Risiken für Kritische Infrastrukturen mit Wargaming erkennen
Dr. Jan Spitzner
Betreiber Kritischer Infrastrukturen müssen auf störende Einflüsse und Ereignisse möglichst gut vorbereitet sein. Das trifft im Kern auch auf alle Unternehmen zu, die dazu unter anderem auf die Methode Business Wargaming zurückgreifen können. Dieser Ansatz simuliert alle relevanten Marktteilnehmer gleichzeitig und expliziert auf diese Weise typische Aktions-Reaktionsmuster. Ein Ansatz, der sich auch aus Sicht eines Infrastrukturbetreibers lohnt.
Wir leben in einer zunehmend komplexen und vernetzten Umwelt, nehmen das jedoch kaum mehr wahr, da es für uns inzwischen Alltag ist. Wie weitreichend diese Vernetzung tatsächlich ist, wird häufig erst dann bewusst, wenn aufeinander abgestimmte Prozesse und Strukturen ins Stocken kommen und nicht mehr reibungslos ineinandergreifen.
Man denke in diesem Zusammenhang vielleicht an die Streiks innerhalb der Verkehrsinfrastruktur (Lufthansa, Deutsche Bahn) oder der Versorgungs- und Betreuungsinfrastruktur (Krankenhäuser, Kindertagesstätten), die Auswirkungen bis hin zum Produktionsstopp in volkswirtschaftlich ganz anderen Branchen hatten. Auch die Natur als Auslöser dürfte noch in Erinnerung sein, etwa der Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull in 2010.
Eine Aufgabe der Betreiber von Infrastrukturen (beispielsweise Verkehrsbetriebe, Versorger, Kommunikation, aber auch Gesundheitssysteme, Bildungseinrichtungen, Öffentliche Sicherheit) ist es daher, im Falle eines Störereignisses den Betrieb so umfassend wie möglich aufrecht zu erhalten. Zudem muss der ursprüngliche Zustand der Versorgung schnell wieder hergestellt werden.
Resilienz in Krisensituationen
Die im Unternehmen für Resilienz (Widerstand gegenüber plötzlichen und tiefgreifenden Veränderungen) und Agilität (pro-aktive Vermeidung negativer Auswirkungen solcher Ereignisse) verantwortliche oder zumindest maßgeblich beteiligte betriebswirtschaftliche Funktion ist das Chancen- und Risikomanagement. Häufig spricht man nur vom Risikomanagement, dem soll auch hier gefolgt werden.
Im Prinzip gilt aber alles, was für Risiken gesagt wird, gleichermaßen für Chancen. Das kommt auch im Global Risk Report 2013 des World Economic Forums zum Ausdruck. Dort werden als Anforderungen an resiliente Organisationen genannt:
- Robustheit (um unvorhergesehenen Ereignissen zu widerstehen),
- Redundanz (um Ausfälle zu kompensieren),
- Einfallsreichtum (im Sinne der Fähigkeit, pro-aktiv und selbstorganisierend zu reagieren),
- Reaktionsfähigkeit (basierend auf einem gemeinsamen Verständnis zu Existenz, Ursache, Wirkung und Bedeutung von Ereignissen)
- und Regenerationsfähigkeit (Fähigkeit, Anpassungen eigenständig zum Herstellen des Ausgangszustands vorzunehmen).
Der Prozess des Risikomanagements kann in die Schritte Identifikation, Bewertung, Steuerung und Kontrolle unterteilt werden. Dabei erweist sich der erste Prozessschritt, die Identifikation, bereits als zentral, denn nur das, was hier erkannt wird, kann im weiteren Verlauf auch bewertet und gesteuert werden. Zudem handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, eine einmalige Anwendung hat wenig Aussicht auf dauerhaften Erfolg. Nur so lassen sich potenzielle Risiken vermeiden oder zumindest in ihrer Auswirkung reduzieren.
Die betriebswirtschaftliche Theorie stellt für die Risikoidentifikation heutzutage eine Vielzahl an Werkzeugen bereit. Dies beginnt bei den Kollektionsmethoden, die vor allem für bestehende und offensichtliche Risiken geeignet sind. Hierzu zählen Instrumente wie Checklisten, SWOT-Analysen und die Risikoidentifikationsmatrix.
Für eher zukünftige und bisher unbekannte Risiken kommen analytische Methoden (beispielsweise Fragenkataloge, Fehlermöglichkeitsanalyse) und kreative Methoden (etwa Brainstorming, Szenarioanalysen) zum Einsatz. Zu den kreativen Methoden gehört auch das sogenannte Wargaming.
Wargaming
Beim Wargaming handelt es sich um eine Simulationsmethode, die auf eine mehrtausendjährige Historie zurückblicken kann. Peter P. Perla, einer der führenden Wargaming-Experten der Vereinigten Staaten, nennt als eines der ersten Wargames das etwa 5.000 Jahre alte Spiel Wei-Hai. Dieses wurde vom chinesischen General und Militärphilosophen Sun Zi entwickelt und hatte das Ziel, als Erster den Gegner umzingelt zu haben. Es spiegelt seine Philosophie wider, den Widerstand eines Feindes ohne einen Kampf zu brechen und einen militärischen Konflikt durch eine Einkesselungsstrategie erfolgreich zu meistern.
Derartige Konfliktspiele wurden im 17. und 18. Jahrhundert durch das Militär weiterentwickelt. Mit dem Ziel einer besseren Ausbildung der Befehlshaber der eigenen Armee wurden die Spiele immer mehr der Realität angepasst. Im Kern ging es zunächst um eine bessere Vorbereitung auf unvorhergesehene Entwicklungen in einer militärischen Auseinandersetzung sowie das Vermeiden von Fehlentscheidungen und den daraus resultierenden militärischen wie ökonomischen Verlusten. Zunehmend, insbesondere vorangetrieben durch Preußen, wurden Wargames auch zur Entwicklung von Kriegsstrategie und -taktik eingesetzt.
Seit etwa 50 Jahren hat die Methode ihren Weg in wirtschaftliche Fragestellungen gefunden und ist dort heutzutage als Business Wargaming bekannt. Die grundlegende Idee, sich besser auf unvorhergesehene Entwicklungen vorzubereiten, ist jedoch in allen Ausprägungen und Anwendungsformen des Wargamings unverändert. Und gerade diese Idee macht es auch zu einer höchst interessanten Methode für die Betreiber von Infrastrukturen.
Im Kern wird bei einem Wargame eine Situation mit mehreren Spielparteien simuliert. Hierunter kann man sich beispielsweise ein Störereignis für eine Infrastruktur bis hin zu einem manipulativen, absichtlichen Eingriff vorstellen. Jede der Spielparteien nimmt die Sicht- und Handlungsweise eines relevanten Stakeholders in der zu untersuchenden Situation ein. Sie erhält einen Spielauftrag, der dem Wesen des jeweiligen Stakeholders entspricht.
In einem rundenbasierten Spiel versucht jede Spielpartei diesen Spielauftrag zu erreichen. Das wird jedoch dadurch erschwert, dass die Aktionen und Reaktionen der Spielgegner der eigenen Strategie und den daraus entwickelten Spielzügen zumindest teilweise entgegenstehen. Folglich sind bereits erfolgte und potenziell mögliche Aktionen und Reaktionen der Gegner mit in Betracht zu ziehen, um in einem solchen Spiel erfolgreich zu sein. Ein Spielleiter fordert mit Störimpulsen, beispielsweise einem Naturereignis, Reaktionsfähigkeit und Kreativität der einzelnen Spieler zusätzlich.
Spieldesign
Das grundlegende Spieldesign zeigt die Grafik. Hier ist ein mögliches Design für den Betreiber einer Infrastruktur dargestellt, zusammen mit den Nutzern der Infrastruktur (Kunden), organisationsfremden Zulieferern (Lieferanten und Dienstleister) und dem Betreiber einer Parallel-Infrastruktur (Konkurrent bzw. Partner). Zusätzlich taucht hier ein „Mr. X“ auf, der je nach zu analysierender Situation einen Partner oder gar Saboteur darstellen kann. Weitere Spieler sind denkbar, etwa die Politik. Das Setup ist je nach untersuchter Situation spezifisch zu wählen.
Auch wenn erfolgreich sein meint, das Wargame zu gewinnen, ist darunter nicht das primäre Spielziel zu sehen. Der Anreiz des Gewinnens wirkt vielmehr als Stimulanz, intensiv und kreativ nach einer erfolgversprechenden Strategie zu suchen, die sich zudem als robust gegen äußere Einflüsse, hier die Strategien und Handlungen der Mitspieler, erweist oder auf diese in einer adäquaten Weise antwortet.
Durch die unterschiedlichen Spielaufträge je teilnehmender Spielpartei kann dies jedoch nur gelingen, indem man möglichst weit vorausschauend agiert. Der Verlauf des Spiels ist nicht vorhersehbar, er wird vielmehr durch die Aktionen und Reaktionen der einzelnen Mitspieler beeinflusst. Jeder Mitspieler muss so ständig die Spielsituation analysieren und auf die Aktionen seiner Spielgegner reagieren. Dabei werden typische Aktions-Reaktionsmuster sowie Konsequenzen und Wechselwirkungen von Handlungen für alle sichtbar.
Testumgebung für die Realität
Das Besondere am Wargaming ist der spielerische Charakter der Simulation. Das Einnehmen einer Rolle ermöglicht Dinge zu sagen oder zu tun, die man in der Realität gegebenenfalls nicht machen würde. Dabei geht es jedoch nicht um irrationale Handlungsweisen (diese werden über die Spielregeln ausgeschlossen), sondern um Aktivitäten, die gerade nicht den üblichen „Lehrbuch-Regeln“ und Usancen entsprechen. Sie können in dem Spiel einfach mal getestet werden.
Gleichzeitig erlaubt ein Wargame den Teilnehmern, ihre Emotionen und Neigungen einzubringen und die Konsequenzen daraus hautnah zu erleben. Dies führt in aller Regel zu einer stärkeren Identifikation mit der einzunehmenden Rolle, was sich dann auch in der Qualität der Ergebnisse widerspiegelt.
Zudem bedingt das aktive Spielen und vor allem das Erleben ein tiefes Verständnis zu Ursache-Wirkungszusammenhängen. Durch die in einem Wargaming essenzielle gemeinsame Analyse der einzelnen Spielzüge wird dieses aufgebaute Wissen zum Gemeingut, da alle Teilnehmer im Verlaufe des Wargames ein gemeinsames Verständnis zu den Wirkungszusammenhängen entwickeln.
Typische Aktions-Reaktionsmuster werden sichtbar, da das Zusammenwirken mehrerer Spielparteien simuliert wird. Dies hilft insbesondere, psychologische Effekte („Wie Du mir, so ich Dir“) zu explizieren, offenbart aber auch Kommunikations- und Verständnisdefizite.
Ziele von Wargaming
Alles in allem verbessert sich durch ein Wargame das Verständnis für die untersuchte Situation, relevante Ursache-Wirkungszusammenhänge sowie die Wechselwirkung mit anderen Marktteilnehmern inklusive typischer Aktions-Reaktionsmuster. Es hilft, auf dieser Basis Strategien zu entwickeln, die sich in bestimmten Situationen als robust und reaktionsfähig erweisen, dabei gleichzeitig kreativ, pro-aktiv und vorausschauend sind. Solche Strategien erhöhen die Resilienz und Agilität des Unternehmens, was diese Methodologie auch für Betreiber von Infrastrukturen interessant macht. Im Design speziell auf einen Anwendungsfall angepasst, kann Wargaming helfen, sich besser auf bestimmte kritische Situationen vorzubereiten.
Crisis Prevention 4/2015
Dr. Jan Spitzner
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