Wie präsent sind uns Belange des Bevölkerungsschutzes oder Belange der Sicherheitsvorsorge des Staates? Sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht präsent, könnte man wohlwollend feststellen, dass das ein angenehmer und wünschenswerter Zustand sei. Die öffentliche Wahrnehmung ist selbstverständlich ereignisorientiert. Diese ist mal mehr oder weniger an- oder ausgeschaltet, sei es, weil in Deutschland gerade eine Hochwasserlage katastrophischen Ausmaßes besteht oder Fragen nach der eigenen Sicherheit aufgrund von Terroranschlägen im nahen europäischen Ausland oder „vor der eigenen Haustüre“ passieren (Brüssel, Paris, Berlin). Die staatliche Verantwortung für die Sicherheitsvorsorge hat dagegen eine stetige Dimension.
Nach der föderalen Ordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wurden Bund und Ländern unterschiedliche Verantwortungen zugewiesen. Zunächst und quantitativ dominierend tragen die Länder die Verantwortung für die allgemeine Gefahrenabwehr im Frieden, beispielsweise bei Seuchen, Industrieunfall, Zugunglück, Abwehr von Naturkatastrophen und selbst bei der Bewältigung von Terroranschlägen. Der Bund unterstützt dabei die Länder bei besonders komplexen Ereignissen oder solchen von nationaler Bedeutung.
Damit dies alles nach Möglichkeit optimal funktioniert, also effektiv und schnell zur Wirkung gelangt, müssen die dafür vorgesehenen Strukturen, Verfahren und Werkzeuge überprüft und erprobt werden. Ein herausragend geeignetes Mittel ist eine Übung, um gewünschte Erkenntnisse und klare Vorgaben für die Optimierungen und Weiterentwicklung erzielen zu können. „Lassen Sie uns so oft und viel wie möglich üben!“ könnte demnach ein Leitmotiv für die Innenbehörden lauten. Bund und Länder haben dafür eine etablierte LÜKEX-Übungsserie, sowie 2017 erstmalig eine GETEX Übung durchgeführt.
Die LÜKEX ist eine ressort- und länderübergreifende Krisenmanagementübung. In die Übungsserie werden die Krisenstäbe verschiedener Verwaltungsebenen (Bundesressorts, Länder, Regierungspräsidien, Landkreise) und je nach Übungsszenario auch die von Wirtschaftsunternehmen, Verbänden und Hilfsorganisationen einbezogen.
Dabei geht es um die Überprüfung von Strukturen und Verfahren. Ein wesentliches Ziel besteht darin, anhand des gewählten Szenarios die Handlungen der verantwortlichen Akteure zu harmonisieren, komplexe Fähigkeiten zu konzentrieren und Synergien zu schaffen.
Die LÜKEX ist als Stabsrahmenübung angelegt, als Übung ohne den Einsatz operativer Kräfte. Vollübungen können dabei durch die Länder anteilig in der LÜKEX durchgeführt werden. Für die in der Bundeswehr als taktische Ebene, in den Polizeien als operative Ebene bezeichnete untere Ebene wird der Übungsbedarf vornehmlich auf der Landesebene verortet – dem Ort der praktischen Zusammenarbeit bei Eintritt einer Katastrophe.
Die LÜKEX-Übungen werden grundsätzlich in einem zweijährigen Rhythmus durchgeführt. Seit 2004 wird die LÜKEX regelmäßig auf der Basis unterschiedlicher Szenarien (z. B. Pandemie) angelegt. Aus der systematischen Risikoanalyse Bevölkerungsschutz, sowie der in Fachgremien ausgearbeiteten, spezifischen Referenzszenare, ergibt sich eine Auswahl möglichen katastrophischen Lagen, die in einer LÜKEX behandelt werden können. In der aktuell in Vorbereitung befindlichen LÜKEX 2018 ist das Szenar eine Gasmangellage, und für die LÜKEX 2020 wurde ein Cyber-Szenar durch die 208. Innenministerkonferenz (IMK) im Mai dieses Jahres bestimmt.
Um die Rollen- und Aufgaben für die jeweiligen an einer LÜKEX beteiligten Akteure gut unterscheiden zu können, bietet sich eine zweigeteilte Betrachtung an: Einerseits diejenigen, die den Anlass der Katastrophe unmittelbar bewältigen (den Schadenseintritt bspw. als ABC-Unfall, Black Out, Cyber-Angriff) und andererseits diejenigen Akteure, die die Folgeschäden mindern (weiterer Schadensverlauf mit kritischen Auswirkungen). Auf der Hand liegt, dass je nach Qualität des Anlasses Akteure verschiedener Ressorts mehr als andere gefordert sein werden.
Das BMI nimmt dabei grundsätzlich eine erforderliche, zentral koordinierende Funktion ein.
In diesem Sinne wird dann bei einer Dürre die Expertise des BMEL im fachlichen Fokus stehen und hinzutreten. Bei einer Gasmangellage dagegen, Thema der aktuellen LÜKEX 2018, spielt das BMWi eine größere Rolle, gleichsam rücken andere Bundesbehörden wie die Bundesnetzagentur (BNetzA) und zivile Akteure wie die Energieversorger auf den Plan, die einen Beitrag zur Bewältigung des Schadensanlasses leisten können und müssen.
Bei der Bewältigung der Folgen geht es im Kern um die Abwehr oder Verminderung von Schäden bei der Bevölkerung. Hier kommt es zu Hilfeleistungen bei den Szenaren, die sich in ihrer Qualität zumeist nicht groß unterscheiden. Dies sind in der Regel Bedarfe z. B. bei Evakuierungen, bei der sanitätsdienstlichen Versorgung, bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, um nur einige wenige Bereiche zu nennen. Und dies sind auch Unterstützungen der Bundeswehr, die in aller Regelmäßigkeit bei Übungen wie auch bei realen Katastrophenfällen beantragt werden. Dabei kommt je nach Ausmaß eines Schadensereignisses dann auch die Bundeswehr im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit zum Tragen. Schließlich wird auch bei diesen Übungen der Blick ins eigene Haus geworfen. Um beim Beispiel der Gasmangellage der LÜKEX 2018 zu bleiben, wird die Bundeswehr ihre Eigenbetroffenheit untersuchen – d. h. die Auswirkungen auf Dienstbetrieb und Auftragserfüllung in einer solchen Lage.
Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inland fallen in den Kompetenz- und Verantwortungsbereich des Nationalen Territorialen Befehlshabers (NatTerrBefh). Hier ist also die Streitkräftebasis (SKB) als Militärischer Organisationsbereich gefordert, deren Inspekteur die Aufgabe als NatTerrBefh zugewiesen ist. Er hat dafür seine bestehende Territoriale Führungsorganisation (TerrFüOrg) zur Verfügung. Auf der operativen Ebene findet sich das Kommando SKB in Bonn, welches die SKB insgesamt führt. Nachgeordnet und auf taktischer Ebene koordiniert das Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin bei Hilfeleistungen im Rahmen des Art. 35 GG; und unterhalb des Kommandos in Berlin breitet sich das territoriale Netzwerk aus über die Landeskommandos in allen Ländern, und danach in die Verbindungskommandos zu den Bezirken und Kreisen.
Somit finden sich für alle Ebenen der Bundes- und Länderbehörden militärische Ansprechstellen, die im Rahmen einer LÜKEX beübt werden können, wie auch bei zahlreichen kleineren Katastrophenschutzübungen der Länder. Die konkreten Unterstützungsleistungen, die bei der Bundeswehr beantragt werden, werden dann jedoch von den Fähigkeiten und Kräften der gesamten Bundeswehr bereitgestellt, insofern sie materiell, personell und zeitlich sinnvoll verfügbar gemacht werden können.
Paris – Brüssel – Berlin, so lauten wohl die bekanntesten Anschlagsorte des djihadistischen Terrors in Europa in den Jahren 2015 und 2016. Terrorismus diente schon als fiktiver Anlass bei früheren LÜKEX, bspw. das Szenar von Terroranschlägen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland in 2006 für die LÜKEX 2005.
Aber im Kontext der realen Ereignisse in 2015 und 2016 stellte sich nachvollziehbar ein Überprüfungsbedarf heraus, ob das nationale Krisenmanagement mit seinen Verfahren und Werkzeugen auch für derart immense Terrorlagen gut aufgestellt sei.
Bei einer länderübergreifenden Krisenmanagementübung wechselt damit der Fokus auf die polizeiliche Gefahrenabwehr. BMI und BMVg gemeinsam initiierten die Vorbereitung und Durchführung einer Gemeinsamen Terrorismusabwehr Exercise, der GETEX 2017. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein wurden dabei als aktiv Übende gewonnen. Mit der Vorbereitung der Übung wurde das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) durch das für die GETEX 2017 federführende BMI bestimmt. Das BBK ist auch die Institution, die die LÜKEX regelmäßig anlegt, so dass dort eine grundlegende Expertise für eine Übungsanlage vorhanden ist.
Für die Vorbereitung der Übung arbeitete das BBK mit der Bundeswehr, hier dem KdoSKB aus Bonn zusammen. Hinzu traten seitens der Bundesbehörden beratend das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundeskriminalamt (BKA), sowie als Übungsteilnehmer die Bundespolizei. Vertreter der Innenbehörden und Polizeien der aktiv übenden Länder komplettierten die Arbeitsgruppen, so dass insgesamt jegliche erforderliche Expertise abgebildet und eingebracht werden konnte. Die Vorbereitung eines solchen Szenars einer GETEX und den für die Übung notwendigen Unterlagen (Ausgangslagen, Drehbücher usw.) gestaltete sich komplex und umfangreich. Auf die reale Großwetterlage in Europa 2015 und 2016 aufsetzend, wurde fiktiv eine sich weiterentwickelte Lage erstellt, bei der nach einer Zeit nachrichtendienstlicher und kriminalistischer Verdichtung konzentriert an 2 (Übungs-)Tagen Anschläge in mehreren Ländern in Deutschland geschehen.
Alle Behörden für die Innere Sicherheit, die Polizeikräfte von Bund und Ländern sowie Blaulichtorganisationen standen damit vor besondere Herausforderungen. Das katastrophische Ausmaß wurde mehrfach lokal erreicht. Daraus resultierte ein Unterstützungsbedarf, der schließlich im Einzelnen und nur punktuell durch Bundeswehr aufgefangen werden konnte.
Bei den Vorbereitungen traten zwei Faktoren zu Tage, die verständlicherweise eine Rolle spielten. Dies sind zum einen die erforderliche, kritische, rechtliche Begleitung zur stringenten Einhaltung von verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Bewältigung eines GETEX Szenars, und zum anderen die teilweise zu Tage tretenden parteipolitisch geprägten Haltungen, insbesondere zum Umfang der Unterstützungsleistung, die durch die Bundeswehr erbracht werden sollten. Dies ist insgesamt nicht negativ zu werten, vielmehr belebten diese Faktoren die Erarbeitung der GETEX zusätzlich und schärften die Auseinandersetzung mit der Thematik. An dieser Stelle soll auch darauf hingewiesen werden, dass sich wesentliche Erkenntnisse zur GETEX aus der Zusammenarbeit der Akteure schon in der Übungsvorbereitung ergaben, bevor die Übung in den zwei aktiven Übungstagen durchgeführt wurde. „In der Krise Köpfe kennen“, ist ein Vorzug dieser hervorragend konstruktiven Zusammenarbeit und ein nicht zu unterschätzender Faktor, gerne und frei zitiert nach einem guten Kollegen aus dem BBK.
Um eine Krise zu bewältigen, müssen alle Partner der zivilen Sicherheitsvorsorge zusammenarbeiten, auch das zeigte die GETEX analog zu den LÜKEX-Übungen. Neben der genannten, im Fokus stehenden polizeilichen Gefahrenabwehr einer GETEX, konnten wie erwartet weitere Faktoren ausgewertet werden, die die Bewältigung einer Katastrophe in einer Terrorlage als neue Qualität erscheinen lassen.
Mit Blick auf die Fähigkeiten der Bundeswehr ist festzuhalten, dass sehr kurzfristig Unterstützungsleistungen erwartet werden müssen, um kritische Bedarfe zu decken. Die Lagen, in denen Unterstützung erforderlich wird, treten ad-hoc ein und entwickeln sich dynamisch. Insbesondere werden von der Bundeswehr spezifische Fähigkeiten gefordert werden, bspw. auf dem Gebiet der ABC-Abwehr oder des gepanzerten Transportraums.
Gerade bei der Unterstützung der polizeilichen Gefahrenabwehr werden sehr viel kleinteiligere, komplexe Einsatzregeln zu beachten sein. Mit dem Einsatz von kleinen Kontingenten auf begrenzten Raum ist zu rechnen. Und es besteht ein quantitativ und qualitativ hoher Entscheidungsbedarf für die Hilfeleistungsanträge an die Bundeswehr, der in vielen Anwendungsfällen im BMVg zu entscheiden ist.
Die GETEX wurde zielgerichtet ausgewertet. Das dynamische Szenar der GETEX stellte eine besondere Herausforderung für die beteiligten Stäbe in der Bundeswehr dar. Eine selbstverständlich am Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bindend ausgerichtete Bearbeitung von Amtshilfeanträgen kommt in der höchst dynamischen Lageentwicklung mit seiner enormen Kadenz an Anträgen für den Einzelfall an ihre Leistungsgrenzen. Reine Verwaltungsverfahren sind in solchen Ausnahmesituationen wie einer GETEX wenig geeignet. Entsprechende Entscheidungsfindungen werden aber auch in solcher Extremlage zu bewältigen sein, da die Unterstützung der Bundeswehr im Inland nach Art 35 GG keinen Einsatz der Streitkräfte nach Verfassungsrang darstellt, und damit in der Regel Einzelentscheidungen zu treffen sein werden.
Um ein effizienteres Verfahren zu erreichen, insbesondere den Zeitbedarf für die Entscheidungsfindung zu verringern, wurden die Verfahren deutlich gestrafft und Werkzeuge der Lage- und Informationsverarbeitung in der TerrFüOrg verbessert. Bei internen Verfahrensübungen konnte dies bereits überprüft werden. Weitere Optimierungen wurden auf den Weg gebracht und konnten bislang in Teilen realisiert werden. Das betrifft IT-Ausstattungen und zusätzliches Personal auf Landesebene für die Verbindung zu den polizeilichen Führungseinrichtungen. Hervorzuheben ist der deutliche Aufwuchs des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (KdoTerrAufgBw) in Berlin, das mit einer neuen Operationszentrale deutlich aufgewertet wurde und mittlerweile damit einen 24/7 Dienstbetrieb aufgenommen hat.
Hoch erfreulich und äußerst zweckmäßig ist die deutlich gestiegene Übungsaktivität zu nennen, in der die Bundeswehr aktiv auf Landesebene eingebunden wird oder eine aktive Einbindung einfordert. Häufig werden nunmehr auch terroristische Teilszenare in die Landeskatastrophenschutzübungen integriert. Als prägnante Beispiele können hier die Übungen THEMIS im November 2017 oder die BAYTEX im Juni 2018 genannt werden. Und auch die Bundeswehr wird ihrerseits nationale territoriale Übungen durchführen und zivile Partner einbinden, z. B. bei der Übung STANDHAFTER BÄR 2019 des KdoTerrAufgBw. Ob es jedoch eine GETEX 2019 in Verantwortung des BMI geben wird, ist zum Zeitpunkt der Artikelerstellung noch nicht entschieden worden.
Die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge ist in Deutschland besonders gut aufgestellt.
Zur Resilienz von Staat und Gesellschaft tragen die Behörden des Bundes und der Länder und auch nicht staatliche Organisationen in ihrem abgestuften Zusammenwirken bei. Die Übungen – wie die LÜKEX-Reihe und die bislang einmalige GETEX – sind dabei der Ausdruck der Verantwortung, sich stetig zu überprüfen, zu verbessern oder sich auf neue kritische Szenare einstellen zu können.
Crisis Prevention 3/2018
Oberstleutnant i. G. Christian Grünen
Kommando Streitkräftebasis, Bonn