Eine Reihe von Studien, unter anderem aus dem Neuropsychiatrischen Zentrum in Hamburg1, konnte zeigen, dass die Belastungen im Rettungsdienst hoch sind – körperlich, aber auch psychisch. Während die körperliche Belastung von den Rettern durchaus thematisiert werden und sich in hilfreichen Entwicklungen, etwa in der Ausrüstung (motorisch betriebene Tragen und Tragestühle, luftgefederte Sitze, ergonomische Rucksäcke, etc.) niederschlagen, sind psychische Probleme und Belastungen noch immer stigmatisiert. Sich hier zu outen und zuzugeben, dass ein psychisches Thema relevant ist, dass Erschöpfung oder Burnout drohen, dass man das Gefühl von Angst vor dem nächsten Meldersignal verspürt, ist nicht einfach2.
In unserer letzten Befragung von Rettungsdienstmitarbeitern aller Ebenen im Jahr 20183 zeigt sich auch, dass durchaus psychische Hilfe für den Kollegen oder die Kollegin als sinnvoll erachtet, für sich selbst aber eher abgelehnt wird. Hinzu kommt, dass noch immer "Peer"- Konzepte in der psychosozialen Unterstützung betrieben werden, die den Vorteil haben, dass der Peer den Rettungsdienst und seine Abläufe kennt. Oftmals sind die Peers aber nicht psychologisch oder psychiatrisch ausgebildet, sondern haben lediglich Weiterbildungen und Seminare besucht.
Die Qualität der psychischen Unterstützung hängt daher ganz deutlich von persönlichem Engagement, Verständnis für den besonderen Charakter von psychischen Überlastungen und Störungen und von der Offenheit und Flexibilität gegenüber aktuellen Forschungsergebnissen zu Therapie und Versorgung von psychischen Problemen bei Einsatzkräften ab. Wichtig ist daher vor allem die Sensibilisierung der Rettungsdienstmitarbeitenden für das Thema und die Problematik sowie die Vermittlung erster grundlegender Techniken zur Reflektion der eigenen Bedürfnisse und Steigerung der Resilienz.
Die Tätigkeit im Rettungsdienst ist im Wesentlichen durch drei Aspekte mit psychischer Belastung und dem Risiko, dass psychische Störungen auftreten verknüpft:
- Schichtdienst
- Belastende Einsatzszenarien, teilweise mit Versagens- und Überforderungsgefühl
- Teamkonstellationen mit deutlichen Abhängigkeiten
Jeder dieser drei Faktoren für sich kann psychische Belastungen auslösen, ist bei der Ausübung einer Tätigkeit im Rettungsdienst unvermeidbar und muss daher betrachtet werden, wenn eine sinnvolle Selbstfürsorge und damit die Vermeidung von krankheitswertiger psychischer Überlastung vermieden werden soll.
Im Fokus auf den Schichtdienst4 steht die Vermittlung der psychophysischen Bedeutung von Ruhephasen im Mittelpunkt – es ist wichtig für die Retter, die circadiane Rhythmik von Hormonen und Neurotransmittern und deren Effekte auf psychische Stabilität zu erkennen und zu verstehen. Die erforderlichen Ruhephasen, mit denen die innere Uhr gewissermaßen wieder stabilisiert und neu justiert wird, können nur durch ernsthafte Alltagsstrukturierung, durch Etablierung von festen Rhythmen und körperlichen Übungen erreicht werden.
Die belastenden Einsatz-Szenarien werden anhand von drei Mustern deutlich5. Zum einen stellt sich die Frage nach dem Umgang mit dem Tod – hier ist in der Regel das Muster der Abstumpfung erkennbar und muss hinterfragt werden. Je länger der Mitarbeitende im Rettungsdienst aktiv ist, umso deutlicher fällt in der Regel diese Abstumpfung aus und umso psychisch belastender (und nicht etwa weniger belastend) ist das Resultat. Ein zweites Muster ist der Umgang mit kranken, verletzten, sterbenden Kindern. Hier werden vielfältige Abwehr- und Vermeidungsmechanismen betrachtet, die vermeintlich hilfreich eine Distanzierung erlauben, doch tatsächlich, nur mit zeitlicher Verzögerung gespürt, die psychische Belastung erhöhen. Letztlich ist das Erleben von Missachtung durch Dritte ein wichtiges und psychisch belastendes Thema, dessen Bearbeitung und Überwindung für eine gute Selbstfürsorge relevant ist6.
Im dritten Themenbereich ist das Team im Mittelpunkt7. Die Problematik, dass einerseits durch die Zeit, die miteinander auf der Wache und in der einsatzfreien Zeit verbracht wird, vielfältige soziale Interaktionen auftreten (von Verliebtheit bis zu aggressiver Abwehr, von Rudelbildung bis zu Mobbing) und andererseits im Einsatz immer wieder eine hohe Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit erforderlich ist und gefordert wird. Wie Teamkonstellationen psychisch gesund umgesetzt und gehalten werden können, stellt ohne Frage eine Herausforderung dar, die gleichwohl gemeistert werden kann.
Literatur
1 Köhn, L., Blömeke, S., Schulze, N. & Tonn, P.: Psychische Belastungen im Rettungsdienst 2005 und 2018 – Längsschnittvergleich zweier Punktbefragungen; Manuskript in Vorbereitung. 2020.
2 Baier, N. et al.: Burnout and safety outcomes - a cross-sectional nationwide survey of EMS-workers in Germany. BMC Emerg Med. 2018.
3 Tonn, P.: Die Einschätzung von Rettungskräften zu Bedarf und Verfügbarkeit von psychologischer Unterstützung bei psychisch belastenden Einsätzen – Entwicklung 2009 zu 2018. Vortrag auf dem DGPPN Kongress 2018 in Berlin.
4 Brown, JP, et al.: Mental Health Consequences of Shift Work: An Updated Review.Ind. Health 2018
5 Behnke, A. et al.: Deconstructing Traumatic Mission Experiences: Identifying Critical Incidents and Their Relevance for the Mental and Physical Health Among Emergency Medical Service Personnel. Front. Psychol. 2019.
6 Varker, T. et al.: Research into Australian emergency services personnel mental health and wellbeing: An evidence map.Aust NZ J Psychiatry 2018.
7 Gray, P. et al.: Workplace-Based Organizational Interventions Promoting Mental Health and Happiness among Healthcare Workers: A Realist Review. Int J Environ Res Public Health. 2019.
Dr. med Peter Tonn
Geschäftsführer Neuropsychiatrisches Zentrum
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Nina Schulze
leitende Psychologin im Neuropsychiatrischen Zentrum Hamburg Altona
Saskia Blömeke
Gesundheitspsychologin (BGM)