- Seit Mai 2023 sind die ersten beiden Windenergieanlagen des DLR-Forschungspark Windenergie WiValdi fertig aufgestellt.
- Mit dieser einmaligen Großforschungsanlage will das DLR die Windenergie effizienter, wirtschaftlicher und leiser machen. So kann auch die Akzeptanz der Technologie weiter steigen.
- Der Forschungspark WiValdi ermöglicht Wissenschaft im Originalmaßstab unter realistischen Bedingungen und steht Industrie und Wissenschaft offen.
- Schwerpunkte: Energie, Windenergie, Technologietransfer
An der Niederelbe zwischen Cuxhaven und Stade stehen – idyllisch zwischen Feldern und Obstbäumen gelegen – seit Mai 2023 zwei Windenergieanlagen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). OPUS 1 und OPUS 2 recken sich 150 Meter in den Himmel und befinden sich in guter Gesellschaft. Denn im vorwiegend aus Westsüdwest kommenden Wind drehen sich in der Umgebung bereits mehrere Anlagen. Sie nutzen die oft steife Brise, um erneuerbaren Strom zu erzeugen. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden DLR-Anlagen nicht viel von ihren Nachbarn. Doch aus der Nähe wird klar: Hier ist einiges anderes, angefangen von den vielen schwarzen Punkten, die sich in Abschnitten über die Rotorblätter verteilen. Dazu kommen Messmasten, angestrichen in leuchtendem Rot. Gemeinsam mit der etwas weiter entfernt liegenden Leitwarte bilden sie ein ganz besonderes Ensemble: den DLR-Forschungspark Windenergie WiValdi in Krummendeich.
Wissenschaft im Originalmaßstab: Das System Windenergie als Ganzes verstehen
Der Name WiValdi steht für Wind Validation. Der Aufbau und die Zusammensetzung der Großforschungsanlage sind einzigartig. Sie wurde federführend vom DLR geplant und umgesetzt in Kooperation mit Partnern des Forschungsverbunds Windenergie und aus der Industrie. Mit ihrer Hilfe wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möglichst exakt herausfinden und bestätigen, also validieren, wenn diese durch die beiden Anlagen des Forschungsparks gewirbelt werden – und das bis auf die Ebene einzelner Windmoleküle. „WiValdi ermöglicht uns Wissenschaft im Originalmaßstab unter realen Umweltbedingungen. Unser Ziel ist dabei, die Windkraft als Ganzes mit all ihren Einflussfaktoren besser zu verstehen“, beschreibt Dr. Jan Teßmer, Leiter der DLR-Einrichtung Windenergieexperimente, die den Aufbau und Betrieb von WiValdi verantwortet. Auf Basis dieser Erkenntnisse entwickelt das DLR dann Technologien, um die Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz der Windenergie weiter zu steigern – gemeinsam mit Unternehmen und weiteren Forschungseinrichtungen, denen das Testfeld in Krummendeich ebenfalls offensteht.
Aus der Wissenschaft ins Bauprojekt: Ein kleines Team stellt sich der Herausforderung
Die offizielle Einweihung des Forschungsparks ist für August 2023 geplant. Dann werden alle Beteiligten auf eine spannende und gleichzeitig herausfordernde Zeit zurückblicken. Denn in den Händen eines kleinen Teams liefen sämtliche Fäden des Großprojekts zusammen: von der Planung des Forschungsparks über die Koordination von Prozessen und Gewerken beim Bau bis hin zur Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern der umliegenden Gemeinden. Die DLR-Forschenden mussten sich in teilweise ganz neue Fachgebiete einarbeiten sowie die lokalen Gegebenheiten und Erfordernisse kennenlernen. Zu berücksichtigen gab es beispielsweise die besonderen Voraussetzungen, um auf weichen Marschboden zu bauen, oder Maßnahmen, um die umliegenden Obstplantagen vor Bodenerosion zu schützen.
„Für uns war das etwas ganz Besonderes, weit weg von den Aufgaben im wissenschaftlichen Alltag“, fassen der Gesamt-Projektleiter Dr. Jakob Klassen und Lukas Firmhofer, zuständig für den zeitnahen Aufbau der dritten, kleineren Windenergieanlage OPUS 3, zusammen.
Eine Handvoll ganz Wagemutiger aus dem DLR ließ sich schulen, um selbst auf Messmasten und Anlagen zu steigen und sich im eher unwahrscheinlichen Notfall mit einer Rettungstonne von dort auch wieder abzuseilen. Denn ab und an wird doch ein Sensor gecheckt und ein Messgerät geprüft werden müssen. Neben viel Begeisterung für die Windenergie forderte das Projekt auch gute Nerven: Es kam zu Verzögerungen im Bauablauf durch die Corona-Pandemie und den Fachkräftemangel. Um die Menschen vor Ort über das Projekt zu informieren und die Fortschritte erlebbar zu machen, führte das Team im Internet ein Baustellen-Tagebuch, organisierte Baustellenbesuche und Informationsveranstaltungen.
In knapp zwei Jahren: WiValdi wächst in die Höhen der Nordseeluft
Schon vor Beginn der Bauarbeiten starteten erste wissenschaftliche Messkampagnen. Mit einem optischen, laserbasierten Messgerät (LiDAR) sammelten die DLR-Forschenden vom DLR-Institut für die Physik der Atmosphäre umfangreiche Daten. Daraus ermittelten sie Informationen zu Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Turbulenzen am Standort Krummendeich. Dieser Datensatz dient als Referenz- und Vergleichswert. So können etwaige Veränderungen durch die Windenergieanlagen im lokalen Wetter nachgewiesen werden. Eine ebenfalls wichtige Referenz ist die akustische Standortbewertung durch das DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik. So können später auch Änderungen in der Lärmkulisse genau analysiert werden.
Im Mai 2021 rollten dann die ersten Baumaschinen an. Sie schufen in den folgenden Monaten Zuwege, Aufstellflächen für die Kräne, Fundamente und Kabeltrassen für den Stromanschluss an das Umspannwerk des lokalen Energieversorgers. Anfang 2022 fanden die ersten Rammarbeiten für die Gründungspfähle statt. Diese waren notwendig, um die schweren Windenergieanlagen und Messmasten sicher auf dem weichen Marschboden zu bauen. Im April 2022 wuchs der erste Messmast in die Höhe. Er steht am westlichen Eingang zum Forschungspark, ist 150 Meter hoch und mit über 100 Sensoren bestückt. So kann er den einströmenden Wind vom Boden bis zur Rotorblattspitze vermessen. Ende des Jahres 2022 folgte das sogenannte Messmasten-Array. Diese Konstruktion verbindet drei Messmasten, zwei 100 Meter hohe außen und einen 150 Meter hohen in der Mitte. Sie tragen vor allem Sensoren, die auf Entwicklungen der ForWind-Partner der Universität Oldenburg basieren. Sie bestimmen genau, wie der Wind durch die erste Anlage verwirbelt wird, bevor er auf die zweite trifft. Über den Jahreswechsel begannen die Arbeiten für die Fundamente der Windenergieanlagen und im Frühling 2023 erfolgte die Anlieferung weiterer Komponenten wie Turmsegmente, Gondel und Generator. In der containerförmigen Gondel befindend sich alle elektrischen Komponenten der Windenergieanlage. Auf dem Dach der Gondel ist zudem ein weiteres LiDAR-System installiert. Es vermisst den einströmenden und hinter dem Rotor wieder austretenden Wind.
Die Krönung zum Schluss: Montage der Hightech-Rotorblätter
Im April und Mai 2023 war es endlich soweit: Die sechs Rotorblätter, alle per Spezialtransport in mehreren Nächten angeliefert, waren nun bereit für die Montage. Zuvor waren die Rotorblätter in monatelanger Vorarbeit bereits im Fertigungsprozess umfassend instrumentiert und beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven getestet worden. Beteiligt waren dabei das DLR-Institut für Aeroelastik, das DLR-Institut für Systemleichtbau sowie die ForWind-Partner der Universität Hannover.
Vom DLR-Team über die Kranführer und Einweiser am Boden bis hin zu den Arbeitern, die in der Rotornabe die Blätter in Empfang nahmen und sie mit jeweils mehr als 50 Bolzen festzogen – dieser letzte Arbeitsschritt war für alle eine ganz besondere Herausforderung und gleichzeitig der spannendste Teil.
Bevor es jedoch losgehen konnte, musste einiges an Wartezeit überstanden werden und die Nerven trotzdem ruhig bleiben. Denn das Heben und Montieren der 57 Meter langen und 20 Tonnen schweren Blätter mit einem Großkran konnte nur bei gutem Wetter und vor allem ruhigen Windverhältnissen erfolgen. Betrug die Windgeschwindigkeit mehr als sechs Kilometer pro Stunde, was dort natürlich oft der Fall war, hieß es: Abwarten. Fasste das Montage-Team dann den Entschluss, die Blätter in die Höhe zu ziehen und zu befestigen, musste es fix gehen. Hing das Blatt einmal am Haken, gab es kein Zurück mehr.
Am frühen Nachmittag des 13. Mai 2023 war das Werk vollbracht: Auch die zweite Windenergieanlage OPUS 2 strahlte fertig montiert im frühsommerlichen Sonnenschein. In den Wochen bis zur Einweihung im August bereitet das Team nun in enger Zusammenarbeit mit dem Anlagenhersteller Enercon die Inbetriebnahme der beiden Anlagen vor. Alle Sensoren, die vorher für die Forschung in den Einzelkomponenten installiert wurden, müssen nun für den Einsatz im Gesamtsystem verdrahtet und verschaltet werden. Das DLR-Institut für Flugsystemtechnik sorgt nun dafür, dass am Ende alle Daten im synchronisierten Datenmanagementsystem landen und für die Nutzenden des Forschungsparks zur Verfügung stehen. Dann folgen Probebetrieb und die Installation von weiterer Messtechnik. Die dritte, kleinere Windenergieanlage OPUS 3 soll zeitnah folgen. Sie wird modular aufgebaut und so für wechselnde Forschungsexperimente anpassbar sein.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)
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