Der NATO-Einsatz in Afghanistan, der sich zunehmend unübersichtlich und gefährlich gestaltet, ist ein typisches Beispiel für die heute vorherrschenden urbanen und semiurbanen Einsatzschauplätze der Bundeswehr. Immer wichtiger wird vor diesem Hintergrund die Unterstützung der Landstreitkräfte durch Roboter. Aufklärung, Sicherung, Transport und Kampfmittelabwehr sind dabei vorrangige Aufgabenstellungen, da die Soldaten hier großen Risiken ausgesetzt sind. Wie aber ist der aktuelle Stand von Forschung und Technik? Dies zeigt vom 03. bis 07. Mai 2021 der 11. European Land Robot Trial (ELROB), bei dem sich die internationale Elite der Militärrobotik in realen Einsatzszenarien misst.
Eine schlanke junge Frau in schwarzer Sportkleidung rennt über ein Außengelände, als ginge es um ihr Leben. Hinter ihr her – und zwar dicht auf den Fersen – rast ein Gefährt, das von weitem aussieht wie ein Miniatur-Panzer. Im Laufe der wilden Verfolgungsjagd ist das Fahrzeug manchmal ganz nah an ihr dran, dann wieder kann sich die Frau etwas Vorsprung verschaffen. Das Ganze mutet an wie eine Action-Szene aus einem Lara Croft-Film. Zumindest ist es genauso spannend: Die zahlreichen Zuschauer, die die Szene von einem höher gelegenen Erdwall aus beobachten, verfolgen sie sichtlich gebannt. Viele von ihnen filmen mit ihren Smartphones mit. Was hier gerade vor sich geht, ist jedoch kein Dreh für einen Spielfilm. Es ist ein Teilnehmer-Durchgang beim letzten European Land Robot Trial (ELROB), der bereits im September 2018 im belgischen Lens stattgefunden hat. Die junge Frau ist eine Marathon-Läuferin aus dem deutsch-kanadischen Team der Firma Rheinmetall. Das Fahrzeug, das ihr folgt, ist das achträdrige Transportfahrzeug „Mission Master“.
Gemeinsam absolvieren sie gerade ihren Durchgang in der Wettbewerbsdisziplin „Maulesel“. Ein Transportroboter wird in dem hier gefragten Szenario angelernt, selbstständig in einer vorgegebenen Zeit und so oft wie möglich zwischen zwei etwa 700 Meter auseinanderliegenden Camps hin- und herzufahren. Dabei wird der Roboter auf seinen autonomen Fahrten mit anspruchsvollen Hindernissen wie Schranken, Barrieren oder auch Gräben und wechselnder Streckenführung konfrontiert. Zum Anlernen des Roboters darf ein Mensch dem unbemannten Fahrzeug die Strecke einmal vorauslaufen.
Der Hintergrund dieser Übung ist sehr real: Dem Transport von Material, medizinischer Hilfe und schwerer Ausrüstung kommt im Einsatz eine zentrale Rolle zu. In feindlicher Umgebung stellen diese Transporte jedoch auch attraktive Angriffsziele dar. Die Übernahme dieser Aufgabe durch unbemannte Transportfahrzeuge und Roboter würde den Schutz der Soldaten somit deutlich erhöhen.
Eng mit militärischen Anwendern entwickelte Wettbewerbsszenarien
“Die Robotisierung der Streitkräfte ist ein wichtiges und brandaktuelles Thema. Die technischen Herausforderungen sind dabei deutlich höher als etwa beim autonomen Fahren im zivilen Bereich und werden in der Forschung bislang nicht im nötigen Umfang adressiert“, erläutert Dr. Frank Schneider, stellvertretender Leiter der Abteilung „Kognitive Mobile Systeme“ am Fraunhofer FKIE und ELROB-Organisator. 2004 hatte ein NATO-Workshop starke Entwicklungsdefizite bei Militärrobotern identifiziert. Die Erkenntnis dieser Sachlage war die Initialzündung für ELROB. Die Idee war es, einen Rahmen zu schaffen, der internationale Experten der Anwenderseite, der Industrie und des F&T-Bereichs in regelmäßigem Turnus zusammenbringt. Dies ist gelungen: Seit 2006 findet der Wettbewerb alle zwei Jahre in wechselnden europäischen Ländern statt und hat sich zwischenzeitig zur anspruchsvollsten und etabliertesten Leistungsschau für Militärrobotik entwickelt.
Die im Rahmen des Wettbewerbs gestellten Aufgaben sind eng mit den militärischen Anwendern abgestimmt und orientieren sich am aktuellen, zunehmend komplexeren Bedarf der Streitkräfte. „Was den Transfer der konkreten Bedarfsforderungen in die Testszenarien betrifft, ist ELROB weltweit einzigartig“, so Schneider. Dies zeige sich Jahr für Jahr an der hochkarätigen internationalen Jury sowie dem renommierten internationalen Teilnehmer- und Besucherkreis, der sich aus Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie kommerziellen Robotik-Herstellern und zahlreichen namhaften Unternehmen der europäischen Verteidigungsindustrie zusammensetzt.
Durch die seltene Möglichkeit, Reifegrad und Einsatztauglichkeit militärischer Robotersysteme im direkten Vergleich unter realen Einsatzbedingungen zu testen, soll ELROB die großen noch offenen Baustellen im militärischen Anwendungsfeld in den Fokus rücken. Oberstes Ziel im Einsatz ist es, jeden Soldaten wieder gesund nach Hause zu bringen.
„Truppen, die in eine bereits besetzte Stadt einrücken, sind jedoch automatisch im Nachteil“, erläutert Schneider die heute vorherrschende Einsatzlage, „Roboter, die vorausfahren, die Lage sondieren und den anrückenden Streitkräften detaillierte 3D-Lagekarten für die Einsatzplanung übermitteln, sind daher eine wichtige, Risiken mindernde Unterstützung.“
Internationale Teams messen sich in vier Disziplinen
Aufgabenstellungen wie diese sind daher auf den Parcours gefragt, denen sich auch bei der kommenden ELROB vom 17. bis 21. August 2020 wieder zahlreiche internationale Teams stellen werden. Nach den vergangenen Durchgängen in Österreich und Belgien wird der Wettbewerb erstmals wieder von der Bundeswehr ausgerichtet. Austragungsort ist das Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle für landgebundene Fahrzeugsysteme, Pionier- und Truppentechnik (WTD 41) in Trier.
„Die neu überarbeiteten Szenarien werden damit enger denn je an die aktuellen Bedürfnisse der Streitkräfte angepasst sein“, kündigt Schneider an.
Vier Disziplinen stehen 2020 auf dem Programm: Convoying (Konvoifahren), Mule (Maulesel), Intelligent Reconnaissance and Surveillance (Aufklärung im nicht-urbanen Umfeld) sowie Reconnaissance and disposal of bombs and explosive devices (EOD/IED) (Aufklärung und Manipulation von Bomben und Sprengkörpern). Jeder Wettbewerbstag steht dabei unter der Überschrift einer anderen Disziplin.
Schutz der Soldaten durch autonome Transporte
Den Anfang macht das Convoying. LKW-Konvois übernehmen in den Einsatzgebieten wichtige Transportaufgaben, sind jedoch auch leichte Ziele für Angriffe oder am Straßenrand angebrachte IEDs (Improvised Explosive Devices). Dem Schutz der Soldaten wäre es daher dienlich, wenn der Konvoi vollständig autonom, d. h. ohne Soldaten an Bord, fahren würde. Das Szenario sieht eine Lieferung mit einem Konvoi von mindestens zwei Fahrzeugen in ein 2,5 Kilometer entferntes Camp vor.
Für die Abbildung realer Einsatzbedingungen hält die Strecke statische und bewegliche Hindernisse, Sackgassen, scharfe Kurven, Straßensperrungen, enge Passagen und auch negative Hindernisse wie Wassergräben für sie bereit. Die Fahrzeuge dürfen zudem nur von einem Operator gesteuert werden und müssen die Strecke schnellstmöglich und maximal autonom absolvieren. 2018 zeigten die teilnehmenden Teams mit ihren unterschiedlichen Fahrzeugtypen, die von SUVs über militärische LKW bis hin zu vierachsigen Mehrzweckmilitärfahrzeugen reichten, bereits sehr gute Leistungen in dieser Disziplin. Allerdings gelang es einzig dem Team der Universität der Bundeswehr München, die Strecke vollständig ohne manuellen Eingriff zu bewältigen.
Aufklärungsroboter noch weit von einsatzreifen Lösungen entfernt
Nach der bereits eingangs beschriebenen Disziplin „Maulesel“, die die Überschrift von Tag 2 bildet, widmet sich Tag 3 der „Intelligent Reconnaissance & Surveillance (ISR)“. Die Aufklärung und Überwachung eines Geländes zählt zu den militärischen Kernaufgaben. Nachdem die Szenarien dieser Disziplin in den vergangenen Jahren schwerpunktmäßig auf semi-urbanes, urbanes Gelände und Gebäudeaufklärung ausgerichtet waren, messen sich die Teams 2020 wieder in einem reinen Geländeaufklärungsszenario. Ein unbemanntes Fahrzeug soll sich maximal autonom einem 1,5 Kilometer entfernten Beobachtungspunkt nähern und dabei sowohl das Gelände entlang der Bewegungslinie sowie – am Beobachtungspunkt angelangt – ein definiertes Zielgelände aufklären. Die Route führt durch teilweise tiefes Waldgelände und ist durch dynamische und statische Hindernisse, Sackgassen, enge Kurven, Wegsperrungen, Blockaden und enge Passagen gekennzeichnet. Im Aufklärungsgebiet angelangt gilt es dann, spezielle Markierungen aufzufinden, zu fotografieren und auf einer Karte zu markieren und die entsprechenden Lageinformationen – möglichst in Echtzeit – an die Kontrollstation zu übermitteln.
Trotz der großen Relevanz von robotischer Unterstützung bei Aufklärungsaufgaben offenbaren sich gerade in dieser Disziplin bislang noch große technische Herausforderungen. Als zu langsam, mit nicht ausreichender Sensorik ausgestattet und zu wenig mobil erweisen sich die Systeme. Allein das Verlassen asphaltierter Streckenteile – unerlässliche Voraussetzung für eine detaillierte Geländeaufklärung und -kartierung – stellt sich oftmals bereits als zu schwierig dar. So musste ELROB-Chef-Schiedsrichter Prof. Dr. Henrik I. Christensen, Direktor des Contextual Robotics Institute an der University of California, nach der vergangenen ELROB die überraschte Bilanz ziehen, dass die Teams mit ihren Leistungen teilweise sogar hinter einem früher bereits erreichten Stand zurückgeblieben waren. Bleibt gespannt abzuwarten, ob das Jahr 2020 Fortschritte bringt.
Militärisch wie zivil relevant: Roboter für die Kampfmittelabwehr
Durchgängig an allen Tagen stellt ELROB interessierten Teilnehmern ein anspruchsvolles Übungsszenario für die Aufklärung und Abwehr von Kampfmitteln zur Verfügung. Der Umgang mit Blindgängern und zurückgelassenen oder auch improvisierten Sprengkörpern ist ein weiteres Aufgabenfeld, das zu den regelmäßigen und gleichzeitig auch gefährlichsten für Soldaten im Einsatz zählt. Die konkrete Aufgabenstellung bei ELROB 2020 sieht die Aufklärung eines bewaldeten und teils bebauten Industriegeländes vor. Schmale Fußwege, Treppen, wenig bis kein Licht, verschlossene Türen, Sand-, Busch- und Grasflächen, Container, Wasser und Steine fordern die Roboter auf ihrer Erkundungsfahrt heraus. Diverse dynamische und statische Hindernisse erschweren den Weg zusätzlich.
Ihre Aufgabe ist es, verdächtige Objekte innerhalb wie außerhalb der Gebäude aufzufinden und zu untersuchen. Wie immer sollen die Roboter dabei maximal autonom agieren. Haben sie verdächtige Gegenstände entdeckt, fotografiert, lokalisiert und – möglichst in Echtzeit – an die Kontrollstation gemeldet, sollen sie diese anschließend genauer untersuchen, zum Beispiel durch Zuhilfenahme eines Röntgengeräts, öffnen und den Sprengkörper, sollte ein solcher vorgefunden werden, bestenfalls auch entschärfen. Als Zeitrahmen stehen den Teams in dieser Disziplin mindestens vier Stunden zur Verfügung, bei geringerer Teilnehmerzahl auch länger.
Neue Disziplin „Freestyle“ für freie Vorstellung militärisch relevanter Robotiklösungen
Auf konkreten Wunsch der Bundeswehr kündigt die ELROB-Agenda für Tag 4 erstmalig den Programmpunkt „Freestyle“ an. Die damit neu eingeführte Disziplin bietet Industrie und Forschung die Gelegenheit, Technologien und Lösungen von militärischer Relevanz abseits des Wettbewerbs vorzustellen. „Hier bietet sich beispielsweise die Möglichkeit, Fortschritte und neue Entwicklungen im Bereich Search & Rescue vorzuführen, eine in der Vergangenheit sehr beliebte Disziplin, die bei ELROB 2020 leider nicht mehr berücksichtigt werden konnte“, erläutert Schneider. Auch aufgaben- und regeltechnisch wurde der Wettbewerb insgesamt nachjustiert. Ziel ist es, die Bewertungskriterien für den Leistungsvergleich noch stärker an den Wünschen und Anforderungen der Streitkräfte zu orientieren. Interessierte Industrie und Forschungseinrichtungen sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.
Crisis Prevention 1/2020
Frank E. Schneider
Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE,
Stellvertretender Leiter der Abteilung Kognitive Mobile Systeme, Organisator der Robotik-Wettbewerbe "European Land Robot Trial (ELROB)" und "European Robotics Hackathon (EnRicH)"
Fraunhoferstr. 20
53343 Wachtberg
Tel:+49 228 9435 481
E-Mail: elrob@fkie.fraunhofer.de