08.06.2023 •

Krisenkommunikation – in Extremszenarien ­handlungsfähig bleiben

Benedikt Haufs

Benedikt Haufs

Krisen stellen über lange Zeiträume als sicher geglaubte und oft nicht hinterfragte Gewissheiten auf eine harte Probe. Im Extremfall werden Krisen als surreal wahrgenommen, vor allem, wenn sie sich außerhalb des eigenen Erfahrungshorizontes ereignen oder zu einer gravierenden Veränderung der Lebensbedingungen führen. Entscheidend für die Reaktion jedes Einzelnen sind die Wahrnehmung der individuellen Betroffenheit sowie die eigene Resilienz. Im Ergebnis können Individuen und Organisationen an Krisen scheitern, sie können daraus jedoch auch Stärke schöpfen. Mitentscheidend für die Bewältigung einer Krise sind daher sowohl die interne als auch die externe Kommunikation. Das gilt sowohl für Individuen als auch für Organisationen.

Krisen stellen über lange Zeiträume als sicher geglaubte und oft nicht hinterfragte Gewissheiten auf eine harte Probe. Im Extremfall werden Krisen als surreal wahrgenommen, vor allem, wenn sie sich außerhalb des eigenen Erfahrungshorizontes ereignen oder zu einer gravierenden Veränderung der Lebensbedingungen führen. Entscheidend für die Reaktion jedes Einzelnen sind die Wahrnehmung der individuellen Betroffenheit sowie die eigene Resilienz. Im Ergebnis können Individuen und Organisationen an Krisen scheitern, sie können daraus jedoch auch Stärke schöpfen. Mitentscheidend für die Bewältigung einer Krise sind daher sowohl die interne als auch die externe Kommunikation. Das gilt sowohl für Individuen als auch für Organisationen.

Die zeitliche Entwicklung einer Krise kann mit einem Unfall verglichen werden, bei dem sich eine Eigendynamik entwickelt. Feuerwehren und Rettungsdienste als Krisenspezialisten bezeichnen die ersten Minuten ab Ereignisbeginn als Chaosphase. ­Während der Chaosphase sind die zeitlichen, räumlichen und qualitativen Dimensionen einer Schadenslage aufgrund unvoll­ständiger Informationen noch nicht vollumfänglich bekannt und Führungsstrukturen wurden noch nicht aufgebaut. Die meisten Beteiligten stehen unter Stress und die Lage entwickelt sich möglicherweise noch dynamisch und unvorhersehbar.

In der Chaosphase sind die Retter „hinter der Lage“, laufen den Ereignissen sprichwörtlich hinterher und müssen erst „vor die Lage“ kommen. Das gelingt Ihnen zumeist durch massiven Ressourcen-Einsatz sowie die immer wieder trainierte Anwendung von Standardeinsatzregeln. Standardeinsatzregeln brechen die Komplexität und Individualität eines anfangs oft chaotischen Schadensereignisses auf beherrschbare und wiedererkennbare Standardsituationen herunter. Im Idealfall kommen die Retter schnell vor die Lage und schließen die Chaosphase ab. Ähnlich schnell sollten Organisationen in der Krisenkommunikation vorgehen.

Kommuniziere, bevor andere es tun

Was bedeutet dies für die Krisenkommunikation? Der bekannteste Satz der Kommunikationswissenschaften besagt: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ (Paul Watzlawick). Denn Schweigen ist auch Kommunikation. In Krisensituationen müssen Organisationen daher rasch kommunizieren. Ein Schweigen wird von der Öffentlichkeit möglicherweise falsch gedeutet und leistet Gerüchten und Fake News Vorschub. Diese Bewertung durch sowohl die Einheiten der eigenen Organisation wie auch durch die Öffentlichkeit passiert schnell, möglicherweise zu schnell.

Eine Nicht-Kommunikation stellt folglich keine Handlungsoption dar – unabhängig davon und ohne Rücksicht auf die beteiligten Akteure und wie strukturell die Krise auch deren bisherige Lebensrealität verändert. Denn es gibt in der Kommunikation kein Vakuum. Jedes Kind, dessen Eltern nicht mit ihm reden, kann dies bestätigen. Organisationen, die zögern, werden erleben, wie ihnen die Lage entgleitet, wie die Informations- und Deutungs­hoheit dynamisch an Dritte übergeht und wie Vertrauen verloren geht – im Extremfall angeheizt durch einen plötzlichen Shitstorm. Daher nochmals prägnant resümiert: „Kommuniziere, bevor andere es tun. Agiere, bevor Du nur noch reagierst.“ Es ist wie Wasser im Glas, das ausgeschüttet wird, das verdunstet und versickert und sich nicht mehr sammeln lässt.

Bewusstes Ignorieren

Eine verzögerte Krisenkommunikation kann aus einem Umfeld unzureichender gesamthafter Krisenprävention erwachsen. Viele Gründe unterschiedlicher Natur verzögern die Krisenreaktion oder verursachen im schlimmsten Fall deren Totalausfall. Welche zählen dazu? Sorglosigkeit kann es sein. In Organisationen kann eine Vorbereitung auf eine Krisensituation jedoch auch aktiv blockiert werden, wenn allein der Gedanken an eine Krise den sicheren positiven Außenauftritt erschüttern könnte. Fehlende Ressourcen für den Aufbau von Fachkenntnissen einzelner Akteure können diese Ausgangslage verschärfen.

Neben der mangelnden institutionellen Vorbereitung auf außergewöhnliche Ereignisse spielen weiche Faktoren eine wichtige Rolle. Grundlage für das Erkennen einer Krise und deren Lösung sind die persönliche Einstellung jedes Einzelnen und die Organisationskultur. Denn ohne das Erkennen einer Krise ist eine Reaktion unmöglich – von Prävention ganz zu schweigen.

Bei Ereignissen außerhalb des eigenen Erfahrungshorizontes einer Person oder einer Organisation, wird es oft kritisch. Denn der Erfahrungshorizont jedes Einzelnen ist individuell unterschiedlich, je nach Dimension manchmal eng und erschreckend eingeschränkt. Beispielweise heißt dies in der zeitlich-historischen Dimension: Für Individuen und Organisationen der westeuropäischen Nachkriegsgeneration war das eigene Dasein stets von materiellem Wohlstand geprägt – Krieg war nicht Teil des subjektiven und gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmungshorizontes.

In alltäglichen Dimensionen kann die Wahrnehmung bewusst persönlich verengt sein, weil der Einzelne bestimmte Dinge einfach nicht sehen will und ignoriert – vielleicht als psychologisch bedingte Verdrängung oder als bewusstes Verharren in der eigenen Komfortzone.

Unabhängige Geister als unabdingbares Alarmsystem

Fast jede Organisation hat MitarbeiterInnen, die eine kritische Entwicklung erkennen, deren Hinweise aber nicht gehört werden, sondern manchmal sogar als toxisch für die Organisation wahrgenommen werden. Vielleicht haben diese MitarbeiterInnen einen siebten Sinn, einen größeren Erfahrungshorizont oder ein größeres Vorstellungsvermögen. Oder es sind Exoten, deren eigenständiges Denken nicht dem Gruppendenken einer homogenen Gruppe zum Opfer fällt. Bildlich gesprochen: Ein Kaufmann findet für ein Problem eine kaufmännische Lösung, ein Schreiner eine handwerkliche Lösung und ein Schriftsteller eine poetische Lösung. Was aber, wenn der Handwerker in seinem Umfeld ein kaufmännisches Problem erkennt und poetisch lösen möchte – wird das in seinem Umfeld akzeptiert? Im Zweifel nervt und irritiert es.

Vielleicht gehören diese MitarbeiterInnen mit dem siebten Sinn aber auch in konservativen Organisationen mit einem hohen Anteil an langjährigen Konzernkarrieren zu dem frischen Blut, die weniger von Gefälligkeiten abhängig sind und die sich eine Unabhängigkeit bewahrt haben. In vielen Organisationen bestehen Abhängigkeiten politischer, sozialer und hierarchischer Strukturen. Außerdem können hohe Gehälter dieselbe Wirkung wie Schweigegelder entfalten. Meldewege gehorchen diesen Abhängigkeiten und dulden keinen Gegenverkehr. Im Zusammenspiel führt dies oft dazu, dass sich die wenigen kritischen Stimmen nicht melden, nicht gehört werden.

Die MitarbeiterInnen mit dem siebten Sinn können sich durch geistige und fachliche Unabhängigkeit auszeichnen, die einem sensiblen Charakter oder der eigenen Biografie entspringen kann. Sie haben den Mut, über Grenzen zu gehen und Dinge beim Namen zu nennen, wenn ihr „inneres Alarmsystem“ Alarm schlägt oder sich ihr Gewissen meldet. Melden sich solche Mitarbeiter­Innen zu einer kritischen Situation bei der Führung, kann diese zu deren Überraschung durchaus so reagieren, dass die Antwort an eine rangniedrigere Führungskraft herunterdelegiert wird. Diese zerredet das Problem – genannt „down talking“ – um der Warnung die Bedeutung zu nehmen. Was nicht sein darf, kann nicht sein.

Erfahrungen aus der Untersuchung von Flugunfällen

Ein Exkurs zu starren hierarchischen Strukturen als Krisenursache könnte helfen: Als man in den USA in den siebziger Jahren Flug­unfälle untersuchte, stellte man fest, dass eklatante Mängel in der Kommunikation und in der Zusammenarbeit zwischen dem Flugkapitän und der rangniedrigeren Cockpitbesatzung Unfälle verursachten. Es waren nicht die technischen Fehler, denn Entscheidungen waren hierarchisch getrieben und ignorierten Wahrnehmungen rangniedrigerer Besatzungsmitglieder.

Daraus entwickelte man das Crew Ressource Management, nach dem heute Cockpitbesatzungen der Airlines und Schockraumteams in Unfallkliniken weltweit arbeiten. Das Crew Ressource Management ist deshalb so erfolgreich, weil es viele nicht-technische Fähigkeiten bewusst schult. Dazu zählen eine enge Kooperation, eine situative Aufmerksamkeit und klare Kommunikationsregeln. Bekannt ist die „10 for 10“-Regel, nach der ein kurzes Brainstorming von 10 Sekunden einer Arbeit von 10 Minuten vorangeht. Besonders zivile Organisationen der kritischen Infrastruktur und Organisationen unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit könnten von diesem Umgang mit Stress aus der Luftfahrt und Notfallmedizin lernen.

Krisen vom Worst Case her denken

Ist eine Krise erstmal erkannt, sind wie im Rettungseinsatz Schnellig­keit und Präzision der Krisenkommunikation alles, um das Chaos zu lichten. In vielen Organisationen wendet sich die Führung – zuverlässig und immer – ad hoc bei besonderen ­Situationen an alle MitarbeiterInnen. Sie zeigt in einem emotionalen Umfeld Mitgefühl und gibt Orientierung. Dies ist nur nach penibler Vorbereitung möglich: Wer übernimmt im Ereignisfall mit welchen Ressourcen welche Aufgabe? Auf derartige Ereignisse nicht vorbereitet zu sein, ist keine Option für professionelles Arbeiten – weil sonst die Zeit davonrennt und nicht mehr einzufangen ist. Die meisten Ereignisse, die passieren können, müssen vorher durch gewissenhaftes Szenario-Management und Sensibilität für Veränderungen und schwelende Krisen als Extrem-­Szenarien abstrakt vorbereitet worden sein.

In der Vorbereitung plötzlicher Krisenszenarien lohnt sich wieder der Rückgriff auf Feuerwehren: Feuerwehren denken mögliche zukünftige Schadenslagen im Einsatzgebiet, aber auch mögliche Ereignisse im täglichen, taktischen Einsatzgeschäft immer strategisch vom Schlimmsten her. Das beruhigt: Denn wenn der Worst Case gedacht ist und allen Beteiligten bewusst ist, wie weit die eigenen Kräfte reichen, können kleinere Ereignisse daraus herunterdekliniert werden. Im Ereignisfall führt dies zu professioneller Gelassenheit: „Das, was hier passiert, ist seit langem ein mögliches abstraktes Szenario. Wir sind darauf vorbereitet und arbeiten das professionell ab.“

Für die Vorbereitung der Krisenkommunikation heißt das: Ich muss ad hoc möglichst rasch, unverwechselbar und nachhaltig der Öffentlichkeit den Standpunkt der eigenen Organisation mitteilen können. Hierdurch steuere ich und behalte das Gleichgewicht. Versuche zu vertuschen, zu verheimlichen oder zu verharmlosen schaden dabei. Im Idealfall kann weiteres Vertrauen aufgebaut werden. Wie bei einem Rettungseinsatz sind kurze Entscheidungsprozesse nötig, denn eine erste Kommunikation sollte nicht zu lange nach dem Ereignis auf sich warten lassen.

Die Krisenkommunikation an sich sollte die Situation anerkennen, Mitgefühl zeigen und klare Worte sprechen. Dabei werden nach Möglichkeit die folgenden Fragen beantwortet: Wann, was, wo, wie und warum ist etwas passiert? Der Sprecher muss nicht immer die Führung sein, sondern kann ein durch Erfahrung, Fachwissen und Ruhe sich auszeichnender Sprecher sein. Empathie ist wichtig.

Gestärkt hervorgehen

Professionelle Kommunikation ist im Krisenfall ein schnelles Mikado, das durch umsichtiges Handeln nicht außer Kontrolle gerät, sondern bei dem Deutungshoheit durch Vertrauen aufgebaut wird. Das ist keine einfache Aufgabe, sondern verlangt ein gesundes Maß an Professionalität, Talent und Gelassenheit. Um im Ereignisfall die nötige Autorität auszustrahlen, müssen Führungskräfte frühzeitig Vertrauen und Bekanntheit in der eigenen Organisation aufbauen, denn das ist dann ihr Kapital. Dabei kommt es auf das Tempo an, damit alle sofort wissen, welche Position die Führung vertritt.



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