Die Interschutz 2022 in Hannover war das erwartete Highlight und das erste große „Familientreffen“ der Blaulicht- und Bevölkerungsschutz-Community unter den Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie. Der Messeauftritt des Deutschen Roten Kreuzes stand dabei unter dem Motto „Bevölkerungsschutz 360° Hilfe, Hoffnung, Handeln. Das DRK im Einsatz“.
Auxiliare Rolle
Für das DRK als die „freiwillige Hilfsgesellschaft der deutschen Behörden im humanitären Bereich“ war die Interschutz 2022 auch wieder ein wichtiger Gradmesser für die eigene Leistungsfähigkeit zum Schutz der Bevölkerung.
Schließlich bedeutet die Anerkennung als Nationale Rotkreuz- oder Rothalbmond-Gesellschaft und Auxiliar im humanitären Bereich, maßgeblich zur Verhütung von Krankheiten, zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und zur Linderung menschlichen Leidens beizutragen. Darüber hinaus werden eigene Programme für das Gemeinwohl entwickelt, der Suchdienst durchgeführt und es erfolgt die pflichtmäßige Mitwirkung im Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Die Herausforderungen
Vor dem Hintergrund allgegenwärtiger Krisen, die zudem in Form und Dimension stark variieren, ist die stetige Anpassung an den aktuellen Stand der Technik und der Einsatzerfahrungen auch für das DRK ein maßgeblicher Faktor. Besonders durch die Corona-Pandemie und die Rückkehr des bewaffneten Konflikts auf den europäischen Kontinent wurden die Gesellschaft und auch das DRK zudem vor Herausforderungen von beispiellosem Ausmaß gestellt.
In der Sicherheitsarchitektur der Welt führen Verunsicherung und Spannungen im Welthandel, Verschiebungen im politischen Gefüge und die Entwicklung von neuen politischen Playern auf der Weltbühne zu Strukturveränderungen. Als Drehscheibe Europas werden sich für Deutschland weitere Herausforderungen stellen.
Daneben werden demographische Veränderungen, neue Pandemien und Massenanfälle von Verletzten und Erkrankten, sowie großflächige Betreuungslagen das Hilfeleistungssystem in Deutschland auch zukünftig von der Ortsebene bis hin zur Bundesebene in seiner ganzen Breite und Tiefe fordern. Daher gilt es, Hindernisse zur Realisierung einer (sektoren-) übergreifenden Versorgung überall zu überwinden und arbeitsteilige Prozesse neuauszurichten.
Zu den ersten Erkenntnissen der Interschutz gehörte, dass für die Bewältigung dieser neuen Herausforderungen ein 360°-Blick erforderlich ist, um tatsächlich ein vollständiges Lagebild zu erhalten und umfassend handeln zu können und Leistungsstrukturen für das DRK immer gleichzeitig an den Determinanten „medizinische Leistung“, „Wirtschaftlichkeit“ und „Idealauftrag“ ausgerichtet sein müssen.
Bevölkerungsschutz für zukünftige Krisen stärken
Der Bevölkerungsschutz steht also – auch das ist inzwischen in den Köpfen angekommen – vor gewaltigen Herausforderungen, beispielsweise durch Extremwettereignisse, neue pandemische Szenarien, asymmetrische Bedrohungslagen oder Cybergefahren.
Die derzeit im Haushalt des Bundesinnenministeriums vorgesehenen 805 Millionen Euro im Jahr 2022 reichen da nicht aus, um auf nationaler Ebene einen nachhaltigen und umfassenden Bevölkerungsschutz sicherzustellen. Für eine zukunftsgerechte Vorsorge, Vorhaltung, Infrastruktur und Ehrenamtsunterstützung ist eine dauerhafte Verstetigung der Bundesmittel auf mindestens zwei Milliarden Euro jährlich (0,5 Prozent des Bundeshaushaltes – derzeit: 0,14 Prozent) notwendig.
Das Ehrenamt
Auch die Schaffung von ehrenamtsfreundlichen Rahmenbedingungen, u.a. durch die Erreichung einer Helfergleichstellung, ist ein wichtiger Faktor für den Erhalt der Leistungsfähigkeit im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz.
Die Landesgesetze von Bayern, Brandenburg, Hessen, NRW und Schleswig- Holstein sind dabei bereits positive Beispiele für eine tragfähige Helfergleichstellung im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz. In mindestens neun Bundesländern besteht jedoch weiterhin dringender Handlungsbedarf. Geregelt werden müssen: Ansprüche auf Freistellung (bei Einsätzen und Aus- und Fortbildungen), auf Ersatzleistungen und der Ausgleich für finanzielle Schäden aller HelferInnen der anerkannten Hilfsorganisationen entsprechend den administrativen und rechtlichen Vorgaben für das Technische Hilfswerk und die freiwilligen Feuerwehren.
Stärkung des Rettungsdienstes durch Planungssicherheit
Der Rettungsdienst zählt zu den wichtigsten Grundpfeilern der Notfallversorgung und bildet für den Bevölkerungsschutz die Speerspitze, sind es doch gerade Notärztinnen und Notärzte, sowie NofallsanitäterInnen, die auch bei großen Schadenslagen unmittelbar einsatzbereit sind.
Seit 2009 zeigen viele Vergabeverfahren rettungsdienstlicher Leistungen, dass Wettbewerb nicht in jedem Einzelfall automatisch zu Wirtschaftlichkeit führt. Aus diesem Grund wurde 2016 die Bereichsausnahme Gefahrenabwehr/Rettungsdienst eingeführt, die allerdings bisher noch keinen ausreichenden Einfluss auf die Vergabepraxis erzielen konnte. Weiterhin verteuern Ausschreibungen oft die Leistung. Sie formalisieren Beziehungen zwischen Träger und Hilfsorganisation, nehmen Flexibilität und Handlungsoptionen in der Gefahrenabwehr und verlagern (wirtschaftliche) Risiken auf Leistungserbringer.
Auch für den Wettbewerb gilt daher: Er ist nur so gut, wie seine Rahmenbedingungen. Diese müssen langfristige Anreize für Qualität, Wirtschaftlichkeit und Vernetzung mit dem Bevölkerungsschutz (trotz Trennung der Kostenanteile) sein.
Das DRK empfiehlt daher für die anstehende Reform der Notfallversorgung die Implementierung eines Planungsmodells, das diese langfristigen Anreize bietet und sich an der Leistungsfähigkeit im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz orientiert. Der Preis darf dabei kein Auswahlkriterium sein.
Aufwachsende Betreuungslagen
Die Implementierung der Betreuungsreserve des Bundes für den Zivilschutz leistet einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes in Deutschland. Das Hochwasser im Sommer 2021, die Bewältigung der Corona-Pandemie sowie die Flüchtlingsbewegungen im Zuge des Ukraine-Krieges zeigen, dass wir dringend solche Reserven benötigen.
Im Rahmen potenzieller Einsätze des „Labor Betreuung 5.000“ kann die breite Handlungsfähigkeit des Mobilen Betreuungsmoduls über die Kernfähigkeiten der Betreuung, nämlich Unterkunft, Schlafmöglichkeiten und Erstversorgung mit Betreuungsmaterial, Gesundheit, WASH (Water, Sanitation and Hygiene), Stromerzeugung und Verpflegung sichergestellt werden.
Die Botschaft aus Hannover lautet: Alle Akteure im Bevölkerungsschutz sind nun gemeinsam gefordert, Ideen in Maßnahmen umzusetzen, um die Gesellschaft resilienter gegenüber Katastrophen und langanhaltenden Krisen werden zu lassen.
Das DRK im Gespräch
Daneben richtete das DRK mit täglichen Podien den Fokus auch auf weitere strategisch relevante Themen. Neben der Frage, welche Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen werden können und ob ein Gesundheitsvorsorge- und -sicherstellungsgesetz (GVSG) notwendig sei, ging es auch um die Fragen, was Krieg für die deutsche Gefahrenabwehr bedeute, was für Krisen zukünftig zu erwarten seien und welche Strategien verfolgt werden müssten, um sich darauf einzustellen. Zum Abschluss blieb auch der Aspekt der hybriden Bedrohungen in Bezug zur Gefahrenabwehr nicht unbeleuchtet.
Alle Podien können unter „Das DRK im Gespräch“ auf dem DRK-YouTube-Kanal als Mitschnitt gefunden werden.
Crisis Prevention 3/2022
Björn Stahlhut