Die Pandemie hat als multidimensionale Dauerkrise Kommunen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht und Defizite im Krisenmanagement offenbart, dabei aber auch zu bemerkenswerten Anpassungen auf der lokalen Ebene geführt. Die Kommunalverwaltungen in Deutschland hatten seitdem jedoch weder ausreichend Zeit noch Ressourcen oder Strukturen, um die Erfahrungen und Innovationen der vergangenen Jahre aufzuarbeiten.
Dieser Beitrag beschreibt, wie das Projekt PanReflex einen solchen Rück- und Ausblick ermöglicht, indem es ausgewählte Partnerkommunen in Nordrhein-Westfalen bei der Reflexion des kommunalen Krisenmanagements in der Coronapandemie wissenschaftlich begleitet. Wie können die Verwaltungsmitarbeitenden in diesen Aufarbeitungsprozess effektiv eingebunden und ihr während der Krisenbewältigung angesammelter Erfahrungsschatz gesichert werden? Und wie können daraus verallgemeinerbare Erkenntnisse zur Stärkung der kommunalen Resilienz in Deutschland abgeleitet, langfristig nachgehalten und in die Breite getragen werden? Die Begleitung des kommunalen Reflexionsprozesses mittels verschiedener Methoden der empirischen Sozialforschung und der anschließende Wissenstransfer zurück in die Praxis soll dazu beitragen, die Resilienz der Kommunen gegenüber zukünftige Krisen weiter zu stärken.
Die doppelte Kurzfristigkeit im deutschen Krisenmanagement
Als sich die Kommunen im Frühjahr 2020 mit einer Pandemie konfrontiert sahen, konnten sie nur auf wenig Erfahrungswissen mit langanhaltenden und entgrenzten Krisen zurückgreifen. Das integrierte Hilfeleistungssystem in Deutschland ist dezentralisiert angelegt und aktuell eher auf lokale Herausforderungen von begrenzter Dauer ausgerichtet, wobei nur im Bedarfsfall Ressourcen und Kompetenzen von Land und Bund zur Unterstützung heran- und anschließend auch wieder abgezogen werden. Während dieses System akute Einsatzlagen vor Ort in der Regel sehr gut und effizient „mit Bordmitteln“ bewältigen kann, gerät es bei Großschadenslagen oder der gleichzeitigen Bearbeitung verschiedener räumlich getrennter Lagen mit ähnlichen Ressourcenbedarfen schnell an Grenzen. Das Praxis- und Erfahrungswissen, das aus der Bewältigung dieser begrenzten Krisen auf kommunaler Ebene entsteht, konzentriert sich dabei überwiegend außerhalb der Verwaltungen bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Innerhalb der Kommunalverwaltung wiederum ist es meist ein kleiner Kreis an Personen, aus dem sich die ständigen Mitglieder der Krisenstäbe vor Ort rekrutieren. Diese erlangen mit der Zeit durch die Abarbeitung aller anfallenden Krisenlagen selbst ohne spezifische Ausbildung wertvolle Erfahrung und Fähigkeiten im Umgang mit Krisen. Jene Kompetenzen bleiben jedoch auch auf diesen Kreis begrenzt und lassen sich kaum innerhalb der Kommune in die Gesamtverwaltung tragen, vom Wissenstransfer zwischen Kommunen ganz zu schweigen.
Aus der erwarteten Kurzfristigkeit der Krisen ergibt sich auch eine sehr reale Kurzfristigkeit ihrer Bewältigung. Diese führt dazu, dass Kommunalverwaltungen über das benannte Personal hinaus kaum eigene Strukturen, Ressourcen und Erfahrungen im Umgang mit Krisen aufbauen, vorhalten und durch fortwährendes Lernen aktualisieren können. Einmal geschaffene Krisenstrukturen wie beispielsweise jene im Kontext der Flüchtlingssituation 2015/16 werden in der Folgezeit meist aus Kostengründen ersatzlos wieder abgebaut. Sie müssen für die nächste Lage neu aufgesetzt, und das Praxiswissen der jeweils Handelnden muss neu erworben werden.
In Kombination mit nur vereinzelt vorgenommenen Maßnahmen zur Pandemievorsorge traf die Frühphase der Pandemie zum Jahresbeginn 2020 (vgl. Abb.1) damit auf eine kommunale Landschaft, die hinsichtlich Strukturen, Personal und Material kaum auf eine Langzeitkrise vorbereitet war und das auch nicht sein konnte. Die räumlich, zeitlich und auch zunehmend inhaltlich entgrenzten Herausforderungen der Coronapandemie hebelten die eingangs erwähnten bewährten Mechanismen des Krisenmanagements (die befristete lokale Bündelung regionaler, Landes- und/oder Bundesressourcen) weitgehend aus, da nahezu alle Kommunen im Bundesgebiet zeitgleich ähnliche Probleme und Bedarfe anmeldeten (z.B. Krankenhausbetten, Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, Sauerstoff, aber auch Verwaltungsunterstützung, aktuelle und belastbare Informationen für die eigene Sprechfähigkeit gegenüber der Bevölkerung, Auslegungshilfen für Verordnungen und die langfristige Planbarkeit von Maßnahmen).
Durch die sehr dynamische Lage und die mitunter zeitversetzten Reaktionen von Bund und Land sahen sich Kreise und kreisfreie Städte als untere Katastrophenschutzbehörden gezwungen, selbst Lösungen für ihre Herausforderungen vor Ort zu entwickeln, bzw. diese nachträglich und kurzfristig an die Vorgaben höherer Ebenen anzupassen.
Konkret bedeutete das, die intensiven und unberechenbaren Zusatzbelastungen der Pandemie abzufedern, ohne dabei die nach wie vor notwendigen kommunalen Alltagsaufgaben der Daseinsvorsorge zu vernachlässigen. Auf diese Problematik reagierten Kommunen mit Anpassungen in ihren Abläufen und Strukturen. Die Ergebnisse ähnelten sich dabei mitunter stark (z.B. bei der Digitalisierung der Verwaltung und Homeoffice-Regelungen, Dashboards, eingerichteten Hotlines und angepassten Krisenstabsformaten), sie entstanden jedoch ohne größere Koordination überwiegend parallel und unter großem Anwendungsdruck. Das wirft die Frage auf, was von den Anpassungen aus dieser Zeit überhaupt als Errungenschaft bewahrt, als potenzielle Innovation weiterverfolgt, als bloße Zweckmäßigkeit akzeptiert oder im Rückblick als Fehleinschätzung und Lerngelegenheit benannt und korrigiert werden sollte.
Auch dort, wo ein starker Wille zu dieser Analyse besteht, fehlt es jedoch oft an Mitteln und Gelegenheit. Die langsam abflachende Pandemiebelastung wurde schließlich nahtlos vom Angriffskrieg gegen die Ukraine, weiteren Flüchtlingsbewegungen, Inflation und drohenden Energiemangellagen abgelöst. Eine Phase der relativen Entspannung, die den Kommunen Zeit und Raum für eine fundierte Aufarbeitung des eigenen Krisenhandelns gegeben hätte, fehlte somit überwiegend. Hier setzt das Projekt PanReflex an.
Aus Krisen für die Zukunft lernen – Das Projekt PanReflex
In PanReflex („Stärkung städtischer Resilienz am Beispiel von Pandemien: Reflexionsraum für kommunales Krisenmanagement“) wird die kommunale Krisenerfahrung in der Coronapandemie wissenschaftlich aufgearbeitet und auf verallgemeinerbare Lehren hin untersucht, um die Resilienz von Kommunen langfristig zu stärken. Das BMBF-geförderte Projekt mit einer Laufzeit von 2022 bis 2025 ist eine Kooperation des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) und des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (DEFUS) mit fünf Kommunen in Nordrhein-Westfalen. PanReflex kombiniert qualitative und quantitative Methoden (u. a. Literaturanalyse, Expert*inneninterviews, Kommunalbefragungen) mit Design-Thinking-basierten Workshops.
In sog. Debriefing-Workshops zur Rückschau untersuchte das Projekt mit Vertreter*innen aus den Kommunen zunächst die Ausgangslage und macht eine Bestandsaufnahme: In welcher Situation befanden sich die Verwaltungen zu Pandemiebeginn? Wie wurde die Pandemiebewältigung vor Ort in den Verwaltungen erlebt? Was lief dabei gut, was schlecht? Welche Voraussetzungen und Hindernisse für erfolgreiches Krisenhandeln wurden wahrgenommen, mit welchen praktischen Konsequenzen? Anschließend wurden Anpassungen nachvollzogen: Wie reagierten die Kommunen unter den vorherrschenden Bedingungen? Wie, wann und warum wurden Prozesse und Strukturen im Pandemieverlauf verändert, um vor die Lage zu kommen? Was sollte für die Bewältigung zukünftiger Krisen beibehalten und was geändert werden?
In einem anschließenden Innovationsworkshop wurden gemeinsam mit den Kommunen konkrete Vorschläge entwickelt, wie sich Verwaltungen auf zukünftige Krisenlagen besser vorbereiten können, und diskutiert, wie sich diese Innovationen in der Verwaltungspraxis verankern ließen. Während einige der Herausforderungen und Lösungsansätze dabei naturgemäß eher pandemiespezifisch sind (z.B. Infektionsschutzmaßnahmen und Kommunikation innerhalb einer Verwaltung ohne den kurzen Dienstweg des „Flurfunks“), lässt sich vieles auch auf andere entgrenzte Krisenlagen übertragen (z.B. Belastungssteuerung bei fehlenden Personalreserven, Hürden bei der interkommunalen Zusammenarbeit, externe Krisenkommunikation vor dem Hintergrund fortwährender Unsicherheit oder der Umgang mit vulnerablen Gruppen im öffentlichen Raum). Die Lösungsvorschläge bespielten dabei das gesamte Spektrum von minimalinvasiven Maßnahmen (z.B. die Benennung von „Krisenbeauftragten“ in Abteilungen analog zum Brandschutz und zur Ersten Hilfe) über stadtinternes Reservepersonal bis hin zum Aufbau von langfristigen Vertrauensnetzwerken in die Zivilgesellschaft.
An den Workshops teilgenommen haben Vertreter*innen der fünf PanReflex-Partnerkommunen, u. a. aus den Fachbereichen Sicherheit und Ordnung, Gesundheits-, Presse- und Sozialamt, Ausländerbehörde, Suchthilfe, Krisenstab, Feuerwehr, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Die Erkenntnisse sind entlang der inhaltlichen Schwerpunkte des Krisenmanagements, der Krisenkommunikation und des Umgangs mit Vulnerabilität in kompakten Publikationen festgehalten und unter www.kommunaleskrisenmanagement.de/go/publikationen abrufbar.
An diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage „Und nun?“. Um die gesammelten Informationen und Forschungsergebnisse vor dem Schubladen-Schicksal zu bewahren, hat PanReflex ein umfassendes Paket für den Wissenstransfer in die Praxis geschnürt.
Erkenntnisse bewahren: Wissensplattform zum kommunalen Krisenmanagement
Eine häufige und zunehmend frustrierte Rückmeldung von kommunaler Ebene während der Pandemie lautete, dass für die Krisenbewältigung relevante Informationen zwar grundsätzlich vorhanden, aber teils schwer zu finden oder nicht ausreichend für die Praxis aufbereitet seien. Der Bedarf einer zentralen Anlaufstelle mit einem solchen Angebot ist dementsprechend groß.
Die „Wissensplattform Kommunales Krisenmanagement“ ( www.kommunaleskrisenmanagement.de ) bündelt deshalb für Interessierte aus Kommunalverwaltungen, Zivil- und Katastrophenschutz, Hilfsorganisationen, Wissenschaft und Politik frei zugänglich aktuelle Informationen und Praxisbeispiele des kommunalen Krisenmanagements.
Ziel ist es, Wissen und Erfahrungen aus vergangenen Krisensituationen verfügbar und leicht auffindbar zu machen. Dafür sind sämtliche Ergebnisse über Themen- und Schlagwortfilter erreichbar. Die Plattform enthält u. a.:
- eine Darstellung des PanReflex-Projektes und der Aktivitäten und Publikationen des Forschungsteams
- Hintergrundinformationen, Expertisen und Videoclips zu den Themenschwerpunkten Kommunales Krisenmanagement, Krisenkommunikation, Vulnerabilität in der Krise und Kommunale Resilienz
- eine wachsende Liste mit Praxisbeispielen aus aller Welt für den kommunalen Umgang mit der Pandemie auf einer interaktiven Karte. Der Fokus liegt dabei auf Produkt-, Prozess- und sozialen Innovationen für das kommunale Krisenmanagement
- eine umfassende Literaturdatenbank zum kommunalen Handeln in Krisensituationen mit besonderem Augenmerk auf den Umgang mit Pandemien
- einen Projektatlas mit Überblick und Verlinkung zu nationalen und internationalen wissenschaftlichen Projekten, die zu Krisenmanagement und/oder kommunaler Resilienz forschen
Die Plattform ist aufwuchsfähig angelegt und wird über die Projektlaufzeit hinaus befüllt und gepflegt. Als Angebot für die Praxis lebt sie allerdings auch von Beiträgen aus der Praxis. Möchten Sie also Informationen, Publikationen, Projekte, Praxisbeispiele oder Veranstaltungen auf der Wissensplattform einstellen und weiter verfügbar machen, nutzen Sie gerne die Kontaktoptionen auf der Website.
PanReflex möchte seine Ergebnisse jedoch nicht nur zum Abruf bieten, sondern sie auch jenseits von Publikationen und Fachkonferenzen aktiv in die Kommunen tragen.
Kompetenzen stärken: Informations- und Schulungsangebot für Partnerkommunen
Zu diesem Zweck bietet das Forschungsteam zum Jahreswechsel 2024/25 für Kommunen zwei Informations- und Schulungsangebote vor Ort an.
- Das Kamingespräch „Resilienzfaktoren für Kommunen“ ist ein Informations- und Austauschformat für thematisch interessierte Führungskräfte und die Verwaltungsspitze. Im Zentrum stehen die Präsentation der Projektergebnisse und der sich daraus ableitenden Resilienzfaktoren für Kommunen sowie die gemeinsame Diskussion der Empfehlungen für Politik und kommunale Praxis.
- Die Schulung „Krisenmanagement für alle“ folgt aus der Erkenntnis, dass Krisenkompetenz und Krisenbewusstsein der Mitarbeitenden zentrale Faktoren für die Resilienz von Kommunalverwaltungen sind. Das Fortbildungsangebot hat das Ziel, genau diese Eigenschaften für ausgewählte Mitarbeitende zu stärken.
Das Schulungsangebot ist als projektfinanzierter Pilot vorerst exklusiv für die PanReflex-Partnerkommunen vorgesehen, soll bei Interesse jedoch ausgebaut und weiteren Kommunen zugänglich gemacht werden.
Auf diese Weise werden die Befunde in die kommunale Praxis getragen. Darüber hinaus möchte PanReflex auch mit anderen Forschungsprojekten und Kommunen in den Austausch zur kommunalen Resilienz der Zukunft treten und bietet daher weitere Informations- und Austauschformate an.
Fazit
Auch wenn die nächste(n) Krise(n) kaum vorhergesagt werden können, ist ihr Auftreten nahezu gesichert. Fraglich bleibt, ob Kommunen dann bestmöglich für ihre Bewältigung aufgestellt sind. Die Coronapandemie war für Kommunalverwaltungen nicht nur eine enorme und bis heute nachwirkende Belastung, sondern auch eine Phase intensiver Lern- und Anpassungsprozesse. Hürden im Wissensmanagement in und zwischen Kommunen machten diese Prozesse jedoch zeitaufwändiger und mühsamer als nötig. Auch ist unklar, wie viele der strukturellen und prozeduralen Errungenschaften aus dieser Zeit angesichts fehlender Gelegenheiten zur Aufarbeitung in der Gegenwart bewahrt und in Zukunft weiterentwickelt werden können. Das Projekt PanReflex bietet Kommunen die Möglichkeit, diese Analyse strukturiert und wissenschaftlich begleitet durchzuführen, sammelt die Resultate zusammen mit ableitbaren Empfehlungen zur Stärkung der kommunalen Resilienz in einer „Wissensplattform kommunales Krisenmanagement“ und trägt die Ergebnisse darüber hinaus im Rahmen von Publikationen und Fortbildungsangeboten für Kommunen in die Breite.
Crisis Prevention 3/ 2024
Lawrence Schätzle
Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu)
Zimmerstraße 13-15, 10969 Berlin
E-Mail: schaetzle@difu.de
Margo Molkenbur
Deutsch-Europäisches Forum für Urbane Sicherheit e.V. (DEFUS)
Kurt-Schumacher-Straße 29, 30159 Hannover
E-Mail: molkenbur@defus.de