rescEU EMT
Startschuss für erstes gesamteuropäisches mobiles Feldkrankenhaus
Mario Di Gennaro
In einer Welt, die immer häufiger mit intensiveren Katastrophen konfrontiert ist, ist effektiver Bevölkerungsschutz von größter Bedeutung. Die Europäische Kommission hat daher das Programm rescEU ins Leben gerufen, das zum Ziel hat, die am europäischen Katastrophenschutzmechanismus (EUCPM) beteiligten Länder bei der Bewältigung von Katastrophen zu unterstützen. RescEU bildet materielle Reserven europäischer Kapazitäten, die von der EU finanziert und in unterschiedlichen europäischen Ländern betrieben und bevorratet werden. Auf Hilfeersuchen der beteiligten Staaten entscheidet die EU, welche dieser Reserven dann in den Einsatz gebracht werden. Vorgehalten werden beispielsweise medizinische Geräte und Gebrauchsartikel, aber auch eine Flotte an Flugzeugen für die Waldbrandbekämpfung und Güter zur Energieversorgung.
Seit April 2023 umfasst das rescEU Programm nun zusätzlich das Projekt rescEU EMT (Emergency Medical Teams), bei dem im Rahmen des europäischen Katastrophenschutzverfahrens 106,2 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden, um erstmalig mobile medizinische Behandlungskapazitäten für ein pan-europäisches, mobiles Feldkrankenhaus aufzubauen. Die Gesamtkoordination des Projektes rescEU EMT liegt beim Competence Center EU Civil Protection and Disaster Assistance (EUCC) der Johanniter in Frankfurt/Main.
Bereits 2017 waren die Johanniter an einem zweijährigen Projekt beteiligt, in dem ein modulares, europäisches Feldkrankenhaus (EUMFH) aufgebaut wurde. Dieses Projekt zeigte, dass die Zusammenarbeit mehrerer Partnerländer in einem gemeinsamen Emergency Medical Team (EMT) möglich ist.
Im Hinblick auf die Corona-Pandemie, die Erdbeben in der Türkei und Syrien, den häufigen Flächenbränden in Südeuropa oder die Überflutungen in Italien und Deutschland der letzten Jahre, sagt Projektleiter Mario Di Gennaro vom Competence Center EU Civil Protection and Disaster Assistance (EUCC) der Johanniter:
„Kaum ein Land kann sich so weit auf eine Katastrophe vorbereiten, dass es alles alleine schaffen kann. Mit dem rescEU muss dies auch kein Land - mit diesem Projekt leben wir den europäischen Solidargedanken. Deshalb ist es wichtig, dass wir enger zusammenarbeiten und die Menschen innerhalb und außerhalb Europas stärken und bestmöglich schützen und unterstützen.“
Die EMT-Klassifizierung eines Soforthilfeteams durch die WHO reguliert den weltweiten Zugang von Nothilfeorganisationen zu Katastrophengebieten, um schnell und koordiniert Menschenleben retten zu können. Dabei werden die EMTs in unterschiedliche Typen unterteilt.
Ein EMT Typ1 ist die kleinste Variante eines solchen medizinischen Einsatzteams. Es hat die Kapazitäten die medizinische Grundversorgung von mindestens 50 ambulant zu behandelnden Personen am Tag sicherzustellen, was einer Hausarztpraxis nahekommt.
Im Vergleich dazu, kann ein EMT Typ 2 mindestens 100 ambulant zu behandelnde Personen am Tag versorgen. Zusätzlich können weitere 20 Personen stationär zur Behandlung aufgenommen sowie kleine operative Eingriffe durchgeführt werden.
Die größte Variante dieser medizinischen Einsatzteams ist das EMT Typ 3. Neben den mindestens 100 ambulant zu behandelnden Personen können hier 40 Personen stationär versorgt sowie kleinere und größere Operationen in mindestens 2 Operationssälen erfolgen.
Die rund 106 Millionen Euro der Europäischen Kommission werden u. a. in die Entwicklung und Beschaffung von drei EMT Typ 2 fließen. Diese autonomen, medizinischen Behandlungseinheiten (mobile Krankenhäuser) sollen künftig im Rahmen des europäischen Katastrophenschutzmechanismus zum Einsatz kommen, um eine schnelle und umfassende Reaktion auf Katastrophen zu ermöglichen und, um die medizinische Grundversorgung eines betroffenen Landes zu erhalten.
Zu diesen drei Behandlungseinheiten kommen zusätzlich17 unterschiedliche Kapazitäten (13 Module) hinzu, wie beispielsweise medizinische Labore oder mobile Intensivstationen, die ganz autonom Intensivpatienten behandeln können, aber auch spezialisierte Module für Brandverletzungen, Mutter-Kind-Versorgung, Patiententransport, Sauerstoffversorgung, psychosoziale Notfallversorgung sowie Unterstützung bei der Telekommunikation. Die Module werden ab 2024 schrittweise im europäischen Katastrophenschutz-Pool registriert, vorgehalten und bei Bedarf abrufbereit sein. Sie decken dabei eine große Bandbreite von Katastrophenszenarien ab und werden von unterschiedlichen Ländern bereitgestellt.
Behandlungskapazitäten des rescEU EMT:
- Emergency Medical Team 2 (FR, RO, TR)
- Transfer-Patient Capacity (PT)
- Telecommunication Specialised Cell (LU)
- Mother & Child Care Specialised Cell (BE)
- Burn Rapid Response Team (BE)
- ICU Specialised Cell - Truck Based (DE, IT)
- ICU Specialised Cell - Pallet Based (RO)
- Specialiced Cell for Oxygen Supply (IT, PT, TR)
- Medical Laboratory Specialised Cell (DE, TR)
- Portable CT Scan Specialised Cell (IT)
- Public Health Specialised Cell (IT)
- Rehabilitation Service Specialised Cell (FR)
- Critical Incident Psychosocial Support Specialised Cell (DE)
- Complex Orthopaedical Treatment Specialised Cell (TR)
Die Johanniter leiten mit dem Competence Center EU Civil Protection and Disaster Assistance (EUCC) das multinationale Konsortium mit dem Mandat des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat. Sie koordinieren die Abstimmung zwischen den beteiligten Mitglieds- und Teilnehmerstaaten (Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, Portugal, Rumänien und der Türkei) und bündeln die Ergebnisse aus der gemeinschaftlichen Ausarbeitung. Aus Frankfurt heraus wird auch zentral die Koordinierung der Ausbildung und Trainings für die Soforthelfenden aller beteiligten Partnerländer erfolgen, die im Einsatzfall die unterschiedlichen Module besetzen. Ebenso wird in Frankfurt die Beschaffung von kapazitätsübergreifenden Gütern, wie Bekleidung oder Sauerstoffgeräten gebündelt.
Deutschland arbeitet derzeit explizit an den Kapazitäten für die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), ein mobiles medizinisches Labor mit der Möglichkeit über unterschiedliche Analyseverfahren Blut, Urin, Bakterien und vieles mehr zu detektieren und zu analysieren sowie an einem Intensivmedizinischem LKW (Intensive Care Unit), in dem sechs bis acht Menschen intensivmedizinisch behandelt werden können.
Die EMT Typ 2 ergänzen die bereits existierenden Emergency Medical Teams, die bereits von den einzelnen Mitglieds- und Teilnehmerstaaten im Rahmen des europäischen Katastrophenschutzmechanismus bereitgestellt werden.
Durch die unterschiedlichen Kapazitäten des rescEU EMT ergibt sich in der Kombination aller Kapazitäten ein EMT 3, welches nicht nur mehr Menschen versorgen, sondern auch spezifischere Behandlungen ermöglicht.
Ziel des Projektes ist sowohl eine gemeinschaftliche Diskussion zur Zusammensetzung der geplanten Kapazitäten und den gemeinschaftlichen Aufbau dieser als auch eine Vereinheitlichung aller Standardeinsatzregeln (SOPs) sowie des gesamten Equipments und Materials innerhalb der Module aller Partnerländer. Die Bündelung und Erweiterung der medizinischen Kapazitäten, aber auch gemeinsame Übungen der Soforthelfenden aus vielen unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und Standards sollen im Katastrophenfall die Wirksamkeit der Hilfeleistungen durch ein gemeinschaftliches rescEU EMT stärken. Im Zuge von immer häufiger auftretenden (Natur-(Katastrophen auch in vielen Ländern gleichzeitig, ist die Verfügbarkeit von medizinischen Kapazitäten durch den Aufbau von dezentralen, pan-europäischen Kapazitäten wie dem rescEU EMT sichergestellt.
Bei der feierlichen Kick-Off-Veranstaltung des Projektes vom 31. Mai bis 1. Juni 2023 im portugiesischen Cascais mit allen beteiligten Mitglieds- und Teilnehmerstaaten wurde bereits ein erster Workshop „Training & Exercises“ abgehalten. Bei diesem Arbeitstreffen haben die Teilnehmenden den Grundriss für anstehende Projekt- und Arbeitsgruppen gesteckt. Seither wurden alle benötigten Gremien und Arbeitsgruppen personell von den Partnerländern besetzt. Die Arbeitsgruppen arbeiten bereits an ersten konkreten Umsetzungsmöglichkeiten und bündeln die Ergebnisse entsprechend des Projektarbeitsplanes.
„Die Idee eines rescEU EMT ist mit einer großen Unschärfe geboren, jetzt liegt es an den Arbeitsgruppen diese Ideen zu konkretisieren, offene Fragen zur personellen Besetzung, aber auch Ausstattung zu klären und stets den Blick auf der gemeinsamen Interoperabilität alle einzelnen Module zu belassen. Wir haben ein gemeinsames Ziel vor Augen: das rescEU EMT und lassen dieses Projekt stetig wachsen. Als Projektleitung liegt es an uns, die vielen Arbeitsgruppen und Ergebnisse zu einem einheitlichen konkreten Bild zu knüpfen.“ betont Di Gennaro.
Als bisherige Erfolge sieht Di Gennaro zwei entscheidende und grundlegende Punkte: den Konsortialvertrag (consortium agreement), bei dem sich alle Mitgliedsländer geeinigt haben, das wirtschaftliche Risikos im jeweiligen Land selbst zu tragen und dem „joint procurement“, bei dem der Beschaffungsprozess der Johanniter durch alle Partner akzeptiert wurde, und somit eine bestmögliche Einheitlichkeit und Interoperabilität gewährleistet wird.
Die Johanniter sind ein starker Partner der Europäischen Kommission im Bereich des Europäischen Katastrophenschutzes, vor allem im Bereich des Aufbaus von Notfallreserven (rescEU) sowie im Bereich der Ausbildung und Trainings (MODEX). Neben dem Projekt rescEU EMT stellen die Johanniter in drei weiteren rescEU-Projekten Nofall-Kapazitäten bereit: In Deutschland wurden mehrere Standorte zur Bevorratung von medizinischer Schutzausrüstung (rescEU Medical Stockpile DE), Medikamenten (rescEU Monkeypox Antivirals Stockpile) und Geräten zur Energieversorgung (rescEU Energy Supply) aufgebaut.
Crisis Prevention 4/2023
Mario Di Gennaro
Sachgebietsleiter
Competence Center EU Civil Protection and Disaster Assistance (EUCC)
Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.