Schmutzige Bomben und ihre möglichen Folgen für die Bevölkerung

Wolfgang Raskob, Thomas Münzberg

Dennis Berg, Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg

Im Jahr 1995 haben tschetschenische Rebellen die Welt wohl zum ersten Mal mit einer neuen Form des Terrorismus bedroht. Bei einem Anschlag in der Nähe des Kremls in Moskau kombinierten sie herkömmliche Sprengstoffe mit radioaktivem Material. Einmal explodiert, sollte das radioaktive Material weiträumig rund um den Kreml verteilt werden. Die Bombe wurde jedoch rechtzeitig erkannt und konnte entschärft werden. Derartige Bedrohungen sind seitdem umgangssprachlich bekannt als „schmutzige Bomben“. Im Fachjargon werden sie in Deutschland auch als Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung, atomar („USBV-A“) oder als radioaktive Dispersionsvorrichtung (Radiological Dispersal Device, RDD) bezeichnet.

Radioaktive Strahlenquellen (Strahler) sind in Deutschland in Industrie und Gewerbe, Medizin, Forschung und in der Landwirtschaft weit verbreitet. Eine hohe Gefährdung durch eine missbräuchliche Nutzung geht insbesondere von den sogenannten hochradioaktiven Strahlenquellen (HRQ) aus.

Derartige Strahler bestehen beispielsweise aus Kobalt und werden häufig in der Lebensmittelindustrie zu Sterilisation genutzt. Weitere derartige Radionuklide sind Cäsium oder Iridium, die in Krankenhäusern für medizinische Zwecke verwendet werden. Der Verbleib solcher hochradioaktiven Strahlenquellen wird zwar mithilfe eines zentralen Register (HRQ-Register) beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) kontrolliert und lückenlos zurückverfolgt, es kommt jedoch immer wieder zu Fällen illegal entsorgter oder häufig durch Unkenntnis verlorengegangener Strahler.

Allein die hochradioaktive Strahlenquelle ergibt jedoch noch keine schmutzige Bombe. Erst in Kombination mit der Detonation von konservativem Sprengmaterial und der damit einhergehenden Pulverisierung des radioaktiven Strahlers entstehen Stäube und Partikel mit Isotopen radioaktiver Nuklide, die neben den direkten Explosionsschäden zu großflächigen Kontamination der Umgebung führen sollen. Die Stäube können über die Atemwege in den Körper eines Menschen gelangen (Inkorporation). 

Da der menschliche Körper radioaktive Nuklide nur sehr langsam ausscheiden kann, verbleiben sie langfristig im Körper und greifen als Atemgifte mit Strahlenwirkung Zellkerne an. Die zusätzliche Oberflächenkontamination durch das Auftragen der Partikel auf die Haut ist dagegen durch einfaches Abwaschen der Stäube und Partikel recht gut beherrschbar.

Je nach Bauweise sind herkömmliche hochradioaktive Strahler wie in Krankenhäusern und in der Industrie für den Bombenbau eher ungeeignet. Häufig sind sie metallisch mehrfach ummantelt und eingehaust. Zur Pulverisierung des Strahlers bei einer Detonation muss der Strahler in der Regel zuvor geöffnet und zerlegt werden. So kommt es zwangsläufig zur direkten Exposition mit der Strahlungsquelle und der damit verbundenen Gefahr der Strahlenerkrankung. 

Liegt radioaktives Material bereits pulverisiert vor, ist eine Sprengvorrichtung nicht unbedingt notwendig da das Material auch anderweitig verstreut werden kann. Wird der Strahler nicht zerlegt und lediglich im eingehausten Zustand einer Detonation ausgesetzt, kommt es wahrscheinlich weniger zu einer Pulverisierung als vielmehr zur Zerstörung des Strahlers. Die umherfliegenden Kleinstteile können zu entsprechenden Splitter- und Schrapnellverletzungen führen.

Schematische Verteilung einer Explosionswolke, HOTSPOT

(https://narac.llnl.gov/hotspot)

Explosions- und Ausbreitungsexperimente sind notwendig um zu ermitteln, wie die Strahlenquelle pulverisiert wird und wie sich die Wolke danach verhält. Photographien der Explosion zeigen z. B., wie sich die radioaktiven Stäube wolkenartig in der Atmosphäre ausbreiten. Aus diesen Erkenntnissen können mathematische Modelle abgeleitet werden, womit die Wirkungen schmutziger Bomben simuliert und das Gefährdungspotential von verschiedensten Materialien und Explosionsarten berechnen werden kann. 

In Deutschland werden u.a. die Simulationsmodelle LASAIR und JRodos eingesetzt. LASAIR wird von Landesbehörden genutzt, während das Entscheidungshilfesystem JRodos (realtime on-line decision support) zentral beim BfS installiert ist und sowohl für nukleare als auch für radiologische Ereignisse genutzt werden kann (https://www.bfs.de/DE/themen/ion/notfallschutz/entscheidungshilfen/entscheidungshilfen.html).

HOTSPOT Modell einer Explosionswolke für das Ausbreitungsmodell in einer...
Schematische Verteilung einer Explosionswolke für das Ausbreitungsmodell HOTSPOT
Quelle: https://narac.llnl.gov/hotspot

Dosisbelastung durch Kobalt (JRodos ­Ergebnis, KIT, fiktive RDD)

Diese mathematischen Modelle berechnen die Ausdehnung des von einer radioaktiven Wolke kontaminierten Gebietes und schätzen die Gefährdung der Bevölkerung ab. Hierfür ist es jedoch notwendig, zuvor die Menge und die Zusammensetzung des radioaktiven Materials zu bestimmen. Dass es sich bei einer Explosion um einen Terroranschlag handelt und dass dabei auch radioaktives Material frei wird, ist für die ersteintreffenden Kräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst nicht augenscheinlich. Beides kann in den ersten Minuten nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die Radioaktivität lässt sich weder riechen noch sehen oder schmecken. 

Die Empfehlungen für Einsatzkonzepte des Bundes und der Länder sehen deswegen bei jedem Sprengstoffanschlag oder Explosion eine prophylaktische Dosisleistungsmessung in der Lagefeststellung vor, um Nachweise über radioaktive Strahlungen zu erhalten und die ggf. freigesetzten Nuklide zu bestimmen. Nur anhand dessen kann die Tragweite der möglichen Kontamination abgeschätzt werden.

Bis zu dieser Feststellung wird jedoch wie bei jedem Ereignis, bei dem eine Vielzahl von Verletzten zu versorgen ist, mit den gängigen Konzepten für Massenanfälle von Verletzten (MANV) gearbeitet. MANV-Konzepte basieren im Wesentlichen auf die Vor-Ort-Sichtung, die Durchführung rettungsdienstlicher Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung von Patienten und der Ressourcenbündelung. Im Zusammenhang mit den schon langanhaltenden terroristischen Bedrohungen und Amoklagen werden diese grundlegenden Prinzipien immer wieder in Frage gestellt, da Rettungskräfte sich in dynamischen, nicht als sicher geltenden polizeilichen Schadenslagen wiederfinden (heiße, warme, kalte Zonen). 

Zudem ist immer auch von einer zweiten Bombe auszugehen, die zeitlich versetzt gezündet wird und den Rettungskräften gilt („Second Bombing“). So entsteht die von Terroristen gewollte Situation der Unsicherheit, in denen die gängigen Konzepte lageabhängig angepasst werden müssen.

Im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006 gab es weitreichende Überlegungen, wie mit der Kontamination von einer Vielzahl verletzter und unverletzter Menschen nach einem Anschlag mit einer schmutzigen Bombe umgegangen werden kann. Mit den GAMS-Regeln für ersteintreffende Rettungskräfte, den Einsatzgrundsätzen der FwDV500 samt den heutigen Konzepten zur Dekontamination von Personen (Dekon P) und Verletzten (Dekon V), dem Betrieb von behelfsmäßigen Dekontaminationsplätzen sowie dem Einsatz von CBRN-Erkundungswagen und der Analytical Task Forces (ATF) stehen ausreichend Instrumente zur Verfügung, um die direkten radiologischen lokal begrenzten Folgen einer schmutzigen Bombe für die Betroffenen zu beherrschen. 

Die grundlegenden Herausforderungen, eine vorsätzliche radioaktive Kontamination zu erkennen und in Anbetracht der weiteren Gefahren (Brand, Einsturz etc.) und der Dringlichkeit der rettungsdienstlichen Versorgung eine ausreichende Dekontamination durchzuführen, bleiben jedoch weiterhin problematisch.

Zur Unterstützung der Einsatzkräfte hat der Bund die „Nuklearspezifische Gefahrenabwehr“ (NGA) eingerichtet, die Kompetenzen auf verschiedensten Gebieten als Amtshilfe bereitstellen kann. So vereint die „Zentrale Unterstützungsgruppe des Bundes für gravierende Fälle nuklearspezifischer Gefahrenabwehr“ (ZUB) Kompetenzen auf den Gebieten der Polizeiarbeit und des Strahlenschutzes. Letztere wird vom BfS bereitgestellt und hilft bei der Bewertung der radiologischen Lage und dem Gefährdungsgrad der Bevölkerung und der Einsatzkräfte vor, während und nach dem Explosionsereignis.

Äußerst wichtig ist die Kommunikation mit der Bevölkerung. Die Angst vor radioaktiver Strahlung ist in der Bevölkerung ausgeprägt. So ist zu erwarten, dass trotz fachlicher Aufklärung, Säuberung betroffener Gebiete von radioaktiven Rückständen und Freimessen Menschen den Anschlagsort lange Zeit meiden, Geschäfte ihren Standort wechseln und Bewohner ausziehen werden. 

Solche von tiefgreifender Verunsicherung geprägten Reaktionen, auf die Terroristen ebenfalls abzielen, ergeben sich häufig erst nach dem eigentlichen Einsatzgeschehen und sind nicht zu unterschätzen. Dies muss sich in der Kommunikationsstrategie der Behörden widerspiegeln, die auf der einen Seite das Problem nicht verharmlosen dürfen, aber auch vermeiden müssen, vorhandene Ängste zu schüren.

Nicht unberücksichtigt bleiben darf die Rolle der Einsatzkräfte. Ihr Verhalten bei möglichen Anschlägen ist entscheidend für den Einsatzerfolg. Gleichzeitig werden sie zu Betroffenen durch direkte Kontamination am Einsatzort oder durch den Umgang mit kontaminierten Patienten. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen den Informationsflyer HEIKAT Verhaltensregeln für Einsatzkräfte bei Anschlägen herausgegeben, die fester Bestandteil wiederkehrender Aus- und Fortbildungen sein sollten. 

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