Das Ehrenamt bildet das Rückgrat unseres ­Hilfeleistungs- und Notfallvorsorgesystems

Sarah Heggen

Sarah Heggen

Nicht erst im Zuge der aktuellen Flüchtlingslage ist das Ehrenamt Thema. Unermüdlicher Einsatz und spontane Hilfe von Freiwilligen machen diese wie andere Großschadenslagen, etwa im Zuge von Naturereignissen, beherrschbar. Wie es um das Ehrenamt bestellt ist und welche Möglichkeiten für Anerkennung, Fortentwicklung und Nachwuchsgewinnung von Seiten der Politik und der BOS konzipiert werden, sind Kernfragen im CP-Interview mit Dr. Klaus Meyer-Teschendorf, der bis März 2015 zuständiger Referatsleiter für den Bevölkerungsschutz im Bundesministerium des Innern (BMI) und damit zugleich Vorsitzender der Jury des Förderpreises „Helfende Hand“ war. Das Gespräch führte Sarah Heggen, CP-Redaktion.

CP: 

Herr Dr. Meyer-Teschendorf, wie sind Sie zum Bevölkerungsschutz gekommen?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Mitte der 1980er Jahre bin ich das BMI eingetreten, hatte dort verschiedene Verwendungen, Mitte 2001 wurde mir der Bereich Bevölkerungsschutz übertragen. Es war eine spannende Zeit, der Bevölkerungsschutz lag damals am Boden. Als Folge der Terroranschläge des 11. September und des Sommerhochwasser 2002 musste der Bereich Bevölkerungsschutz in Abstimmung mit den Ländern von Grund auf neu aufgebaut werden; 2004 haben wir mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zudem eine eigene Behörde gegründet. 

Als Schlusspunkt der 2002 mit den Ländern als politisches Programm vereinbarten „Neuen Strategie für den Bevölkerungsschutz“ wurde ein neues Gesetz geschaffen, das die Katastrophenhilfe des Bundes für die Länder auf eine zeitgemäße und erstmals rechtliche Grundlage gestellt hat. Vor einem Jahr bin ich pensioniert worden. Im Herbst 2015 bin ich mit einigen Kollegen dem Ruf des Innenministers gefolgt, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Bearbeitung von Bescheiden für Asylbewerber vor allem aus Syrien einerseits und dem Westbalkan und Nordafrika andererseits zu helfen.


CP: 

Ein Thema im Zuge der aktuellen Flüchtlingssituation ist das Ehrenamt, auf dem das deutsche Katastrophenschutzsystem fußt. Können Sie uns einen aktuellen Sachstand zur aktuellen Situationen des Ehrenamts geben?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Der Schutz der Bevölkerung ist naturgemäß Kernaufgabe des Staates. In der klassischen polizeilichen Gefahrenabwehr gibt es dementsprechend ein voll mit hauptberuflichen Kräften ausgestattetes Schutzsystem. Ganz anders verhält es sich in den Bereichen Rettungsdienst, Brand-, Katastrophen- und Zivilschutz. Hier arbeiten traditionell weniger hauptberufliche, dafür umso mehr ehrenamtliche Einsatzkräfte. 

Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich derzeit ehrenamtlich im Zivil- und Katastrophenschutz, sie bilden das Rückgrat unseres Hilfeleistungs- und Notfallvorsorgesystems. Ihr Engagement zum Schutz der Mitmenschen hat in unserem Land eine lange Tradition, ist Markenzeichen unseres nationalen Bevölkerungsschutzsystems und zugleich internationales Vorbild. Immer mehr Länder rund um den Globus finden unser System nicht nur gut, sondern wollen auch selbst ein vergleichbares ehrenamtlich getragenes Notfallvorsorgesystem aufbauen.


CP: 

Welche Probleme sehen Sie derzeit im Bevölkerungsschutzsystem?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Der demografische Wandel, ein konkurrierendes Freizeitverhalten sowie komplexe Anforderungen in Schule, Studium und Beruf sind ausschlaggebend für den derzeitigen Wandel im Ehrenamt. Das versuchen wir durch das konsequente Einbeziehen von drei neuen Personengruppen zu kompensieren: Zum einen sind das die sogenannten “Rüstigen Alten“, zum anderen Frauen und als drittes Mitbürger mit Migrationshintergrund, die wir versuchen, verstärkt in unser nationales Notfallvorsorgesystem einzubinden. 

Dabei hat es auch schon erste gute Erfolge gegeben. Unter den nominierten Projekten für den Förderpreis „Helfende Hand“ 2015 war z. B. das Projekt „Gelebte Integration“ des THW Ortsverbandes Mainz, der seit 2011 versucht, Migranten für das Ehrenamt zu gewinnen. Seit 2015 kann er das noch aktiver tun, denn seine Grundausbildung findet nun auch auf Englisch statt und spricht damit sehr viel mehr Bürger mit Migrationshintergrund an. Das persönliche Kennenlernen und Miteinander ist ein wichtiger Schritt in Richtung moderner Willkommenskultur, Integration und Abbau von Vorurteilen.


CP: 

Wie gelingt die Einbindung speziell von Bürgern mit Migrationshintergrund?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Insbesondere durch den schon erwähnten Förderpreis „Helfende Hand“ und dadurch, dass wir erfolgreiche Projekte als Best Practice allen Organisationen zur Verfügung stellen, um Mitbürger mit Migrationshintergrund anzusprechen, sie mit dem Thema vertraut zu machen und sie für das Ehrenamt zu sensibilisieren. 


CP: 

Was hat es mit dem eben genannten Förderpreis auf sich?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Die eigentliche Idee hinter dem Förderwettbewerb „Helfende Hand“ ist, dass das ehrenamtliche ­Engagement im Bevölkerungsschutz stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden soll. Gleichzeitig sollen auch zukunftsweisende Ideen und Projekte bekannt gemacht werden und damit zugleich Anregung bzw. Ansporn für andere sein, selbst aktiv zu werden. 2009 hat der Bundesinnenminister diesen Preis ins Leben gerufen, der die Leistungen der Menschen hinter den Projekten auch stellvertretend für die Leistungen aller im Bevölkerungsschutz ehrenamtlich Aktiven würdigen und prämieren soll. 

Es gibt drei Kategorien: „Innovative Konzepte“, „Nachwuchs- und Jugendarbeit“ und “Vorbildliches Arbeitgeberverhalten“. Letztgenannte ist inzwischen erweitert und umbenannt worden in „Unterstützung des Ehrenamtes im Bevölkerungsschutz“.


CP: 

Wie hat sich der Wettbewerb entwickelt und wie sieht es hinter Kulissen aus?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Der Wettbewerb hat zwischenzeitlich eine beachtliche Bekanntheit erlangt, insgesamt sind seit 2009 rund 1.200 Bewerbungen zusammengekommen. Unter Vorsitz des BMI sitzen in der Jury jeweils ein Vertreter der Freiwilligen Feuerwehren, aller fünf Hilfsorganisationen, der Regieeinheiten und des THW. Ungeachtet aller Sympathien für die jeweils eigene Organisation werden – neutral – die besten Vorschläge ausgewählt.


CP: 

Welche Projekte sind Ihnen in Erinnerung geblieben?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

In der Kategorie „Innovative Konzepte“ werden viele aktuelle Herausforderungen aufgegriffen, insbesondere der demografische Wandel und die schwierige Beschäftigungssituation im ländlichen Raum. Hier hat vor zwei Jahren eine kleine Feuerwehr vom Zeuthener See einen Preis bekommen. Dort hat ein Förderverein eine sogenannte Feuerwehr-Jobbörse eingerichtet, bei der die lokale Wirtschaft und die regionalen Feuerwehren zusammenarbeiten. Ziel ist es, einerseits Ehrenamtliche durch attraktive Jobs bei ihren Wehren und damit in der Region zu halten und andererseits Arbeitgeber aus der Region von den besonderen Fähigkeiten und vor allem so­zialen Kompetenzen freiwilliger Einsatzkräfte zu überzeugen.


CP: 

Richten sich die Projekte nur an junge Menschen? 


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Nein, eine Kernüberlegung ist, wie man “Rüstige Alte“ wieder oder noch verstärkt im Zivil- und Katastrophenschutz einsetzen kann. 2014 hat das Projekt „65+“ gewonnen, das Ruheständler in Feuerwehren reaktiviert. Vielen freiwilligen Feuerwehren fehlt der Nachwuchs, gleichzeitig scheiden viele erfahrene Kräfte wegen ihres Alters aus dem Dienst aus. 

Das Projekt „65+“ der Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg holt die Ruheständler zurück und gibt ihnen Aufgaben, natürlich abseits der aktuellen Brandherde. So können sie ihr Ehrenamt weiter ausführen, ihre Wehren von vielen (etwa bürokratischen) Arbeiten entlasten und gleichzeitig den Nachwuchs fördern. 


CP: 

Wie gestaltet sich die Arbeit für die Kategorie „Jugend und Nachwuchsgewinnung“?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Wir haben sehr viele Projekte, die in der Schule ansetzen, Hilfsorganisationen richten beispielsweise in den Schulen Schulsanitätsdienste ein. 2015 ist in der Kategorie „Nachwuchs- und Jugendarbeit“ das Projekt „Ehrenamt macht Schule“ ausgezeichnet worden. Das Evangelische Gymnasium Bad-Marienberg hat mit der Unterstützung der Malteser einen Schulsanitätsdienst aufgebaut, 50 junge Sanitäter ab der siebten Klasse sind dort inzwischen aktiv. Zugleich profitieren die Malteser davon: Seit 2013 haben sie 18 neue Helfer aus diesem Kreis in ihrer Organisation begrüßt. 


CP: 

Wie gehen Sie mit den sogenannten ungebundenen Helfern um?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Personen möchten spontan Hilfe leisten und sich in unterschiedlichsten Bereichen einbringen. Speziell im Bevölkerungsschutz haben wir das Phänomen „Spontane Helfer und Helferinnen“ zum ersten Mal beim Hochwasser 2013 erlebt. Einsatz und Engagement der Spontanen Helfer haben auf der einen Seite viel Lob, aber an einigen Stellen auch Kritik hervorgerufen. Deshalb haben wir zum Beispiel das Projekt „Team Mecklenburg-Vorpommern“ prämiert. 

Das Engagement möglicher Spontaner Helfer und Helferinnen soll dahingehend kanalisiert werden, dass es in den tradierten Strukturen stattfindet. Ausgangspunkt ist die Erwartung oder Einschätzung, dass Spontane Helferinnen und Helfer in Zukunft eine noch größere Rolle bei der Bewältigung von Großschadenslagen, insbesondere bei Naturkatastrophen, spielen. Darum bietet das Team Mecklenburg-Vorpommern allen Interessierten eine Plattform die aufzeigt, wie sie sich im Notfall kurz entschlossen ­engagieren können. 


CP: 

Wie gestaltet sich ein Blick in die Zukunft des Ehrenamts?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Noch ist das Notfallvorsorgesystem in Deutschland sehr gut aufgestellt. Durch den Wegfall der Wehrpflicht und des Zivildienstes haben die Organisationen auf lange Sicht das Problem, genügend Helferzahlen zu finden. Die Stärkung des Ehrenamtes ist im Koali­tionsvertrag der Bundesregierung als wesentliches Politikziel festgeschrieben. 

Der Förderpreis „Helfende Hand“ ist hier eine von vielen Maßnahme. Es lassen sich natürlich viele weitere Fördermaßnahmen, vor allem auf Landes- und Kommunalebene, denken. Es wird z. B. immer wieder diskutiert, ob man eine Ehrenamtskarte einführt, die etwa bei kommunalen Einrichtungen zu verbilligtem Einlass für Sport und Kultur führt.


CP: 

Wie kann man das Ehrenamt Ihrer Meinung nach über den Förderpreis hinaus im Bewusstsein der Bevölkerung verankern?


Dr. Meyer-Teschendorf: 

Wir haben darüber nachgedacht, die Fernsehanstalten zur Kommunikation der Sache „Ehrenamt“ zu gewinnen und zum Beispiel im Vorabendprogramm eine Serie über Einsätze von ehrenamtlichen Helfern bei den Feuerwehren, den großen Hilfsorganisationen oder beim THW zu realisieren, um die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, dass hier wertvolle Arbeit für den Nächsten geleistet wird. 


CP: 

Vielen Dank für das informative Gespräch. Wir wünschen Ihnen weiterhin viele spannenden Projekte für den Förderpreis „Helfende Hand“ und gutes Gelingen für die Konzepte in der Nachwuchsgewinnung im Ehrenamt.

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