Wir sind auf einem Highway in die Klimahölle und haben den Fuß auf dem Gaspedal“, so formulierte es UN-Generalsekretär Guterres im letzten Jahr. Bedingt durch den Klimawandel werden Extremwetterereignisse weltweit und damit auch in Mitteleuropa weiter zunehmen. Es wird uns immer häufiger vor Augen geführt, wie mächtig die Natur zuschlägt und wie verwundbar der Mensch dann häufig ist.
Diese Entwicklung stellt alle gesellschaftlichen Akteure vor enorme Herausforderungen und bedarf darüber hinaus weitreichender Präventionsmaßnahmen sowie umfassender Bewältigungsstrategien. Hier sind neben den handelnden staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in der Gefahrenabwehr auch weitere Akteure gefragt: zivilgesellschaftliche Gruppen, Unternehmen, der Bildungsbereich und am Ende auch jeder und jede Einzelne.
Eine nachhaltige Stärkung der Resilienz ist unumgänglich, um Menschenleben, Gesundheit und materielle Werte, nicht nur bei Extremwetterereignissen, besser zu schützen. Resilienz ist aber immer von zwei Seiten zu betrachten: einmal von der gesellschaftlichen Seite, Gruppen und Strukturen betreffend, und einmal von der individuellen Seite mit entsprechender Eigenverantwortung. Dabei muss, nach dem Selbstverständnis des ASB, grundsätzlich ein Fokus auf vulnerable Bevölkerungsgruppen gelegt werden, die besonderen Schutz benötigen.
Extremwettererfahrungen in Deutschland
Extremwetterlagen treten immer häufiger und in unterschiedlichen Schweregraden auf und zeigen uns, dass Bedrohungsszenarien weiterhin existieren, immer näher rücken und die Gesellschaft sowie jedes Individuum stark fordern. Hochwasserkatastrophen traten beispielsweise in der Vergangenheit nur etwa alle zehn Jahre auf, wie z. B. an der Elbe 2002 und 2010. Auch das Sturmtief Bernd, das im Juli 2021 mit seinem verheerenden Starkregen großflächig zu massiven Zerstörungen und Todesopfern führte, traf die Menschen beinahe unvorbereitet. Die Schäden gehen in die Milliarden, über 180 Menschen starben. Darunter auch zwölf Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims für Menschen mit Beeinträchtigungen in Sinzig.
Neben Starkregenereignissen führen Schneekatastrophen oder Hitze- und Dürrewellen zu einer großen Belastung der gesamten Bevölkerung und der Umwelt. Erst im Januar 2024 in Nordrhein-Westfalen, im Dezember 2023 in München oder in Süddeutschland 2008 sorgten starker Schneefall, Frostperioden und gefährliches Glatteis für großes Verkehrschaos, isolierte Ortschaften und etliche Einsätze der BOS. Gleichzeitig führen kumulierende Hitzesommer zu genau dem Gegenteil: die Gefahr von Feld- oder Waldbränden steigt, Niedrigwasser und knappes Trinkwasser setzen Menschen und Tiere einer reellen Gefahr aus. Immer häufiger kommt es in Deutschland durch derartige unvorhersehbare Ereignisse zu Ausnahmesituationen im Katastrophenschutz, in denen insbesondere Menschen mit Einschränkungen (Behinderung, Alter, Krankheit etc.) bestimmte unverzichtbare Hilfen benötigen.
Steigerung der gesellschaftlichen Resilienz
Der Begriff Resilienz, als Komplementärbegriff zu Vulnerabilität, wird in der Psychologie genutzt, um die Widerstandsfähigkeit von Menschen und Gesellschaften gegenüber belastenden Situationen oder einem erhöhten Stresslevel zu beschreiben und diese, ohne signifikante Beeinträchtigungen, überstehen zu können. Dabei sind nicht ausschließlich Maßnahmen relevant, die für die Stärkung der individuellen Resilienz dienlich sind – es geht ebenso darum, die kollektive Resilienz zu verbessern. Hier ist neben entsprechenden Präventionsmaßnahmen insbesondere an das Zusammenspiel von Kommunen, kritischer Infrastruktur, Unternehmen, sozialen Einrichtungen etc. zu denken.
In diesem Zusammenhang wurden vielfältige Gefahrenanalysen erstellt. Nach jedem größeren Schadensereignis finden Lessons-Learned-Prozesse mit verschiedenen Ansätzen statt. Für unterschiedliche Zielgruppen wurden und werden Programme und Maßnahmen von einer Vielzahl von Akteuren getestet und teilweise institutionalisiert, doch besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen, die in allen Bevölkerungsschutzschichten vertreten sind, aber als schwer erreichbar gelten, wurden und werden bislang nicht oder nur punktuell berücksichtigt.
Die Resilienzstrategie der Bundesregierung ist ein wichtiger und richtiger Schritt, bei dem vielfältige Akteure eingebunden und in Form von einer „Nationalen Plattform zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen“ kanalisiert werden. Beauftragt ist hiermit die „Nationale Kontaktstelle für die deutsche Resilienzstrategie und das Sendai Rahmenwerk (NKS)“.
Ressort- und länderübergreifender Wissenstransfer
Jede große Schadenslage zieht eine Analyse der Ereignisse sowie der maßgeblichen Fehler, Probleme und Schwachstellen nach sich. Daran sind häufig viele Akteure beteiligt, doch eine juristische Konsequenz im Sinne einer vorgeschriebenen Prävention ist eher selten. Beispiel Hochwasserereignisse: Die Lessons-Learned-Ergebnisse aus den vergangenen Hochwasserlagen sind vielfältig, doch die Ereignisse fanden in unterschiedlichen Bundesländern statt. Damit stellt ein flächendeckender Wissenstransfer eine große Herausforderung für die Bundesrepublik Deutschland als föderal organisierten Staat dar.
Neben den Ländergrenzen sind die auf verschiedene Ressorts verteilten Zuständigkeiten eine große Hürde für die Umsetzung von Lessons-Learned-Maßnahmen nach Extremwetterlagen. Ressortübergreifende Planungen und Regelungen sind immer noch nicht an der Tagesordnung, sondern stellen eher die Ausnahme im politischen Alltag dar. Klare Regelungen zum Vorgehen in Schnittmengenbereichen verschiedener Ressorts sind häufig nicht erkennbar. Dies wird in Krisensituationen besonders deutlich, z. B. in der Corona-Pandemie, als Schnittstelle zwischen den Politikfeldern Gesundheit und Inneres. Dann treten immer wieder deutliche Schwächen des Krisenmanagements zutage, die im Vorfeld mit dem Wissen bereits erfolgter Analysen und Lessons-Learned-Ergebnisse hätten vermieden werden können.
Namhafte Beispiele sind hier u. a. die Ergebnisse von LÜKEX zur Pandemie oder Gasmangellage, die nicht wirklich präventiv, d. h. vorbeugend verhütend, genutzt wurden.
Ausbau eines finanzierten, zentralen
und routinierten Krisenmanagements
Extremwetterlagen, seien es Hitzewellen, Starkregen mit Überschwemmungen, Schneekatastrophen oder heftige Stürme, haben viele Gemeinsamkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Bewältigung dieser Ereignisse. Die Mittel der Bewältigung sind jeweils andere, aber die dahinterstehenden Prozesse des Krisenmanagements sind immer die gleichen. Grundsätzlich gibt es in Deutschland auch ein weitgehend gemeinsames Verständnis von Krisenmanagementstrukturen der BOS, doch deren Ausgestaltung und tatsächliche Arbeitsweisen unterscheiden sich zum Teil erheblich.
Dabei spielen, neben strukturellen Unterschieden, insbesondere die Qualität der Ausbildung sowie die Häufigkeit von Übungen und tatsächlichen Einsätzen des Krisenmanagements eine entscheidende Rolle. Wenn beispielsweise Krisenstabsmitglieder einer Kommune vor fünf Jahren einmal eine Schulung zur Stabsarbeit absolviert haben und dann in einer wirklichen Krise schnell, zielsicher und unter einem hohen Stressniveau handeln und agieren sollen, so kann man sich leicht vorstellen, dass das nicht reibungslos funktionieren kann und vermeidbare Fehler und letztlich Schäden nach sich zieht. Sollen künftig ausreichende Routinen und Handlungssicherheit der Beteiligten entstehen, so erfordert dies auskömmliche Geld- und Personalressourcen und eventuell teilweise auch hauptamtliches, statt wie bisher an vielen Stellen eingesetztes, ehrenamtliches Personal.
Planungen für langfristige Nachsorge
und Wiederaufbau
Die Folgen von Extremwetterlagen sind für die Betroffenen in der Regel längerfristiger, als die verschiedenen Akteure des Bevölkerungsschutzes aktiv sind. Dies zeigte sich zuletzt eindrücklich in NRW und Rheinland-Pfalz durch das Sturmtief Bernd 2021. Dort ist der ASB, außerhalb seiner hoheitlichen Aufgaben im Bevölkerungsschutz, heute noch in der Nachsorge und dem punktuellen immer noch ausstehenden Wiederaufbau mit eigens gesammelten Spendenmitteln aktiv. Auch an dieser Stelle müssen aus Sicht des ASB insbesondere vulnerable Gruppen besondere Beachtung bei der Nachsorge und Stabilisierung finden. Dazu gehört die Finanzierung von Ausstattung, die über die existenziell notwendige hinausgeht (Hebammenmobil, Musikinstrumente), ebenso wie die Bereitstellung vielfältiger Bewältigungsangebote für Kinder und Einrichtungen (kunsttherapeutische, pädagogische und andere Maßnahmen).
Schaffung langfristiger Betreuungsressourcen
Neben derartigen Aspekten der sozialen Betreuung benötigen wir, auch dies haben bisherige Lagen deutlich gezeigt, längerfristige mobile Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten in der Nähe von Schadensereignissen. Hierzu sind die Mobilen Betreuungsmodule (MBM 5.000) als Betreuungsreserve des Bundes ein erster Anfang, doch deren Kapazitätserweiterung auf bis zu 50.000 Betreuungsplätze in der gesamten Bundesrepublik muss deutlich vorangetrieben werden. Sie folgen zudem einem Konzept, das über die Landesgrenzen hinaus wirken kann. Dennoch bedarf es auch hierzu hinreichender finanzieller Mittel, um diese essentiellen Hilfsmaßnahmen auch nachhaltig einsetzen und das entsprechende Personal ausbilden zu können. Es muss langfristig und über eine reine Materialeinlagerung hinaus gedacht und geplant werden.
Steigerung der persönlichen Resilienz
Katastrophenprävention: Bildung/Aufklärung
Widerstandskraft in Extremwetterlagen setzt zum einen Wissen voraus, wie man sich selbst und andere in bestimmten Lagen schützen kann, zum anderen benötigt es Fähigkeiten zur Umsetzung dieser schützenden Maßnahmen – und zwar bevor Rettungskräfte eintreffen. Die Menschen müssen für die Relevanz sensibilisiert werden: dafür, dass sie betroffen sein können, für Nachbarschaftshilfe und dafür, dass der Bevölkerungsschutz ihre Mithilfe dringend braucht. Das kann im Rahmen von regelmäßigen, verpflichtenden Erste-Hilfe-Kursen stattfinden, von eigens konzipierten Schulfächern, die Einbindung von Arbeitgebern, kommunal organisierten Veranstaltungen oder mediale Kampagnen – präventive Ansätze können vielseitig und zielgruppenorientiert Anwendung finden. Erfahrungen zeigen, dass die Menschen bereit sind, sich für die Thematik zu öffnen. Dennoch erfährt Katastrophenprävention im Diskurs noch immer nicht die nötige Aufmerksamkeit.
Ein besonderer Fokus ist beim Thema Aufklärung auf vulnerable Bevölkerungsgruppen und ihre Angehörigen zu legen. Teilweise ist hier Unterstützung von außen unverzichtbar, sodass Strukturen geschaffen werden müssen, die auch in überraschenden Situationen den notwendigen Schutz bieten. Die Einbindung in die Planung solcher Maßnahmen von Angehörigen und Pflegekräften ist für die erfolgreiche Umsetzung maßgeblich.
Erste Hilfe mit Selbstschutzinhalten (EHSH)
Ein gutes Beispiel zur Steigerung und Förderung der persönlichen Resilienz ist das Projekt „Erste Hilfe mit Selbstschutzinhalten (EHSH)“, welches durch das BMI/BBK finanziert wird. Seit 2020 werden zielgruppenspezifische, modular aufgebaute Kurse in der Öffentlichkeit durchgeführt, die die Vorsorge und Vorbereitung auf Krisen und Katastrophen beinhalten. Denn: Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist von besonders großer Bedeutung für eine krisenfestere Bevölkerung. Durch die Erfahrungen in der Corona-Pandemie, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem Systemversagen in der Hochwasserkatastrophe 2021 steigt die Anzahl an geschulten Menschen mit jedem Jahr rasant an. Allein der ASB hat in diesem Zeitraum über 100.000 Menschen erreichen können.
Neben der Aufklärung über die Auswirkungen einzelner Extremwetterlagen werden die Themen individuelle Bevorratung (Lebensmittel, Wasser, Medikamente), Notfallgepäck oder allgemeine Vorsorge für beispielsweise pflegende Angehörige, für Unternehmen oder Pflegeeinrichtungen sowie der Umgang mit dem deutschen Hilfeleistungssystem für geflüchtete Menschen thematisiert.
Fazit
Die „Nationale Plattform zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen“ ist unter Einbindung aller gesellschaftlichen Akteure ein erster guter Ansatz. Mit den Kursen der „Ersten Hilfe mit Selbstschutzinhalten (EHSH)“ wurden seit 2020 sehr viele Menschen erreicht, die sich auf Krisen und Katastrophen vorbereiten können. Die Relevanz des Themas wurde somit erkannt.
Für die Erstellung nachhaltiger Bewältigungsstrategien gegenüber Extremwetterereignissen müssen, neben Veränderungen von Bildungsplänen, baulichen Maßnahmen im Hochwasserschutz und einer individuellen Resilienz in der Bevölkerung, auch weitreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland darf nicht in Bereinigungssitzungen zum Bundeshaushalt entschieden werden, sondern muss einer bedarfsgerechten politischen Weitsicht folgen. Es bleibt abzuwarten, ob die Entwicklung des Gemeinsamen Kompetenzzentrums von Bund und Ländern (GeKop) dabei hilft, dem Kompetenzgerangel der Verwaltungsstufen Einhalt zu gebieten und stattdessen ein schlagfertiges Krisenmanagementinstrument implementiert wird.
Des Weiteren muss bei der Bewältigungsstrategie ebenso mitgedacht werden, wer im Krisenmoment handelt: Das sind in erster Linie ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, ob nun in Hilfsorganisationen gebunden oder als Spontanhelfende. Eine bundeseinheitliche oder zumindest harmonisierte Helfendengleichstellung lässt weiter auf sich warten und steht auf der politischen Agenda eher hinten als vorne. Die Zeiten von Lippenbekenntnissen und „man müsste mal“ sind vorbei.
Aber um positiv in die Zukunft zu blicken, sollte nicht ungesagt bleiben, dass die deutsche Gesellschaft in der Corona-Pandemie gezeigt hat, dass sie solidarisch und resilient ist. Unzählige Initiativen und soziales Engagement haben an vielen Stellen soziales Leid, Einsamkeit und Isolation aufgefangen, selbstgenähte Masken, Nachbarschaftshilfe oder Fieberambulanzen sind entstanden und der ehrenamtliche Bevölkerungsschutz hat an viele Stellen Hilfe geleistet. Wir sind nicht nur resilient, sondern sicher auch wehrhaft. Leichter wäre es allerdings, wenn Bewältigungsstrategien dann vorliegen, wenn sie gebraucht werden und nicht in der Lage aus eigener Kraft wachsen müssen.
Crisis Prevention 1/2024
Für die Autoren:
Michael Schnatz
ASB-Bundesverband
E-Mail: bevoelkerungsschutz@asb.de