04.07.2022 •

Unser Strom ist blau

Max Knospe

Netzersatzanlagen sorgen auch in vom Stromnetz getrennten Regionen für Licht.
THW

Ein Naturereignis unterspült die einzige Straße, die eine Ortschaft mit der Außenwelt verbindet, ein Cyberangriff legt ein Kraftwerk lahm, ein Sturm reißt Freileitungen vom Mast – so unterschiedlich die Einsatzbilder auch sind, eines haben diese Szenarien gemeinsam: Ihre erfolgreiche Bewältigung erfordert jede Menge elektrisches Know-how. Daher hat der sichere Umgang mit Strom, egal ob aus dem mitgeführten ­Ag­­gregat oder aus dem freigelegten Erdkabel, oberste Priorität im Einsatzgeschehen.

Unter Strom im Einsatz – aber sicher

Strom ist im Einsatzgebiet essenzielle Ressource aber auch nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle. Einsatzkräfte benötigen ein fundiertes Verständnis von Aufbau und Funktionsweise eines Stromnetzes sowie aller daran hängenden Gebäude und Geräte, um im Einsatzgeschehen auch unter Stress die richtigen Entscheidungen zu treffen. Im THW hat der sichere Umgang mit Elektrotechnik daher einen hohen Stellenwert in der Ausbildung vieler Fachgruppen.

Fachgruppen sind taktische Teileinheiten, die ihrer Funktion entsprechend über Personal und Material verfügen, um Einsatz­aufträge selbstständig abzuarbeiten. Strom erzeugen und elek­trische Versorgungsanlagen instand setzen ist Aufgabe der Fachgruppe Elektroversorgung. Mittels mobiler Netzersatzanlagen (NEA), also dieselbetriebenen Generatoren, kann sie an praktisch jeder Einsatzstelle ein temporäres Energienetz bereitstellen, das Grundlage der weiteren Arbeiten ist.

Diese Kapazitäten weiter zu stärken, ist erklärtes Ziel der THW-­Leitung. Dafür wurde mit Einführung des THW-Rahmenkonzepts 2019, basierend auf der „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) des BMI, beschlossen, die Zahl der Fachgruppen Elektroversorgung deutlich zu steigern. Von ehemals 66 Fachgruppen wurde ihre Zahl mittlerweile auf 121 erhöht, final sollen es 132 werden. Das THW wächst jedoch nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe, denn neben der Zahl der Fachgruppen ist besonders die Qualität der Ausbildung jeder einzelnen Einsatzkraft ein entscheidendes Kriterium.

Im bayerischen Forchheim leuchten THW-Kräfte eine Einsatzstelle aus.
Im bayerischen Forchheim leuchten THW-Kräfte eine Einsatzstelle aus.
Quelle: THW/Nicole Endres

Von der Pike auf gelernt

Damit die ehrenamtlichen HelferInnen des THW die große Bandbreite des Gerätearsenals richtig und sicher bedienen können, bedarf es sorgfältiger Unterweisung durch erfahrene AnleiterInnen. Die Ausbildung im THW ist daher in drei aufeinander aufbauenden Stufen unterteilt, die die Ehrenamtlichen fit für ihre jeweiligen Aufgaben machen. Sie ist allen Interessierten zugänglich – einerseits, weil keine Vorkenntnisse erforderlich sind, andererseits, weil sie vollkommen kostenlos ist.

Die Grundlagen werden in den Ortsverbänden gelegt. Im Rahmen der allgemeinen Grundausbildung vermitteln speziell geschulte TrainerInnen Basiswissen im Umgang mit tragbaren Strom-­Erzeugern. So werden die Ehrenamtlichen in die Lage versetzt, elektrisch betriebene Geräte wie Tauchpumpen, Beleuchtungsgerät oder Bohrmaschinen ordnungsgemäß zu bedienen.

Die zweite Stufe ist die Fachbefähigung, die für die Arbeit in einer Fachgruppe qualifiziert. Diese unterteilt sich in zwei Bereiche: Einen allgemeinen und einen fachgruppenspezifischen Teil. Alle angehenden Einsatzkräfte üben sich beispielsweise an der Benutzung von Stromerzeugungsaggregaten bis 50 kVA Leistung, mit denen sie Einsatzstellen versorgen können. Dies geschieht im Rahmen von sogenannten Bereichsausbildungen, an denen Ehrenamtliche verschiedener Ortsverbände gemeinsam teilnehmen, so dass anschließend alle auf dem gleichen Wissenstand sind.

Je nach gewähltem Schwerpunkt benötigen Einsatzkräfte darüber hinaus auch auf ihre speziellen Einsatzaufträge zugeschnittene Fähigkeiten. Diese werden ihnen am Ausbildungszentrum (AZ) Hoya bei Bremen vermittelt. Während die Fachgruppe Elektroversorgung (FGr E) für die Arbeit mit und am Stromnetz der Energieversorger ausgebildet wird, setzen andere Fachgruppen andere Akzente.

So hat die Fachgruppe Infrastruktur (FGr I) ebenfalls eine Stromkomponente, bewegt sich aber im Bereich der Gebäudeinstallation. Hier geht es besonders darum, beschädigte Gebäudeleitungen instand zu setzen, oder mit speziellen Schadensbildern umzugehen, beispielsweise mit Stromverteilern in überfluteten Hauskellern. Die Fachgruppe Notversorgung und Notinstandsetzung (FGr N) hingegen gilt als Multitalent, die neben Transporten oder der behelfsmäßigen Personenunterbringung auch Elektroarbeiten durchführen kann. Als Bindeglied zwischen anderen Fachgruppen, erlangen diese häufig erst durch die technische Ausstattung der FGr N ihre volle Leistungsfähigkeit, beispielsweise indem sie Tauchpumpen mit Strom versorgt.

Ein Maschinist der Fachgruppe Elektroversorgung bereitet die Strom- Einspeisung...
Ein Maschinist der Fachgruppe Elektroversorgung bereitet die Strom-Einspeisung vor.
Quelle: THW/Thorben Schultz

Mit großer Kraft kommt große Verantwortung

Bis hierhin handelt es sich bei den Auszubildenden im beruflichen Sinne um Laien, da sie nicht zwangsläufig einen entsprechenden beruflichen Hintergrund haben und ihren Lebensunterhalt mitunter in komplett anderen Branchen verdienen. Die Arbeit in einer Fachgruppe steht allen offen, die die entsprechenden Prüfungen erfolgreich absolvieren. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet lediglich die eigene Bereitschaft, sich in das Themengebiet einzuarbeiten.

Die Spezial- und Führungsausbildung hingegen ist Einsatzkräften vorbehalten, die über eine entsprechende berufliche Qualifizierung verfügen. Aufgrund der hohen Anforderungen müssen sie einen Techniker, Meister oder ein abgeschlossenes Studium einer elektrotechnischen Richtung mit einigen Jahren Berufserfahrung vorweisen können. Die Ausbildung erfolgt komplett im AZ Hoya. Wer beispielsweise als „GruppenführerIn Fachgruppe Elektroversorgung“ tätig werden will, erhält hier seinen letzten Schliff.

Neben der fachlichen Vertiefung, zu der unter anderem auch die Ausbildung an der Netzersatzanlage mit bis zu 250 kVA gehört, stehen in Hoya besonders einsatztaktische Themen auf dem Lehrplan – Zeltstädte versorgen, defekte Freileitungen instandsetzen oder Straßenzüge ans Netz anschließen. Ehrenamtliche, die hier ausgebildet werden, tragen im Einsatzgeschehen dafür Sorge, dass der elektrotechnische Unterbau des Einsatzes richtig funktioniert und sind verantwortlich für die Sicherheit der beteiligten HelferInnen.

Mathias Rolf, Lehrkraft im Fachbereich Elektro am AZ Hoya hebt hervor, wie eng Ausbildungskonzept und Einsatzerfolg miteinander verwoben sind:

„Letztlich dient die Ausbildung dazu, Einsatzkräfte auf unkonventionelle Situationen vorzubereiten. Auch unter Druck Ruhe bewahren, umsichtig agieren und vorausschauend denken – was THW-Kräfte können müssen, geht weit über das Fachliche hinaus. Darauf bereiten wir sie im AZ Hoya vor.“

Einsatzkräfte der Fachgruppe Elektroversorgung prüfen, reinigen und sichern...
Einsatzkräfte der Fachgruppe Elektroversorgung prüfen, reinigen und
sichern Hausanschlüsse in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Quelle: THW/Elias El Ghorchi

Fit für die Zukunft

Wissen ist flüchtig. Soll es nicht in Vergessenheit geraten, muss es regelmäßig angewendet werden. Daher gibt es noch eine dritte Ausbildungsstufe, die im THW als „Weiterbefähigung/Qualifikationserhalt“ bezeichnet wird. Sie umfasst die jährlich erfolgenden Sicherheits-Unterweisungen, aber auch Fortbildungen zu Fach­themen und Methodiken. Hier üben Einsatzkräfte ihr Können, und passen ihre Kenntnisse an den neusten Stand der Technik an. Das ist dringend geboten, schließlich machen technische Neuerungen das THW nicht nur schlagkräftiger, sondern auch den Einsatz für die Ehrenamtlichen sicherer.

Die Einführung neuer Gerätschaften geht daher immer auch mit neuen Anforderungen einher, die eine Umstellung erfordern. Ohne kontinuierliche Weiterbildung können beispielsweise neue Generationen der THW-Stromerzeuger und das breite Spektrum der strombetriebenen Einsatzmittel nicht sicher bedient, auftretende Fehler nicht zeitnah behoben werden.

Schließlich haben auch Innovationen auf dem Gebiet der Gebäude- und Elektrotechnik ganz konkrete Folgen für den Umgang mit Strom im Einsatz. Hier können neue Gefahrenquellen für die Elektro-Fachkräfte entstehen, derer sie sich bewusst sein müssen. War es bis vor wenigen Jahren noch möglich, ein Haus durch das Ziehen der Sicherung am Hausanschluss stromfrei zu machen, kann es heute durch Fotovoltaikanlagen und angeschlossene E-Ladesäulen zu gefährlichen Rückflüssen kommen. Cyberangriffe können zu Blackouts führen, der Mangel an Speichermöglichkeiten für erneuerbare Energien kann die Stabilität des Stromnetzes gefährden.

Das bedeutet für die Einsatzkräfte, dass sie neben der Bereitschaft zum lebenslangen Lernen auch einen Blick sowohl für Potentiale als auch Risiken der Technik entwickeln. Neben fachlichen Inhalten wird im THW daher vor allem eins vermittelt: Um die Ecke denken, das große Ganze sehen und auch gefährliche Situationen weit im Vorfeld antizipieren. Rolf dazu: 

„Das wichtigste Werkzeug der Einsatzkraft bleibt der gesunde Menschenverstand“.

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