In Europa treten täglich Erdbeben auf. Im Juli 2019 wurden nicht weniger als 27 Erdbeben der Größenordnung 4 bis 5 registriert, die meisten davon in Südosteuropa. Zur Stärkung des Krisenmanagements führte das EU-Projekt DRIVER+ (Driving Innovation in Crisis Management for European Resilience) vom 12. bis 14. September 2019 in der Region Eisenerz/Österreich eine umfangreiche Katastrophenschutzübung durch.
Dabei wurde der Einsatz innovativer Entwicklungen und Technologien anhand eines Erdbebenszenarios getestet und von Experten bewertet. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) stellte insbesondere Echtzeitaufnahmen aus der Luft zur Verfügung, um bei der Lageerfassung und Rettungslogistik entscheidend zu unterstützen.
Unbemannte Aufklärung aus der Luft
Echtzeitaufnahmen aus der Luft können einen wesentlichen Beitrag liefern, um die Situation vor Ort nach einer Katastrophe schnell und präzise zu erfassen und so Hilfseinsätze zielgerichtet zu planen. Besonders der Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge (UAS) hat sich hierfür bewährt, da auch schwer zugängliche Gebiete überflogen werden können, ohne dabei Einsatz- oder Rettungskräfte zu gefährden. An diesem Punkt setzen die Arbeiten des DLR an.
Zur Demonstration des UAS-Einsatzes für den Katastrophenschutz im kontrollierten Luftraum kam das Forschungsflugzeug Do-228 D-CODE als UAS-Demonstrator zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um eine modifizierte Dornier Do-228, die mittels eines neuartigen digitalen Autopiloten über einen Datenlink wie ein unbemanntes Luftfahrzeug ferngesteuert wurde. Zwei Testpiloten und ein Flugversuchsingenieur der DLR-Flugexperimente waren zur Überwachung an Bord und haben die Flugsicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet.
Von der Karte in die Luft
Einsatzleiter am Boden können Interessengebiete auf einer Karte identifizieren, markieren und als Anforderung an das unbemannte Luftfahrzeug senden. Diese Anforderung wird dann in Echtzeit unter Beachtung von aktuellen Rahmenbedingungen (u.a. Umgebungsverkehr, Wetter, Sichtbedingungen, Missionsziel) in eine Flugtrajektorie übersetzt und von dem UAS automatisch abgeflogen.
"Ein bedeutender Beitrag der Luftfahrtforschung nicht nur zur Demonstration der Fähigkeiten von UAS, sondern auch ein weiterer Schritt in Richtung der sicheren und effizienten Integration von UAS in den allgemeinen Luftraum", sagt Christian Niermann, der als Projektleiter die DLR-Anteile in DRIVER+ koordiniert.
80 Quadratkilometer in zehn Minuten
Die Flug- und Missionsplanung des Flugzeuges erfolgte dabei durch die am DLR-Institut für Flugführung in Braunschweig entwickelten Bodenkontrollstation UFly für unbemannte Luftfahrzeuge. Das DLR-Forschungsflugzeug D-CODE wurde für DRIVER+ mit dem speziell für Katastrophenschutzeinsätze konzipierten 3K Kamerasystem des DLR-Instituts für Methodik der Fernerkundung (IMF) ausgestattet.
Mittels dieses Kamerasystems kann das Forschungsflugzeug ein 80 Quadratkilometer großes Gebiet in etwa zehn Minuten erfassen, georeferenzierte Luftbilder erstellen und die Ergebnisse über eine Datenlinkverbindung zu der Bodenkontrollstation übertragen. Während der Übung wurden auf diese Weise im Rahmen mehrerer Flüge Luftbilder aufgenommen. Diese standen jeweils innerhalb weniger Minuten den Einsatzkräften vor Ort zur Schadenserfassung, der Koordination von Rettungskräften, sowie der Suche nach Verletzten und Vermissten zur Verfügung.
Die erfassten Daten wurden auch an das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) weitergeleitet. Das ZKI erstellte Karten zur Interpretation der Daten sowie zum einfachen Austausch der Informationen. Hierfür wurden die Luftbilddaten aufbereitet und mit weiteren Geodaten kombiniert, um sowohl die Einsatzkräfte vor Ort als auch deren Leitstellen bei ihrer Arbeit umfassend zu unterstützen.
Während der Katastrophenschutzübung konnten neben hochaufgelösten Detailkarten auch interaktive 3D Darstellungen erstellt werden. Solche 3D-Ansichten sind insbesondere in anspruchsvollem Gelände, wie in der Region Eisenerz, von großer Bedeutung, da sowohl potenzielle Gefahrenpunkte erkannt als auch Geländeveränderungen festgestellt werden.
Das Projekt DRIVER+
DRIVER+ (Driving Innovation in Crisis Management for European Resilience) ist ein von der EU finanziertes Projekt, das die Akteure des Krisenmanagements dabei unterstützt, die bestmöglichen Wege zur Bewältigung von Katastrophen zu finden. Insgesamt finden während der Projektlaufzeit vier Trials und eine abschließende Demonstration statt. Beteiligt sind unterschiedliche Akteure des Krisenmanagements, die verschiedene innovative Lösungen identifizieren, ausprobieren und bewerten.
Dazu wurde eine Reihe von vorab identifizierten Anforderungen definiert, die es zu lösen bzw. zu erfüllen gilt. Nach drei Großversuchen (Trials) in Polen, Frankreich und den Niederlanden war der jetzige in Österreich nun der vierte und letzte des Projekts vor der abschließenden Demonstration. DRIVER+ wird aus dem siebten Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union unter der Nummer 607798 gefördert.
Der Pilotversuch
Der Schwerpunkt des Großversuchs in Österreich lag in der Ermittlung und Erprobung von Lösungen zur Überwindung möglicher Defizite bei der Steuerung und Begleitung von Freiwilligen. Diese werden in Bezug auf deren aktuellen Standort, Aufgabenstellung, Fähigkeiten und Dauer der Einsätze genauer untersucht.
Außerdem sollte aber auch die Möglichkeit, unterschiedliche Datenquellen in Echtzeit (z. B. Visualisierung von Ressourcen, taktische Situation, kritische Asset-Karten, beschädigte Objekte/Infrastruktur usw.) zusammenzuführen untersucht werden, um die Entscheidungsfindung des Einsatzleiters zu unterstützen und den Austausch krisenbezogener Informationen zu vereinfachen.
Das simulierte Szenario
Im Szenario wurde der zentrale Teil Österreichs von einem schweren Erdbeben und nachfolgenden starken Regenfällen heimgesucht. Die Region Eisenerz (Steiermark) wurde in hohem Maße von Vermissten, Verletzten, eingestürzten Gebäuden, blockierten Straßen und gefährdeten Industriebetrieben betroffen. Die Bewohner verließen ihre Häuser und mussten aus Angst vor Nachbeben und aufgrund des Fehlens von temporären Unterkünften und blockierten Straßen tagelang im Freien bleiben. Es kam zu einer Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Nahrung, der Bereitstellung von Unterkünften, Transport sowie der medizinischen Versorgung. Ebenso waren die Strom- und Mobilfunknetze schwer beeinträchtigt.
Alle lokalen und nationalen Einsatzstellen (Rotes Kreuz, Feuerwehr, Polizei und Bundesheer) waren vor Ort im Einsatz. Aufgrund der raschen Ausweitung des betroffenen Gebiets und der bereits gebundenen nationalen Einsatzkapazitäten wurde das Katastrophenschutz-Verfahren der Europäischen Union aktiviert. Internationale Hilfe wurde angefordert, um durch die Bereitstellung von medizinischen Behandlungen, von Wasseraufbereitungsanlagen sowie bei Such- und Rettungsaktionen zu unterstützen.
Aufgrund der Schwierigkeiten beim Zugang zum betroffenen Gebiet und der verschiedenen Auswirkungen der Katastrophe bestand ein dringender Bedarf an humanitärer Hilfe und einer Fernerkundung der Lage. Eine große Anzahl von Freiwilligen und Rettungsgeräten wurden benötigt, um mit der steigenden Zahl der Betroffenen fertig zu werden.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Falk Dambowsky, Presseredaktion
Christian Niermann, Pilotenasistenz
Dr. rer.nat. Nina Merkle, Photogrammetrie und Bildanalyse
Schröter Elisa, Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum
Sfefan Schröder, Projektmanagement Flugexperimente