HYDRA: Multifunktionales Pontonboot für den Katastropheneinsatz

Sascha Wahlster, Andreas Himmelsbach, Uwe Katzky

Ein HYDRA-Satz lässt sich zu einer Transportplattform mit bis zu 50 Tonnen Nutzlast kuppeln.
GDELS

In enger Zusammenarbeit mit Organisationen des Bevölkerungsschutzes hat General Dynamics European Land Systems (GDELS) ein Pontonsystem speziell für den Einsatz bei Hochwassern, Dammbrüchen und anderen Großschadensereignissen entwickelt. Neben der extremen Modularität sind Bedienungs-, Sensor- und Ausbildungskonzept innovativ. Unterstützt wurde die Entwicklung vom Bremer Virtual-Reality-Simulationsspezialisten SZENARIS. Die entstandene Simulation wird zukünftig auch zur Ausbildung des Bedienpersonals von HYDRA genutzt.

Das multifunktionale Pontonboot – kurz PoBo – mit dem Namen HYDRA beruht auf einem Anforderungsprofil, das die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) in Zusammenarbeit mit den Feuerwehren Berlin, Kiel und Wesel, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, der Bundespolizei Berlin und dem gemeinsamen Havariekommando von Bund und Ländern in Cuxhaven seit 2018 erarbeitet hat. Der Prototyp wurde im November 2021 in Hamburg im Beisein des Koordinators der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, Norbert Brackmann, und des THW-Präsidenten Gerd Friedsam der Öffentlichkeit vorgestellt. Vorausgegangen waren ausgedehnte Erprobungen auf Weser und Elbe sowie Modellversuche im Duisburger Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme.

Zwei Einzelboote, bestehend aus je einem Bug-, Laderaum- und Antriebsmodul.
Zwei Einzelboote, bestehend aus je einem Bug-, Laderaum- und Antriebsmodul.
Quelle: GDELS

Ein HYDRA-Satz besteht aus vier Schwimmkörpern, den sogenannten Laderaummodulen, zwei Bug- und zwei Antriebsmodulen sowie vier Rampen und lässt sich auf zwei handelsüblichen LKW oder Anhängern transportieren. Für den Auf- und Abbau kann jeder Autokran mit einer Hebelast von mindestens zwei Tonnen genutzt werden. Mittels des ebenfalls neu entwickelten Verbinders lassen sich die Einzelkomponenten schnell und lagegerecht zu verschiedenen Kombinationen kuppeln:

  • je zwei kurzen oder langen Einzelbooten
  • einer kleinen oder großen Arbeits- oder Taucherplattform
  • einer Transportplattform
  • einem Schwimmbrückenabschnitt
  • einer Zehn-Meter-Festbrücke für den Einsatz an Land aus Rampenabschnitten

Wie die meisten GDELS-Pontonsysteme besteht auch HYDRA aus hochfestem Aluminium. Neben Robustheit und geringen Lebenszykluskosten wurde sehr viel Wert auf die einfache Bedienbarkeit auch unter widrigen Bedingungen gelegt. Der Antrieb erfolgt über zwei marktverfügbare Außenbordmotoren pro Antriebsmodul. Das System ist für die Nutzung sowohl in Binnen- als auch in Küstengewässern ausgelegt. Angedacht ist kurzfristig insbesondere der Einsatz durch das THW in den bisher mit dem Mehrzweckponton ausgerüsteten Fachgruppen Wassergefahren Typ B. Das modulare Design von HYDRA erlaubt darüber hinaus eine rasche und flexible Anpassung an die Bedürfnisse anderer Nutzer, wobei die einzelnen Module um kundenspezifische Zusatzausstattung erweitert werden können.

Neben der praktischen Expertise der Verbundpartner floss auch die langjährige Erfahrung von GDELS in die Entwicklung ein. Deren in Kaiserslautern ansässiger Geschäftsbereich Bridge Systems fertigt seit den 1950er Jahren amphibische und Pontonbrückensysteme für die Bundeswehr sowie für zahlreiche internationale Kunden. Die Amphibie M3 und die Pontonbrücken FSB und IRB haben sich in militärischen und Katastropheneinsätzen auf der ganzen Welt bewährt. Gefördert wurde das PoBo-Projekt durch das Innovationsprogramm „Unterstützung von Diversifizierungsstrategien von Unternehmen der Verteidigungsindustrie in zivile Sicherheitstechnologien“ des Bundeswirtschaftsministeriums.

Halbautonome Steuerung und Sensorik

Abweichend von konventionellen Bootssteuerungen mit Steuerrad und Schubhebel ist das Pontonboot mit einer voll digitalen Steuerung ausgestattet. Die kompakte, kabellose Fernbedienung mit Joysticks erlaubt es dem Bootsführer, sich frei auf Deck zu bewegen und dabei das Boot von jeder Position aus exakt zu steuern und zu rangieren. Eine autonome Steuerungskomponente für HYDRA wurde am Lehrstuhl Robotersysteme der Technischen Universität Kaiserslautern entwickelt. Durch Adaptierung von Stereokamera und Sonar kann das Pontonboot Hindernisse über und unter Wasser detektieren und diesen selbstständig ausweichen.

Ein weiterer Bestandteil des Projekts ist die autonom operierende Aufklärungseinheit BASILISK zur schnellen und zuverlässigen Voraberkundung der Übergangsstelle unter allen Sicht- und Wetterbedingungen. Zwei 1.100 Watt starke Elektroantriebe lassen die Katamaran-Drohne mit einer Geschwindigkeit von bis zu sieben Knoten auch bei starker Gegenströmung effizient operieren. Das System verfügt über ein 24-Volt-Bordspannungsnetz und ist für eine Betriebszeit bis zu maximal zwölf Stunden ausgelegt. Als Geräteträger kann der BASILISK eine Sensor-Nutzlast von bis zu 100 Kilogramm aufnehmen. Der Prototyp verfügt in seiner aktuellen Konfiguration über zwei nachtsichtfähige Kameras für Fahrbetrieb und Rundum-Aufklärung, Messinstrumente für Fahr- und Fließgeschwindigkeit und einen 360°-LIDAR-Sensor zur Vermessung von Entfernungen, Böschungshöhen und -winkeln sowie Hindernissen im Wasser und am Ufer (Felsen, Treibgut, Bewuchs und ähnliches). Für die Tiefenmessung und Unterwasseraufklärung sind ein Multibeam-Sonar und ein weiteres LIDAR vorhanden. Die kombinierten Messergebnisse werden in das elektronische Kartenmaterial übertragen. Die Software stellt mögliche Übergangsstellen grün dar, ungeeignete Uferabschnitte werden rot gekennzeichnet. Die Bewertungsparameter sind dabei je nach den Anforderungen der Lage skalierbar. Der BASILISK kann bis zu einer Entfernung von etwa 5.000 Metern ferngesteuert werden oder über GPS autonom operieren.

VR-Trainingssystem HYDRA: Außenansicht mit Beladung und Aufklärungseinheit...
VR-Trainingssystem HYDRA: Außenansicht mit Beladung und Aufklärungseinheit BASILISK.
Quelle: SZENARIS

VR-basierte Prototypenkonstruktion und Ausbildung

Innovativ sind auch der Entwicklungsprozess und das Ausbildungskonzept von HYDRA. Das Bremer Unternehmen SZENARIS GmbH hat für das Projekt ein Virtual-Reality-Visualisierungssystem zur Prototypenkonstruktion entwickelt. Hierbei wurden CAD-Konstruktionsdaten in 3D visualisiert und für die Verwendung in Virtual Reality (VR) aufbereitet. In dieser wurden dann verschiedene Konfigurationen getestet, Antriebe simuliert und Schwimmverhalten sowie Handhabung analysiert, um das System schon während der Entwicklung kontinuierlich zu evaluieren.

VR-Trainingssystem mit Lernendem.
VR-Trainingssystem mit Lernendem.
Quelle: SZENARIS

Im weiteren Projektverlauf wurde das Visualisierungssystem zu einem VR-Trainingssystem weiterentwickelt, mit dem die Einsatzkräfte kompetenzorientiert für die sichere Nutzung des Pontonbootes trainieren können. Das Trainingssystem besteht aus Lernmodulen und einer VR-Simulation. Mit den Lernmodulen werden die theoretischen Grundlagen über das Pontonboot erlernt. In der Simulation werden Bau und Rückbau der verschiedenen HYDRA-­Konfigurationen sowie die Fahr- und Manöverausbildung für die Einsatzoptionen Einzelmodul, Taucher-, Arbeits-, Transport- und Evakuierungsplattform sowie Schwimmbrücke durchgeführt.

Die Bedienung erfolgt mithilfe sogenannter Mockups. Hierbei handelt es sich um Nachbauten der Originalbediengeräte, die diesen in Aussehen, Haptik und Funktion gleichen. Die Verwendung neuester VR-Brillen vom Typ HTC Vive Pro ermöglicht zudem ein „Eintauchen“ in die virtuelle Welt, auch „Immersion“ genannt. Dadurch werden die simulierte Umgebung sowie die eigene Interaktion als sehr realistisch wahrgenommen. Das Verhalten des Pontonbootes in der virtuellen Realität wird unter verschiedenen Einsatz- und Wetterbedingungen mittels einer Physik-Engine realitätsnah simuliert. All das sorgt für eine Trainingserfahrung, die als „echt“ empfunden wird und eine Übertragung des Erlernten auf die Realität erleichtert. Es ermöglicht das Trainieren auch schwieriger Einsatzaufgaben und schont das Material. Das Trainingssystem soll bei der Ausbildung von Bootsführenden der Fachgruppen Wassergefahren des THW und von anderen im Katastrophenschutz tätigen Organisationen genutzt werden.

Mit dem VR-Trainingssystem wurden so bereits während der Entwicklungsphase eine effiziente, ökonomische und qualitativ hochwertige Ausbildung des Bedienpersonals und damit schnelle Handlungssicherheit in der Praxis und eine frühe Einsatzfähigkeit des gesamten HYDRA-Systems ermöglicht. 


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