Die Europäische Union (EU) schafft ab 2021, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, weitere Bevorratungsstandorte für medizinische Schutzausstattung, um bei höheren Bedarfen des Gesundheitswesens – wie aktuell in der Covid-19-Pandemie – vorbereitet zu sein. Ein Standort für das Projekt „rescEU medical stockpiling“ wird in Deutschland aufgebaut und entscheidend dazu beitragen, die EU-Mitgliedsstaaten und Teilnehmerstaaten am EU-Katastrophenschutzverfahren bei Versorgungsengpässen schnell und effektiv zu unterstützen. Die Koordination des Gemeinschaftsprojekts mit einem Umfang von 108 Mio. Euro erfolgt durch die Johanniter-Unfall-Hilfe.
Weitere Partner sind das Deutsche Rote Kreuz und der Malteser Hilfsdienst. Der Projektantrag erfolgte in enger Absprache mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Der Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Bundesministerium für Gesundheit, das Robert-Koch-Institut und die Länder Brandenburg und Niedersachsen stehen beratend zur Seite. Das auf sieben Jahre angelegte Projekt wird durch die EU-Kommission zu 100 % aus Mitteln des EU-Katastrophenschutzverfahrens finanziert.
Der Auftrag sieht vor, Material, z. B. Schutzhandschuhe und FFP2-Masken, zu beschaffen, einzulagern und zu pflegen sowie im Bedarfsfall die logistische Verteilung zu organisieren. Dafür werden Logistikzentren im Bundesgebiet in der Nähe der Flughäfen Frankfurt und Leipzig/Halle eingerichtet.
Die Koordinierung der Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission erfolgt durch das Johanniter-Kompetenzzentrum für Europäischen Katastrophenschutz mit Sitz in Frankfurt. Das Kompetenzzentrum setzt neben dem Projekt „rescEU medical stockpiling“ weitere Aktivitäten im Bereich des Europäischen Katastrophenschutzverfahrens um. Es ist u. a. etablierter Partner der EU bei der Durchführung von EU MODEX-Katastrophenschutzübungen.
In mehreren Etappen ist der Aufbau von Bevorratungs-Standorten in der EU geplant, die von den EU-Mitgliedstaaten unterhalten und von der EU finanziert werden. Bereits in der ersten Phase im Frühjahr 2020 wurden durch Rumänien und Deutschland, hier durch das DRK, dringend benötigte Schutzmaterialien im Rahmen von rescEU beschafft und verteilt. Im Zuge der zweiten Phase wurden im Sommer 2020 erste Standorte in Schweden, Dänemark, Griechenland und Ungarn errichtet. In der nun dritten Phase werden weitere Bevorratungsstandorte in weiteren europäischen Ländern aufgebaut (Niederlande, Belgien, Slowenien und Deutschland). Die beteiligten Staaten sollen auch die Verteilung der Materialien im Falle eines entsprechenden Hilfeersuchens im Rahmen des Unionsverfahrens gewährleisten.
Umsetzung und nächste Schritte
Das vorrangige Ziel ist es nun, die Logistikstandorte im Rahmen des Projektes schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen und Materialien zu beschaffen, damit bereits im ersten Halbjahr 2021 die Standorte einsatzfähig sind. Daneben gilt es, zunächst die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen Deutsches Rotes Kreuz und Malteser Hilfsdienst in verlässlichen Projektstrukturen abzubilden und den weiteren Austausch mit den beratenden Organisationen und staatlichen Akteuren zu organisieren. Darüber hinaus wird angestrebt, den Kontakt zu anderen Standorten in Europa aufzunehmen, um Erfahrungen auszutauschen.
Ziel ist es zwar, schnellstmöglich einsatzfähig zu werden, die Beschaffung sämtlicher Materialien, wird sich jedoch bis in das nächste Jahr hinziehen. Sobald Material eingelagert ist, wird dieses einsatzbereit vorgehalten und laufend überprüft.
Konzeptionelle Weiterentwicklung
Im nächsten Schritt sollen die Konzepte der Beschaffung und Lagerung von Reservematerialien im Austausch mit den Partnern weiterentwickelt werden. Wie entwickeln sich welche Bedarfe? Welche sicheren und effizienten Möglichkeiten der Beschaffung, Lagerung und ggf. Wälzung gibt es? Wie können sich die verschiedenen Akteure gut abstimmen? Diese und andere Fragen werden uns in den nächsten sieben Jahren der Projektlaufzeit beschäftigen, um die Resilienz Deutschlands und der EU-Staaten weiter zu erhöhen.
Gesamtkoordination und Rolle der Partner
Die Johanniter-Unfall-Hilfe ist gegenüber der Europäischen Kommission die koordinierende Organisation und die Ansprechpartnerin für das Gesamtprojekt. Das heißt, sie ist für die Kommunikation bzw. die Abstimmungen und das Berichtswesen gegenüber der Europäischen Kommission zuständig. Die Zusammenarbeit mit dem DRK und dem Malteser Hilfsdienst wird dahingehend vertraglich vereinbart, dass jeder Projektpartner für die Umsetzung seiner Aufgaben im Projekt voll verantwortlich ist. Die Akteure kennen sich gut und stehen in einem engen Austausch, der nun in eine regelhafte Kommunikation und ein fest vereinbartes Berichtswesen nach Anforderungen der Kommission überführt wird.
Auswahl der Bevorratungsstandorte
Der deutsche Projektantrag zeichnet sich durch eine gute Anbindung der Bevorratungsstandorte an die notwendige Verkehrsinfrastruktur und durch eine schnell Einsatzfähigkeit aus. Kompetenzen und Erfahrungen, die das Netzwerk an Hilfsorganisationen und staatlichen Akteuren in Deutschland mitbringt, waren sicherlich für den positiven Bescheid von Vorteil.
Die Johanniter betreiben den Bevorratungsstandort in unmittelbarer Nähe des Frankfurter Flughafens, das DRK betreibt den Standort am Leipziger Flughafen. Hier sind die Betreiber jeweils verantwortlich für die Instandhaltung der PSA, die an ihrem Standort gelagert wird.
Für die Berechnung der Mengen der unterschiedlichen PSA, die beschafft und bevorratet werden sollen, wurde sich an Verbrauchszahlen mehrerer Kliniken orientiert. Diese wurden dann auf die Anzahl der Klinikbetten in der EU und den am Mechanismus teilnehmenden Staaten hochgerechnet. Zu berücksichtigen ist, dass die Materialien eine Notfallreserve darstellen, die dann in den Einsatz kommen sollen, wenn die Länder ihre Reserven aufgebraucht haben und es zu entsprechenden Engpässen kommt. Zudem müssen die Kapazitäten der verschiedenen Bevorratungsstandorte in Europa zusammen betrachtet werden.
Qualitätsanspruch
Artikel, bei denen ein entsprechendes Kennzeichnungsverfahren möglich ist, müssen eine CE-Kennzeichnung haben. Die jeweils geltenden EU-Normen müssen eingehalten werden. Zudem werden die in den Organisationen etablierten Verfahren der Qualitäts- und Zertifikatsprüfung in den Beschaffungsprozessen angewendet. Aktuell wird noch geprüft, wie die Materialien zumindest anteilig gewälzt werden können – dies immer unter der Maßgabe, dass die Materialien immer in voller Höhe verfügbar sein müssen.
Die Entscheidung darüber, welche Materialien eingelagert werden, wurde in Abstimmung mit der Europäischen Kommission entschieden. Mit dem Vertrag wurde festgelegt, dass OP-Masken der Typen II und IIR, FFP2- und FFP3-Masken, Schutzkittel und Overalls, Gesichtsvisiere, Patientenmonitore, Antigen-Schnelltests und Untersuchungshandschuhe eingelagert werden. Die Verfügbarkeit von Handschuhen ist derzeit etwas angespannt, mittelfristig sollte sich die Situation jedoch entspannen.
Die Kriterien für die Lagerung der PSA werden dabei in den jeweiligen Leistungsbeschreibungen genau festgelegt. Wesentliche Kriterien werden – neben der Übereinstimmung mit den geltenden EU-Normen – Preis und Qualität sein. Hinzu kommen Anforderungen wie schnelle Verfügbarkeit und eine möglichst lange Haltbarkeit der Schutzausrüstung. Wenn möglich, werden Materialien gewählt, die mit Blick auf den ökologischen Fußabdruck keine langen Lieferwege hinter sich bringen müssen.
Im Einsatzfall
Aufgabe der Bevorratungsstandorte im Projekt ist zunächst die Einlagerung, Wartung und Bereitstellung des Materials im Einsatzfall. Wenn ein EU-Staat oder ein am EU-Katastrophenschutzverfahren beteiligter Staat ein Hilfeersuchen stellt, wird dieses über das EU-Gemeinschaftsverfahren und über das CECIS-System kommuniziert. Die Bevorratungsstandorte melden dann, welche Materialien sie liefern können, und die Europäische Kommission entscheidet, welcher Standort welches Material bereitstellt und wie dieses an den Einsatzort gebracht wird. Die Projektpartner in Deutschland haben jeweils Ressourcen, den Transport durchzuführen oder mindestens zu unterstützen.
Crisis Prevention 1/2021
Anne Ernst
Leiterin "Krisenmanagement und Nothilfe"
in der Bundesgeschäftsstelle der Johanniter-Unfall-Hilfe