Windenergieforschung der Zukunft: „Wir müssen das Gesamtsystem besser verstehen“

  • Bei der Windenergie lassen sich durch Forschung noch wesentliche Verbesserungen hinsichtlich Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Geräuschentwicklung erreichen.
  • Im Interview gibt die DLR-Expertin Dr. Michaela Herr einen Einblick, welche Aspekte die Windenergieforschung in Zukunft verstärkt in den Blick nehmen wird.
  • Die aus dieser Forschung entstehenden neuen Technologien werden einen entscheidenden Beitrag leisten, um auch die Akzeptanz der Windkraft weiter zu steigern.
  • Schwerpunkte: Energie, Windenergie, Technologietransfer
Forschungspark WiValdi in Krummendeich
Forschungspark WiValdi in Krummendeich
Quelle: DLR

Bereits ein Viertel des Stroms in Deutschland stammte im Jahr 2022 aus Windenergie. Nach Kohle ist Wind damit die zweitwichtigste Energiequelle. Bis Ende 2030 sollen in Deutschland On-Shore-Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 115 Gigawatt installiert werden. Aktuell sind es knapp 60 Gigawatt. Alle Bundesländer sind gesetzlich verpflichtet, bis 2032 zwei Prozent ihrer Fläche für Windenergie auszuweisen. Neben dem Bau neuer Anlagen soll der Fokus auf „Repowering“-Maßnahmen liegen: also dem Ersatz alter Windräder durch leistungsstärkere Anlagen. Ohne intensive Forschung und die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie werden diese Ziele nur schwer erreichbar sein. Im Interview gibt Dr. Michaela Herr vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) einen Einblick in die Herausforderungen und Potenziale auf dem Weg dorthin.

Michaela Herr leitet seit einem Jahr die neugegründete Abteilung Windenergie am DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Braunschweig. Die studierte technische Biologin kam vor zwanzig Jahren für ihre Doktorarbeit ins DLR und promovierte zum Thema Aeroakustik. Dieser Bereich beschäftigt sich mit Geräuschen, die aerodynamisch, das heißt durch das Um- oder Durchströmen von Bauteilen, erzeugt werden. Weiß man, wie diese Geräusche entstehen und sich ausbreiten, kann man sie besser verhindern – beispielsweise um den Lärm von Flugzeugen, Fahrzeugen oder auch Windrädern zu verringern. Seit jeher gehört die Windenergieforschung zu Michaela Herrs Lieblingsthemen. Als Forscherin ist sie überzeugt, dass auf ihrem Gebiet technologisch noch viele neue Erkenntnisse darauf warten, entdeckt und in die Anwendung gebracht zu werden.

DLR-Expertin für Windenergie Dr. Michaela Herr
DLR-Expertin für Windenergie Dr. Michaela Herr
Quelle: DLR

Was gibt es denn im Bereich der Windenergie noch zu erforschen?

Dr. Michaela Herr: Windenergie ist weit davon weg, „ausgeforscht“ zu sein. Im Gegenteil: Wir stehen bei vielen Fragen erst am Anfang. Was ihre grundsätzliche Form betrifft, werden die großen Windenergieanlagen in Zukunft nicht wesentlich anders aussehen. Allerdings werden sie schlauer und intelligent geregelt sein – von den einzelnen Komponenten bis hin zum komplexen Park und dessen Einbindung ins Netz. Im Betrieb von Windparks gibt es noch viel Verbesserungspotenzial. Um bei diesen Fragestellungen weiterzukommen, brauchen wir mehr Know-how, unter anderem beim Überwachen des Betriebs mit Sensoren und digitalen Modellen. Zudem werden die Anlagen immer höher und größer. Möglich macht das die Forschung zu neuartigen Materialien und Fertigungsmethoden. Gleichzeitig wollen wir Windräder immer dichter positionieren, um bestehende Flächen besser zu nutzen und neue Flächen optimal zu erschließen. Dazu müssen wir wissen, wie sich die Anlagen gegenseitig beeinflussen und wie sie mit den teilweise sehr unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort interagieren.

Wie kann Forschung dazu beitragen, die gesellschaftliche Akzeptanz der Windenergie weiter zu steigern?

Herr: Laut einer Forsa-Umfrage ist die Akzeptanz für den Ausbau der Windenergie an Land mit rund 80 Prozent bereits hoch. Angesichts des geplanten umfangreichen Ausbaus in den nächsten Jahren ist es wichtig, dass das so bleibt. Dazu müssen die Menschen dort, wo neue Anlagen entstehen, durch frühzeitige, wissenschaftlich fundierte und transparente Kommunikation mitgenommen werden.

Die durch Windräder entstehenden Geräusche sind oft ein kritischer Punkt. Aus meiner Forschung weiß ich, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, diese Schall-Emissionen weiter zu verringern. Heutiger Standard ist der Einsatz von sogenannten Serrations. Das sind gezackte Hinterkanten an den Rotorblättern. Sie reduzieren den Schall dort, wo er entsteht. Auch bei der Anlagenregelung gibt es einiges an Spielraum, um im Betrieb leiser und effizienter zu werden. Wie lästig man Lärm empfindet, hängt von der Lautstärke ab, aber auch von der Art des Schalls am Immissionsort – also dort, wo man sich befindet. Mit der Drehung der Rotorblätter zeitlich schwankender Schall stört mehr als ein gleichmäßiges Rauschen. Um die Ausbreitung des Schalls vom Entstehungsort (Schall-Emission) bis zum Immissionsort besser vorhersagen zu können, müssen Topografie, Wetter und die atmosphärischen Schichten bei den jeweiligen Anlagen in die Modellierung einfließen.

Damit solche Forschung gelingt, müssen wir die Windenergie als Ganzes besser verstehen. Im DLR haben wir dazu die Windenergieforschung interdisziplinär aufgestellt: Ob Aerodynamik, Aeroakustik, Aeroelastik, Atmosphärenphysik, Energiesystemanalyse, Material- und Fertigungstechnik, Sensortechnologie oder Software-, Steuerungs- und Regelungstechnik – alle Bereiche arbeiten zusammen. Unser Ziel ist es, die Windenergieforschung datenbasiert und systemisch anzugehen. Dann können wir wiederum besser standortspezifische Aussagen treffen und individuell Lösungen erarbeiten, um Windenergie im Kontext des jeweiligen Standorts möglichst effizient und leise zu machen.

Welche Rolle wird dabei der Forschungspark Windenergie WiValdi des DLR spielen?

Herr: WiValdi ermöglicht Forschung im Originalmaßstab unter realen Umweltbedingungen – eine einmalige Möglichkeit für Wissenschaft und Industrie. Die Abkürzung WiValdi steht für Wind Validation. Wir wollen auf Basis wissenschaftlicher Methoden physikalische Zusammenhänge möglichst exakt beschreiben und Modellannahmen im Experiment bestätigen, also validieren. Dazu betrachten wir über einen längeren Zeitraum ein breites Spektrum an Strömungsvorgängen: von der Atmosphäre bis hin zur kleinsten Verwirbelung rund um die Rotorblätter. Indem wir diese experimentellen Daten mit unseren Simulationen zusammenbringen, erlangen wir den größtmöglichen Erkenntnisgewinn und damit die Fähigkeit, zukünftig gezielt bessere Windparks zu planen und bauen.

In der Musik klingen einzelne Instrumente schön. Aber erst im Konzert zusammen mit anderen entfalten sie ihre volle Wirkung. Das Gleiche gilt für die einzelnen Forschungsdisziplinen, die im Forschungspark WiValdi zusammenarbeiten, um die Windkraft als Gesamtsystem zu verstehen. Von den Fundamenten bis zur Blattspitze in 150 Meter Höhe sind alle Komponenten des Forschungsparks mit vielen Sensoren ausgestattet. Diese messen zum Beispiel Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Drücke und kleinste Verformungen an den Rotorblättern – und erzeugen so einen umfangreichen Datenschatz. Zusätzlich hat das DLR bereits vor Baubeginn Messungen durchgeführt, um Vergleichswerte zu erheben. Neben der umfassenden Instrumentierung des Forschungsparks mit modernster Messtechnik ist auch sein Aufbau besonders: Die beiden großen Windenergieanlagen stehen auf einer Linie in Hauptwindrichtung dicht hintereinander. Kommerzielle Windparks würde man heute so nicht planen, weil die zweite Anlage genau im Nachlauf der ersten steht und mit sehr verwirbelter Luft zurechtkommen muss. Aber exakt das interessiert uns als Forschende. Denn so können wir erstmals im Realmaßstab untersuchen, was bei dieser Konstellation genau passiert. Wir wissen dann besser, wie eng man Anlagen zukünftig positionieren, vorhandenen Platz besser nutzen und trotzdem eine hohe Effizienz erzielen kann.

Wie arbeiten Forschung und Industrie bei der Windkraft zusammen?

Herr: Im DLR arbeiten wir in vielen Projekten mit Unternehmen zusammen. Im Bereich der Windenergie gehören dazu alle großen europäischen Hersteller und viele Zulieferer. Gemeinsam entwerfen und erproben wir zum Beispiel Rotortechnologien. Dazu zählen effizientere und leisere Profile für Rotorblätter oder nachrüstfähige Maßnahmen, um Strömung, Lärm und Lasten besser zu kontrollieren. Außerdem arbeiten wir daran, numerische und experimentelle Verfahren zu verbessern. Wichtig ist bei dieser Zusammenarbeit eine konkrete Verwertungsperspektive – und wir sind oft überrascht, wie schnell dieses Know-how in die Prozesse der Unternehmen einfließt. Beim Aufbau des DLR-Forschungsparks Windenergie WiValdi arbeiten wir eng mit Enercon, einem der führenden Hersteller im Bereich Windenergie, zusammen. Von dort stammen auch die beiden großen Windenergieanlagen des Forschungsparks. Bereits bei der Fertigung der Rotorblätter für diese Anlagen war ein DLR-Team dabei und baute umfangreiche Forschungsinstrumentierung direkt in die Rotorblätter ein. Eine Zusammenarbeit wie diese ermöglicht beiden Seiten tiefen Einblick in die Arbeit des anderen und erfordert gegenseitiges Vertrauen.

Welche Herausforderung gibt es bei der Zusammenarbeit von Forschung und Industrie im Bereich Windenergie?

Herr: Die aktuell größte Herausforderung ist der massive Kosten- und Wettbewerbsdruck auf Seiten der Hersteller, der für längerfristig angelegte Forschungsvorhaben wenig bis keinen Raum lässt. Denn aktuell muss der mittels Windkraft produzierte Strom vor allem eins sein: kostengünstig. Die Windenergieforschung im DLR unterstützt hier Hersteller wie Betreiber. Denn viele Forschungsfragen wären für einzelne Unternehmen finanziell zu risikoreich und unter den derzeitigen Markt- und Rahmenbedingungen nicht lukrativ zu untersuchen.

Was bisher ebenfalls noch nicht eingepreist wird, sind Aspekte wie Nachhaltigkeit, die Entwicklung von Technologien in Deutschland und Europa – und damit verbunden die Stärkung des heimischen Standorts – sowie eine zuverlässige Stromerzeugung möglichst nah vor Ort. In diesem Zusammenhang sollte man ein Auge auf das Geschehen in Amerika und China haben. Denn dort kann man gerade eine sehr dynamische Entwicklung im Bereich der Windenergie beobachten.

Wie schätzen Sie Konzepte wie Drachen und Vertikalachsen-Windenergieanlagen ein, die sich schon in Form und Aussehen von den bisherigen Anlagen unterscheiden?

Herr: Diese Konzepte kann ich mir gut im Kontext von kleineren Parks und für spezielle Märkte vorstellen. Flugwindkraftanlagen benötigen viel Raum nach oben, weil sie die energiereichen und stetigen Höhenwinde deutlich oberhalb von 200 Metern nutzen. In dicht besiedelten Gebieten und viel beflogenen Lufträumen dürfte das in der Genehmigungspraxis schwierig werden. Interessant sind Drachen in weniger gut erschlossenen, schwer zugänglichen Gebieten, in denen genügend Platz vorhanden ist. Der Aufbau solcher Anlagen lässt sich kostengünstig mit geringen Eingriffen in die Natur realisieren.

Vertikalachsen-Windkraftanlagen könnten eine wachsende Rolle spielen, wenn es um kleinere, autarke Lösungen für die lokale Energieversorgung geht. Mit ihnen könnte man zum Beispiel auch Standorte nutzen, die für größere, klassische Windenergieanlagen ungeeignet sind. Ergänzend zur Fotovoltaik könnten sie bei geschickter Integration kleinere Gebäudequartiere oder Gewerbe mit zusätzlichem Strom versorgen. Kleinstwindkraftanlagen sind im Aufbau und Betrieb einfach und erschwinglich und damit auch für Privatleute interessant. Im Kleinen gilt wie im Großen: Die Anordnung und Standortwahl sind entscheidend für die Effizienz.

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