In einer gemeinsamen Pressekonferenz haben der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, und der stellvertretende Kommandierende General USAREUR (US-Army Europe), Generalmajor Andrew M. Rohling, in Berlin Anfang des Jahres die Übung Defender Europe 20 vorgestellt. Zweck dieser Übung, die mit insgesamt 37.000 Teilnehmern, davon 20.000, die aus den USA nach Europa verlegt werden, die in dieser Größenordnung erstmals seit 25 Jahren durchgeführt wird, ist der Nachweis, dass das Bündnis in der Lage ist, starke militärische Kräfte schnell in Europa verlegen zu können.
Mit insgesamt 18 teilnehmenden Nationen sollen von der Übung angesichts der Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa deutliche Signale der Abschreckung von Übergriffen auf NATO-Staaten ausgehen. Die Übung findet in voller Übereinstimmung mit den Rüstungskontrollverträgen statt, internationale Beobachter sind eingeladen.
Deutschland kommt als zentraleuropäischem NATO-Staat bei der Bündnisverteidigung die Rolle einer strategischen "Drehscheibe" zu. Mit der Unterstützung bei der Verlegung vor allem des US-Militärs mit umfangreichen Kräften der Bundeswehr, aber auch mit dem Einsatz der Polizeien und weiteren "Blaulicht"- und Hilfsorganisationen, sowie Behörden und ziviler Logistik will Deutschland dabei auch demonstrieren, dass es seiner Verantwortung gegenüber dem Bündnis gerecht werden will.
Daten und Fakten
Soldaten aus 18 Nationen sind an US Defender 20 und den angelehnten nationalen Übungen in Deutschland, Polen, Litauen, Lettland, Estland und Georgien beteiligt, davon werden ca. 20.000 Soldaten (etwa in Stärke einer Division) nach Europa kommen. Dazu gehört der Transport von vielen tausend Ladungsstücken (Container und Fahrzeuge) nach und insbesondere durch Deutschland. Die Transporte gehen aus den USA zu den Nordseehäfen in Belgien, den Niederlanden und Deutschland, von dort zu den Übungsorten in Europa.
Aus deutscher Sicht lässt sich US Defender Europe 2020 in drei Abschnitte einteilen:
- Verlegung von Ende Januar bis Anfang Mai 2020,
- dabei Verlegung von eingelagertem US-Material aus Depots in Deutschland und Belgien
- Verlegung von US-Personal und Material von den Seehäfen und Flughäfen auf die Truppenübungsplätze in Bergen und Grafenwöhr, sowie in Polen und Litauen
- Verlegung von Truppenteilen der Bundeswehr auf Übungsplätze, ebenfalls nach Bergen, Grafenwöhr, Litauen und Polen.
- Verlegung von italienischen und dänischen Kräften auf den Truppenübungsplatz Bergen
- Teilnahme an Übungen von Ende April bis Ende Mai 2020 auf den jeweiligen Truppenübungsplätzen
- Rückverlegung von Mitte Mai bis Juli 2020
Unterstützungsleistungen der Bundeswehr
Das Kommando Streitkräftebasis setzt in Spitzenzeiten 1.500 Soldatinnen und Soldaten für vielfältige Unterstützungsleistungen ein. Dazu zählen der Betrieb einer "Live Support Area" in Garlstedt mit Übernachtungsmöglichkeiten, sanitätsdienstlicher Versorgung, Feldjägern, Absicherung und Bewachung für bis zu 1.800 Personen; der Betrieb von zwei Convoy Support Centers zur Unterstützung der US-Straßenkonvois in Burg bei Magdeburg und auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz mit Betriebsstoffversorgung und sanitätsdienstlicher Versorgung, Absicherung und Bewachung.
Bemerkenswert ist, dass das international besetzte "Regional Movement Coordination Center" zur Steuerung aller US-Marschbewegungen von deutschem Personal geführt werden wird. Darüber hinaus werden ein Verkehrsleitnetz durch Feldjägerkräfte, Bereitstellung von Betankungskapazität, Schwerlasttransport von ca. 500 Kettenfahrzeugen und schweren Pioniermaschinen von der Eisenbahnrampe in Bergen-Hohne zum Lager Fallingbostel gehören, sowie die Durchführung von Containerumschlag in Deutschland und Polen und die Bereitstellung des Truppenübungsplatzes Bergen für Schieß- und andere Übungsvorhaben.
Neben diesen Unterstützungsleistungen wird die Bundeswehr mit bis zu 4.000 Soldaten als Übungstruppe in Deutschland, Polen und Litauen an der Übung beteiligt sein. Auf der Pressekonferenz wurde betont, dass die Marschbewegungen hauptsächlich nachts und in kleinen Kontingenten durchgeführt werden sollen, um die Beeinträchtigung des Verkehrs möglichst gering zu halten.
Kurz-Interview mit GL Schelleis, 14.01.20, in Berlin, JLK
CP: Unsere Leserschaft ist an Fragen gesamtstaatlicher Sicherheitsvorsorge und in diesem Zusammenhang auch an zivil-militärischer Zusammenarbeit interessiert. Sie haben den "Bündnisfall im Frieden" als die gegenwärtig größte Herausforderung bezeichnet, und genau darum geht es ja im Grunde bei dieser Übung. Können Sie kurz schildern, was die größten ressortübergreifenden Herausforderungen bei der Vorbereitung dieser Übung waren?
Schelleis: Wir haben erstaunlich wenig an Friktionen erlebt, vielmehr gab es eine große Bereitschaft auf der zivilen Seite, bei den Akteuren der ZMZ, bei den BOS, diese Herausforderungen anzunehmen. Für viele war es auch eine neue Dimension, die möglichen Gefährdungen in den Blick zu nehmen, die durch militärische Aktionen dieser Art hervorgerufen werden können und zu berücksichtigen, was aus militärischer Sicht alles passieren kann. Insofern ist es auch eine gute Übung für die zivile Seite, das Bedrohungsspektrum einordnen zu können.
CP: Gibt es denn bereits jetzt schon Schlussfolgerungen für die Zukunft, erkennbaren Änderungsbedarf, oder ist das zu früh?
Schelleis: Das Bessere ist der Feind des Guten. Ich will nicht in Anspruch nehmen, dass wir alles ganz toll gemacht haben, wir begleiten das natürlich auch mit einer professionellen Übungsauswertung, und da kommt schon eine Fülle von Punkten zusammen. Aber bis jetzt gibt es nichts, von dem ich sagen müsste, das haben wir grandios falsch gemacht.
CP: Sie haben ja an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass die "Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung" aus dem Jahr 1988 stammt, und dass uns in der Zwischenzeit viele Fähigkeiten abhandengekommen sind, die wir jetzt wieder üben müssen. Sie hatten auch schon einmal erwähnt, dass möglicherweise unter den heutigen Bedingungen Gesetze geändert werden müssten. Können Sie uns einen Hinweis geben, was man möglicherweise beim rechtlichen Rahmen oder bezogen auf Verordnungen im gesamtstaatlichen Interesse machen müsste?
Schelleis: Wir sammeln jetzt Erfahrungen. Aber eine erste Idee haben wir schon, was den Einsatz von Reservisten angeht. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Einsatz in Zukunft nicht unbedingt an den Bündnis- bzw. Verteidigungsfall gekoppelt sein muss, sondern dass man vielmehr ein Rechtskonstrukt schafft, das die Einberufung von Reservisten auch unterhalb dieser Schwelle ermöglicht. Das Gleiche gilt für Leistungsgesetze, wenn wir kritische Infrastrukturen und kritische logistische Leistungen brauchen oder auch Vorrangrechte für den Transport von Militärgütern. Alles das sollte möglich sein unterhalb einer Schwelle des Spannungs- oder Verteidigungsfalles.
CP: Abschließend interessiert uns, für wie wahrscheinlich halten Sie den "Bündnisfall im Frieden", ich meine, dass Deutschland unter Friedensbedingungen zu Hause Bündnisverpflichtungen an der Peripherie nachkommen muss?
Schelleis: Ich hoffe, wenn wir in einer so schwierigen Situation - mit erheblichen militärischen Kräften nicht nur selbst beteiligt zu sein, sondern auch Bündnispartner unterstützen zu müssen, dass dann der Bundestag schnell eine entsprechende Entscheidung trifft.
CP: Herzlichen Dank und viel Erfolg!
Mehr zum Thema erfahren Sie in der Ausgabe 2/2020 der CRISIS PREVENTION.
Interview geführt von Hans-Herbert Schulz
Crisis Prevention