08.01.2024 •

Dauerkrisen - Corona, Extremwettereignisse und Kriege

Effektives Krisenmanagement des Bundes und Resilienzstrategie zur Stärkung gegenüber Katastrophen

Heike Lange, Ulrike Tietze

Dr. Wolfram Geier, Abteilungspräsident beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), im Gespräch mit der Verlegerin Heike Lange
BBK

Interview mit Dr. Wolfram Geier, Abteilungspräsident beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und profunder Kenner des deutschen Zivil- und Katastrophenschutzsystems 

Dr. Geier verantwortet innerhalb des BBK die Abteilung Risikomanagement und Internationale Beziehungen. Mit seinen rund 100 Mitarbeitern bearbeitet er in dieser Grundsatzabteilung des BBK koordinierend alles, was mit grundsätzlichen Themenstellungen im Bereich des Bevölkerungsschutzes, der zivil-militärischen Zusammenarbeit, der Umsetzung der Konzeption ziviler Verteidigung (KZV), dem physischen Schutz Kritischer Infrastrukturen und internationaler und europäischer Zusammenarbeit zu tun hat. Das Team erstellt auch einmal jährlich zusammen mit Partnern die Berichte zur Risikoanalyse für den Deutschen Bundestag. 

Crisis Prevention: Herr Dr. Geier, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch genommen haben. Sie haben heute elementare Aufgaben beim BBK und können gleichzeitig auf eine spannende Karriere zurückblicken. Bitte geben Sie unseren CP-Lesern einen kurzen Abriss. 

Wolfram Geier: Ich hatte das Glück, an eigentlich allen Fronten im großen Bereich des Bevölkerungsschutzes arbeiten und Erfahrungen sammeln zu können. Operativ angefangen im Rettungs- und Sanitätsdienst, dann bei einer großen Hilfsorganisation auf Bundesebene und dann auch mal wieder in der Wissenschaft, im Bereich der universitären Katastrophenforschung.  

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Sommerhochwasser 2002 bin ich in die Bundesverwaltung eingestiegen. Zunächst an der damaligen Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Dann konnte ich den Aufbau des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das ja 2004 seinen Betrieb aufgenommen hat, von Beginn an begleiten und meinen Beitrag dazu leisten.  

CP: Im Zivilschutzgesetz ist geregelt, dass Sie einmal jährlich Risikoanalysen für den Deutschen Bundestag erstellen müssen. Verschieben sich hier die Themen? 

WG: Ja, die verändern sich. In der Vergangenheit hatten wir häufig Themen aus den Bereichen von schweren Naturereignissen wie Hochwasser, Stürme oder Pandemien in unserer Risikoanalyse. Derzeit rücken Themen in den Fokus, die mehr mit unserem eigentlichen und gesetzlich verbrieften Aufgabengebiet zu tun haben, nämlich dem Zivilschutz und den sich daraus ergebenden Aufgaben aufgrund sicherheitspolitischer Krisen und Bedrohungen durch fremde Staaten, Cyberware-Angriffe auf die Bundesrepublik, hybride Bedrohungen und die Gefährdung der Bundesrepublik aufgrund eines möglicherweise eintretenden Bündnis- oder gar Verteidigungsfalls. 

CP: Wie sehen Sie die Rolle Cybercrime für KRITIS? 

WG: Wir erleben seit Jahren sehr unterschiedlich motivierte, oft kriminell bedingte Hackerangriffe auf alle möglichen Infrastrukturbereiche. Sie haben in Deutschland bisher glücklicherweise nicht zu flächendeckenden großen Schadenslagen geführt, nehmen aber beständig zu. 

Ein Thema, das uns seitens des BBK bzw. der Bundesverwaltung wirklich Sorgen bereitet, sind die Hackerangriffe, die aus anderen Motiven stattfinden, nämlich, um tief in unsere Infrastruktur einzudringen, um sie zu durchforsten, Schwachstellen aufzudecken, um möglicherweise im Rahmen von staatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikten dann auch tatsächlich diese Infrastrukturen zu stören oder zu zerstören. Und diese Angriffe, hinter denen häufig staatliche oder staatlich legitimierte Stellen stecken oder zumindest ernsthaft vermutet werden, nehmen auch gerade im Umfeld der rapiden sicherheitspolitischen Veränderungen in Europa und weltweit zu.  

Deshalb hat sich die LÜKEX 23 (Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (Exercise)) auch mit dem Thema „Angriffe auf Staat und Verwaltung und auf Regierungshandeln durch Cyberattacken“ beschäftigt. Denn beim Schutz Kritischer Infrastrukturen müssen wir auf jeden Fall noch besser werden und alles rund um die IT- und Cyber-Sicherheit von KRITIS, mit dem „physischen Schutz“ von KRITIS noch viel besser zusammenbringen und miteinander vernetzen. Es braucht ein so genanntes integriertes Risiko- und Krisenmanagement „aus einem Guss“. 

CP: Wie sieht denn Ihr Risikomanagement zum Schutz von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) aus? 

WG: Im IT-Bereich hat der Staat durch das IT-Sicherheitsgesetz deutlich mehr Regelungsmöglichkeiten bekommen.  

Im Bereich „physischer Schutz Kritischer Infrastrukturen“ haben wir seit vielen Jahren mit den Unternehmen zusammen Maßnahmenpläne und Handreichungen entwickelt: Wie kann ich ein internes Risikomanagement durchführen? Wie entdecke ich überhaupt meine vulnerablen Bereiche? Worauf muss ich ein besonderes Augenmerk haben? Was muss ich im Vorfeld tun, damit es möglicherweise gar nicht zu Ereignissen kommt? Oder aber, wenn es dann zu Ereignissen kommt, dass ich gut vorbereitet bin und ein effektives Krisenmanagement habe.  

Dabei spielen auch Business-Impact-Analysen eine wichtige Rolle, durch die ich im Vorfeld genau wissen kann, welche Bereiche in meinem Unternehmen zwingend laufen müssen. Wo kann ich abschalten? Wo kann ich runterfahren? Wo kann ich gezielt Personal einsetzen, das ich an anderer Stelle wegnehmen kann?  

Neben der Business-Impact-Analyse sind auch die Risikoanalyse und eine daraus folgende Risikobewertung sehr wichtig. In welchem Bereich bin ich besonders anfällig? Durch mangelhaft physischen Schutz (Zugangskontrollen)? Durch mangelhafte IT-Sicherheit? Durch nachlässige Personalsicherheitskonzepte? Ich muss mir z. B. überlegen, ob und in welchen Bereichen ich Sicherheitsüberprüfungen durchführe, inwieweit ich welche Dienstleistungen in meinem Bereich outgesourct habe. Also da kommt eine ganze Reihe von Frage- und Aufgabenstellungen zusammen.  

Für all diese Themen haben wir gemeinsam mit Unternehmen Handreichungen entwickelt, Risiko- und Krisenmanagement-Leitfäden, Analyse-Leitfäden u. ä. Allerdings findet das für die meisten Infrastrukturbereiche auf freiwilliger Basis statt und ist nicht gesetzlich verpflichtend.  

Insofern bin ich wirklich froh darüber, dass die europäische CER-Richtlinie (EU 2022/2557), die die Resilienz bei Kritischen Infrastrukturen in der EU durch Maßnahmen in Unternehmen und die staatliche Aufsicht regelt, 2024 durch das im Koalitionsvertrag vereinbarte KRITIS-Dachgesetz in Deutschland umgesetzt werden muss. Ein solches Gesetz auf Bundesebene ist für mich der zentrale Baustein, um in den nächsten Jahren, rechtlich Dinge zum Schutz Kritischer Infrastrukturen weiter regeln zu können. Die traditionell gute Zusammenarbeit zwischen BBK und BSI wird mit dem KRITIS-Dachgesetz noch einmal deutlich intensiviert werden. 

CP: Wenn Sie jetzt den Gesamtblick wagen, würden Sie sagen, Deutschland ist gut vorbereitet? Oder wo fehlt es noch, wo müssen wir noch nachbessern bei möglichen Krisen? 

WG: Es kommt immer darauf an, worauf man aus welcher Perspektive schaut, also auf welche Bedrohungen oder auf welches Risiko und von welcher Ebene aus. Grundsätzlich sind wir im Bereich der Feuerwehren des Technischen Hilfswerkes und der Hilfsorganisationen z. B. gegen Alltagsgefahren sehr gut aufgestellt. Das Hilfeleistungspotential ist trotz lokaler oder regionaler Unterschiede noch immer groß, aber der demographische Wandel fordert seinen Tribut und wird dies noch verstärkt in der Zukunft tun. 

Worauf wir noch nicht genügend eingestellt sind, sind Bedrohungen, wie sie jetzt wieder oder erstmals da sind, nämlich Kriege einerseits und andererseits ihre heute teils völlig neuen Erscheinungsbilder, die sich in hybriden Bedrohungslagen manifestieren. 

Wir sind auch noch lange nicht gut genug gegenüber dem Klimawandel aufgestellt bei Extremwetterlagen wie Starkregenereignisse, Stürme oder langanhaltende Hitzewellen, die tatsächlich bundesländerübergreifend stattfinden können. Bezogen auf die Bewältigung solcher Ereignisse müssen wir viel besser werden, was die Institutionen- und Ebenen-übergreifende Zusammenarbeit und die Koordinierung betrifft. 

Ich glaube auch, dass wir uns noch stärker mit den Chancen, aber auch mit den Risiken neuer Technologien auseinandersetzen müssen. Es ist so ähnlich wie mit einem Messer. Ein Messer ist ein äußerst nützlicher Gegenstand, der aber auch für etwas ganz anderes, schädliches genutzt werden kann. Genauso kann es mit Drohnen, der Robotik oder der Künstlichen Intelligenz geschehen. Wir brauchen eigentlich ein gesamtstaatliches Instrument des Horizon-Scannings, zur strategischen Früherkennung von Risiken und künftigen Gefährdungslagen, um unser gesamtes Gefahrenabwehrsystem dann auch darauf auszurichten und Technik als wichtige Unterstützung des Menschen gerade auch im Bereich der Gefahrenabwehr an den richtigen Stellen mit dem richtigen Augenmaß einzusetzen. Wir dürfen uns nicht erst dann „neu“ ausrichten, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und die Dinge passiert sind. 

CP: Welches sind Ihre wichtigsten Ratschläge für die Bürger, um für Krisen und Katastrophen vorzusorgen? 

WG: Ganz klar sehe ich hier die extrem wichtige Notwendigkeit, die Bürger vor Ereignissen rechtzeitig zu warnen, also den Zugang zu effektiven Warnmitteln zu ermöglichen und durch Maßnahmen wie die bundesweiten Warntage zu sensibilisieren. 

Neben der rechtzeitigen Warnung ist es aber von entscheidender Bedeutung, dass die Bevölkerung weiß, was sie nach einer Warnung zu tun hat und wie sie für sich selbst und im eigenen Wohnumfeld vorsorgen kann. Hier kann so etwas wie eine kleine Gefahrenabschätzung oder eine individuelle Risikoabschätzung z.B. gegenüber lokalen Gefahren, wie Hochwasser sehr hilfreich sein.  

Einen zentralen Beitrag leistet auch die Vorsorge zu Hause, um das Überleben in den eigenen vier Wänden oder einem nahen Zufluchtsort mehrere Tage zu sichern. Hierfür gibt es zahlreiche Ratgeber und praktische Empfehlungen, die, wenn sie bekannt genug sind, schlichtweg nur beherzigt werden müssen. Wenn das in der Gesellschaft insgesamt stärker verbreitet wäre, würde ich mich in meiner Rolle als Bevölkerungsschützer sehr viel wohler fühlen. Wir müssen die Bevölkerung hier vor allem auch zielgruppenorientiert weiter sensibilisieren, um eine Bewusstseinsänderung beim Risikobewusstsein in der Öffentlichkeit zu erreichen. Ich setze hier ganz stark auch auf das Gewinnen der Kinder, Jugend und jüngeren Generation für die Zukunft. 

CP: Welche Rolle spielt das Ehrenamt in und für unsere Gesellschaft? 

WG: Eine außerordentlich bedeutende. Ich glaube grundsätzlich, dass jedes ehrenamtliche Engagement - gerade mit der Zielrichtung anderen Menschen zu helfen - etwas ist, das eine humane Gesellschaft weiter nach vorne bringt, weiter entwickelt und trägt. Engagement in der Gesellschaft trägt auch gerade an der Schnittstelle Staat – Bürger wesentlich dazu bei, eine gelebte Demokratie zu unterfüttern und zu stärken und somit auch Extremisten und einer möglichen Radikalisierung der Gesellschaft entgegen zu wirken. 

Aber ich glaube auch, dass der Einzelne – besonders im Katastrophen- und Zivilschutz, wo das Ehrenamt unverzichtbar ist – aktiv angesprochen und begeistert werden muss. Ehrenamtliche lassen sich oft dadurch begeistern, dass sie in ihrem unmittelbaren Umfeld auf eine Gemeinschaft treffen, die motiviert ist, die Spaß hat an der Arbeit hat, die Sinnhaftigkeit, die dahintersteht erkennt. Ganz wichtig dabei ist, dass die „Stimmung in der Truppe“ gut ist, d. h., dass das Arbeiten in einem guten, motivierten und kameradschaftlichen Umfeld stattfindet. Das setzt aber auch modernes und motivierendes Führungsverhalten der Führungsebenen voraus. Darüber hinaus gehört auch dazu, dass man moderne Ausstattung und modernes Gerät hat, auf dem die Ehrenamtlichen dann auch gut ausgebildet werden müssen, um effektiv Einsätze bewältigen zu können 

CP: Wieso ist das Thema internationale und europäische Zusammenarbeit so wichtig? 

WG: Weil wir gegenseitig sehr viel durch die Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Ausland lernen. Und nur gemeinsam können wir uns am Ende des Tages weiterentwickeln. 

Internationale Zusammenarbeit ist zum einen innerhalb der EU mit unseren Nachbarn extrem wichtig. Die Fortentwicklung des Hilfeleistungsverfahrens in der EU ist für uns ein sehr wichtiges Thema, an dem wir zusammen mit dem BMI kontinuierlich arbeiten. Aus meiner Sicht sollten wir aber auch bilateral die Zusammenarbeit beispielsweise mit Frankreich und Polen wieder mehr intensivieren. Wer heute nur noch national denkt, hat gerade mit Blick auf drohende große Krisen und Katastrophen schon von vornherein verloren. 

Aber auch mit Ländern außerhalb der EU ist internationale Zusammenarbeit wichtig. Wir als BBK sind in bestimmten Projekten, die vom Auswärtigen Amt gefördert werden, auch international tätig, z. B. in der Ukraine schon seit mehreren Jahren, in Tunesien, in Jordanien, früher waren wir in lange Zeit auch in China tätig. Wir konnten aus allen Projekten einen Mehrwert für unsere Arbeit generieren und vor Ort konnten wir relevante Beiträge zur Verbesserung der dortigen Bevölkerungsschutzstrukturen leisten.   

CP: Wenn Sie jetzt zu guter Letzt einen Wunsch im Bereich der Krisenbewältigung frei hätten, welcher wäre das? 

WG: Ah ja, jetzt kommt die „gute Fee“ mit dem freien Wunsch. Wenn ich den frei hätte, dann würde ich die Grundsatzfrage mit den unterschiedlichen Zuständigkeiten im Zivil- und Katastrophenschutz nochmals neu stellen! Ich glaube, es wäre wirklich der Mühe wert, wenn wir die ideellste Gemeinschaftsaufgabe, die es meiner Meinung nach gibt, nämlich den Schutz der Bevölkerung, zu einer rechtlich, verfassungsmäßig verankerten Gemeinschaftsaufgabe weiterentwickeln würden. Auch wenn dies eine Heidenarbeit wäre, würde es sich für das Thema, das Land und die Bevölkerung lohnen. Dann könnten viele Fragestellungen, blinde Flecken und Unsicherheiten im Verhältnis Bund-Länder meines Erachtens durchaus gelöst werden. Ich warte auf die „gute Fee“! 

CP: Vielen Dank für die sehr interessanten Einblicke. 



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