtlich sind Cell Broadcasts unproblematisch, da die Nachrichten einen unbestätigten Push-Dienst darstellen, für den keine Mobilfunknummern von Empfänger:innen notwendig sind. Weiterhin werden Cell Broadcasts von einem Signalisierungston begleitet, der sich von anderen Benachrichtigungen deutlich unterscheidet. Selbstverständlich sind auch Cell Broadcasts auf ein funktionierendes Funknetz angewiesen, jedoch ist die übertragene Datenmenge so gering, dass man den Service auch als „last service standing“ bezeichnet. Auch wenn keine besonderen technischen Hardware-Voraussetzungen bei Mobiltelefonen notwendig sind für Cell Broadcasts, müssen bestimmte Empfangsparameter auf den Mobiltelefonen durch die Netzbetreiber konfiguriert werden. Derzeit sind aber viele Mobiltelefone in Deutschland nicht für den deutschen Cell Broadcast „DE-Alert“ gerüstet und nur ca. jedes fünfte mobile Endgerät ist bereits empfangsbereit. Aufgrund dieser Herausforderung wird der nächste landesweite Warntag voraussichtlich nochmal verschoben.
Warnmix und Risikokommunikation
Grundsätzlich sollten Warnungen durch eine Mischung von unterschiedlichen Alarmierungssystemen erfolgen, um möglichst breit in die Bevölkerung kommuniziert werden zu können. Dies wurde auch im Rahmen des „Science for Disaster Risk Management 2020“ Reports des Disaster Risk Management Knowledge Center der EU festgehalten. Hierbei wird ein zentrales Warnsystem von unterschiedlichen Alarmierungsbehörden über abgestimmte Formate (CAP – Common Alerting Protocol) angesteuert und Warnungen und Handlungsempfehlungen über unterschiedliche Alarmierungskanäle verbreitet.
Die Verbreitung von Warnungen und Alarmierungen an die Bevölkerung ist auf technische Kanäle angewiesen. Jedoch haben Lautsprecherdurchsagen, Sirenen, Warn-Apps und Cell Broadcasting Schwachstellen und Limitierungen. Mit der Entscheidung Cell Broadcast in Deutschland einzuführen, wurde daher ein wichtiger Schritt unternommen, um Warnungen und Handlungsempfehlungen weitreichender kommunizieren zu können. Es wird sich zeigen, inwiefern die technischen Herausforderungen zeitnah überwunden werden können. Die zusätzliche Ergänzung durch Sirenen, welche nun bundesweit verstärkt wieder installiert werden, ist sinnvoll, um auch Menschen ohne mobiles Endgerät zu erreichen.
Eine umfassende Warnung der Bevölkerung und Kommunikation von Handlungsempfehlungen kann nur durch eine ausgewogene Mischung der Warnmittel erreicht werden, die redundant zum Einsatz gebracht werden. Auch wenn die Verwendung weiterer Warnmittel eine Verbesserung der technischen Grundlagen für Warnungen der Bevölkerung darstellt, ist es gleichzeitig notwendig die Risikowahrnehmung und -kommunikation – beispielsweise durch Beratung, Aufklärungen und Bildung – zu verbessern. Weiterhin müssen Verantwortlichkeiten und das Zusammenwirken von Akteuren geklärt und allen Beteiligten bekannt sein. Warnungen müssen nicht nur die Bevölkerung erreichen, sie müssen auch verstanden und ernst genommen werden und dies ist nur möglich, wenn Risiken und Handlungsempfehlungen konstant kommuniziert werden und so das Bewusstsein dafür, gesamtgesellschaftlich gestärkt wird.
Literatur bei Verfassern.
Crisis Prevention 2/2022
Dr. Benni Thiebes
Geschäftsführer
Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV)
Kaiser-Friedrich-Str. 13, 53113 Bonn
E-Mail: Benni.Thiebes@dkkv.org