Die Trinkwasserversorgung in Deutschland ist selbstverständlich: Das Leitungswasser hat die beste Qualität, ist das „Lebensmittel Nr. 1“ und steht Rund-um-die-Uhr aus dem Wasserhahn zur Verfügung. Die öffentliche Trinkwasserversorgung gehört zur kritischen Infrastruktur.
Durch ihre kleinteilige Struktur in Deutschland (mehr als 5.800 Wasserversorgungsunternehmen) sind nationale Ausfälle unwahrscheinlich. Lokale und zeitlich begrenzte Unterbrechungen der Versorgung mit Trinkwasser kommen hingegen vor. Dabei handelt es sich in der Regel um kleinere Störungen, wie Wasserrohrbrüche in einzelnen Straßenzügen oder Überschreitung von Grenzwerten ohne Gesundheitsgefährdung. Diese finden im Rahmen des Normalbetriebs statt. Aber ist die Trinkwasserversorgung in Deutschland auch in Krisenfällen gewappnet?
Die Aspekte der Versorgungssicherheit in der Trinkwasserversorgung spielen in den letzten Jahren in den Unternehmen eine immer größere Rolle. Neben den Vorgaben der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) in Bezug auf Gesundheit, Hygiene und Ästhetik sind auch die Anforderungen aus DIN 2000 (ausreichender Druck, Menge) zu erfüllen. Damit diese umfassende Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann, sind qualifiziertes Fachpersonal und eine funktionierende Aufbau- und Ablauforganisation in den Einrichtungen erforderlich.
Zudem müssen Wasserversorger leistungsfähige Einrichtungen und gut funktionierende Qualitätssicherungsmaßnahmen besitzen. Sie müssen auch über eine Organisation verfügen, die einen sicheren, zuverlässigen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Betrieb gewährleistet [siehe DVGW W 1000 (A)]. Alternativ können auch externe Dienstleister beauftragt werden, deren Ausführungen vom Wasserversorger überwacht werden müssen.
Zur Realisierung dieser Anforderungen ist die Implementierung eines auf die Wasserversorgung gerichteten, risikobasierten und prozessorientierten Managements zielführend [siehe DIN EN 15975-2 und DVGW W 1001 (M)]. Der Ressourcenschutz und auch die Prozessschritte Wassergewinnung, -aufbereitung, -speicherung, -transport und -verteilung sollten dabei berücksichtigt werden. Der Ansatz des Risikomanagements ergänzt die gesetzlich vorgeschriebene Endproduktkontrolle des Trinkwassers nach der Trinkwasserverordnung. Diese sieht bereits die Option einer risikobewertungsbasierten Anpassung der Probennahmeplanung (RAP) vor. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet den Ansatz von Risikobewertung und Risikomanagement in ihren Leitlinien für Trinkwasserqualität als „Water Safety Plan“. Mit der Einführung eines Risikomanagements können die gewöhnlichen Ereignisse im Alltag eines Wasserversorgers gut beherrscht werden.
In sehr seltenen Fällen treten jedoch Situationen ein, die Wasserversorger nicht ohne erhebliche Unterstützung durch Dritte und die Mitwirkung der zuständigen Behörden bewältigen können. Diese Krisen-Situationen sind schwer vorhersehbar und es ist daher kaum möglich, detailliert ausgearbeitete Vorkehrungen zu treffen. Generell kann der Krisenfall durch jede Art von Gefährdungsereignissen, wie z. B. Pandemien, Naturgefahren, technisches oder menschliches Versagen, Kriminalität, Terrorismus oder kriegerische Auseinandersetzungen ausgelöst werden.
Das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure und die Präsenz einer hohen Dynamik können eine Krise sehr komplex und damit schwer beherrschbar machen. Das beteiligte verantwortliche Personal kann im Hinblick auf die Entscheidungsfindung, die verfügbare Zeit und die Rechtfertigung seines Handelns unter erheblichem Druck stehen, während ihm gleichzeitig nur eine begrenzte Anzahl von Hilfsmitteln zur Verfügung steht. Die internen und externen Kommunikationseinrichtungen können nur ungenügend funktionieren oder außer Betrieb sein. Dementsprechend können Störungen, die üblicherweise mit den normalen Betriebsmitteln kontrollierbar sind, zu einer Krise eskalieren, wenn die Situation von der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen wird. Unter der Würdigung aller in einer solchen Situation betriebsrelevanten Randbedingungen müssen sachgerechte Entscheidungen getroffen werden. Zum Beispiel sollte der Wasserversorger frühzeitig eine Kommunikationsstrategie entwickeln, um die Informationshoheit zu wahren und um Krisen, die lediglich aus Kommunikationsdefiziten resultieren, zu umgehen.
Um einer Krise bestmöglich gewappnet zu sein, wurde das Werkzeug „Krisenmanagement“ entwickelt. Die DIN EN 15975-1 beinhaltet dafür Hinweise zur Organisation und Management im Krisenfall. Diese Leitlinie soll dem Trinkwasserversorger ermöglichen im Krisenfall die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen und um die kontinuierliche Wasserversorgung im größtmöglichen Umfang aufrechtzuerhalten und die normalen Betriebsbedingungen so schnell wie möglich wiederherzustellen. Die zum Erreichen dieser Ziele erforderlichen Führungsmittel sind in dieser Norm erläutert. Die Grundschritte des in dieser Norm beschriebenen Ablaufs können auch während eines Normalbetriebs angewendet werden, um beispielsweise dem Entstehen einer Krise aus einer Störung vorzubeugen.
Zuständigkeitsbereiche
Während im Normalbetrieb der Wasserversorger für die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser zuständig ist, geht im Krisenfall die Zuständigkeit an die Behörden über. Die Unterstützung Dritter zum Beispiel durch die Gesundheitsämter, Feuerwehr und THW, kann hierbei notwendig sein. Gemäß Trinkwasserverordnung ist der Wasserversorger verpflichtet, einen Maßnahmeplan zu erarbeiten, in dem Meldewege und Maßnahmen festgelegt sind. Eine mögliche Maßnahme kann die Umstellung auf eine alternative Wasserversorgung im Falle der Unterbrechung der leitungsgebundenen Wasserversorgung sein. Damit bei allen festgestellten Abweichungen von der Trinkwasserverordnung ein möglichst schneller und effektiver Handlungsablauf sichergestellt ist, sollte vorsorglich ein zwischen dem Wasserversorger und dem zuständigen Gesundheitsamt abgestimmter Handlungsplan erstellt werden.
Um weitere Situationen und Akteure abzugrenzen, ist in einem Katastrophenfall das Land, in der zivilen Verteidigung das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und im Verteidigungsfall der Bund verantwortlich. Für die Zwecke der Verteidigung verpflichtet das Wassersicherstellungsgesetz (WaSiG) jeden Betreiber einer Wasserversorgung, in seinem Zuständigkeitsbereich freiwillig und eigeninitiativ Verantwortung für ein angemessenes Sicherheitsniveau zu übernehmen und Maßnahmen der Versorgungssicherheit zu ergreifen.
Geschichte des Krisenmanagements
in der Normung
Spätestens seit dem Jahrhunderthochwasser an der Elbe 2002, der Einführung von Empfehlungen zum Risikomanagement in die Trinkwasserleitlinien der WHO im Jahr 2004 und natürlich auch den Anschlägen auf das World Trade Center 2001, werden die Aspekte der Sicherheit auch in der Trinkwasserversorgung verstärkt diskutiert. Daraus resultierend wurde in der Wasser-Branche eine Bestandsaufnahme durchgeführt und das Risiko- und Krisenmanagement als wichtiges Element für die Organisation und das Management in der Trinkwasserversorgung identifiziert.
Im Rahmen des DVGW-Gesamtkonzeptes „Sicherheit in der Wasserversorgung“ wurden 2008 die Regelwerke DVGW W 1001 zum Risikomanagement im Normalbetrieb und DVGW W 1002 zum Krisenmanagement entwickelt. Dabei stellt das Risikomanagement, basierend auf dem Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß, den präventiven Umgang mit möglichen Gefährdungen für die Versorgungssicherheit in der Trinkwasserversorgung dar. Weiterhin ist das Risikomanagement die Basis für notwendige Strukturen des Krisenmanagements - denn was im Normalbetrieb nicht funktioniert, wird auch in einer Krisensituation nicht funktionieren. Etwas später ist auch auf europäischer Ebene das Thema Sicherheit in den Fokus gerückt. Bei der Erarbeitung europäischer Normen zur Sicherheit der Trinkwasserversorgung wurden die bestehenden DVGW-Hinweise maßgeblich als Grundlage für die europäischen Standards EN 15975 "Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement“ mit Teil 1: „Krisenmanagement“ (2011) und Teil 2: „Risikomanagement“ (2013) verwendet.
In diesen beiden europäischen Normen wird festgelegt, was im Rahmen der Einführung eines Risiko- bzw. Krisenmanagements zu tun ist. Für die nationalen Spezifika wurde ein ergänzendes Merkblatt erstellt, welches Ende 2020 erschienen ist. Dieses neue DVGW-Merkblatt W 1001 enthält u. a. umfangreiche Beispiellisten zu Gefährdungsereignissen und Auslösern von Krisen, sowie Maßnahmen zur Risikobeherrschung. Darüber hinaus wurden weitere Anwendungs- und Umsetzungsbeispiele zu den Prozessschritten Wassergewinnung, Wasseraufbereitung sowie Wasserspeicherung integriert.
Internationale Normung
Die vergangenen Jahre waren geprägt von übermäßiger Dürre und Extremwetterereignissen. Als mögliche Auslöser einer Krise halten diese Klimaentwicklungen das Thema Versorgungssicherheit weiterhin im Bewusstsein der Wasserbranche. Die Anpassung an den Klimawandel ist eine essenzielle Aufgabe der Wasserversorger. Ein logischer Schritt ist daher die geplante Gründung eines europäischen Komitees (CEN/TC) „Climate Change“. Weiterhin wurde die Einrichtung einer Arbeitsgruppe „Climate change adaptation“ innerhalb des internationalen Komitees ISO/TC 224 „Normung von Dienstleistungen in der Trinkwasserversorgung, der Abwasserentsorgung und Regenwasserbewirtschaftung“ beschlossen. Erste Normungsvorhaben sollen dabei allgemeine Bewertungsprinzipien festlegen und Details für den Umgang mit Regenwasser, für Abwassersysteme und der Versorgung mit Trinkwasser bei anhaltender Dürre geben.
Resilienz der Wasserversorgung bei extremer Trockenheit
All diese Vorgaben und Hilfestellungen geben jedoch keine Auskunft darüber, wie sich die Resilienz der einzelnen Wasserversorger in Deutschland in den letzten Jahren bei extremer Trockenheit entwickelt hat. Daher hat der DVGW eine Umfrage durchgeführt, um die Auswirkungen des Trockenjahres 2018 auf die Wasserbranche abzufragen. Das Ergebnis (siehe [1]) zeigt, dass lediglich in Einzelfällen Mindest-Vorsorgungsdrücke in den Netzen unterschritten wurden und nur sehr selten eine Wasserknappheit zu vermelden war. Zu einem Ausfall der leitungsgebundenen Wasserversorgung ist es nur in wenigen lokalen Gebieten gekommen. Die Wasserinfrastruktur hat diesen Belastungstest offenbar bestanden. Eine großflächige Krise ist nicht entstanden.
Fazit
Um auch weiterhin bestmöglich auf mögliche Krisen vorbereitet zu sein, sind folgende Aspekte zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Wasserversorgung auch weiterhin notwendig:
- Anwendung des Regelwerkes (insbesondere für Risiko-, Sicherheits-, Krisenmanagement)
- Stärkere Durchdringung des DVGW Technischen Sicherheitsmanagements in der Branche
- Kenntnisse über das zukünftige Wasserdargebot und den zukünftigen Wasserbedarf sowie den Bedarf zur Instandhaltung der notwendigen Infrastruktur
- Schaffung von Redundanzen bei gleichzeitiger Reduzierung von Abhängigkeiten (z. B. Verbundleitungen, eigene Notstromversorgung)
- Kontinuierlicher Austausch zwischen Behörden und Wasserversorgern
- Verbesserung der Ausrüstung anderer Beteiligter (z.B. THW, Feuerwehr, Bundesgrenzschutz)
Weitere Hilfestellungen bieten folgende Veröffentlichungen
- Schutz Kritischer Infrastrukturen – Risiko- und Krisenmanagement – Leitfaden für Unternehmen und Behörden, Bundesministerium des Innern
- BBK Fachinformation Praxis im Bevölkerungsschutz: Teil 1: Risikoanalyse und Teil 2: Notfallvorsorgeplanung
- Leitfaden Krisenkommunikation in kommunalen Unternehmen, VKU
- DVGW-Regelwerk
- DVGW W 1000 (A) „Anforderungen an die Qualifikation und die Organisation von Trinkwasserversorgern“ (01/2016)
- DIN EN 15975-1 „Sicherheit der Trinkwasserversorgung – Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement – Teil 1: Krisenmanagement“ (03/2016)
- DVGW W 1001 (M) „Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Risiko- und Krisenmanagement“ (voraussichtlich 12/2020)
- DVGW W 1020 (M), „Empfehlungen und Hinweise für den Fall von Abweichungen von Anforderungen der Trinkwasserverordnung, Maßnahmeplan und Handlungsplan“
- TrinkwV, Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung – TrinkwV)
[1]Niehues, B.; Merkel, W; 2020: Die Wasserversorgung im Trockenjahr 2018. energie | wasser-praxis, 10, pp.38-42.
M. Sc. Johanna Kreienborg
DVGW Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V.
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