Kommando Territoriale Aufgaben in bewegten Zeiten

Interview mit Generalmajor Carsten Breuer

Hans-Herbert Schulz

Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr

Zwei große Herausforderungen hat bisher das Jahr 2020 für die Bundeswehr bereitgehalten: Die erste größere Übung seit vielen Jahren mit der Verlegung alliierter Soldaten in und durch Deutschland (Stichwort: Drehscheibe Deutschland) und Hilfseinsätze im Rahmen der Pandemiebekämpfung. Zu beiden Themen sprach Crisis Prevention mit dem für die Steuerung und Durchführung verantwortlichen Komman­deur des Kommandos Territoriale Aufgaben (KdoTA), General­major Carsten Breuer, in Berlin.

CP: Welche ursprüngliche Zielsetzung wurde mit DEFENDER EUROPE 2020 verfolgt, und wie war der vorgesehene Umfang?

B.: Mit der Übung DEFENDER EUROPE 2020 gaben die USA ein deutliches Bekenntnis zur Sicherheit Europas, und gleichzeitig zeigte die Übung auch, dass europäische Partner gemeinsame Vorhaben verlässlich unterstützen und umsetzen. Mit der amerikanischen Übung sollte die schnelle Verlegbarkeit größerer Truppenteile über den Atlantik und durch Europa geübt werden. Nach den Erfahrungen der nunmehr fünften Rotation von Atlantic Resolve, bei der die Amerikaner bisher eine Brigade mit Fahrzeugen und Ausrüstung für einen Aufwuchs ihrer Streitkräfte an der Ostflanke der NATO verlegt hatten, sollte nun erstmals die Verlegung einer Division geübt werden. Mit allein schon 29.000 US-amerikanischen Soldatinnen und Soldaten wäre diese Verlegung mehr als fünfmal so groß wie die bisherigen Rotationen gewesen. Während die US-Streitkräfte einen Großteil der Verlegung ihrer Fahrzeuge, Geräte und Ausrüstung eigenständig ­organisierten, nutzten sie im Transitland Deutschland den sogenannten „Host Nation Support“ (HNS) und damit die Unterstützung durch die Streitkräftebasis (SKB).

Im Rahmen der Amtshilfe wurde auch Desinfektionsmittel angefertigt.
Im Rahmen der Amtshilfe wurde auch Desinfektionsmittel angefertigt.
Quelle: SKB Bw

CP: Wie sahen denn der bisherige Ablauf und die Unterstützungsleistungen Ihres Bereichs sowie der Personal- und Materialeinsatz durch die Bundeswehr aus?

B.: Die Bundeswehr hat Unterstützung an 13 Standorten bereitgestellt. Diese reichte von einfacher Unterstützung mit Parkflächen und Nutzung von Duschen und Toiletten in Kasernen bis hin zum Betrieb sogenannter Convoy Support Center (CSC) und Life Support Areas (LSA), wo Marschkolonnen betankt und Truppen verpflegt wurden, technische und sanitätsdienstliche Hilfe in Anspruch genommen wurde und übernachtet werden konnte. Zudem stand den US-Streitkräften der Truppenübungsplatz Bergen als Übungsraum zur Verfügung. Weiterhin hat die Bundeswehr logistische Transportunterstützung geleistet, eine mobile Tankstation für die Amerikaner betrieben und Feldjäger zur Unterstützung bei der Verkehrslenkung eingesetzt. Insgesamt waren so bis zu 400 Soldaten der Bundeswehr täglich mit Unterstützungsleistungen eingebunden.

CP: Host Nation Support umfasst ja insbesondere auch zivile Unterstützungsleistungen. Was bedeutete das denn im Rahmen dieser Übung?

B.: Im Rahmen von DEFENDER EUROPE 2020 wurden durch die Bundeswehr gewerbliche Leistungen wie z. B. Busanmietung, Bereitstellung von Zelten, mobilen Toiletten und Waschgelegenheiten sowie Bewachungs- und Reinigungsdienste koordiniert. Die Unterstützung durch Bund und Länder bezog sich im Schwerpunkt auf die Unterstützung durch die Polizei und die Bereitstellung von Rastmöglichkeiten für kurze Marschunterbrechungen (Rastplätze entlang der Autobahnen). Die US-Streitkräfte haben auch logistische Unterstützungsleistungen wie Bahntransporte, Transporte durch Speditionen, Busse oder mobile Beleuchtungseinrichtungen selbst angemietet.

CP: Eine Verlegeübung dieses Ausmaßes – mitten im Frieden – kann nur erfolgreich durchgeführt werden durch Zusammenarbeit aller zu beteiligenden Dienststellen auf allen Ebenen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, und können Sie Änderungsbedarf abschätzen für die Zukunft?

B: Die Zusammenarbeit mit den Behörden von Bund und Ländern funktionierte einwandfrei. Die gute Koordinierungsleistung unserer Landeskommandos hat sich ausgezahlt. Eine Auswertung der Übung mit den beteiligten Behörden ist aufgrund der Corona-Krise noch nicht erfolgt. Dies wird sobald als möglich aber erfolgen.

CP: Es wurden im größeren Umfang Leistungen der Deutschen Bahn und auch anderer Logistik-Dienstleistern in Anspruch genommen: Wie gestaltete sich diese Zusammenarbeit, und sehen Sie hier evtl. Handlungsbedarf für die Zukunft?

B.: Im Rahmen von DEFENDER EUROPE 2020 haben wir erstmalig auch wieder die direkte Zusammenarbeit mit der DB im Rahmen einer Übung erlebt. Diese Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert und wird bei ähnlich gelagerten Vorhaben in der Zukunft zunächst von uns wieder so angestrebt.

CP: Es gab verschiedentlich Kritik, dass eigentlich das „Falsche“ geübt würde. Dahinter stand die Auffassung, dass dann, wenn tatsächlich die Verstärkungskräfte zu einem „echten“ Einsatz gebraucht würden, die beteiligten Bw-Kräfte sich auf ihren eigenen Einsatz vorzubereiten hätten und deswegen gar nicht zur Verfügung gestellt werden könnten. Ist das Ganze mehr als eine sicherheitspolitische Demonstration? Welche Kräfte könnten (wann?) für die "Drehscheibenfunktion Deutschlands“ zur Verfügung stehen?

B.: Von „falsch üben“ kann nicht die Rede sein. Fakt ist, dass uns begrenzte Ressourcen, und das „Single Set of Forces“ dazu zwingen, Aufgaben wie die Unterstützung der Übung DEFENDER EUROPE 2020 mit freien Kapazitäten zu unterstützen. Wir halten keine Kräfte „extra“ für Host Nation Support bereit. Die militärischen Unterstützungskräfte der Bundeswehr werden jeweils nach Verfügbarkeit zum Zeitpunkt des Bedarfs geplant und eingesetzt. Fallen Kräfte aufgrund anderer Aufträge weg, dann muss eine alternative Lösung greifen. Diese kann zivil oder gewerblich sein, oder die Gaststreitkräfte sind selbst in der Lage, diese einzelne Leistung zu erbringen. Das alles fordert eine hohe Flexibilität und Reaktionsfähigkeit und wird durch das KdoTA koordiniert. Wie kann man besser üben – und auch noch das Richtige unter erschwerten Rahmenbedingungen?

CP: Die zweite große Herausforderung, die ja den vorzeitigen Abbruch der Übung DEFENDER EUROPE 2020 zur Folge hatte, war der Ausbruch der Corona-Pandemie kurz nach Anlaufen der Übung. Unseres Erachtens wird dabei ein Problem deutlich: Wie kann die Bundeswehr unterstützen bei zeitgleichem Auftreten großer Herausforderungen. Wie sieht es dann mit der Resilienz aus?

B.: Die Schnelligkeit der Hilfeleistung, sowohl das Aufstellen des von der Ministerin angekündigten Kontingents als auch die Geschwindigkeit in der Amtshilfe hat – so glaube ich – ein identisches Bild gezeichnet: Wenn die Bundeswehr gebraucht wird, steht sie auch zur Verfügung. Mit allem, was sie hat. Das konnten wir und das können wir. Und damit sind wir Teil der gesamtstaatlichen Resilienz. Mehr als das können und dürfen wir niemals sein, denn Resilienz ist immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

CP: Wie sieht die aktuelle Unterstützungsleistung (Amtshilfe) in Sachen Corona-Krise aus?

B.: Bis Anfang Juni wurden knapp 600 Anträge zur Unterstützung an die Bundeswehr gestellt. Etwas mehr als die Hälfte davon wurden positiv beschieden. Die Bundeswehr stellt dem Nationalen Territorialen Befehlshaber, Generalleutnant Schelleis, 15.000 Soldaten zur Verfügung, weitere 17.000 Soldaten kommen aus dem Sanitätsdienst. Einmal im Einsatz, werden diese Kräfte dann durch das KdoTA taktisch geführt. Der Schwerpunkt der Amtshilfeanträge lag zu Beginn der Pandemie bei der Bereitstellung von Sanitätspersonal und -material. Jetzt werden vermehrt „helfende Hände“ beantragt. „Helfende Hände“ unterstützen zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen das eingesetzte Pflegepersonal, um in der täglichen Arbeit zu entlasten. Daneben sind Soldaten in Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt.

Im Laufe der Zeit stieg die Anzahl der Anträge auf Hilfeleistungen in Gesundheitsämtern. Dort sollen durch Datenerhebungen Infektionsketten besser nachverfolgt und somit unterbrochen werden. Hier sind die Soldaten auf Maßnahmen ohne hoheitliche Zwangs- und Eingriffsbefugnisse beschränkt – so werden zum Beispiel Quarantänemaßnahmen unverändert durch Personal der Gesundheitsbehörden angeordnet.

CP: Kann man aus den bisherigen Hilfeleistungen bereits erste Erkenntnisse ableiten, was die Zusammenarbeit angeht? Wo liegen Herausforderungen in der Praxis, was funktioniert gut?

B.: Die Verfahren der Zivil-militärischen Zusammenarbeit sind institutionalisiert und gut eingespielt. Wir konnten in den letzten Jahren bei Hochwassern, bei Waldbränden, bei kritischen Schneelagen und bei anderen Gelegenheiten sowie im Rahmen von gemeinsamen Übungen viel Erfahrung sammeln und die Abläufe bei der Hilfeleistung beständig weiterentwickeln. Kurzgefasst: Wir haben ein hohes Maß an Effektivität und Effizienz erreicht. Das kann aber auch noch besser werden und diesen Anspruch haben wir. Großes Potenzial sehe ich in den Möglichkeiten der Digitalisierung. Ein gemeinsamer Informationsraum, standardisierte Informationsaustauschverfahren, technische Kompatibilität sind Bausteine dafür, sich schneller und sicherer gegenseitig zu informieren, zu beraten und zu Entscheidungen zu gelangen. Das KdoTA hat, beauftragt durch den Inspekteur SKB, ein entsprechendes Projekt in Zusammenarbeit mit dem Planungsamt der Bundeswehr gestartet, mit dem die Digitalisierung im territorialen Netzwerk vorangetrieben werden soll und die Integration ziviler Partner von Anfang an mitgedacht und –entwickelt wird.

CP: Die Bundeswehr steht im Rahmen der Pandemie verstärkt in der Öffentlichkeit und wird sehr positiv wahrgenommen. Wie könnte man diesen Eindruck in die Zeit „nach der Krise“ mitnehmen?

B.: Die positive Wahrnehmung kann ich nur bestätigen. Ich erfahre sie häufig hautnah, wenn ich die Truppe im Hilfeleistungseinsatz besuche und auf Bürgermeister, Landräte, Vertreter von Hilfsorganisationen und andere mehr treffe, die mir versichern, dass diese Einsätze eine echte Entlastung bringen und in ihrer Reaktionsschnelligkeit und Zuverlässigkeit einen besonderen Mehrwert darstellen. Ich bin überzeugt davon, dass sich der Eindruck „Die sind schnell da, sind flexibel und zuverlässig – auf unsere Truppe kann man zählen“ halten wird. Die Bundeswehr wird vor Ort hautnah positiv erlebbar – und das geht über bloße Schlagzeilen hinaus. Ich denke schon, dass sich viele Bürger an das Bild der Krisenkompetenz ihrer Bundeswehr erinnern werden. Und – leider – ist „nach der Krise“ auch immer „vor der Krise“, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Bilder von Bw-Hubschraubern im Löscheinsatz oder schneeschaufelnder Truppe über kurz oder lang unsere Hilfeleistung wieder in Erinnerung rufen. Oder ganz konkret: Wer dieser Tage in Rheinland-Pfalz oder Sachsen einen Waldspaziergang macht, trifft möglicher Weise auf Soldaten, die bei der Bekämpfung der Borkenkäferplage zur Rettung unserer Wälder unterstützen.

Im territorialen Bereich müssen wir sehr flexibel sein; wir tanzen ganz häufig auf mehreren Hochzeiten. Unser Schwerpunkt ist zurzeit die Bekämpfung der Corona-Pandemie – mit allen Kräften und Mitteln – und damit die Unterstützung der Bürger in einer der schwersten Krisen in Deutschland.

CP: Herr General Breuer, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

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