Neues Einsatzanzug- und Schutzkonzept für die ­geschlossenen Einheiten der Bayerischen Polizei

Herbert Witzgall

Bayer. Bereitschaftspolizei

Bei massiven Ausschreitungen und exzessiven Gewalt­ausbrüchen linksextremistischer Chaoten anlässlich der Räumung des linken Kulturzentrums „Rote Flora“ am 21. Dezember 2013 in Hamburg war die Polizei mit einem erschreckenden Ausmaß an Brutalität und Zerstörungswut konfrontiert. 

Im Hagel von Pflastersteinen, Gehwegplatten, Flaschen, herausgerissenen Verkehrszeichen und Böllern sowie durch Laserblendungen sind auch 67 bayerische Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt worden. Fünfzehn Monate später waren Polizeikräfte ähnlich eskalierenden Gewaltexzessen bei der Einweihung der EZB am 18. März 2015 in Frankfurt ausgesetzt. Bayerns Innenminister Herrmann beauftragte im Februar 2014 eine Projektgruppe unter Federführung des Verfassers, ein völlig neues Einsatz­anzugkonzept für die geschlossenen Einheiten der Bayerischen Polizei zu entwickeln, das anlässlich des G7-Gipfels im Juni 2015 im oberbayerischen Elmau zum ersten Mal zum Einsatz kommen sollte.

Projektgruppe, -ziele und Produkt­entwicklung

Die fünfköpfige Projektgruppe legte von Beginn an allergrößten Wert auf hohe Qualitätsstandards bei Materialien und Verarbeitung. Weitere unverrückbare Zielmarken waren die Realisierung einer verbesserten Schutzfunktion im Einklang mit einsatzbezogenen Funktionalitäten, eine gute Passform mit hohem Tragekomfort ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie ein wertiges Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit.

Bei der Entwicklung des neuen Einsatzanzugkonzepts (EAK 2015) für die rund 3.000 Einsatzkräfte der geschlossenen Einheiten der Bayerischen Polizei wurde von Anfang an auf größtmögliche Beteiligung und Mitwirkung aller in Frage kommenden Stellen und Experten geachtet, allen voran den künftigen Nutzern. Eingebunden waren Textilfachkräfte, Experten aus den Bereichen Einsatztaktik und Arbeitsschutz/Arbeitsmedizin, Berufs- und Personalvertretungen sowie Gleichstellungsbeauftragte. Ein Schwerpunkt der Expertenprüfung lag auf der Kompatibilität des neuen EAK 2015 mit ungehindertem Zugriff und Handhabbarkeit auf die Mann- und Sonderausstattung der Führungs- und Einsatzmittel (FüEM) wie Pistole, Funkgeräte, Reizstoffsprühgerät, Einsatzmehrzweckstock, Einsatzhelm, Gasmaske, Feuerlöschdose etc. 

PSA Ausrüstung der Polizei
Freier Zugriff auf FüEM, Schlagschutzhandschuhe; taktische Rückenkennzeichnung.
Quelle: Bayer. Bereitschaftspolizei

pse-Gesamtkonzept

Das permanent schwer entflammbare (pse) Gesamtkonzept bietet den Einsatzkräften Schutz vor Angriffen und Witterungseinflüssen (Kälte-/Nässeschutz). Bei gewalttätigen Ausschreitungen anlässlich von Versammlungslagen oder auch bei Fußballspielen stehen die Einsatzkräfte immer öfter im wahrsten Sinn des Wortes im Feuer. Die Polizeibeamten sind oftmals mit brennenden Barrikaden konfrontiert, sie werden mit Molotowcocktails beworfen und mit bis zu 2.500° C heißen Bengalischen Fackeln angegriffen. 

Das EAK 2015 mit all seinen Komponenten fußt zum Schutz der Einsatzkräfte deshalb auf einem permanent schwer entflammbaren Gesamtkonzept. Die flammhemmende Wirkung wird durch die aus Aramid-Kunststofffasern gefertigte Oberbekleidung, eine darauf abgestimmte pse-Unterziehbekleidung sowie die Schlag-/Stichschutzweste (pse) erzielt („Zwiebelschichtmodell“). 

Das Bekleidungspaket beinhaltet neben einem neuen Einsatzanzug einen Regenschutz mit integrierbarem Kälteschutz, Unterziehbekleidung, Wärmeunterziehanzüge, Polohemden, ein schwarzes Barett und eine Wollmütze. Die letztgenannten drei Bekleidungsstücke besitzen keine pse-Eigenschaften. Alle Taschen der Einsatzbekleidung sind so gearbeitet, dass keine Flüssigkeiten, insbesondere keine ätzenden oder brennbaren Substanzen, hineinlaufen können.

 

Körperschutzausstattung (KSA)

Der Projektauftrag beinhaltete auch, die erforderliche Körperschutzausstattung auf das neue Einsatzanzugkonzept abzustimmen und hierbei Ergänzungsbedarf und Verbesserungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Das von der Projektgruppe neu entwickelte KSA-Konzept verfolgt neben der Schutzfunktion auch den Gedanken der Deeskalation. 

Beides wird durch neuartige Arm- und Beinprotektoren sowie neue Oberschenkelprotektoren erreicht, die unter der Einsatzbekleidung getragen werden. Speziell entwickelte Schnitte mit eigens entworfenen Reißverschlussführungen in Jacken und Hosen ermöglichen das Anlegen der Arm- und Bein- sowie der Oberschenkelprotektoren, ohne dass der Einsatzanzug aus- und wieder angezogen werden muss. Die neue Schlag-/Stichschutzweste wird über der Einsatzanzugjacke angelegt und verfügt über ausreichend Taschen zum Verstauen von FüEM. Komplettiert wird das Schutzkonzept mit einem neuen geschlechtsspezifischen Tiefschutz. Die bereits vor der Entwicklung und Einführung des neuen EAK 2015 beschafften Schlagschutzhandschuhe sowie der Einsatzhelm runden den Körperschutz ab.

Die Schlagschutzhandschuhe haben beim anfangs erwähnten Einsatz am 21. Dezember 2013 in Hamburg viele Kolleginnen und Kollegen vor noch schwereren Verletzungen bewahrt. Der Aufbau des KSA-Konzepts ist darauf ausgelegt, dass die Einsatzkräfte in ihrer Beweglichkeit und Wendigkeit nur so gering wie möglich eingeschränkt werden. 

Taktische Rückenkennzeichnung

Mit dem neuen EAK 2015 wurde auch eine neue taktische Rückenkennzeichnung eingeführt. Anhand standardisierter bundeseinheitlicher Nummerierungen und Funktionskennzeichen wird sowohl Führungskräften als auch Einsatzbeamten die Zuordnung zu taktischen Einheiten erleichtert. Wenn damit in erster Linie auch taktischen Erfordernissen Rechnung getragen werden soll, wirkt sich dies indirekt auch auf den Schutz der Polizeibeamten aus, weil eine Gruppe, ein Zug oder eine Hundertschaft in geschlossener Formation wehrhafter gegenüber gewalttätigen Angriffen agieren kann. 

Die geschlossenen Einheiten erkennen sich in extrem dynamischen Lagen und bei aufgesetztem Schutzhelm oftmals nur an der taktischen Rücken- und Helmkennzeichnung. Diese gibt somit unter Eigensicherungsgesichtspunkten auch Orientierung für die Einsatzkräfte („Wo ist meine Einheit?“).

Polizeibeamten stehen in der Schusslinie bei gewaltätigen Ausschreitungen
Hamburg Dezember 2013 – Polizeibeamte als Ziel gewalttätiger Ausschreitungen.
Quelle: Bayer. Bereitschaftspolizei

Corporate Identity

Bis zum G7-Einsatz im Juni dieses Jahres war Bayern eines der letzten Bundesländer, dessen geschlossene Einsatzeinheiten noch mit grüner Einsatzbekleidung ausgerüstet waren. Mit Einführung des EAK 2015 folgte der Freistaat der Empfehlung einer Bund-Länder-Projektgruppe „Einsatzausstattung und -bekleidung der Bereitschaftspolizeien des Bundes und der Länder“ auch in der Farbgebung. Die neue Einsatzbekleidung ist in dunkelblauer (paris-blue) Farbe gehalten und passt sich so den Einsatzeinheiten der benachbarten Bundesländer und der Bundespolizei an. Im länderübergreifenden Unterstützungseinsatz wird damit auch in der optischen Wahrnehmung eine einsatzförderliche Corporate Identity erzeugt. 

Resümee und Ausblick

Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamten verzeichnet in den vergangenen Jahren einen eklatanten Anstieg. Dies belegen zahlreiche Studien und Berichte. Die Zunahme von Widerstandshandlungen und Körperverletzungsdelikten jedweder Art gegenüber Einsatzkräften und aller damit in Zusammenhang stehender Delikte zeigt ein besorgniserregendes Absinken der Hemmschwelle bei Angriffen des polizeilichen Gegenübers, insbesondere unter zunehmendem Einfluss von Alkohol und Drogen. 

Das neue Einsatzanzugkonzept für die geschlossenen Einheiten der Bayerischen Polizei trägt dazu bei, erkannte Schutzlücken zu schließen, den Einsatzkräften in Kombination von funktionaler Einsatzbekleidung aus hochwertigen Materialien und der neu entwickelten Körperschutzausstattung ein Höchstmaß an Sicherheit im Einsatz angedeihen zu lassen. 

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