Surzfluten, Gebäudeeinstürze, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wirbelstürme, Waldbrände … kein Ort der Welt ist vor Katastrophen gefeit. Sie treten plötzlich und manchmal ohne Vorwarnung auf. Dann zählt jede Minute, um die Verletzten zu bergen und die wirtschaftlichen Verluste oder auch die sekundären Auswirkungen der Katastrophe zu verringern. In einer Krise müssen die Einsatzkräfte schnell und effizient Entscheidungen treffen. Dabei hängen diese weitgehend von der Qualität und Schnelligkeit der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen ab.
Die Suche nach Überlebenden nach einer Katastrophe ist eine komplexe Aufgabe. Infrastrukturen wie Gebäude und Straßen können beschädigt sein, sodass einige Gebiete schwer oder gar nicht zugänglich bzw. gefährlich sind. Für die Rettungskräfte ist es daher von entscheidender Bedeutung, einen aktuellen Überblick über die Situation zu erhalten.
Unbemannte Luftfahrzeuge (Unmanned Aerial Vehicles/UAVs) werden zunehmend für Such- und Rettungszwecke (Search-and-Rescue) eingesetzt, da sie in der Lage sind, schnell große Gebiete mit zerstörter Infrastruktur zu überfliegen. Nach Angaben der „International Emergency Drone Organization“ (IEDO) haben sie bis heute bereits erfolgreich zur Rettung von über 400 Menschen beigetragen. Das zeigt, wie effektiv Drohnentechnik eingesetzt werden kann, um die Ortung von Überlebenden einer Katastrophe zu ermöglichen und die Reaktionsfähigkeit der Rettungsteams deutlich zu beschleunigen.
Art der Sensoren und Mikrofonanordnung
Derzeit werden bei Drohnen, die im Rahmen von Rettungs- oder Feuerwehreinsätzen Unterstützung bieten, in der Regel bildgebende Sensoren (Tageslicht- oder Wärmebildkameras) verwendet. In vielen Katastrophenszenarien sind die potenziellen Opfer jedoch für diese Art von Sensoren nicht sichtbar. So können Opfer beispielsweise unter Trümmern eingeschlossen oder bedingt durch Dunkelheit, Rauch oder Nebel nicht sichtbar sein.
Hierfür entwirft das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE derzeit LUCY: das „Listening system Using a Crow’s nest arraY“. Experimentelle Aufbauten des Systems sind bereits realisiert und werden erprobt. Die Technologiebewertung, der Aufbau des Experimentalsystems und die Tests erfolgen in der Forschungsgruppe „Arraysignal- und Mehrkanalverarbeitung“ der FKIE-Abteilung „Sensordaten- und Informationsfusion“ (SDF).
Bei LUCY handelt es sich um ein System, das an Drohnen angebracht werden kann, um die Einfallsrichtung bestimmter Geräusche, einschließlich menschlicher Hilferufe, zu bestimmen. Der akustische Sensor besteht aus einem unregelmäßigen volumetrischen Array von MEMS-Mikrofonen, einem sogenannten „Krähennest-Array“. MEMS-Mikrofone (Micro-Electro-Mechanical-Systems) sind kleine, leichte, preiswerte, aber vor allem leistungsstarke Mikrofone, die heute in vielen Geräten wie z. B. Mobiltelefonen verwendet werden. Wie sich gezeigt hat, reicht die Empfindlichkeit dieser Mikrofontypen aus, um impulsartige Geräusche wie Schreie zu erfassen. Sie ermöglichen damit die Realisierung eines kleinen, leichten und einfach zu tragenden Systems. Des Weiteren enthält das System eine Processing-Einheit, die zur Verarbeitung der Empfangssignale mittels am Fraunhofer FKIE entwickelter Verfahren genutzt wird. Da die verwendeten Mikrofone direkt digitale Signale liefern, bieten sie den Vorteil, dass die Signale nicht mehr mit Soundkarten umgewandelt werden müssen. Das spart Gewicht.
Ein leichteres System ist wiederum flexibler einsetzbar und kann zum Beispiel auf einer Drohne installiert werden. LUCY ist grundsätzlich nicht von einem bestimmten Drohnentyp abhängig. Voraussetzung ist jedoch, dass die Drohne genug Tragfähigkeit und Raum für das System bietet.
Präzise Lokalisierung der Verletzten
Das menschliche Ohr ist ein Sinnesorgan, das Schwingungen aufnimmt und sie an das Gehirn weiterleitet. Das Gehirn verarbeitet die Nervensignale und analysiert die empfangenen Schallinformationen, z. B. die Richtung, aus der ein Ton kommt, und die Hintergrundgeräusche. In ähnlicher Weise funktioniert LUCY, das aus Mikrofonen zur Aufnahme des Schalls und einer Signalverarbeitungseinheit zur Analyse der Schallinformationen und zur Schätzung der Einfallsrichtung der von den Verletzten erzeugten Geräusche besteht.
In bisherigen Arbeiten konnten bereits die Peilung und Lokalisierung von Impulsgeräuschen mit einem Experimentalsystem des Fraunhofer FKIE bestehend aus 32 Mikrofonen erfolgreich erprobt werden. Durch die Miniaturisierung der Sensorelemente können nun mehr MEMS-Mikrofone eingesetzt werden. Aktuell wird ein Demonstrator bestehend aus 64 Mikrofonen erstellt, welcher aufgrund seines modularen Aufbaus je nach Anwendung auch mit mehr oder weniger Mikrofonen betrieben werden kann. Für das Design der unregelmäßigen Geometrie des Mikrofonarrays werden vom Fraunhofer FKIE entwickelte Verfahren eingesetzt, um die Erfassungsreichweite sowie die Peil- bzw. Lokalisierungsgenauigkeit zu optimieren.
Derzeit wird zudem ein adaptives Filter entworfen, um verschiedenartige Geräusche voneinander zu unterscheiden. Hierbei sollen Störgeräusche wie z. B. Lärm von Hubschrauberrotoren oder Wind und Regen unterdrückt werden, um impulsartige Geräusche wie Schreie oder Klopfzeichen besser zu erkennen. Erste Versionen dieses Filters wurden bereits erprobt und haben sich bei der Erkennung impulsartiger Geräusche in Gegenwart anderer Geräusche sehr gut bewährt. Parallel dazu wird an der Implementierung einer verbesserten Geräuschdetektion gearbeitet. Diese nutzt eine Signalverarbeitung mit Methoden künstlicher Intelligenz (KI), um eine größere Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu erzielen. So soll bei der Detektion besser zwischen Schreien und anderen Impulsgeräuschen unterschieden werden können. Der Einsatz KI-basierter Verfahren erfordert aber ein „Training“ mit Referenzdaten.
Anschließend werden die Einfallswinkel der Geräusche mit einer Technik namens „Coherent-Beamforming“ in Azimut und Elevation bestimmt. Bei einer geeigneten Bewegung der Drohne in der Luft lassen sich die Rettungsrufe einer Person aus verschiedenen Richtungen erfassen und so aus den gemessenen Einfallswinkeln (Peilungen) der genaue Standort der Person durch Schnitte der Peilstrahlen ermitteln. In aktuellen Arbeiten wird diese Funktion erprobt. In einem weiteren Schritt könnten die Peilergebnisse von LUCY bei der Flugführung der Drohne berücksichtigt werden. So wäre es möglich, die Lokalisierung von Verletzten weiter zu optimieren.
Verwendung mit komplementären Sensoren
LUCY ist ein eigenständiges System, das als Einzelsensor verwendet werden kann. Es wäre jedoch sinnvoll, eine mit LUCY ausgestattete Drohne um weitere Sensoren zu ergänzen, um den Einsatzkräften einen besseren Überblick über die Situation im Katastrophengebiet zu geben. So wäre es beispielsweise von Vorteil, LUCY in Kombination mit optischen Sensoren zu nutzen. Je nach Situation können beispielweise Wärmebildkameras dabei helfen, Personen zu finden. Neben der für die Einsatzkräfte hilfreichen reinen Visualisierung einer durch LUCY ermittelten Position einer verletzten Person (also die Einweisung einer Kamera durch LUCY) lässt sich durch Sensordatenfusion oft auch ein zuverlässigeres und genaueres Lagebild aufstellen. Zudem wäre es auch möglich, mehr als eine – mit diesen Sensoren ausgestattete – Drohne einzusetzen, um die Aufklärungsleistung zu verbessern. Die Abteilung „Sensordaten- und Informationsfusion“ (SDF) am Fraunhofer FKIE entwirft und erforscht hierfür spezielle Algorithmen, beispielweise zur Sensordatenfusion, zum Ressourcenmanagement und zur Pfadplanung.
Ein interessanter Ansatz für verschiedene Anwendungen
Das Besondere an dem vorgestellten Forschungsansatz besteht in dem Einsatz der bekannten MEMS-Mikrofon-Technologie und deren Anwendung in einem Demonstrator zur Realisierung neuer Fähigkeiten, d. h. hier zur Peilung und Lokalisierung von impulsartigen Geräuschen wie Schreien. Durch den Einsatz auf Drohnen könnte vor allem die Effizienz von Such- und Rettungseinsätzen in großen, unwegsamen oder zerstörten Gebieten deutlich erhöht werden. Es ist auch ein Einsatz auf anderen Plattformen vorstellbar, indem es andere bestehende Systeme für dieselben Rettungszwecke ergänzt, z. B. unbemannte Bodenfahrzeuge (UGV).
Crisis Prevention 4/2021
Macarena Varela
Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE
Abteilung Sensordaten- und Informationsfusion
Telefon: +49 228 9435-383
E-Mail: macarena.varela@fkie.fraunhofer.de
Dr. Marc Oispuu
Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE
Abteilung Sensordaten- und Informationsfusion
Forschungsgruppenleiter „Arraysignal- und Mehrkanalverarbeitung“
Telefon: +49 228 9435-853
E-Mail: marc.oispuu@fkie.fraunhofer.de