Neben vielen sinnvollen Anwendungsfeldern für den Einsatz von Miniaturdrohnen der Mittelklasse werden in letzter Zeit vermehrt Missbrauchsfälle mit diesen Geräten verzeichnet. Die Chancen von Gegenmaßnahmen sind begrenzt. Umso wichtiger ist es, die Gefahr frühzeitig zu erkennen und einzuschätzen, damit aus der Vielzahl der möglichen Aktionen die ausgewählt werden, die am ehesten wirken, die legal sind und die möglichst keine Gefahren für Unbeteiligte mit sich bringen. Im Forschungsprojekt ArGUS1 wurde ein Assistenzsystem konzipiert und exemplarisch implementiert, das eine multisensorische Detektion zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, eine Klassifikation, eine Situationsanalyse sowie eine Abschätzung möglicher Konsequenzen realisiert. Damit soll den Einsatzkräften eine Entscheidungsunterstützung an die Hand gegeben werden, mit der sie in kurzer Zeit zu einer optimalen Lösung für die Situation gelangen können.
Immer mehr zivile Drohnen sind für viele gute Zwecke im Einsatz. Sie inspizieren Gebäude nach einer Schädigung (z. B. Nôtre Dame), helfen in der Land- und Forstwirtschaft und sind für Filmaufnahmen nicht mehr wegzudenken. Auch für Sicherungsaufgaben werden sie bereits erfolgreich eingesetzt. Leider häufen sich aber in der letzten Zeit Fälle von Drohnenmissbrauch: Drohnen werden für Spionage, Schmuggel und weitere Straftaten eingesetzt. Vor allem im Bereich der Flughäfen haben sich viele Störfälle mit teilweise immensen Kosten (Frankfurt, Gatwick) ereignet.
Aber auch bei Großveranstaltungen wie Kundgebungen oder im Sport hat es solche Zwischenfälle gegeben, zum Glück bisher nur mit Sachschäden. Aber wie lange noch? Die reale Bedrohung ist da, auch Menschen anzugreifen und zu verletzen. Beispiele aus dem paramilitärischen und terroristischen Bereich gibt es (z. B. beim so genannten Islamischen Staat). Diese Bedrohungslage ist sehr vielfältig und unübersichtlich, das Fähigkeitspotenzial der Drohnen nimmt ständig zu, die Verfügbarkeit ist hoch und die Handhabung einfach.
Zielsetzung
Um Gefahren zu begegnen, die von ungewollten Drohnen ausgehen, benötigt man drei Komponenten: eine zuverlässige Detektion und Klassifikation, eine zutreffende Analyse der Bedrohungslage und daraus resultierend die optimale Wahl der Wirkmittel und deren Einsatz für die Gegenmaßnahmen. Das alles muss in wenigen Sekunden geschehen, zudem sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, der Datenschutz und die gebotene Verhältnismäßigkeit einzuhalten.
Das ArGUS-Konsortium, das die Ziele im Rahmen des Vorhabens verfolgt hat, setzt sich zusammen aus den folgenden Partnern: Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) in Karlsruhe koordinierte das Gesamtprojekt und bearbeitete Aufgaben im Bereich der Sensorik sowie in der Situationsanalyse. Der Verband für Sicherheitstechnik (VfS) in Hamburg beschäftigte sich mit der Definition der Szenarien. Das European Aviation Security Center (EASC) in Schönhagen hat sich mit der Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Thema Drohnen beschäftigt. Die Technische Hochschule Deggendorf (THD) hatte die Aufgabe der Erforschung der Detektion mit Hochfrequenz-Analyse. Die juristische Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) war zuständig für die rechtliche Bewertung. Die beiden Industrieunternehmen Atos Information Technology in Paderborn und Securiton in Achern haben die Integration in ein Demonstrationssystem durchgeführt.
Als assoziierte Partner für die Begleitung des Vorhabens im Hinblick auf die Anforderungen und Testmaßnahmen agierten aus dem privatwirtschaftlichen Bereich die Fraport AG in Frankfurt und die Fa. POWER GmbH in Hamburg sowie aus dem Bereich der öffentlichen Bedarfsträger das LKA Bayern in München und das Bundeskriminalamt in Wiesbaden.
In ArGUS wurde ein szenariobasierter Ansatz verfolgt, bei dem die auftretende Bedrohungslage der Ausgangspunkt der Analysen ist, um die sich alles dreht und an deren Handhabbarkeit am Schluss ableitbar ist, welchen Nutzen das Assistenzsystem für die Anwender hat. Die juristische Betrachtung hatte zum Ziel, die Grundlagen für die rechtliche Bewertung von Detektion und Maßnahmen zu schaffen. Im Bereich Detektion verfolgte ArGUS einen multisensoriellen Ansatz, der auf den Sensorkanälen Video, Akustik und Radar des kommerziellen Systems SecuriWall ® von Securiton basierte und zusätzlich Hochfrequenz-Detektionstechnologien von Fraunhofer IOSB und THD einschloss.
Auch bei der Situationsanalyse steht der szenariobasierte Ansatz im Mittelpunkt, um die Bedrohungslage einschätzen und die Folgen möglicher Gegenmaßnahmen prognostizieren zu können. Bei der Realisierung, Integration und Erprobung eines Demonstrationssystems wurde ein modularer cloudbasierter Ansatz verfolgt. Die Sensibilisierung konzentrierte sich auf zwei Bereiche, einmal die Bildungsmaßnahmen im behördlichen und polizeilichen Bereich und zum anderen die Aufklärung der Zivilbevölkerung hinsichtlich Drohneneinsatz.
Insgesamt ergeben sich durch diese Ansprüche extrem hohe und schwer umsetzbare Ziele für ein solches System. Die Bundesregierung hat daher einen großen Teil ihres umfangreichen Sicherheitsforschungsprogramms dieser Thematik gewidmet2 und wird das auch weiterhin tun.
Szenariendefinition
Um repräsentative Bedrohungslagen in Form von Szenarien zu definieren und so die Grundlage für alle weiteren Arbeiten zu schaffen, wurde ein methodischer Ansatz zur multiparametrischen Klassifikation und anschließenden Bewertbarkeit gewählt. Dieser wurde dann für die beiden Bereiche Großveranstaltungen und Flughäfen umgesetzt. Das Ergebnis ist ein umfangreicher Szenarien-Katalog, der die Vielfältigkeit der Bedrohungslagen, der möglichen Reaktionen und der möglichen zu erwartenden Schäden wiedergibt. Im Dialog mit Verantwortlichen aus den beiden Anwendungsbereichen wurden Kriterien für die Bewertbarkeit aller Aspekte der Szenarien und der Bedrohungslagen erarbeitet.
Rechtliche Bewertung
Hier ging es um die Gewährleistung einer rechtskonformen technischen Lösung in ArGUS, wobei die rechtliche Bewertung der Detektionsmaßnahmen sich mit den Grundrechten zur informationellen Selbstbestimmung, dem Fernmeldegeheimnis, dem Datenschutzrecht und dem Telekommunikationsrecht auseinandersetzte. Bei der rechtlichen Bewertung der Abwehrmaßnahmen ging es um Zuständigkeiten und Befugnisse der öffentlichen und privaten Akteure und um Kooperationen. Auch das Einbringen der Rechtsfragen in den öffentlichen sicherheitsrechtlichen Diskurs war eine zentrale Aufgabe (vgl. 3).
Technologischer Ansatz bei der Detektion
Anders als etwa für Temperatur oder Druck gibt es keinen Drohnensensor von der Stange. In ArGUS wurde deshalb zur Verfügung stehende Sensortechnologie mit eigener Analysesoftware zur Detektion und Klassifikation von Drohnen kombiniert. Mit Hilfe immer ausgefeilterer mathematischer Modelle ist es gelungen, aus den Primärdaten optischer, akustischer, Radar- und Hochfrequenz-basierter Sensorik ein zuverlässiges Detektionsergebnis abzuleiten, das darüber hinaus sogar eine Klassifikation der Drohnentypen erlaubt.
Dabei werden aus den einzelnen Sensorquellen jeweils die Daten ausgewertet, die mit dem eingesetzten Detektionsverfahren besonders gut ermittelt werden können, bzw. diese werden in stärkerem Maße gewichtet. So wird das Gesamtergebnis zuverlässiger.
Eingesetzte Sensortechnologien zur Drohnendetektion
In vielen Angriffsszenarien kann eine Drohne in wenigen hundert Metern von ihrem Angriffsziel gestartet werden, sodass sie ihr Ziel in wenigen Flugsekunden erreichen kann. Abhilfe können hier spezielle Funksensoren schaffen, die die Kommunikationssignale zwischen Drohne und Drohnenpilot (bzw. der Fernsteuerung) erkennen und nicht nur die Drohne, sondern auch den Piloten bzw. die Funkfernsteuerung lokalisieren können. Somit kann die Drohne zusammen mit ihrem Piloten bereits vor dem Start funkbasiert detektiert werden. Handelsübliche Drohnen brauchen i. d. R. einige Minuten, bis sie nach dem Einschalten startbereit sind, weil die Verbindung mit der Fernsteuerung aufgebaut werden muss und die Initialisierung der Satellitennavigation eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Ein technisch versierter Pilot kann aber diese Zeit verkürzen, indem er die Drohne ohne Funksteuerung startet, was zu einer wesentlich schwierigeren Ortung führt. Es gibt mittlerweile auch Drohnen, die über mobile Funknetze gesteuert werden, sodass für die Ortung des Piloten situationsabhängig verschiedene Technologien eingesetzt werden müssen. Das Detektionssystem der THD kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Detektion von weit entfernten Flugobjekten erreichen, so ermittelt bei einer Messkampagne am Flughafen Hahn.
Situationsanalyse und Assistenz zur Entscheidungsfindung
Mittels ausgefeilter Modellierung typischer Szenen und der assoziierten Gefährdungsszenarios gelingt es, eine Vorauswahl von Bedrohungssituationen zu modellieren und zu parametrieren. So wird zu einem frühen Zeitpunkt eine simulationsbedingte Prädiktion möglich, die es den Einsatzkräften erlaubt, in Frage kommende Maßnahmen zu vergleichen.
Von zentraler Bedeutung ist hierbei das in ArGUS konzipierte und umgesetzte Phasenmodell, das die Betrachtung der Bedrohungsszenarien in die Modellierungs-, Trainings- und Einsatzphase unterteilt. Hintergrund ist die knappe zur Verfügung stehende Zeit für die Entscheidungsfindung, oft nur ein paar Sekunden. Dies lässt keine Zeit für lange Analysen und komplexe Bewertungsschemata, die eigentlich bei solchen schwerwiegenden Maßnahmen angebracht wären. Stattdessen wird dieser Prozess in die Modellierungsphase vorverlegt, in der Experten die wahrscheinlichsten Bedrohungsszenarien analysieren und die am besten geeigneten Gegenmaßnahmen bewerten.
In der Trainingsphase lernen die Einsatzkräfte diese Szenarien und führen durch die Simulationen entsprechende Entscheidungsfindungen durch. In der Einsatzphase werden diese Szenarien mit den aktuell gemessenen Zustandsgrößen bewertet und den Einsatzkräften in optimierten Diagrammen dargestellt, die eine rasche Auswahl des einzuschlagenden Reaktionswegs ermöglichen. Die Abbildung zeigt verschiedene Phasen eines Szenarios, bei dem eine anfliegende Drohne Personen auf dem Weg von einem Gebäude zu einem wartenden Fahr- oder Flugzeug bedroht. Zum Zeitpunkt des Alarms befinden sich die Personen verstreut auf exponiertem Gelände. Der Operator erfasst die Situation anhand des Diagramms und weist die Personengruppen an, sich zum jeweils nächstgelegenen sicheren Platz zu begeben. Zum Zeitpunkt des Giftabwurfs wird niemand getroffen – das Pulver landet wirkungslos auf dem verlassenen Gelände.
Ausbildungsinhalte
Ein Fokus in diesem Bereich war die Schulung von Einsatzkräften. Ausgehend von Methoden der qualitativen Sozialforschung sowie der qualitativen Inhaltsanalyse von Studiengängen wurde im Dialog mit betroffenen Bildungseinrichtungen (z. B. Polizeischulen) und Studierenden ein Schulungsdesign für Sicherheitskräfte konzipiert. Auch Aspekte der späteren Implementierung sowie zur iterativen Evaluation und Anpassung wurden dabei beleuchtet.
Für die Information und Ausbildung der Zivilbevölkerung im Hinblick auf den Umgang mit Drohnen wurde u. a. eine sog. „Safety-Card“ erarbeitet, die überall ausgelegt werden kann, wo man Drohnen kaufen kann.
Ausblick
Die Ergebnisse von ArGUS werden zu einer modularen Produktfamilie entwickelt, die anforderungsorientiert stationär oder mobil eingesetzt werden kann. Cloudlösungen helfen bei der situationsangepassten Installation und temporären Skalierung. Auf diese Weise wird bald ein kostengünstiges maßgeschneidertes System für nahezu jede Anwendung beim Schutz vor Drohnen verfügbar sein. Neben der Operationalisierung der Komponenten, insbesondere der Sensorsysteme, steht die Zuordnung zwischen Aufgabe und einzusetzender Sensorik im Vordergrund. Bei der Bedienung ist neben der Implementierung als Cloud-Lösung die Ergonomie für die Einsatzkräfte ein wesentlicher Aspekt.
Eine Prognose, wie sich der Markt bzgl. Drohnen in diesem Marktsegment entwickeln wird, ist sicher nicht einfach. Thomas J. Watson (IBM) ist u. a. für einen 1943 gesagten Satz berühmt geworden: „Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“4 Mit der Drohnenprognose ist es möglicherweise ähnlich. Wenn man 1905 behauptet hätte, dass in 60 Jahren jeder mit einer Kutsche ohne Pferde rumfahren würde, hätte man Hohn und Spott geerntet. Und in den 80er-Jahren war mobiles Telefonieren nur für sehr wenige extrem reiche Menschen erschwinglich. Insofern kann man davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren ein nennenswerter Drohnenverkehr zum Transport von Personen und Gütern etabliert sein wird. Gesetzliche Vorgaben und Sicherheitsvorkehrungen dazu gibt es bisher kaum. Das wird sich beides ändern müssen. Insofern erwarten wir einen steigenden Bedarf bei der Drohnensicherheit und einen entsprechenden Markt.
Literatur beim Verfasser
Crisis Prevention 4/2020
Dr. Gunther P. Grasemann
Fraunhofer-Institut für Optronik,
Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Interaktive Analyse und Diagnose
Tel.: +49 721 60 91-441
gunther.grasemann@iosb.fraunhofer.de