Telemedizin ist eine technische Entwicklung, die in der Medizin immer mehr Stellenwert gewinnt. Der Telenotarzt ist dabei nur ein System, was sich in den letzten Jahren erfolgreich etabliert hat. Auch in der hausärztlichen Versorgung im Rahmen von Videosprechstunden oder bei sogenannten Konsilen zur Beratung zwischen Ärztinnen und Ärzten findet Telemedizin bereits Anwendung. Bisher jedoch noch nicht untersucht und entwickelt wurde ein Telemedizinkonzept für den Katastrophen- und Zivilschutz. Hier fehlen weltweit Vergleichsstudien, die den Einsatz eines Telemedizinkonzeptes vorsehen, bei dem eine Einsatzkraft, ähnlich wie dem Konzept des Telenotarztes, mit einer Ärztin oder einem Arzt über Telemedizin verbunden ist. Rechtlich ermöglicht die Telemedizin dann auch die Delegation von ärztlichen Maßnahmen, wie die Gabe von Medikamenten. Die Machbarkeit für ein solches Konzept erforscht aktuell das Projekt TeleSAN, gefördert vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Ein Modul des Konzeptes sieht dabei die telemedizinische Ausstattung einer Behandlungsstelle der Medizinischen Task Force (MTF) vor. Während viele Telemedizinsysteme im klinischen Alltag hier die Installation der technischen Ausstattung auf mobilen Rollständer-Systemen vorsieht, sind die Anforderungen im Zivilschutz vollkommen anders. Hier ist ein hochmobiles Konzept erforderlich, das personengebunden eingesetzt werden kann. Die Qualifikation als Rettungssanitäterin oder Rettungssanitäter ist im Bundeskonzept des Zivilschutzes die höchste Ausbildungsstufe und soll bevorzugt mit Telemedizin ausgestattet werden. Die Technik muss eine hohe Verfügbarkeit haben, eine ausreichende Robustheit für den Einsatz und über eine intuitive Bedienung verfügen. Akkukapazitäten müssen ausreichend sein, Redundanzen genutzt werden.
So wurde eine App konzipiert, die webbasiert, unabhängig vom Betriebssystem auf einem Tablet-PC genutzt werden kann. Diese basiert auf einer zertifizierten Videosprechstunde (TeleDoc, Docs in Clouds TeleCare GmbH, Aachen) und ermöglicht eine sichere Audio-Video-Verbindung zwischen Einsatzstelle und Teleärztin/ Telearzt. Da vor allem in den Behandlungsstellen der MTF mit einem erhöhten Aufkommen komplexer medizinischer Fragestellungen und längeren Aufenthalten der Patientinnen und Patienten zu rechnen ist, wurde die telemedizinische Einbindung von Messgeräten für verschiedene Vitalparameter in das Konzept aufgenommen. So stehen ein Ein-Kanal-EKG, ein Pulsoximeter, ein Blutdruckmessgerät und ein digitales Stethoskop zur Verfügung, die entweder über Bluetooth oder Kabel an das Tablet angebunden sind. Deren Messwerte und Auskultationsgeräusche werden über die Telemedizin übertragen und mit der Teleärztin/ dem Telearzt geteilt. Dadurch können Diagnosen gemeinsam gestellt und der Therapieerfolg adäquat überwacht werden.
Zusätzlich zu der technischen Konzeption stellte sich die Frage, wie eine solche Funktion zu kennzeichnen ist und wie sie ihre Geräte, insbesondere die per Kabel angebundenen möglichst ohne Behinderung der Einsatzkraft transportieren kann und trotzdem jederzeit griffbereit hat.
Nach dem Vorbild der Kennzeichnung unterschiedlicher Funktionen an der Einsatzstelle, wie bspw. Gruppenführerinnen und Gruppenführer der Behandlungsstelle oder auch Ärztinnen und Ärzte, kam die Idee zu einer Kennzeichnungsweste für den sogenannte TeleSAN, die die komplette Technik integriert. Gleichzeitig sollte die Weste ausreichend Stauraum für die telemedizinisch angebundenen Gerätschaften haben und – sofern erforderliche – Durchführungen für Kabel. Der Zugriff und die Bedienung der Medizingeräte sollte dadurch jedoch nicht eingeschränkt werden. Die Kennzeichnungsweste soll die besondere Funktion des TeleSAN signalisieren und diese schneller unter den sonstigen Einsatzkräften der Behandlungsstelle auffindbar machen.
In Zusammenarbeit mit einem Unternehmen für Schutzkleidung wurden daher umfassende Anforderungen an diese Weste abgeleitet und ein Prototyp daraus entwickelt.
Anforderungen an die Kennzeichungsweste
Im ersten Schritt der Entwicklung wurden Anforderungen definiert, die festlegen, dass die Kennzeichnungsweste über der Einsatzkleidung getragen werden kann und sich farblich von den bisher im Katastrophen- und Zivilschutz eingesetzten Kennzeichnungswesten unterscheiden soll. Die Farbwahl fiel daher auf eine graue Weste. Als Beschriftung sollte sowohl auf der Vorder- wie auch auf der Rückseite die Funktion erkennbar sein. Auf der Vorderseite wurde daher ein Klettflausch gewünscht, auf dem die Funktionsbezeichnung als Klettschild angebracht werden kann und auf der Rückseite sollte repräsentativ der Projektlogo “TeleSAN” zu finden sein. Als weitere Anforderung sollten ausreichend Taschen verfügbar sein, in denen die Kommunikations- und Medizingeräte des TeleSAN Platz finden. Eine Unterteilung der Taschen sollte für Ordnung sorgen. Zusätzlich sollte ein Befestigungsgurt integriert werden, der das Tablet hält, während die Einsatzkraft Maßnahmen am Patienten durchführt. Für die Kommunikation an der Einsatzstelle, aber auch für die Durchführung wissenschatlicher Studien im Rahmen des Projektes war es zudem notwendig, ein Funkgerät an der Weste zu befestigen. Dieses sollte als Redundanzsystem für die Telemedizin genutzt werden, um die Ärztin oder den Arzt bei Ausfall weiter kontaktieren zu können.
Konzeption der Kennzeichnungsweste
Da manche Geräte untereinander bzw. mit dem Tablet für den Einsatz verbunden werden müssen, wurde im Vorfeld definiert, welche Geräte zusammen in einer Tasche platziert werden sollen. Jedes Gerät hat in den Westentaschen seinen festen Platz, um sicherzustellen, dass der Griff zu dem entsprechenden Gerät für den TeleSAN ein Automatismus wird. Für das Funkgerät und das Headset sind im Brustbereich zwei aufgesetzte Taschen mit Patte angebracht. Zudem wurde eine Lasche befestigt, an der das Mundstück des Funkgerätes befestigt werden kann.
Die Medizingeräte verteilen sich auf zwei aufgesetzte, voluminäre Taschen mit Zwei-Wege-Reißverschluss im Bauchbereich. Eine dieser Taschen ist für das Stethoskop und das Pulsoximeter/EKG vorgesehen, die andere Tasche für das Blutdruckmessgerät. Zusätzlich befinden sich in den Taschen Einschubfächer für Einweghandschuhe oder ähnliches.
Für das Tablet wurde ein Befestigungsgurt in die Weste integriert, um das Gewicht des Tablets für den TeleSAN möglichst angenehm zu verteilen. Dieser Gurt läuft über die rechte Schulter und ist dort an der Weste fixiert. Mit einem Einsteller lässt sich dieser Gurt an die Körpergröße sowie Bedürfnisse des TeleSANs anpassen. Zudem befindet sich am unteren Ende ein Haken zur Befestigung, in den das Tablet eingehangen werden kann.
Der zweite zentrale Punkt neben der Funktionalität bei der Entwicklung des Prototyps war die Passform. Zum einen soll die Weste über der Bekleidung getragen, zum anderen soll mit einer Unisexgröße ein möglichst breites Größenspektrum abgedeckt werden, um Anschaffungs- und Vorhaltekosten zu minimieren. Da im Vorfeld nicht bekannt ist, welche Personen als TeleSAN am Einsatzort sein werden, muss sichergestellt sein, dass die Weste unabhängig von der Konfektionsgröße getragen werden kann. Beim ersten Prototyp wurde anvisiert, dass Einsatzkräfte mit Konfektionsgrößen zwischen Gr. 46 und Gr. 64 die Weste tragen können. Hierfür wurde die Weste im Bereich der Seite mit Strickeinsätzen ausgestattet. Zusätzlich konnte sie durch Verstellmöglichkeiten an den Schultern, der Taille und der Hüfte an die Größe und den individuellen Passformwunsch des TeleSAN angepasst werden. Durch die höher eingearbeiteten Seitenteile und den weiter oben eingesetzten Front-Reißverschluss entstanden am Saum Schlitze, die dem TeleSAN mehr Bewegungsfreiheit während des Einsatzes ermöglichen. Die Weste selbst wird mit einem Reißverschluss geschlossen.
Evaluation in Studieneinsätzen enthüllen neue Anforderungen
Dieser Prototyp wurde in unterschiedlichen Studien sowohl in der Simulation als auch am Patienten verwendet und durch die tragenden Einsatzkräfte bewertet. Anhand dieser Bewertungen war die Überarbeitung der Weste eine logische Konsequenz, die den Tragekomfort und das Handling verbessern sollten.
Die Taschen im oberen Bereich auf der Weste sollten teilweise vergrößert werden, um das Einstecken der Geräte zu erleichtern und neben dem Funkgerät auch das Einstecken eines Smartphones zu ermöglichen. Zusätzlich sollte eine innovative Kabelführung im Inneren der Weste für Ordnung sorgen und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kabelbedingter Fehler reduzieren. Im Inneren der Weste sollte ergänzend ein Fach für eine Powerbank mit einem Verbindungskanal zu den Außentaschen vorgesehen werden, um die Medizingeräte zwischen den Behandlungen unkompliziert wieder aufladen zu können, ohne die Geräte ablegen zu müssen. Mit einer Beschriftung auf den Taschen sollte den Einsatzkräften die Suche der Geräte erleichtert werden.
Die Einsatzkräfte der Studie merkten zudem an, dass der Tragegurt auf der rechten Schulter nur bedingt für Linkshänder geeignet ist und dass die Verstellmöglichkeiten nicht ausreichend sind für einen möglichst hohen Tragekomfort. Während der Studien kam es zu Situationen, in denen das Tablet die Einsatzkraft an den Beinen störte oder beim Knien auf dem Boden aufsetzte. Dies sollte durch eine einfachere Befestigungsart des Tablets am Gurt, sowie mehr Verstellmöglichkeiten reduziert werden.
Abschließend wurde für das Design eine auffälligere und zugleich futuristischere Darstellung gewünscht, um die Innovation und die damit einhergehende Digitalisierung auch in der Optik der Weste zu repräsentieren.
Die zweite Version der Kennzeichnungsweste
Die Vergrößerung der Taschen im Brustbereich konnte einfach durchgeführt werden. Dem Bedürfnis nach weniger Kabelchaos wurde entsprochen, in dem ein Durchlass durch die linke aufgesetzte Brusttasche mit Patte eingearbeitet wurde, durch den die Kabel zwischen Obermaterial und Futter zu den Geräten in den jeweiligen Taschen führt. Die Lösung mit dem Durchlass erschien optimaler als ein Kabelkanal, da die Kabel vollständig verborgen sind. Zudem bot dieser Durchlass die Möglichkeit, im Inneren der Weste eine Tasche zu integrieren, in der die Powerbank verstaut werden kann.
Auch die linke aufgesetzte Tasche im Bauchbereich hat einen Durchlass zum Inneren der Weste. Hierin sollen sich das Stethoskop und das Pulsoximeter/EKG befinden, da das EKG die geringste Akkulaufzeit aufweist. Das Blutdruckmessgerät in der rechten Bauchtasche wird mit Batterien betrieben, sodass hier kein Durchlass ins Innere der Weste notwendig ist. Um hier Verwechslungen zu vermeiden und die Nutzung für den TeleSAN zu erleichtern, wurden auf den Taschen Beschriftungen ergänzt, die den Inhalt beschreiben.
Um dem Bedürfnis von Links- und Rechtshändern sowie von Personen verschiedener Körpergröße bei der Verwendung des Tablets gerecht zu werden, wurde der fest integrierte Befestigungsgurt für das Tablet in einen Tragegurt mit Schulterpolster umgewandelt, der nach individuellem Wunsch auf der linken oder rechten Seite getragen werden kann. Im Inneren der Weste ist auf Schulterhöhe jeweils eine Schlaufe angebracht, durch die der Gurt hindurch gefädelt werden kann und somit nicht seine Position verliert. Der Tragegurt ist verstellbar und das Tablet wird an einem schmaleren Haken eingehängt, der ein leichteres Trennen vom Tablet ermöglicht. Mittels einer Schnalle kann das Tablet zudem schnell vom Befestigungsgurt gelöst werden, wenn es die Situation erfordert.
Um auf die verschiedenen Größen der Einsatzkräfte einzugehen, wurden aus der Unisexgröße zwei Größen, die die Größenbereiche Gr. 44 – 52 und Gr. 52 – 60 abdecken. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Größenbereich nach oben zu erweitern.
Ein weiteres ergonomisches Problem stellte das Gewicht der Medizingeräte in den vorderen Taschen dar, durch das die Weste insgesamt nach vorne gezogen wurde. Dies kann zu einem unangenehmen Tragegefühl im Nackenbereich führen. Inspiriert durch die hölzernen Tragejochs zum Transport von schweren Wassereimern und Milchbehältern, wurde der Nacken- und Schulterbereich qua eines Schultergürtels mit geschickt platzierten Abnähern körpernaher gestaltet, sodass das Gewicht der Geräte aufgefangen wird und sich gleichmäßig auf die Schultern und den oberen Rücken verteilt. Durch die Gewichtsumverteilung wurde nicht nur der Tragekomfort, sondern auch das optische Erscheinungsbild beim Tragen verbessert.
Designtechnisch wurde das dreieckige Symbol aus dem Zivilschutzlogo vermehrt aufgegriffen. Dieses findet sich optisch in den angeschrägten Patten und den darauf abgestimmten Reflextransfers, den aufgesetzten Taschen sowie in dem dreieckigen Designelement aus Reflextransfer auf dem Rücken. Es wurden kontrastierende Elemente aus schwarzem Cordura mit eingewebten retroreflektierenden Garnen hinzugefügt. Die flächigen Reflexstreifen wurden auf segmentierte Reflextransfers umgestellt, um der Weste einen moderneren Charakter zu verleihen.
Die zweite Version der Kennzeichnungsweste mit dem futuristischen Design in Form der Reflexstreifen, angelehnt an das Dreieck des Zivilschutzzeichens, dass auch im TeleSAN Logo zu erkennen ist. (Bild: Geilenkothen)
Fazit
Die Entwicklung der Kennzeichnungsweste für den TeleSAN hat unterschiedliche Anforderungen und Bedürfnisse der Trägerinnen und Träger aufgedeckt, die erst nach der Verwendung der Weste in Studieneinsätzen zu einem abschließenden Design der Weste geführt haben. Mit der Kombination aus Funktionalität und Design hebt sie sich von allen bisher verfügbaren Kennzeichnungswesten und anderen Westen mit großen Taschen ab und stellt eine optimale Ergänzung der Ausstattung des TeleSANs dar. Das Projekt TeleSAN mündet in einer Empfehlung an den Bund, die die Machbarkeit des Einsatzes von Telemedizin im Zivilschutzfall bewerten soll.
Weitere Informationen finden Sie unter https://telesan.de/.
Crisis Prevention 3/2023
Anna Müller
Uniklinik RWTH Aachen
AcuteCare InnovationHub
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