02.03.2020 •

Auf einem guten Weg – das Deutsche Rote Kreuz

Das Deutsche Rote Kreuz ist mit Abstand die größte deutsche Hilfsorganisation, Teil der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung und einer der großen Wohlfahrtsverbände hierzulande. In Deutschland arbeiten 177 000 Menschen hauptamtlich für das DRK, dazu kommen über 435 000 Ehrenamtliche und fast drei Millionen Fördermitglieder. Das Engagement der Organisation für den bedürftigen Menschen ohne Anschauung seiner Person, seiner Religion, seiner Hautfarbe – neutral und unparteiisch – ist geradezu sprichwörtlich. Das Rote Kreuz ist in der Tat unverzichtbar. Wir durften die Präsidentin Gerda Hasselfeldt interviewen und sprachen mit ihr über aktuelle Themen, über Vorbereitung auf Krisen, Probleme bei der Ehrenamtlichkeit, über die Zukunft ihrer Organisation und über vieles mehr.

DRK-Präsidentin, Gerda Hasselfeldt
DRK-Präsidentin, Gerda Hasselfeldt
Quelle: Beta Verlag GmbH

CRISIS PREVENTION: Herzlichen Dank, Frau Hasselfeldt, dass Sie sich Zeit nehmen für unser Interview. Beginnen wir mit ein paar kurzen Angaben zu Ihrer Biographie. Seit wann sind Sie DRK-Präsidentin, und was haben Sie in dem Leben davor gemacht?

GERDA HASSELFELDT: Ich wurde gewählt am 1. Dezember 2017 und war von 1987 bis 2017 Mitglied im Deutschen Bundestag, unter anderem Bundesministerin für Gesundheit, zuletzt dann Landesgruppenvorsitzende der CSU-Abgeordneten. Davor hatte ich nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre bei der heutigen Bundesagentur für Arbeit als Abteilungsleiterin gearbeitet und habe so Verwaltungserfahrung erworben: in den Tätigkeiten des Bundestages an ganz verschiedenen Stellen, in der Sozialpolitik, in der Finanzpolitik, in der Kommunalpolitik, Landwirtschaftspolitik – ein weites Feld. Das alles hat mir sehr viel Freude gemacht. Dann habe ich nach 30 Jahren Parlamentstätigkeit für mich entschieden, dass ich damit aufhören möchte, wenn noch einige Leute sagen: Das ist schade, dass du gehst. Anschließend begann mein ehrenamtliches Engagement für das Deutsche Rote Kreuz, das mich zwar zeitlich stark beansprucht, das aber auch viel Erfüllung und Freude bereitet, weil es in meinen Augen eine sehr sinnvolle Tätigkeit ist.

CP: Das Deutsche Rote Kreuz blickt auf eine lange Tradition zurück und ist die größte unter den Hilfsorganisationen. Worin unterscheidet es sich von den anderen Hilfsorganisationen?

GERDA HASSELFELDT: Es gibt viele Punkte, wo wir uns von anderen Hilfsorganisationen unterscheiden. Das eine ist die internationale Einbindung. Wir gehören zur großen internationalen Familie der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, in der weltweit 191 nationale Gesellschaften tätig sind. Wir selbst sind als Deutsches Rotes Kreuz in mehr als 50 Ländern aktiv. Ein zweiter Punkt ist die Stellung des Deutschen Roten Kreuzes als anerkannte nationale Hilfsgesellschaft. Es gibt ein eigenes DRK-Gesetz, in dem festgelegt ist, dass wir die nationale Hilfsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sind, Partner für den Staat in humanitären Angelegenheiten. Wir verpflichten uns, humanitäre Hilfe im Land zu leisten, haben das beispielsweise bei der Flüchtlingskrise 2015 auch unter Beweis gestellt. 

Daraus ergibt sich auch unsere besondere Stellung im Bevölkerungsschutz und Rettungsdienst, weil wir hauptamtlich und ehrenamtlich diese Tätigkeiten ausfüllen. Zwar ist die Verbindung von Hauptamt und Ehrenamt in anderen Organisationen auch vorhanden, aber nicht in dieser Größenordnung: Wir verfügen über 435 000 Ehrenamtliche im Deutschen Roten Kreuz. Und wir sind in vielen Bereichen vertreten mit Wasserwacht, Bergwacht, den Bereitschaften, der Wohlfahrts- und Sozialarbeit sowie dem Jugendrotkreuz als eigenständigem Jugendverband – und das fast ausschließlich mit Ehrenamtlichen. So können wir eine flächendeckende Versorgung sicherstellen. Wir sind in föderalen Strukturen organisiert, nicht zentralistisch. Wir sagen nicht von Berlin aus den Organisationen vor Ort, wie sie es machen sollen. Wir geben zwar Hilfestellung, aber die fast 500 Kreisverbände und rund 4 500 Ortsvereine sind rechtlich und ökonomisch selbstständig. Sie haben die Möglichkeit, kreativ bei sich das zu tun, was vor Ort notwendig ist – und das unterscheidet sich meist von Landkreis zu Landkreis. Dieses föderale Prinzip empfinde ich als großen Reichtum.

CP: Gibt es einen Bereich, von dem Sie sagen, das macht mir besonders Freude, das macht mich besonders stolz? Oder gibt es umgekehrt Gebiete, die Ihnen Sorgen machen?

GERDA HASSELFELDT: Wichtige Aufgabenfelder des Deutschen Roten Kreuzes sind der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, die Sozialarbeit, die Krankenpflege, der Suchdienst, die internationale Hilfe, der Rettungsdienst und das Blutspendewesen. Es gibt einige Bereiche, in denen wir aufgrund der aktuellen Entwicklung der Gesellschaft verstärkten Handlungsbedarf sehen. Insbesondere gibt die demografische Entwicklung Anlass zur Sorge. Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunimmt. Das bringt mit sich, dass wir bei den Pflegekräften einen wachsenden Bedarf haben, der bereits jetzt nicht überall gedeckt werden kann. Wir beobachten beispielsweise, dass manche ambulante Pflegestationen oder Abteilungen in Pflegeheimen mangels Fachkräften reduziert oder sogar geschlossen werden. Wir müssen zweitens davon ausgehen, dass sich durch die geänderten gesellschaftlichen Bedingungen, zum Beispiel die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen, auch im Ehrenamt einiges ändert. Aber die demografische Entwicklung hat auch gute Seiten. Es gibt ein wachsendes Potenzial an Ehrenamtlichen unter den Älteren, weil viele Senioren noch rüstig sind und nach der Berufstätigkeit etwas Sinnvolles tun wollen. Sie für ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen, sehen wir als besondere Aufgabe.

Eine weitere Herausforderung ist, stets gut vorbereitet zu sein auf Naturkatastrophen, Cyberangriffe und ähnliche Bedrohungen unsere Gesellschaft. Aus den Erfahrungen der Flüchtlingskrise wissen wir, dass es erheblicher Anstrengungen bedarf, zum Beispiel Zelte, Feldbetten, Nahrungsmittel, Medikamente und anderes in ausreichender Zahl vorzuhalten. Bis zum Ende des Kalten Krieges Anfang der neunziger Jahre existierte das noch, heute weitgehend nicht mehr.

CP: Inzwischen gibt es zu diesem Themenbereich die Konzeption Zivile Verteidigung, vorgestellt durch den damaligen Innenminister de Maizière. Sie zog in der Öffentlichkeit eher negative Reaktionen nach sich. Wie würden Sie die Bürger am besten erreichen, damit sie selbst private Vorsorge für den Ausfall von Versorgungssystemen treffen?

GERDA HASSELFELDT: Es gibt da sicher kein Patentrezept. Wichtig ist meiner Meinung nach, dass der Staat besser vorsorgt, die Politik eine Vorbildfunktion übernimmt und zeigt: Wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit die Bevölkerung auch in Krisensituationen geschützt ist. Dann fällt es sicher leichter, auch die Bürger selbst aufzurufen, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Es muss dabei darum gehen, deutlich zu machen, dass heute andere Herausforderungen zu bewältigen sind als in den achtziger und neunziger Jahren. 

Es geht im Moment nicht primär darum, dass wir mit einem Krieg auf deutschem Boden zu rechnen haben - auch wenn zum Beispiel Anschläge nicht ausgeschlossen werden können. Wir werden im Zuge des Klimawandels auch bei uns in Deutschland immer stärker durch Extremwettersituationen, durch Überschwemmungen oder durch Erdrutsche mit Ereignissen konfrontiert, die schnelles Helfen erfordern. Wir müssen uns auch auf mögliche Cyberangriffe auf unsere Infrastruktur vorbereiten. In Privathaushalten könnten dadurch die komplette Strom- oder Wasserversorgung ausfallen. In Krankenhäusern wären lebenserhaltende Maßnahmen gefährdet. Ich denke, Staat und Bürger müssen gemeinsam ihren Beitrag leisten.

CP: D. h., Sie glauben, dass der Staat für solche eben angeführten Fälle nicht genügend vorbereitet ist. Könnten Sie das an konkreten Punkten erläutern?

GERDA HASSELFELDT: Wir hatten bis Anfang der neunziger Jahre eine sogenannte Bundesvorhaltung für Krisen und Katastrophenfälle mit Hilfsgütern. Das ist dann im Einvernehmen mit der Politik, der öffentlichen Meinung und den Hilfsorganisationen weitgehend aufgelöst worden. Man dachte, der Kalte Krieg sei vorbei, andere Gefahren hatte man weitgehend nicht auf der Agenda. Mittlerweile denken viel darüber wieder anders. Im Allgemeinen sind wir nach jetzigem Stand nicht besonders gut auf Krisen vorbereitet.

Zusammen mit den anderen Hilfsorganisationen in Deutschland hat das DRK deshalb federführend Vorschläge erarbeitet, die für solche Krisenfälle auch die Bundesvorhaltung als Ergänzung zum Katastrophenschutz der Länder wieder vorsieht. Das Konzept steht nun seit etwa zwei Jahren, wurde dann diskutiert mit den Ländern, im parlamentarischen Bereich, mit den Vertretern auf Bundesebene, auch dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und dem Bundesinnenministerium. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat jetzt 23,5 Millionen Euro zur Unterbringung und Versorgung von 5 000 Menschen in Krisenfällen im Rahmen des Konzepts Zivile Verteidigung bewilligt. Das ist ein guter Anfang. Ich habe immer dafür gekämpft, dass man dieses für viele unangenehme Thema „Vorbereitung auf Krisen und Katastrophen“ auf allen Ebenen voranbringt.

CP: Bei der Ehrenamtlichkeit ist insgesamt nach allgemeinem Konsens ein Rückgang festzustellen. Wie steuern Sie dagegen?

GERDA HASSELFELDT: Wir beobachten das so pauschal nicht und haben in den letzten Jahren sogar eine Zunahme ehrenamtlicher Helfer verzeichnet. Das führen wir, nicht ausschließlich, aber auch, auf das große Engagement von Menschen während der Flüchtlingskrise zurück. Viele von diesen, die damals spontan geholfen haben, sind heute nicht nur in der Integrationsarbeit mit Flüchtlingen, sondern auch in anderen Bereichen des Roten Kreuzes aktiv, weil sie gesehen haben, wie bei uns gearbeitet wird. Das ist eine grundsätzlich erfreuliche Entwicklung. Wir stellen aber fest, dass mit dieser ehrenamtlichen Tätigkeit nicht unbedingt auch eine langfristige Bindung an die Organisation vorhanden ist. Das gilt nicht nur für uns, sondern für viele Großorganisationen und Vereine. Heute engagiert man sich eher projektgebunden für bestimmte Tätigkeiten, nicht ein ganzes Leben lang, sondern bewusst für eine bestimmte Zeit. 

Dieser Entwicklung müssen die Organisationen Rechnung tragen mit entsprechenden Angeboten. Es gibt aber auch immer noch den Helfer, für den die DRK-Mitgliedschaft in gewisser Weise Heimatcharakter hat. Wir müssen beides anbieten. Speziell für Jugendliche und junge Erwachsene plädiere ich außerdem für einen Rechtsanspruch auf den Bundesfreiwilligendienst als ideale Gelegenheit, eine Hilfsorganisation von innen kennenzulernen und sich dann später weiter zu engagieren. Wir haben beispielsweise beim Deutschen Roten Kreuz mehr als doppelt so viele Bewerbungen wie vorhandene Plätze beim Bundesfreiwilligendienst und beim Freiwilligen Sozialen Jahr. Da wäre noch großes Potential. Deshalb meine ich, ein Rechtsanspruch auf den Freiwilligendienst mit einer Erhöhung der Attraktivität des Dienstes, beispielsweise einer Anerkennung in der Rentenversicherung, wäre etwas, was das Ehrenamt in der Gesellschaft insgesamt stärken könnte.

CP: Ich würde gern mit Ihnen einen Blick in die Zukunft werfen: Wie könnte das Deutsche Rote Kreuz in zehn Jahren aussehen? Gibt es geänderte Anforderungen, wird es vielleicht noch internationaler als heute werden, könnten Naturkatastrophen einen größeren Raum einnehmen?

GERDA HASSELFELDT: Wir führen derzeit einen Diskussionsprozess über die Zukunftsstrategie des Deutschen Roten Kreuzes. Das ist übrigens nichts Einmaliges, sondern erfolgt etwa im 10-Jahres-Rhythmus immer wieder, um zu prüfen, sind wir noch auf dem aktuellen Stand, oder gibt es neue Herausforderungen, neue gesellschaftliche Veränderungen, die wir einkalkulieren müssen. Das ist ein sehr intensiver Prozess, bei dem die Mitglieder, in einem weiteren Verfahren auch die Öffentlichkeit, mit einbezogen werden. Konkrete Ergebnisse liegen derzeit noch nicht vor. Was man aber jetzt schon absehen kann, ist, dass wir das Rad nicht neu erfinden müssen, sondern uns durchaus kontinuierlich weiterentwickeln können. 

Eine der Herausforderungen durch die demographische Entwicklung wird sein, dass wir in den nächsten Jahren einen großen Bedarf an Pflegekräften haben, aber dass wir auch ein wachsendes Potential an älteren Menschen haben, die für ehrenamtliche Tätigkeiten geeignet sind und motiviert werden können und müssen. Absehbar ist auch, dass die Digitalisierung im sozialen Bereich genutzt werden muss, aber nicht als Ersatz für menschliche Zuwendung, das ist mir ganz besonders wichtig, sondern zur Erleichterung der Arbeit, zur besseren Organisation, zur besseren Möglichkeit der Teilhabe von Menschen an sozialen Leistungen. Auch hier ist das Deutsche Rote Kreuz auf einem guten Weg.

CP: Wir danken Ihnen für das Gespräch.



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