Der Einsatz sozialer Medien in Katastrophenlagen

Dr. Christian Reuter

C. Reuter

Der umfassende Einsatz sozialer Medien in Katastrophenlagen wurde in Deutschland erstmalig während des mitteleuropäischen Hochwassers im Frühjahr 2013 von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Über Twitter, Facebook, Google Maps und weitere Plattformen koordinierten betroffene Bürger und freiwillige Helfer untereinander Hilfs­aktivitäten und unterstützten den Katastrophenschutz. Zahlreiche Medien berichteten über dieses Phänomen. Dieser Artikel soll einen kleinen Überblick über das Thema geben.

Soziale Medien umfassen Internet-Anwendungen, die es Nutzern ermöglichen, sich auszutauschen und mediale Inhalte zu erstellen und zu teilen. In Deutschland bekannte Beispiele sind Facebook, Twitter, YouTube oder Google+. Facebook und Twitter werden zunehmend in Katastrophenlagen verwendet. Das im Jahr 2004 gegründete soziale Netzwerk Facebook ist eine der am häufigsten aufgerufenen Websites weltweit. Benutzer können ein Profil und Freundschaften pflegen, Text, Videos oder Bilder bereitstellen oder Gruppen gründen. Der 2006 gegründete Mikroblogging-Dienst Twitter ermöglicht öffentliche Kurznachrichten von maximal 140 Zeichen, sogenannte Tweets. In Deutschland sind gemäß einer 2013 von Bitkom veröffentlichten Studie 56% der Internetnutzer auf Facebook und 6% auf Twitter aktiv.

Die Nutzung sozialer Medien in Krisensituationen wurde in zahlreichen Veröffentlichungen thematisiert und wird an der Universität Siegen seit über fünf Jahren erforscht. Soziale Medien bieten geeignete Strukturen zur Krisenkommunikation sowie zur Unterstützung der Kommunikation und Koordination zwischen Betroffenen und ungebundenen Helfern. Ein bekanntes Beispiel ist das mitteleuropäische Hochwasser 2013, welches auch in Deutschland für enorme Überflutungen infolge anhaltender Niederschläge sorgte. Auch wenn das Fotografieren und anschließende Verbreiten von Verunfallten sicherlich nicht wünschenswert ist, gibt es sinnvolle Möglichkeiten.

Twitter – Verbreiten von Informationen

Unsere Studien, die u. a. unter dem Titel „Vernetzte Selbsthilfe in sozialen Medien beim Hochwasser 2013 in Deutschland“ in der Zeitschrift ICOM veröffentlicht wurden, legen nahe, dass Twitter vor allem als Plattform für Statusupdates genutzt wird. Tatsächliche Koordination fand hierüber nicht statt. Dennoch wird Twitter häufig in der Forschung thematisiert, was auch an der international größeren Bedeutung Twitters, jedoch vor allem an den öffentlich zugänglichen Daten liegt, die in Facebook häufig nur Freunden zugänglich gemacht werden.

Facebook – Überblick und Koordination

Facebook-Seiten dienten der Schaffung eines Überblicks, basierend auf einer manuellen Filterung durch die Initiatoren. In Facebook-Gruppen wurde eine Vielzahl virtueller und realer Hilfsaktivitäten koordiniert. Da das Veröffentlichen von Meldungen für jedermann möglich ist, kann es in diesen Gruppen schnell unübersichtlich werden. 

Daher haben einige besonders engagierte Benutzer die Rolle der Moderatoren übernommen und Hilfsbedarfe und Angebote vermittelt. So beispielsweise bei „Passau räumt auf“, eine von Studierenden organisierte und von den lokalen Katastrophenschutzbehörden unterstützte Gruppe.

Google Maps – Individuelle Kartendienste

Zudem wurden in Google Maps Karten erstellt, auf denen überflutete und evakuierte Gebiete, Notunterkünfte, Sandsackfüllstationen, bedrohte Deiche, Bedarfe an Hilfskräften oder Transportmöglichkeiten eingetragen wurden. Diese wurden von kleinen Teams verwaltet und durch eine Vielzahl an Kommentaren aktuell gehalten.

Individuelle Software - Spezialbedarfe

Neben den bereits bekannten und bestehenden Möglichkeiten wurde auch eine speziell für Überflutungen entwickelte Software genutzt. Die Website fluddhilfe.de ermöglichte das Einstellen von Hilfegesuchen oder -angeboten. Diese wurden automatisch auch auf Twitter veröffentlicht.

Kreisleitstelle Siegen-Wittgensteins Facebook-Seite
Facebook-Seite der Kreisleistelle Siegen-Wittgenstein
Quelle: C. Reuter

Proaktive Krisenkommunikation

Auch Katastrophenschutzbehörden spielen in sozialen Medien eine aktive Rolle. Facebook-Seiten zur Krisenkommunikation dienen u. a. der proaktiven Informationsbereitstellung. Diese helfen, zahlreiche eigentlich nicht notwendige Notrufe zu verhindern und somit wichtige Anliegen schneller bearbeiten zu können. 

Die Wahl der richtigen Gesprächsebene (Vokabular, Ansprache) und das geschickte Eingreifen in Diskussionen zur Vermeidung von „Shitstorms“ (laut Duden ein Sturm der Entrüstung, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht) sind hier von Relevanz. Manche hitzige Diskussionen werden jedoch auch durch andere Nutzer selbst reguliert. 

Lagebeurteilung mit sozialen Medien

Gerade in der Vorbereitung von Demonstrationen werden soziale Medien analysiert, um wichtige Informationen für die Lagebeurteilung zu extrahieren. Neben bereits existierenden Softwarelösungen (z. B. Tweetdeck oder Hootsuite) existiert hier noch großer Forschungsbedarf. Im von der EU geförderten Projekt EmerGent erforschen wir derzeit die auf mehreren Meldungen aus sozialen Medien basierende automatische Generierung von Alarmmeldungen für Leitstellen. 

Fazit: Ein Gewinn für beide Seiten?

Soziale Medien werden zum Informationsaustausch genutzt. Da das menschliche Verhalten in Ausnahmesituationen nicht unbedingt vom normalen Verhalten abweicht, werden soziale Medien auch in Katastrophen genutzt - ob dies gewünscht ist oder nicht. Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben können entscheiden, ob sie die dort entstehenden Potentiale der Teilhabe oder der Analyse nutzen: 

Durch proaktive Informationen, z. B. bei großflächigen Stromausfällen, können bei der Bevölkerung entstehende Informationsbedarfe gedeckt werden und überflüssige Notrufe reduziert werden. Durch die teilautomatisierte Datenanalyse kann beispielsweise die Stimmung bei Demonstrationen überprüft werden, um Hinweise auf ein möglicherweise notwendiges Eingreifen zu erhalten.  

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