Besser gerüstet bei regionalen Unwettern

Forschungsprojekte für den Hochwasserschutz

Daniela Metz

Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden, Bauhaus-Universität Weimar

Im Zuge der Klimaerwärmung werden wir uns in Zukunft auf intensivere Starkregenereignisse einstellen müssen. An den großen Flüssen wie Rhein, Donau, Oder und Elbe existiert ein engmaschiges Pegelmessnetz und Hochwasserereignisse lassen sich mit Hilfe großräumiger Wettermodelle oft viele Tage im Voraus berechnen. Ganz anders sieht es jedoch bei relativ kurzfristigen, regional auftretenden Starkregenereignissen aus. Kleine Flüsse und Bäche können sich hier innerhalb kürzester Zeit in reißende Ströme verwandeln. Drei aktuell vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekte haben zum Ziel, die Behörden und Einsatzkräfte zum einem bei der Hochwasservorsorge und zum anderen beim Kampf um jede Minute im Ernstfall zu unterstützen.

Hochaufgelöste 3D-Modellierung eines Regenrückhaltebeckens (rechts)
Hochaufgelöste 3D-Modellierung eines Regenrückhaltebeckens (rechts). Das Modell konnte durch die Bilder von Drohnenflügen erheblich verfeinert werden (links).
Quelle: Kühn Geoconsulting GmbH

Bereits in den letzten Jahren haben Aufgrund der Klimaveränderung die Anzahl und Intensität von Extremwetterlagen in Mitteleuropa spürbar zugenommen. Wärmere Luft kann mehr Wassermoleküle aufnehmen als kalte, so dass mit steigenden Temperaturen auch in Deutschland zukünftig mit intensiveren Starkereignissen gerechnet werden muss.

Eine echte Herausforderung sind hierbei kleinere Fließgewässer vor allem in hügeligen, ländlicheren Gebieten, deren Pegelstände eher selten messtechnisch überwacht werden. Sie zeichnen sich durch ein kleines Einzugsgebiet und relativ kurze Fließwege aus. Zudem besitzt der Boden in diesen Gebieten oft eine geringere Speicher- und Rückhaltekapazität von Oberflächenwasser. Bei schwierig vorhersehbarem, über eine begrenzte Region abgehendem Starkregen können sich daher Bäche und kleine Flüsse in kürzester Zeit in reißende Ströme verwandeln. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Bei solchen lokalen Hochwasserereignissen gibt es oftmals extrem kurze Vorwarnzeiten für Anwohner, Behörden und Katastrophenschutz von wenigen Stunden bis hin zu nur 30 Minuten. Denn obwohl in Deutschland das Messnetz zur Erfassung von Wetterdaten recht flächendeckend ist, sind beispielsweise kleinräumig auftretende Gewitterzellen nur sehr schwer über mehrere Stunden im Voraus zu lokalisieren.

„Ziel des Projekts HAPLUS ist daher, ein verlässliches Frühwarnsystem zu schaffen, welches es ermöglicht, betroffene Anlieger bei sehr schnell eintretenden Überflutungen zu warnen und zu schützen“ erklärt Marc Below, der mit der Kühn Geoconsulting GmbH, einem Ingenieurbüro aus Bonn, am Projekt beteiligt ist.

Abfluss von Oberflächenwasser dreidimensional simulieren

Untersuchungsgebiete von HAPLUS sind zum einem die Gemeinde Grafschaft, knapp 20 Kilometer südlich von Bonn, und zum anderen die Stadt Mechernich, knapp 40 Kilometer südwestlich von Bonn. Beide Eifel-Kommunen waren in den vergangenen Jahren von mehreren Starkregenereignissen betroffen.

Herzstück des Projekts ist eine detaillierte, dreidimensionale Oberflächenabflusssimulation, mit der sich die Entwicklung des Hochwassers und seiner Wege je nach Niederschlagsmenge in den beiden zu untersuchenden Gebieten im Voraus detailgetreu am Computer anschauen lässt. Der Weg zu diesem beeindruckenden Werkzeug ist jedoch komplex. Grundlage sind bereits existierende Programme, die die Geländeoberfläche als 3D-Modell abbilden. Gemeinsam mit neuen Daten wird darauf aufbauend ein hochaufgelöstes digitales 3D-Geländemodell erstellt. Dieses Modell ist wiederum die Grundlage für die Oberflächenabflusssimulation, in die noch aktuelle Daten wie Oberflächennutzung, Kanalnetz, Engstellen sowie Geländeversiegelungen und -vertiefungen mit einfließen. 

Messkette eines Bachverlaufs in der Gemeinde Grafschaft.
Messkette eines Bachverlaufs in der Gemeinde Grafschaft.
Quelle: geoFact GmbH

„Neu ist, dass hier unterschiedliche Technologien zur Erhebung von Daten und Messwerten sowie deren Auswertung gekoppelt werden“ zeigt Below auf. „Zudem nutzen wir unter anderem auch Drohnen und mobile LIDAR-Scanner zur eigenständigen Erfassung der Geländemorphologie, welche insbesondere im Rahmen der Oberflächenabflussmodellierung zum Einsatz kommen.“

Zusätzlich werden im HAPLUS-Projekt in den beiden Untersuchungsgebieten ein paar weitere Pegelmessstationen an strategisch ausgewählten Orten an den Bächen aufgestellt. Zusammen mit Niederschlagsmessungen und der direkten Vorhersage aus dem Regenradar wird ein mehrstufiges Alarmierungssystem inklusive Entwarnungsfunktion aufgebaut, das an die jeweiligen Bachsysteme und ihre Einzugsbereiche angepasst wird. Die Daten von Pegelmessungen und Kameraüberwachung an Bachläufen, Lokalen Niederschlagsmessungen sowie den Vorhersagen aus dem Regenradar laufen auf einem Server zusammen. Auf Basis der zu erwartenden Hochwasserstufe alarmiert das System im Notfall die betroffenen Haushalte mittels eigens entwickelter Alarmbox, die Kommune sowie die Einsatzkräfte vor Ort per App, SMS oder über öffentliche Sirenen. Dabei geht es oftmals um jede Minute, die mit einer möglichst frühen Vorwarnzeit gewonnen werden kann.

Eine der Herausforderungen ist, dass die gesammelten Messdaten und die prognostizierten Daten so ausgewertet werden müssen, dass eine verlässliche Warnung herausgegeben wird. Das ist kniffelig, da auch bei der Auswertung teilweise Prognosen mit einfließen (z.B. bei Regenradardaten die Intensität des Regen­ereignisses), die ein gewisses Fehlerpotential mit sich bringen. Daher wird das Modell mit Daten von realen Regenereignissen und gemessenen Pegel- und Fließgeschwindigkeitsmessungen kalibriert. In der Gemeinde Grafschaft kommt dafür das neue System zum Einsatz, in der Gemeinde Mechernich werden Übertragbarkeit und Datenerfassungstechnologien untersucht.

„Das System ist so aufgebaut, dass es für vergleichbare Regionen und Kommunen angepasst werden kann“ äußert sich Below zur Zukunft des HAPLUS-Systems. „Dafür arbeitet das Projekt gerade daran, möglichst viele Schritte zu automatisieren.“ So soll beispielsweise das hochaufgelöste digitale 3D-Geländemodell automatisch die wichtigsten Geodaten erkennen, klassifizieren und eintragen. Ziel ist, dass das HAPLUS-System kritische Regenereignisse selbstständig identifiziert und im Ernstfall eine Warnung herausgibt. Zusätzlich würde den Kommunen mit der Oberflächenabflusssimulation zukünftig ein wichtiges Werkzeug zur Verfügung stehen, mit dem mögliche Überschwemmungsgebiete identifiziert werden können, um Handlungsempfehlungen zur Verbesserung bestehender Schutzmaßnahmen zu erstellen.

Signale von Richtfunkmasten zur Niederschlagsbestimmung

Im Mai 2018 zogen innerhalb von 12 Stunden mehrere Gewitterzellen hintereinander über die Region Vogtlandkreis, einer Mittelgebirgslandschaft im äußersten Südwesten von Sachsen, hinweg. In einigen Gemeinden fielen bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter – knapp 100 Liter davon innerhalb weniger Stunden. Bäche und Flüsse verwandelten sich in reißende Sturzfluten, Häuser und Straßen wurden überspült, Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten. Besonders stark betroffen war die Region um Adorf, eine knapp 5 000 Einwohner zählende Kleinstadt an der Weißen Elster, einem beschaulichen Fluss, der knapp 160 Kilometer weiter nördlich bei Halle in die Saale mündet.

Prognoseprogramme des Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaats Sachsen hatten 24 Stunden vor dem Unwetter eine mäßige bis mittlere Gefährdung für das Gebiet vorhergesagt und die erste Stufe von vier möglichen Alarmstufen für Hochwasser herausgegeben. Für den Landkreis nichts Ungewöhnliches. Für die tatsächlich eingetretene höchste Warnstufe vier hatten die Modelle in mehreren Durchläufen nur eine fünfprozentige Wahrscheinlichkeit ausgerechnet. Auf dem Radar waren die Gewitterzellen erst knapp 30 Minuten vorher sichtbar geworden und die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes kam herein, als die ersten Schauer bereits gefallen waren. Keine Zeit also für Vorbereitungen. Innerhalb von drei Stunden schwoll der Pegel der Weißen Elster von Stufe null auf die höchste Hochwasser-Pegelstufe an.

Dieses sehr plötzlich aufgetretene Hochwasserereignis war ein einschneidendes Ereignis für alle Beteiligten. Die Region Vogtlandkreis ist daher eine von drei Pilotregionen des im August 2018 gestarteten Projekts HoWa-innovativ. „Zielsetzung des Gesamtvorhabens ist eine räumlich präzisere Vorhersage von Hochwasser unter Nutzung innovativer Niederschlagsmess- und Vorhersageverfahren“ erklärt Dr. Uwe Müller vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. „Durch die neuartige Kombination von Radardaten des Deutschen Wetterdienstes mit Niederschlagsinformation von kommerziellen Richtfunkstrecken wird die Genauigkeit der Niederschlagsmessung erhöht“. Schließlich gibt es Richtfunkmasten wesentlich häufiger als Wetterstationen. Die geniale Idee dahinter: Je dichter der Regen, umso mehr werden die Funkwellen zwischen zwei Richtfunkmasten gestreut. Diesen Effekt möchte sich das Projekt zunutze machen, denn so lässt sich auf sehr kleinem Raum erkennen, wo es wie intensiv regnet. Ein großer Mobilfunknetzanbieter stellt dafür die Daten aus seinen Richtfunkstrecken in Echtzeit zur Verfügung. Die darin enthaltenen Echtzeitregenraten können dann in das System zur Hochwasservorhersage eingebettet werden.

Mit sogenannten „Ombrometern“ wird an ausgewählten Stationen die...
Mit sogenannten „Ombrometern“ wird an ausgewählten Stationen die Regenmenge gemessen. Die tatsächlich gesammelte Regenmenge wird dann mit den Daten von den Richtfunkmasten zur Niederschlagsbestimmung abgeglichen.
Quelle: KIT IMK-IFU / Universität Augsburg

Die Verbesserung kleinräumiger Niederschlagsmessungen mittels Richtfunkstrecken ist allerdings nur einer von drei Aspekten, die in dem Projekt erforscht und entwickelt werden. So werden von den Pilotregionen auch hydrologische Modelle erstellt, die sehr genau zeigen, wo und wie viel Regenwasser bei verschiedenen Regenintensitäten abfließt. Mit diesen am individuellen Oberflächenprofil orientierten Niederschlags-Abflussmodellen lassen sich Überflutungsverläufe realitätsnah abbilden. Der letzte Punkt ist die Integrierung des HoWa-Innovativ-Systems in die zentralen Hochwasserinformations- und -managementsysteme von übergeordneten Behörden wie Landesämtern. Diese Systeme sind für den gebietsspezifischen Hochwassernachrichten- und Alarmdienst zuständig.

„Am Ende soll ein Demonstrator eines niederschlagsbasierten Hochwasserfrühwarnsystems stehen, der auch die Berücksichtigung von Unsicherheiten mit einer geeigneten Kommunikationsstrategie beinhaltet“ erzählt Projektkoordinator Dr. Müller. „Damit werden zuverlässigere Warnungen für die Katastrophenabwehr, speziell in kleinen Einzugsgebieten, ermöglicht. Das System soll zukünftig auch auf andere hochwassergefährdete Regionen in Deutschland übertragbar sein.“

 Zudem wird ein Kommunikations- und Schulungskonzept mit und für die lokal verantwortlichen Katastrophenschutzkräfte erarbeitet. Das Konzept soll den Umgang mit den Unsicherheiten in der Vorhersage erleichtern und Hilfestellungen für die Ableitung von Maßnahmen der Katastrophenabwehr geben.

Zur Erstellung von hydrologischen Modellen werden auf Geländeprofilen die...
Zur Erstellung von hydrologischen Modellen werden auf Geländeprofilen die Überflutungsregionen und Flutwellenverläufe markiert.
Quelle: Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie

Hochwasserschäden im Voraus berechnen

Einen ganz anderen Ansatz als HAPLUS und HoWa-innovativ hat das INNOVARU-Projekt. Dr. Müller, der auch dieses Projekt koordiniert, erklärt die Idee dahinter: „Im Vorhaben wird ein Modell zur Berechnung von potenziellen Hochwasserschäden an Wohngebäuden in urbanen Räumen auf mikroskaliger Ebene entwickelt. Das bedeutet, die betroffenen Gebäude werden einzeln anhand von Eigenschaften beschrieben, die für das Ausmaß des Schadens in Abhängigkeit der Wassereinwirkung relevant sind.“ Dafür werden die Zusammenhänge zwischen den hydraulischen Einwirkungen des Hochwassers, also beispielsweise Wasserstand und Fließgeschwindigkeit, den hieraus resultierenden strukturellen Schäden und den damit verbundenen finanziellen Verlusten an unterschiedlichen Gebäudetypen in drei Modellregionen in Sachsen systematisch untersucht.

Nach Projektende soll eine Software entstehen, die von Gewässerunterhaltern oder Talsperrenverwaltern als auch von Ingenieurbüros ohne detaillierte Kenntnis genutzt werden kann, um die zu erwartende Hochwasserschäden an Gebäuden zu errechnen – bevor ein Hochwasser eintritt. Die Software soll aber noch mehr können: Sie soll als wesentliche Grundlage zur Planung von Maßnahmen des Hochwasserrisikomanagements dienen. Wenn sich durch die Berechnungen beispielsweise zeigt, dass in einem bestimmten, dicht besiedelten Gebiet je nach Hochwasserstand starke Schäden an Gebäuden zu erwarten sind, können entsprechende Schutzmaßnahmen zur Vorsorge getroffen werden.

Sechsstufiges Modell zur Prognose der Schadensgrade an Gebäuden je nach...
Sechsstufiges Modell zur Prognose der Schadensgrade an Gebäuden je nach Hochwassereinwirkung.
Quelle: Zentrum für die Ingenieuranalyse von Erdbebenschäden, Bauhaus-Universität Weimar

Grundlage für diese neue Software sind zwei bereits existierende Modelle zur Hochwasserschadensprognose der Bauhaus-Universität Weimar und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, die hier miteinander verschmolzen und erweitert werden sollen. Aus den Modellen werden sogenannte Verletzbarkeitsfunktionen abgeleitet, die die Schäden an einzelnen Gebäuden in Form eines sechsstufigen Systems in Schadensgraden darstellen. Die einzelnen Gebäude werden dafür nach Faktoren wie dem verwendeten Baumaterial oder der Etagenzahl in Hochwasserverletzbarkeitsklassen eingeteilt. Die im Projekt neu entwickelten Schadensfunktionen für die einzelnen Gebäudetypen erlauben dann die Überführung der Schadensgrade in Verlustkenngrößen. Damit zukünftig die zeitaufwendigen Ortsbegehungen zur Typisierung der einzelnen Gebäude wegfallen können, wird zusätzlich ein teilautomatisiertes Verfahren zur Bestimmung und Klassifizierung der jeweiligen Gebäudetypen entwickelt.

Das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie plant bereits, die neue Software nach Projektabschluss einzusetzen, es gibt jedoch schon jetzt weitere Interessenten. 

„Wir streben eine Weiterentwicklung des Modells zur Anwendung in den anderen Bundesländern Deutschlands an“ erläutert Dr. Müller die geplante Zukunft des INNOVARU-Projekts.

Keine einhundertprozentige Sicherheit

Natürlich wird es – egal wie viel auch geforscht und entwickelt wird – auch im Hochwasserschutz und der -vorhersage keine einhundertprozentige Sicherheit geben können. Ziel der Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist es jedoch, mit solchen Projekten die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben im Hochwasserschutz in Zeiten von neuen Herausforderungen wie Klimawandel und zunehmenden Starkregenereignissen zu unterstützen, die Resilienz zu erhöhen und ihnen bessere Werkzeuge zur Vorhersage an die Hand zu geben. 


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