23.09.2019 •

Weiterer Schritt in gemeinsame europäische Zukunft

Multinationalisierung der Fachaufgabe CIMIC in Deutschland

Michael Berndsen

ZentrZMZBw, Christian Peter

Am 1. Oktober 2019 wird das Zentrum für Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZentrZMZBw) in Nienburg umbenannt. Der neue Name lautet: Multinationales Civil-Military Cooperation Command Nienburg (MN CIMIC Cmd NI). Es soll Motor für mehr Qualität und Effizienz bei der Ausbildung und dem Einsatz von CIMIC-Kräften in der NATO werden und bleibt der zentrale Truppensteller deutscher CIMIC-Kräfte. Grundlage dieser neuen Ausrichtung ist das Rahmennationenkonzept (FNC) der NATO aus dem Jahr 2014. Das MN CIMIC Cmd NI wird bis 2024 den gegenwärtigen Herausforderungen angepasst und wächst personell auf. Bis zu 38 CIMIC-Soldaten aus NATO und EU-Ländern können dann zukünftig in Nienburg dauerhaft Dienst leisten.

Was ist CIMIC?

CIMIC (Civil-Military Cooperation) ist zuerst eine militärische Fähigkeit, mit dem Kernauftrag zur Erstellung eines bewerteten zivilen Lagebildes. Die Fähigkeit der Streitkräfte zur zivil-militärische Zusammenarbeit (Civil-Military Coorperation (CIMIC)) hat sich kontinuierlich und umfassend weiterentwickelt, sowohl in der Praxis als auch im Bereich der Ausbildung. Die Fokussierung von Ressourcen auf eigeneprojektorientierte Ansätze, so auf dem Balkan realisiert, ist bereits im Einsatz ISAF in Afghanistan auch ressortübergreifend durchgeführt worden und heute einem unterstützenden, gestaffelten Ansatz zur Kapazitätserhöhung von Partnern im zivilen Umfeld gewichen. 

Die Bereitstellung des zivilen Lagebildes ist der Kern der Arbeit der CIMIC-Kräfte, mit dem Ziel, die militärische Führung im Rahmen der generellen Auftragserfüllung sowie des ‚Comprehensive Approach‘ zu beraten sowie als Bindeglied zu nicht-militärischen Akteuren zielgerichtet zu unterstützen. Ressortübergreifende Abstimmungen zu anderen Ministerien (beim Einsatz MINUSMA beispielsweise zu BMZ und AA) komplementieren den effektiven Ansatz von Ressourcen.

Im Katastrophenfall ist militärisches Gerät immer eine wertvolle Ergänzung...
Im Katastrophenfall ist militärisches Gerät immer eine wertvolle Ergänzung zur zivilen Ausrüstung
Quelle: Hans-Herbert Schulz

Dieses Lagebild enthält umfangreiche Informationen zum Beispiel über Bevölkerung, Infrastruktur und wichtige Akteure. Es dient als Entscheidungsgrundlage für das Handeln der militärischen Führung, welche stets das nicht-militärische Umfeld in ihre Planungen mit einbeziehen muss. Insbesondere die komplexen Wechselwirkungen zwischen den Streitkräften und dem nicht-­militärischen Umfeld in einem Einsatz müssen die CIMIC-Kräfte beachten und nach Möglichkeit entschärfen.

Aufgebaut wird das Lagebild durch CIMIC-Soldaten, welche als „Fieldworker“ eingesetzt werden und relevanten Informationen im direkten Kontakt mit geeigneten Ansprechpartnern sammeln. Die sogenannten „Staff Worker“ bereiten diese Informationen danach auf, bewerten sie und machen sie für den Entscheidungsprozess verfügbar. Die Arbeits- und Vorgehensweise erfolgt dabei nach festgelegten NATO-Standards. Aktives Gestalten der zivil-militärischen Beziehungen ermöglicht das Bewerten von wechselseitigen Einflüssen zivilen und militärischen Handelns, welches für effektive Planung und Durchführung von Operationen unabdingbar ist.

Ergänzend werden durch die CIMIC-Soldaten Netzwerke in das zivile Umfeld aufgebaut und gepflegt. Darüber ist es zudem auch möglich, einzelne nicht-militärische Akteure zu unterstützen. Dabei hat das gezielte Zusammenbringen von zivilem Bedarfsträger und Bedarfsdecker höchste Priorität – eine Unterstützung mit den physischen oder ligistischen Mitteln des Einsatzkontingentes stellt nur die letzte Möglichkeit des Handelns dar.

Höhere Bedrohung

Auf der NATO-Konferenz in Wales im Jahr 2014 reagierte das Bündnis auf Veränderungen der Bedrohungslage. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland beschloss die NATO unter anderem, ihre Mitgliedsstaaten im Osten durch mehr Truppenpräsenz zu schützen. Weiterhin wurden Wege erörtert, die Kohärenz und Leistungsfähigkeit der Fähigkeiten der einzelnen Partnernationen hierfür zu erhöhen.

Das Rahmennationen-Konzept FNC

Das Framework Nations Concept (FNC) in der NATO (verabschiedet 2014 in Wales) soll im Kern die Fähigkeiten der NATO qualitativ verbessern. Der Weg dahin führt über eine gesteigerte militärische Zusammenarbeit der Partner. Die Nutzung vorhandener Synergien soll mehr Effizienz und Kohärenz der Aufgabenerledigung bewirken. FNC ist eine deutsche Idee, weshalb Deutschland hier auch bereitwillig eine Führungsrolle als Rahmennation einnimmt. 

Als solche stellt Deutschland die jeweilige logistische und planerische Basis zur Verfügung um dann gemeinsam mit den NATO-Partnern die militärische Fähigkeit durch gesteigerte Zusammenarbeit besser abrufbar zu halten und weiterzuent­wickeln. Aktuell nehmen 15 NATO-Nationen und zwei Nicht-­NATO-Länder (für diese seit 2016 geöffnet) teil. Die Fähigkeit der zivil-militärischen Kooperation im Auslandseinsatz (CIMIC) ist einer der Bereiche (Cluster) mit erkanntem Steigerungspotential. Deutschland ist bei Ausbildung und Einsatz von CIMIC–Kräften anerkannt führend.

Vielfalt der Partner
Vielfalt der Partner: Multinationalität während der CIMIC-Übung JOINT COOPERATION
Quelle: ZentrZMZBw, Michael Rein

Das Zentrum ZMZBw ist die Keimzelle

Das Zentrum für Zivilmilitärische Zusammenarbeit (ZentrZMZBw) in der Clausewitz-Kaserne in Nienburg ist seit Jahren in der Zusammenarbeit mit NATO-Partnern erprobt und insbesondere auf Arbeitsebene international anerkannt. In englischsprachigen Lehrgängen werden Bündnispartner, aber auch Soldaten aus Nicht-NATO-Staaten in der Sammlung von Informationen, deren Bewertung sowie der darauf aufbauenden Erstellung eines zivilen Lagebildes für Auslandseinsätze geschult.

 Dieses zivile Lagebild ist für die Entscheider militärischer Operationen unabdingbar, da nur so die umfassende Auftragserfüllung in einem komplexen zivilen Umfeld sichergestellt werden kann. Zudem gebieten die Regeln des Völkerrechts die konsequente Beachtung der zivilen Kernbedürfnisse. Die jährlich stattfindende multinationale Übung JOINT COOPERATION (JoCo) ist innerhalb der NATO die größte Übung, die jedes Jahr sämtliche Aufgaben von CIMIC-­Soldaten vom Trupp bis zur Ebene eines Brigadestabes zusammenhängend trainiert und weiterbildet – und mit mehr als 20 teilnehmenden Nationen ein Aushängeschild für gelebte Multinationalität.

Bessere Zusammenarbeit – bessere ­Aufgabenerledigung

Die jahrelange multinationale Zusammenarbeit mit Bündnispartnern in Einsatz und im Grundbetrieb macht das Zentrum zum idealen Partner, wenn es darum geht, die Zusammenarbeit in der NATO und EU so zu vertiefen, dass die Aufgabe CIMIC noch besser umgesetzt wird. Genau dieses ist die Absicht des Framework Nations Koncepts (FNC). Deutschland stellt mit dem CIMIC Command den interessierten Bündnispartnern eine erprobte, funktionale Plattform zur Verfügung, um die Qualität und Effi­zienz aller CIMIC-Tätigkeiten im Bündnis zu erhöhen. Dabei trägt Deutschland als Lead Nation die Anfangskosten, um das CIMIC Command zu etablieren und den Partnernationen eine Beteiligung zu erleichtern. 

Multinationalität ist eine Herausforderung aber keine Last

Das Erstellen eines zivilen Lagebildes ist in der NATO standardisiert. Die hierfür zur Verfügung stehenden Mittel sind jedoch in jeder Nation anders strukturiert. Dieses gilt insbesondere für die Ausbildung dieser Kräfte, welche in Nationen mit kleinen CIMIC-Kontingenten nur schwer alleine zu realisieren ist. Da die Hoheit über Mittel und Kräfte selbstverständlich bei den einzelnen Staaten verbleibt, steht dem neuen MN CIMIC Cmd NI eine spannende Aufgabe bevor: Im Konsenz mit jedem einzelnen Partner werden die Felder einer möglichen Kooperation identifiziert, welche für eine Vertiefung der Zusammenarbeit und daraus resultierender Qualitätssteigerungen mit dieser Nation in Frage kommen. 

Dabei reicht die mögliche Bandbreite von der Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen, über die zeitweise Beistellung für einzelne Projekte oder Einsätze bis hin zur dauerhaften Dienstleistung in Nienburg, bietet das MN CIMIC Cmd NI eine große Bandbreite an Einbringungsvarianten. Dieser komplementäre Ansatz hat bereits zu ersten Vereinbarungen geführt. Seit 2018 ist der erste niederländische Soldat dauerhaft in Nienburg; auch Polen hat erste Personalabstellungen realisiert. Daneben zeigen insbesondere kleinere Nationen wie die baltischen Staaten ein besonderes Interesse an einer Zusammenarbeit. 

Command bleibt zentraler Truppensteller deutscher CIMIC-Kräfte

Das neue Command ist national gesehen das Kompetenzzentrum für CIMIC in der Bundeswehr. Dabei dient es nicht nur als der zentrale Truppensteller für alle deutschen CIMIC-Kräfte in Auslandseinsätzen. Neben der gesamten Weiterentwicklung deckt es auch den kompletten Bereich der Ausbildung ab. Hierzu verfügt es über ein umfassendes Leistungsportfolio. So stehen unter anderem ein modernes Übungszentrum und Unterrichtsmitschauanlagen für das Medien- und Kommunikationstraining zur Verfügung, sowie ein erprobtes und umfassendes Netzwerk an zivilen Spezialisten.

Weiterhin unterstützen zivile Analysten und Recherche-Spezialisten in Nienburg bei fachlichen Fragen der Kontingentsoldaten aus den Einsatzgebieten (Reach Back / Abstützung auf den Standort -AStO). Daneben bildet das ZentrZMZBw auch Unteroffiziere und Feldwebel der Nationalen Territorialen Reserve aus, wie auch sämtliche für territoriale Aufgaben vorgesehene Fachkräfte der zivil-militärischen Zusammenarbeit. All diese Fähigkeiten bleiben auch im neuen Command uneingeschränkt vorhanden.

Wie geht es weiter?

Bis zum Abschluss der Umgliederung werden verschiedene ­Neuerungen in Nienburg Einzug halten: Die Dienststelle wächst auf rund 250 Dienstposten an (davon 38 multinational besetzbar). Bei diesem Aufwuchs geht es auch darum, neue Fähigkeiten abzubilden, welche aktuell zur Auftragserfüllung benötigt werden. So sollen beispielsweise verlegefähige Unterstützungselemente für bis zu vier Einsatzstäbe (bis zur Ebene Component Command) ebenso aufgebaut werden, wie eine schichtfähige Reach-Back-­Fähigkeit oder die Möglichkeit, zur digitalen Bereitstellung von zivilen Lagebildern für bis zu 2 Einsatzgebiete der Bundeswehr, in denen keine CIMIC-Soldaten eingesetzt sind.

Zusätzlich muss ein tragfähiges Konstrukt gefunden werden, wie Soldaten aus Partnernationen in eine deutsche Dienststelle so integriert werden können, dass eine gemeinsame Aufgabenerfüllung auch im Grundbetrieb möglich ist, ohne konstant administrative Hürden zu erklimmen.

Eine weitere Herausforderung stellt die Implementierung von CIMIC in EU-Missionen dar. Gegenwärtig basiert die internationale CIMIC-Tätigkeit auf NATO-Vorgaben; mit zunehmender Häufigkeit von EU-Missionen muss auch hier eine kooperative Entwicklung und Umsetzung der noch existierenden EU-Standards für CIMIC-­Aufgaben erfolgen. ­


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