Notruf 110 / 112 „Kein Anschluss unter dieser Nummer?!“

Thomas Leitert

Von vielen unbemerkt hat sich die Sicherheitsarchitektur in Deutschland in den letzten Jahren elementar verändert. Die deutschen Telekommunikationsanbieter haben die analoge und ISDN-Telefonie abgeschaltet. Was vom Marketing und Vertrieb als Fortschritt verkauft wurde, ist definitiv eine kritische Verschlechterung in Bezug auf die Sicherheit in Deutschland. Die Umstellung auf „Next Generation Network“ (NGN) oder „All-IP“ hat dazu geführt, dass wesentliche Elemente der Sicherheitsarchitektur, wie z. B. die permanente Möglichkeit für Notrufe und Alarmierungen, nicht mehr sicher verfügbar sind. Wie der wiederholte Ausfall der Notrufnummern 110 und 112 (zuletzt bei der Deutschen Telekom am 11.11.2021) zeigten, sind die Polizei und die Feuerwehr über diese Telefonnummern nicht mehr rund um die Uhr sicher erreichbar. Ebenso sind bspw. Brand- und Alarmmeldungen davon betroffen. Mit diesem Problem und der Frage, wie es gelöst werden kann, hat sich die KomRe AG in den vergangenen Jahren intensiv befasst und ein System von autarken und portablen Kommunikationslösungen (wie bspw. die KatLeuchttürme) als Basis einer funktionierenden Krisenkommunikation und Notrufinfrastruktur entwickelt.

Kommunikationsbedarf des Katastrophenschutzes
Kommunikationsbedarf des Katastrophenschutzes
Quelle: KomRe AG 2021

„Früher war alles besser.“

Wie fangen Märchen gewöhnlich an? „Es war einmal, … vor nicht allzu langer Zeit, da lernten selbst die Kleinsten unter uns bereits im Kindergarten, dass einem über die Notruf-Nummern 110 / 112 geholfen wird. Über diese Telefonnummern sind die Polizei und die Feuerwehr immer erreichbar.“

Früher basierte die Telefonie auf leitungsvermittelnden Technologien. Erst gab es analoge Anschlüsse, die später zu einem ­großen Teil durch digitale Anschlüsse (ISDN) ersetzt wurden. Charakteristisches Merkmal blieb die leitungsvermittelnde Technologie, bei der für die Verbindung eine definierte Bandbreite in Echtzeit transparent zur Verfügung stand. Das Vermittlungssystem war zu Beginn hierarchisch organisiert und kam ohne zentrale Server aus. Die Garantie einer definierten Bandbreite (Ende zu Ende) führte dazu, dass neben dem eigentlichen Sprach- und Telefaxdienst die Verbindungen, insbesondere mittels ISDN, für zahlreiche weitere Anwendungen von Aufzugsnotrufanlagen bis hin zur Messdatenübertragung genutzt wurden. Neben den ­leitungsvermittelten Verbindungen wurden häufig auch Festverbindungen (Standleitung) mit der gleichen Übertragungstechnologie etwa für Gefahrenmeldungen wie z.B.: Brandmeldeanlagen eingesetzt.

Bis Ende 2019 haben die Telekommunikationsanbieter in Deutschland schrittweise die bestehenden analogen und ISDN-Anschlüsse abgekündigt, eingestellt und zurückgebaut. Durch die Umstellung der öffentlichen Telekommunikationsnetze auf Internet-Protokolle, wie TCP/IP, werden alle vorgenannten leitungsvermittelnden Technologien durch paketvermittelnde Technologien unter der Bezeichnung Next-Generation-Network (NGN) ersetzt. Als Ersatz werden ausschließlich paketvermittelte Dienste auf Leitungs­wegen zur Verfügung gestellt. Dadurch sind die Garantien einer transparenten und quasi unterbrechungsfreien Übertragung mit einer definierten Bandbreite in Echtzeit nicht mehr gewährleistet. Auch die gesamte Übertragungstechnik der Mobilfunkdienste wurde nach und nach in das NGN integriert. Damit ist die Verfügbarkeit der Mobilfunkdienste von NGN abhängig. Dies bedeutet, dass eine lokale Störung (bspw. durch Stromausfall/Blackout oder Hacker-Angriffe) der zentralen Übertragungs- bzw. Vermittlungstechnik des Netzbetreibers im NGN zum gleichzeitigen Ausfall der Festnetz- und Mobilfunkdienste führen kann. Dies ist beim Einsatz von Mobilfunk als Zweitweg zu einer Festnetzanbindung zu beachten.

Erschwerend kommt hinzu, dass am Netzzugang im NGN keine Fremdstromeinspeisung möglich ist. Im bisherigen System konnte durch Fremdeinspeisung die Betriebsbereitschaft bis zum Anschluss des Teilnehmers sichergestellt werden. Im NGN müssen nun sowohl die Vermittlungsstellen, DSL-Access Multiplexer (DSLAM) als auch die Netzabschlussgeräte beim Teilnehmer separat notstromversorgt werden. Somit führen selbst kleinräumige Stromausfälle zum Verlust der Kommunikationsfähigkeit.

Rechtliche Basis für den Katastrophenschutz verschlechterte sich

Diese technischen Umstellungen wurden durch die Veränderung der rechtlichen Basis begleitet. Am 1. April 2011 trat das Gesetz zur Neuregelung des Post- und

Telekommunikationssicherstellungsrechts und zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften in Kraft. Seitdem verpflichtet der Gesetzgeber die Dienstanbieter lediglich zur Erbringung von sogenannten „Universaldienstleistungen“. Daraus resultierend ist folgendes Mindestangebot an Diensten gemäß § 78 Telekommunikationsgesetz (TKG) vorgegeben, für die keine konkreten Leistungsmerkmale festgelegt sind:

  • Datenkommunikation für einen funktionalen Internetzugang
  • Sprachdienst
  • Telefaxdienst.

Die nachfolgend beispielhaft aufgezählten Anwendungen stellen demnach keine Pflichtleistung der Dienstanbieter dar und müssen weder verfügbar noch einheitlich ausgeprägt sein.

  • Notrufe 110 / 112
  • Übertragung von Alarm- und Gefahrenmeldungen über automatische Wähl- und/oder Ansagegeräte bei Brand-, Einbruch- oder Überfallereignissen
  • Aufzugnotruf sowie Personen- und Hausnotruf
  • Übertragung von Daten im Gesundheitswesen
  • Fernadministration/Fernbetreuung von betriebstechnischen Anlagen und Großgeräten
  • Pegelstandübermittlung

Folgende Gesetze und Vorschriften wurden gleichzeitig außer Kraft gesetzt:

  • die Postsicherstellungsverordnung
  • die Post- und Telekommunikations-Zivilschutzverordnung
  • die Telekommunikations-Sicherstellungs-Verordnung

Notwendigkeit: Ausfallsichere ­Kommunikationssysteme

Alle diese Veränderungen haben deutlich negative Auswirkungen auf die gesamte Sicherheitsarchitektur in Deutschland und ­stellen die gesamte Sicherheitsbranche vor besondere Herausforderungen. Davon sind natürlich auch sämtliche Akteure des Katastrophenschutzes, der BOS, Hilfsorganisationen und Betreiber ­kritischer Infrastrukturen (KRITIS) betroffen (siehe obere Grafik).

Damit die Kommunikation auch in Katastrophenlagen ausfall­sicher funktioniert, wird ein ausfallgeschütztes und autarkes Kommunikationssystem benötigt, welches ein von externen ­Providern unabhängiges digitales Datenfunknetz abbilden kann. Anzustreben ist eine Redundanz der Kommunikationsverbindungen, z. B. durch die Struktur eines vermaschten Netzes. Damit kann der Ausfall von einzelnen Netzknoten kompensiert werden. Das Funktionieren des Netzes darf nicht von zentralen Servern zur Authentifizierung oder Ähnlichem, die sich nicht im direkten Zugriff und auf dem Gebiet des jeweiligen Landkreises befinden, abhängig sein. Das Kommunikationssystem muss sowohl im urbanen als auch im ländlichen Bereich funktionieren. Festinstallationen, transportable Lösungen und Einbauten in Fahrzeugen sind möglich.

Sirenen erreichen die Bevölkerung

Auch Sirenen-Systeme zur Alarmierung der Bevölkerung können mit diesen Kommunikationssystemen sicher integriert werden.

Die identifizierten Kommunikationsverbindungen und Gegenstellen müssen dabei je nach zu übertragender Datenmenge und Kommunikationsrichtung verschiedene Anforderungen erfüllen:

  • Dauerhafte Erreichbarkeit
  • Mobilität
  • Notwendige Verfügbarkeit in Stunden/Tagen
  • Vollständige Autarkie (kein Eingriff wie z.B. Betankung)

Mit der Entwicklung der autarken und portablen KatLeuchttürme als Basis einer funktionierenden Katastrophenschutz-Kommunikation schuf die KomRe AG in den letzten Jahren ein Basis-System, mit dem die Handlungsfähigkeit des Katastrophenschutzes vor, während und nach einer Katastrophe erhalten werden kann und eine Basiskommunikation zwischen allen relevanten Akteuren sektorübergreifend möglich wird. Dieses Kommunikationssystem zeichnet sich durch folgende Systemmerkmale aus:

  • Unabhängig von Diensten externer Dienstleister
  • Kein Abschalten von außen möglich
  • Sichere, nachweisbare Datenübermittlung
  • Ohne zentrale Authentifizierung und Vermittlungstechnik (Keine zentrale Authentifizierung)
  • Nur funktionierende lokale Notstromversorgung notwendig
  • Möglichkeit zur Anbindung an andere Datenübertragungsnetze, wie Betriebsfunk, Festnetz, Mobilfunk und Satellit. 

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